Gebrüll aus großer Ferne: Politiker sehen hier neuerdings die "Grenzen der Meinungsfreiheit" erreicht. |
Woher kommt das, was heute „Hass“ genannt wird? Woher kommen die Beleidigungen, die harschen Vorwürfe, das lautstarke Genörgel voller Kraftausdrücke und Verbalinjurien? Nun, der vielzitierte Spruch „Merkel muss weg“ verdankt sich einer Vorlage des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, der im Jahr 1998 öffentlich gegen den damals noch amtierenden CDU-Kanzler Kohl gehetzt hatte. „Kohl muss weg“ ließ Müntefering keinen Zweifel an seiner üblen, menschenverachtenden Gesinnung, die seinerzeit nur noch nicht flächendeckend als solche erkannt wurde.
Wie auch. Der FDP-Chef Guido Westerwelle nannte den "Stern"-Vize Hans-Ulrich Jörges damals „Arschloch“ so wie CDU-Generalsekretär Tauber das heute mit Merkel-Kritikern tut. SZ-Großautor Prantl kanzelte den Kanzler als „mittelmäßig“ ab. Und als Kohl in Hamburg Wahlkampf zu machen versuchte, brüllten Demonstranten pausenlos die Müntefering-Parole "Kohl muss weg!" und veranstalteten dazu mit Trillerpfeifen ein Höllenkonzert. Einige von ihnen waren „sturzbetrunken“, wie die Bild-Zeitung seinerzeit nüchtern protokollierte.
Weitergehende gesellschaftliche Auswirkungen hatte der Verfall der politischen Sitten nicht. Weder der "Spiegel" noch die "Welt", weder die Süddeutsche noch die Taz beklagten das Auftauchen von "Rechtsextremen" oder die Rückkehr der Sprache des Dritten Reiches oder eine ausufernde politische Auseinandersetzung oder ein Ende der Demokratie.
Wie auch. Hatte doch Willy Brandt schon zwei Jahrzehnte zuvor die Erfahrung gemacht, dass aufgebrachte Bürger ihren Nachteil an Rufreichweite durch verstärkte Parolenzuspitzung auszugleichen versuchen. Damals, am 21. Mai 1970, empfing Brandt den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph - und wie der später ausgerechnet an seinen von der DDR entdeckten Frauengeschichten gescheiterte Kanzler in seinen Erinnerungen schreibt, "ein Aufmarsch von Übriggebliebenen und Sektierern"von rechts und links "machte Krawall genug, die Umgebung des Tagungsortes für Stunden in ein Chaos zu verwandeln".
Brandt beobachtete, dass sich der Hass der zum Protest aufmarschierten Neo-Nazis keineswegs nur auf die DDR richtete, sondern auch auf ihn, den sozialdemokratischen Bundeskanzler. Einer der Sprechchöre darf heute als Klassiker gelten: "Volksverräter Hand in Hand - Willi Stoph und Willy Brandt", riefen die Demonstranten. Zudem forderten sie unverhohlen: "Brandt an die Wand."
Kein Grund zur Aufregung. Noch wusste man: Einen gewissen Prozentsatz an idioten gibt es überall. Willy Brandt hörte die "Schreie aus den Handlautsprechern und das Gebrüll der Demonstranten". Als der Kanzler und sein Gast zum Ort der Besprechungen im Schloßhotel fahren, "wurden unsere Wagen angegriffen", beschrieb er später. Auf manchen Plakaten seien "böse Drohungen zu lesen" gewesen. Am Nachmittag, nach dem Essen, muss eine vorgesehene Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer des Faschismus verschoben werden, da der Polizeipräsident meldet, er könne trotz eingesetzter 2000 Polizisten für die Sicherheit der Gäste nicht garantieren.
