Sozialer werden, näher ran an die Bürgerinnen und Bürger, nicht nur dort auftreten, wo einem Zustimmung gewiss ist: Bundespräsident Johannes Gauck setzt auch auf der Zielgerade einer langen politischen Karriere noch knallharte Maßstäbe. Jetzt hat der 76-Jährige den Wortlaut seiner Weihnachtsansprache erstmals nicht nur wie gewohnt über Hörfunk und Fernsehen verbreitet, sondern vorab an ausgewählte Qualitätsblogs herausgegeben.
Absprachegemäß veröffentlicht PPQ die letzte Gauck-Ansprache zum Heiligen Abend als Anzeige der Bundesregierung.
"Das Band, das uns zusammenhält“
Liebe Landsleute, liebe Menschen, die schon länger hier sind, liebe Freunde, die ihr erst kürzlich gekommen seit, meine Lebensgefährtin und ich wünschen Ihnen allen von Herzen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.
Für jeden von uns, ob Christ, Moslem, Híndu oder
verstockter Atheist, sind die Bilder von Weihnachten einleuchtend: Ein Kind wird geboren, in einem Stall in einer Futterkrippe – so etwas wollen wir nie wieder sehen! Untragbare Verhältnisse, Hunger, Armut, Flucht. Menschen in Sorge und Angst hören unseren Ruf: „Kommet, ihr Kinderlein!“
Dieses Fest und diese Botschaft brauchen wir – alle Jahre wieder. Denn auch in unserem Alltag ist vieles nicht heil, gerade nach den Vorfällen von Berlin und Mailand, die von bestimmten Kräften benutzt werden, unsere Gemeinschaft zu bedrohen, Angst zu machen und ein Gefühl der Unsicherheit
zu schüren.
Nein, wir wollen keine Feindbilder schüren. Keinen Hass züchten. Keine Schere zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Ost und West, Hiergebliebenen und Hergekommenen.
Das gilt im persönlichen Leben, wo es bis in die Familien hinein immer noch nie ganz ohne Streit zugeht. Das gilt im gesellschaftliuchen gespräch, das oft von Fake News dominiert wird. Das gilt, wo uns Krankheit trifft, Widerworte erreichen, wo Umfragergebnisse nicht zeigen, was wir wollen, wo wir Einsamkeit spüren, wo uns der Tod einen lieben Menschen nimmt, wo ein Mensch, den wir an die Brust gedrückt haben, uns verrät.
Viele haben auch im vergangenen Jahr wieder solche Erfahrungen gemacht, und ich wünsche Ihnen wie im vergangenen Jahr, dass Sie Trost finden und auch wieder Zuversicht.
Ich denke heute Abend auch an unsere Soldatinnen und Soldaten, die in der Ferne für Sicherheit und Wiederaufbau sorgen sollen, es aber seit anderthalb Jahrzehnten nicht schaffen. Sie dienen dem Ruf Deutschlands im Ausland, sie schaffen Frieden mit unseren Verbündeten, die sich ausbedungen hatten, dass auch wir Soldaten schicken. Dass wir nicht erfolgreich sind, nun, nicht immer klappt alles, nicht jeder Terror kann verhindert werden. Trotzdem wollen wir ihnen danken.
Sorgen macht uns allen der weltweite Terror mit seinen Folgen. Unvorstellbar viel Vertrauen ist durch die Bundesregierung, durch die Führung Europas, ja, auch durch mich verspielt worden. Überall die Kriege, Militäreinsätze, Übergriffe. Überall sind wir dabei. Und viele Menschen fürchten um ihre Zukunft. Es wäre richtig, dass der Staat entschlossen handelt, um die Menschen zu schützen und um die Sicherheit zu sichern. Aber, so sagen mir viele, er tut es nicht.
Nein, ich kann Ihnen allen, meine lieben Mitbürgerinnen, Längerhierlebende und Geradegekommene, nicht sagen, woran das liegt. Sind wir gemütlich geworden? Phlegmatisch? ist es unsere Art, ohne Ziele und Visionen zu leben? Wir werden uns anstrengen müssen, um wenigstens den Standard zu halten, den wir haben. Aber wird es uns gelingen? Ich sehe keinen Grund zur Zuversicht, dass wir die Herausforderung meistern werden.
