Mittwoch, 28. Oktober 2015

Lehrstück Pirincci: Kampfkommando Gratismut

Die DDR brauchte im Falle Biermann noch einen Befehl von oben. Die Bundesrepublik aber funktioniert anders, subtiler, auf der Basis von allumfassender, tiefgefühlter Einsicht in die Notwendigkeit, die am Ende Freiheit ist. Sie wirkt gründlicher als jeder Parteibefehl, sie radiert, wo sozialistische Zensur nur an der Oberfläche kratzte. In nur einer einzigen Woche machte sie aus dem deutsch-türkischen Sudelautor Akif Pirincci einen Nazi, Hasshetzer, Hitlernachfolger und Massenmörder, eine Unperson, deren Gegner bereit waren, bei öffentlichen Büchervernichtungen die dunkelsten Stunden des Nationalsozialismus wiederaufzubeschwören, um sich selbst rituell von der „puren Menschenverachtung“, des „vulgären, verletzenden, beleidigenden, an der Grenze zur Volksverhetzung“ (Die Zeit) schreibenden Autors zu distanzieren.

Sein Verlag kündigte ihm, der Buchhandel listet nicht einmal mehr die Bücher, die er schrieb, als er noch nicht der Hetzer und Sudler war, als der er heute Beifall von der flaschen Seite bekommt. Selbst Amazon, ein Konzern, der amerikanische Prinzipien der Meinungsfreiheit für sich reklamiert, hält es mit Pirinccis Bücher wie mit denen von Adolf Hitler: Die deutsche Amazon-Seite boykottiert sie wie Hitlers "Mein Kampf". Wer unbedingt möchte, kann sich die Werke seiner Wahl aber über die US-Seite Amazon.com bestellen.

Stolz auf eine funktionierende Meinungshygiene darf ein Land sein, in dem eine gesamte Branche binnen Stunden antritt, sich selbst vom Schmutz zu reinigen, den ein außer Rand und Band geratenes Rollkommando aus voneinander abschreibenden Schreibtischreportern erfunden hat. Pirincci ist kein Feingeist, Pirincci ist nicht einmal sympathisch. Pirincci hat exaltierte Ansichten, die niemand teilen muss. Und er hält sich für schlauer als er ist, während er gleichzeitig dichtet, als wäre er viel dümmer.

Doch hat er Flüchtlinge ins Gas gewünscht? Eine "KZ-Rede" (Tagesspiegel) gehalten? Bedauert, dass es keine Vernichtungslager mehr gibt, wie der "Stern" bis heute behauptet?

Natürlich nicht. Erst durch eine kollektive Verdrehung dessen, was Pirincci in Dresden sagte, wurde der Vorwand geschaffen, den Autor öffentlich hinzurichten. Kostenlos darf jeder sich anschließen, gratis wird der Mut verteilt, der Meinung aller anderen zu sein. Gäbe es noch Arbeitskollektive, sie würden zweifellos zitiert werden mit Sätzen wie "Als Arbeiter unterstütze ich voll die Entscheidung unseres Staates zur Sache Biermann. Hier hat man mit der notwendigen Konsequenz gegen solche Staatsfeinde gehandelt. Es ist empörend, mit welcher Hetze er gegen unsere Gesellschaft auftritt .

Doch die Auslöschung des Ekelschreibers ist ein Akt, der sich keineswegs gegen Pirincci richtet, wie die Berichterstattung über die erste Pegida-Demo nach dem Auftritt des Kölners in Dresden verrät. Es geht um mehr, es geht um ein Signal, ein "Zeichen" (Gerhard Schröder) dafür, was in Zukunft erlaubt und was nicht erlaubt sein wird. Trotz des Eklats um die Pirincci-Rede, so die "Zeit", hätten sich "wieder Tausende Pegida-Demonstranten" versammelt - unschwer herauszulesen, welcher Effekt erhofft worden war: Abschreckung durch Radikalisierung der Interpretation.

Ein Konzept, an dem die staatliche "Tagesschau" unverfroren festhält, indem sie Erfindung und Lüge verstetigt. "Dabei sorgte der deutsch-türkische Autor Akif Pirincci mit einer Hetz-Rede für einen Eklat. Unter anderem sagte Pinrincci, "die KZs sind ja leider außer Betrieb", heißt es amtlich, wo es in Wirklichkeit hieß "Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb".

Ein Lehrstück über Medienmoral, Wahrheitsliebe, politische Verfolgung, Ausgrenzung, Hass und eine hoffähig gewordene Auseinandersetzuung mit Andersdenkenden, die aus der Position der höheren, besseren Moral auf das Mittel der Vernichtung der bürgerlichen Existenz des Gegenübers setzt.

Kein #Aufschrei regt sich, keine Petition von beunruhigten Berufskollegen erreicht die Zensoren, kein namhafter Künstler solidarisiert sich. Wie bei Wolf Biermann, der aus der DDR vertrieben wurde und später den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl wegen eines KZ-Vergleichs "faschistischer Propaganda" zeihte, rauscht der Applaus in die andere Richtung: Pirincci, so heißt es, hätte ja nicht sagen müssen, was er gesagt hat, dann wäre ihm auch nichts passiert. Eine Stimme schallt da aus einer 40 Jahre tiefen Schlucht, als sei wieder 1976: "Es gibt bei uns genügend Möglichkeiten, über Dinge zu reden, mit denen man glaubt, nicht einverstanden sein zu können".

David Berger auf heise.de über den Rückfall des deutschen Buchhandels in die Barbarei


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Tack för den där länken till Det Nya Tysklandet från 1976.
Wolf Biermann, Konrad (und Markus) Wolf sind bzw. waren Stammengenossen. Und als Mitglieder einer Hirtengenossenschaft ofenkundig uneins darüber, wie das Vieh eigentlich zu weiden wäre. Ob mehr Zuckerbrot, oder mehr Peitsche.
Wölfi ist mehr Astloch als Verbrecher - bei Konrad und Markus, die jetzt in Nastrand durch kalten Eiter waten, ist es umgekehrt.

wolpertinger hat gesagt…

Wölfi's hatten wir im Westen auch zur Genüge.Hannes Wader,Konstantin Wecker(der Schnupfer),F.J.Degenhardt,und wie sie alle hießen.Die damaligen Konrad's und Markus' (im Westen)sind allerdings nur der CIA bekannt.Die haben sich anno dunnemal bekanntlich die relavanten Staasiakten äh,gesichert.

Anonym hat gesagt…

Tja, da hat schon wieder einer Neger gesagt, "der muss weg."

fatalist hat gesagt…

ganz besonders eklig war Ulfkotte, die BND-Töle der gesteuerten Opposition.
aber ich mag Outings, man sieht dann klarer.

Die Anmerkung hat gesagt…

Harry Rowohlt, aus "In Schlucken-zwei-Spechte"

Man hat lange nichts Nettes mehr von Wolf Biermann gehört.

Das letzte Angenehme, was ich von ihm gelesen habe, war das Transkript eines Stasi-Tonbandes, welches in seinem Schlafzimmer aufgenommen worden war, und da hat mich der Schluß so entzückt: »Beischlafgeräusche, danach Ruhe im Objekt.«