Samstag, 23. April 2016

HFC: Comeback ohne Krücken


Es ist eine symbolische Geste, als Sören Bertram sich nach 95 Minuten seiner Krücken entledigt. Der Mann mit dem frischen Kreuzbandriss grinst, als er die Gehhilfen fallen lässt. Die Fankurve, die in Halle eine Gerade hinter dem Tor ist, brüllt "Sö-ren Bertrammm". Die Mannschaftskollegen, die gerade einen 1:0-Heimsieg gegen die mit Aufstiegsambitionen nach Halle gereisten Osnabrücker geholt haben, tanzen rundherum vor Freude, den Klassenerhalt nun doch schon drei Spieltage vor Toresschluss so gut wie sicher zu haben.

 "Nuhuuhur zusammen", brüllen die Tribünen und "Sieg" und "Chemie Halle". Fast ist es wie in alten Zeiten, als die in Halle mit dem Schicksal des Fanseins Geschlagenen sich nach großen Auftritten ihrer Elf gegenseitig versicherten, wie schön es sei, das Rotweiß zu tragen.

Jubel, Trubel, Heiterkeit im Erdgas-Sportpark, und das nach einer Saison, die von ganz unten nach fast ganz oben und wieder zurück führte.Von der Stabilität der vergangenen Jahre war nach einem verkorksten Rückrundenstart nichts mehr übrig. Die Spiele gingen verloren, die Mannschaft ähnelte einem Torso, die Spieler mochten den Trainer nicht, die Vereinsführung plante neue Verwaltungsstrukturen, nicht aber, dass ihre Elf das gesichert geglaubte Tabellenmittelfeld noch einmal nach unten verlassen würde.



Erst mit dem Wechsel vom letztlich doch unglücklich agierenden Trainer Stefan Böger zu Rico Schmitt, der eigentlich erst in der kommenden Saison übernehmen sollte, hellte sich der dunkle Tunnel der allgemeinen Verzweiflung auf. Nicht der Sieg in Köln beim ersten Auftritt des Neuen sorgte dabei für die Rückkehr des Optimismus, sonder der Umstand, dass die leblose, lustlose, willenlose Truppe, die Böger in wöchentlich wechselnder Aufstellung im Stich gelassen hatte plötzlich wieder kämpfen und streckenweise sogar Fußball spielen konnte.

Das Publikum ist dankbar und entschlossen, seins zu tun, damit die Mini-Serie von einem gewonnenen Spiel ausgebaut wird: Spruchbänder mit dem Motto "Nur zusammen" halten sie vor dem Anpfiff hoch, weiß wie die Unschuld des Neuanfangs ist die Fankurve gekleidet.

Gegen den VfL Osnabrück, einen Verein, der vor dem Gastspiel in Halle noch nach oben schaut, stellt Schmitt anders auf als Böger. Mit Brügmann und Furuholm stehen ihm zwei Langzeitverletzte wieder zur Verfügung, einer von beiden übernimmt den Part hinten links, der andere die Sturmmitte. Osayamen Osawe, Aufsteiger der Saison und zuletzt meistgescholtener Mann, rückt auf Außen, Aydemir auf die andere Seite. Für der verletzten Baude steht der etatmäßige Mittelfeldmann Lindenhahn in der rechten Verteidigerposition. Ivica Banovic, von Böger zuletzt geschmäht und von Schmitt als 6er eingesetzt, agiert diesmal als Staubsauger vor der Vierer-Abwehrkette. Und die Sechser-Positionen beziehen der von Böger aussortierten Jansen und der von ihm nicht eben geliebte Pfeffer. Nur die Innenverteidigung mit Engelhardt und Kleineheistmann ist die, die sie immer war.

Ein Feuerwerk sind die ersten drei Minuten dieser neu zusammengebauten Elf. Nach 20 Sekunden schießt Aydemir zum ersten Mal aufs Tor, schön angespielt von Furuholm. Nach anderthalb Minuten der zweite Versuch. Nach drei Minuten der dritte.

Das sind zumindest gefühlt mehr Torabschlüsse als der März  insgesamt sah, aber der VfL macht sich dann doch frei, tritt rüde dazwischen, ackert sich zu einem spielerischen Gleichgewicht und hat nun auch Chancen. Die größte versieben die Gäste in der 26. Minute, als Savran setzt sich auf links durchsetzt und mit einem Schuss genau den Innenpfosten trifft. Das Glück der Tüchtigen: Von dort springt der Ball schräg von der Linie weg in Fabian Bredlows Hände.