Nur das mediale Echo war ein ganz anderes als 46 Jahre später. Die "Zeit" beschreibt die Szenerie als "eine wilde Kakophonie aus Sprechchören", der "Spiegel" erzählt mitfühlend von den taktischen Zwängen, in denen die damalige NPD-Führung steckt. Wolf Biermann, der gesamtdeutsche Freiheitsdenker, inszeniert später "Wirtschaftsbosse und Politiker, Zeitungsmacher und hochkarätige Steuerhinterzieher, der Bankier neben dem Kirchenfürsten" in einer Theatershow, voller "Hetze, die zum Mord führen kann", wie Kritiker anmerken. Kleinlaut.
Ganz anders schäumt da die Empörung über die Empörung knapp fünf Jahrzehnte später. Der Untergang des Abendlandes, er beginnt augenscheinlich in Dresden, und er beginnt, wo zwei-, dreihundert Bürger ihrer Kanzlerin aus 200 Meter Entfernung "Merkel muss weg" nachschreien. Ohne Megaphon. Ohne Morddrohung.
"Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun", urteilt die "Zeit" über das "ungehemmte Auftreten und die Pöbeleien von Pegida-Demonstranten am Einheitsfeiertag in Dresden". Auch der "Spiegel" legt mittlerweile andere Maßstäbe an: Ein "Spießrutenlauf" sei der Vorbeimarsch an den Demonstranten gewesen, die nie näher als auf hundert Meter an die Würdenträger herankamen. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka urteilte gar, mit den "Verbalattacken der Pegida-Anhänger" sei "die Grenze der freien Meinungsäußerung überschritten". Die irgendwie viel enger gezogen scheinen als früher.
Die Dinge ändern sich nicht. Aber ihre Wahrnehmung.
Sascha Tamm bekennt: Ich bin ein Volksverräter
Wie auch. Der FDP-Chef Guido Westerwelle nannte den "Stern"-Vize Hans-Ulrich Jörges damals „Arschloch“ so wie CDU-Generalsekretär Tauber das heute mit Merkel-Kritikern tut. SZ-Großautor Prantl kanzelte den Kanzler als „mittelmäßig“ ab. Und als Kohl in Hamburg Wahlkampf zu machen versuchte, brüllten Demonstranten pausenlos die Müntefering-Parole "Kohl muss weg!" und veranstalteten dazu mit Trillerpfeifen ein Höllenkonzert. Einige von ihnen waren „sturzbetrunken“, wie die Bild-Zeitung seinerzeit nüchtern protokollierte.
Weitergehende gesellschaftliche Auswirkungen hatte der Verfall der politischen Sitten nicht. Weder der "Spiegel" noch die "Welt", weder die Süddeutsche noch die Taz beklagten das Auftauchen von "Rechtsextremen" oder die Rückkehr der Sprache des Dritten Reiches oder eine ausufernde politische Auseinandersetzung oder ein Ende der Demokratie.
Wie auch. Hatte doch Willy Brandt schon zwei Jahrzehnte zuvor die Erfahrung gemacht, dass aufgebrachte Bürger ihren Nachteil an Rufreichweite durch verstärkte Parolenzuspitzung auszugleichen versuchen. Damals, am 21. Mai 1970, empfing Brandt den DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph - und wie der später ausgerechnet an seinen von der DDR entdeckten Frauengeschichten gescheiterte Kanzler in seinen Erinnerungen schreibt, "ein Aufmarsch von Übriggebliebenen und Sektierern"von rechts und links "machte Krawall genug, die Umgebung des Tagungsortes für Stunden in ein Chaos zu verwandeln".
Brandt beobachtete, dass sich der Hass der zum Protest aufmarschierten Neo-Nazis keineswegs nur auf die DDR richtete, sondern auch auf ihn, den sozialdemokratischen Bundeskanzler. Einer der Sprechchöre darf heute als Klassiker gelten: "Volksverräter Hand in Hand - Willi Stoph und Willy Brandt", riefen die Demonstranten. Zudem forderten sie unverhohlen: "Brandt an die Wand."