Warum? Unser Land, seine Bürger und die Politik haben klug und besonnen auf den Terror der Weihnachtszeit reagiert. Manche dachten
wohl, die Menschen würden hysterisch auf die Straßen laufen, herumbrüllen und tunesische Fahnen verbrennen. Aber so sind wir nicht, so sind Sie nicht, meine Mitbürger. Ich meine, darauf können wir auch in Zukunft bauen.
Und ich habe Zuversicht, weil ich weiß: Wir haben ein gutes Fundament, immer noch. Auch wenn die Infrastruktur bröckelt und die Kaufkraft der sicheren Renten sinken: Unsere Mauern brechen, aber unsere Herzen nicht. Die Anstrengungen der vergangenen Jahre, Europa beieinander zu halten, gipfelte in einer neuen Bereitschaft zum Miteinander von rechts und links, die die Bundesregierung jeden Tag vorlebt. CDU, SPD, Grüne, Linke, selbst die CSU - ins staatsbürgerschaftlicher Verantwortung ziehen alle Demokraten an einem Strick. Wir haben uns gestärkt für die Aufgaben, die vor uns liegen: den Euro weiter zu retten, den Frieden noch mehr zu sichern, die Bundeswehr im Inneren einsetzen zu könenn und zu einer grundgesetzkonfromen Komplettüberwachung zu finden.
Ich bin froh über den Ideenreichtum, die Tatkraft und die Gelassenheit, die ich überall erlebe, wo bei Beratern und in Ministerien überlegt wird, wie wir das alles hinbekommen. Wir sind gewappnet durch unsere Truppen im Baltikum, durch die vielen tüchtigen Menschen, die hier leben uhnd weiter zu uns kommen. Gut ausgebildete, motivierte Arbeitnehmer, die schon länger hier leben, ideenreiche, mutige Unternehmer und Millionen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die zum Teil erst vor kurzem zu uns gekommen sind, die nun aber schon gestalten und anpacken und füreinander einstehen. Das kann uns allen Mut machen.
Denn ich sehe in all den Kriegen auch eine Chance. Eine Chance für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Eine Chance für eine bessere Ordnung von Wirtschaft und Finanzen, in der das Kapital allen zu Diensten ist und sich niemand davon beherrscht fühlen muss. Denken wir an das Ende des Zweiten weltkrieges. Wie groß war doch das Wirtschaftswunder, das darauf folgte!
Wenn wir dafür arbeiten, dann macht uns auch diese Krise wieder stärker, sie mehrt unseren Wohlstand und gibt uns noch mehr Zuversicht, dass wir Grund zur Zuversicht haben und glänzende Aussichten.
Jetzt muss sich entsprechend verhalten, wer Verantwortung trägt und Rechenschaft schuldet. Wir brauchen Achtsamkeit für das Gemeinwohl. Wir brauchen Anstand, Bescheidenheit und Maß. Glaubwürdigkeit bringt das Vertrauen zurück, Vertrauen ist die Basis von Glaubwürdigkeit. Es ist das Band, das unsere Gesellschaft zusammenhält. Nicht brauchen wir Wahlkämpfe, in denen gestritten wird, in denen Meinungen zerredet werden, in denen Menschen die Spaltung vertiefen.
Liebe Landsleute, lassen Sie uns dieses Band gemeinsam stärken.
Es liegt wirklich an uns selbst. Schöpfen wir die Kraft aus unseren Möglichkeiten.
Diesen Gedanken wollte ich Ihnen heute Abend mitbringen. Und ich möchte allen Dank sagen, die an den Feiertagen Dienst tun, ob hauptberuflich oder im Ehrenamt. Was Sie tun, tut uns gut.
Meine Lebensgefährtin und ich wünschen Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, alles Gute – und in diesen Tagen, wie es in dem alten Lied heißt, eine fröhliche, selige, Gnaden bringende Weihnachtszeit.