Banovic trifft gegen Schwäbe zum 1:0.
Fünf Minuten später rächt sich einer der vielen harten Einsteiger der Osnabrücker. Banovic wird gelegt und weil Sören Bertram, der zuletzt alle Freistöße überwiegend mäßig bis schlecht schoss, ja auf der Tribüne sitzt, tritt er selbst zum Freistoß an. Der Oldie, bis dahin einer der Besten im HFC-Dress, zirkelt den Ball mittig über die Mauer ins lange Ecke. VfL-Keeper Schwäbe berührt ihn noch. Halten kann er ihn nicht.

Was für eine Erleichterung. Was für eine Angst aber auch, die das Stadion nun erfasst. Ganz nah dran am Klassenerhalt und die 7800 auf den Rängen können nur zuschauen. Osnabrück drückt, der HFC kontert. Zumeist aber ohne die letzte Konsequenz: der bienenfleißige Pfeffer schließt selbst ab, wo er passen könnte. Osawe passt, wo er schießen müsste. Und Lindenhahn schießt, aber vorbei.

Trotzdem ist das einer der großen Auftritte einer Mannschaft, die so nur noch ein einziges Mal zusammenspielen wird. Sie laufen, grätschen, passen, springen dazwischen, werfen sich hinein, springen ein, wo eine Lücke klafft. All die herben Enttäuschungen einer langen Saison - Aydemir, Banovic, Engelhardt, später der eingewechselte Diring - zeigen auf einmal, dass sie an einem guten Tag in der Lage sind, eine gute Mannschaft besser zu machen.

Schmitt kann das auch, schon allein dadurch, dass er nicht wie ein Denkmal vor seiner Bank steht, sondern unentwegt agiert, dirigiert und korrigiert. Er hat Jansen zum Kapitän gemacht, den gerade erst von einem Kreuzbandriss genesenen Brügmann in die Anfangsformation gestellt und Banovic zum Anführer ernannt, obwohl der schon weiß, dass er in Halle keine Zukunft hat.

Und alles ist richtig - bis auf die Entscheidung, den für Furuholm eingewechselten Max Barnofsky nicht anstelle von Brügmann in die Abwehr, sondern auf die ungewohnte Position des Mittelfeld-Linksaußen zu stellen. Barnofsky müht sich hier nach Kräften. Doch er ist zu langsam, ihm fehlt der Blick für den anspielbaren Nebenmann und bei einem fast todsicheren Konter dann auch das Schussglück. Statt eines 2:0 gibt es eine straffe Fackel auf die Tribüne.

Halle bangt und hofft, fiebert und zittert sich so in die 90. Minute. Das Stadion, zuletzt noch ein Ort, der zu diesem Zeitpunkt regelmäßig von gellenden Pfiffen erfüllt war, steht wie ein Mann hinter einer Mannschaft, die endlich wieder wie eine auftritt. "Sieg!", schmettert es von den Traversen, während das Spiel noch läuft. Und so kommt es auch: Sieg, der erste daheim nach 62 trostlosen Tagen.

Jetzt kommt der Moment, in dem Sören Bertram seine Krücken wegwirft. Auch der HFC scheint seine erstmal los zu sein.








5 Kommentare:

derherold hat gesagt…

Sieg ... klar, daß die Braunen im Osten wieder ausfallend werden mußten !

Dankesgrüße sollten an Köln und Dünamö gesendet dafür gesendet werden, daß sie den Wahrscheinlich-Absteigern die Punkte abgenommen haben.

P.S. Mehr konnte Fortuna Köln nun wirklich nicht für den HFC tun.

Carl Gustaf hat gesagt…

Hinzu kommt das seltsam Absurde der Fan-Rivalität in Sachsen-Anhalt: gönnte man sich bis vor wenigen Wochen nicht einmal den abgetretenen Rasen zwischen den Stollen, so haben sich die Bauern und die Hallenser an diesem Wochenende gegenseitig die Daumen gedrückt. Während der eine noch alle Chancen auf den vierten Platz, und damit die automatische Qualifikation für den DFB-Pokal hat, ohne sich diesen im jährlivhen Endspiel um den FSA-Pokal erkämpfen zu müssen, so ist für den anderen fast der ebenso der Strohhalm, die DFB-Pokalteilnahme über einen hervorragenden zweiten Platz im Endspiel absichern zu können.
Das ist fast schon ein bißchen so wie Kenia.

ppq hat gesagt…

sowas kann man sich nicht aussuchen. du kannst ja zu jemandem, der 1,97 groß ist, auch nciht sagen, man, ist doch absurd, sei doch mal kleiner

derherold hat gesagt…

Körperlänge ist ein soziales Konstrukt

ppq hat gesagt…

damit hast du natürlich recht.