Kein Grund zur Aufregung. Noch wusste man: Einen gewissen Prozentsatz an idioten gibt es überall. Willy Brandt hörte die "Schreie aus den Handlautsprechern und das Gebrüll der Demonstranten". Als der Kanzler und sein Gast zum Ort der Besprechungen im Schloßhotel fahren, "wurden unsere Wagen angegriffen", beschrieb er später. Auf manchen Plakaten seien "böse Drohungen zu lesen" gewesen. Am Nachmittag, nach dem Essen, muss eine vorgesehene Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer des Faschismus verschoben werden, da der Polizeipräsident meldet, er könne trotz eingesetzter 2000 Polizisten für die Sicherheit der Gäste nicht garantieren.
Nur das mediale Echo war ein ganz anderes als 46 Jahre später. Die "Zeit" beschreibt die Szenerie als "eine wilde Kakophonie aus Sprechchören", der "Spiegel" erzählt mitfühlend von den taktischen Zwängen, in denen die damalige NPD-Führung steckt. Wolf Biermann, der gesamtdeutsche Freiheitsdenker, inszeniert später "Wirtschaftsbosse und Politiker, Zeitungsmacher und hochkarätige Steuerhinterzieher, der Bankier neben dem Kirchenfürsten" in einer Theatershow, voller "Hetze, die zum Mord führen kann", wie Kritiker anmerken. Kleinlaut.
Ganz anders schäumt da die Empörung über die Empörung knapp fünf Jahrzehnte später. Der Untergang des Abendlandes, er beginnt augenscheinlich in Dresden, und er beginnt, wo zwei-, dreihundert Bürger ihrer Kanzlerin aus 200 Meter Entfernung "Merkel muss weg" nachschreien. Ohne Megaphon. Ohne Morddrohung.
"Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun", urteilt die "Zeit" über das "ungehemmte Auftreten und die Pöbeleien von Pegida-Demonstranten am Einheitsfeiertag in Dresden". Auch der "Spiegel" legt mittlerweile andere Maßstäbe an: Ein "Spießrutenlauf" sei der Vorbeimarsch an den Demonstranten gewesen, die nie näher als auf hundert Meter an die Würdenträger herankamen. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka urteilte gar, mit den "Verbalattacken der Pegida-Anhänger" sei "die Grenze der freien Meinungsäußerung überschritten". Die irgendwie viel enger gezogen scheinen als früher.
Die Dinge ändern sich nicht. Aber ihre Wahrnehmung.
Sascha Tamm bekennt: Ich bin ein Volksverräter
6 Kommentare:
"Die Dinge ändern sich nicht. Aber ihre Wahrnehmung."
Kann man so sehen, muß man aber nicht.
Zielführender ist die Cui-bono-Frage. Fragen wir uns also, auf welcher Seite stehen die Beobachter? Stehen sie nicht starr auf der gleichen Position und die Welt hat such gedreht? Ihr Stillstand führt zu der veränderten Wahrnehmung. Und ihr Kleingeist, ihre Borniertheit läßt sie aufschreien, weil für sie nicht sein kann, was nicht sein darf.
So betrachtet ist das Verhalten der Beobachter offenbarend ... und zwar nicht zu deren Vorteil.
Ihr Unbelehrbaren werdet es nie verstehen. McPrantl erklärt euch das Volk und Broder, wie das auszulegen ist, was aus dem Märchenwald der Alpenprawda an die süßen kleinen Volksbürger verklappt wird.
prantl ist jetzt offenbar für radikales durchgreifen. kein fußbreit mehr den pöblern und demonstranten, trillerpfeifenverbot deutschlandweit, bundeswehreinsatz in sachsen etc. pp. zeit wird es
verstärkte Parolenzuspitzung
da müßte dieser Link stehen
http://www.politplatschquatsch.com/2015/10/wegen-pack-beschimpfung-sigmar-im-visier.html
Wenn der Herr des Blogs ein https:// spendiert und vorne ranschreibt, dann klappt es auch.
das war der alte bug, wo blogger einem vor dem link ein kostenloses www.blogger.com spendiert
naja, aber es war gratis.
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