Freitag, 27. Februar 2015

Inszenierte Demonstrationen: Der lange Marsch der Macht

Hitler, Gandhi, Martin Luther King, Mandela, Dutschke und Thierse - der Protestmarsch gehört spätestens seit der französischen Revolution zur Menschheitsgeschichte. Zusammen auf die Straße zu gehen, das war stets das letzte Privileg der Unterdrückten, im Offenen konnten die hungernden, Benachteiligten, von der Teilhabe an der Macht ausgeschlossenen Volksmassen ihre Meinung sagen, ihre Ansichten verbreiten und den Regierenden zeigen, dass eine andere Welt möglich ist.

Stets war der Marsch ein Mittel der Gegenkultur. Von wenigen Ausnahmen abgesehen - etwa wenn ein Mann wie Hitler als Reichskanzler sich in die zum Gedenken an einen gescheiterten Putsch marschierenden Parteigenossen einordnete - war der Protestmarsch über hunderte von Jahren kein Mittel der Macht, sondern eines der Ohnmacht. Ob in Indien, Südafrika, den USA oder der DDR, wer keine andere Möglichkeit hatte, seine Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen, der versammelte sich, hakte einander unter und lief los: Gegen Apartheid, Vietnamkrieg, Startbahn West, SED-Herrschaft oder Busverbot für Schwarze. Immer war ein Marsch ein mächtiges Zeichen, hier konnten sich abweichende Meinungen gegenseitig selbstvergewissern, günstigstenfalls gab es noch Zeitungs- oder Fernsehbilder, die für einen Verstärkungseffekt sorgten.

Für eine neue Generation von Politikern ist das wie eine Einladung. Sie, die über Jahrzehnte hinweg ohnmächtige Zuschauer waren, wenn das Volk auf die Straße ging und seinem Unwillen, seinem Zorn oder seiner Verweigerung Ausdruck verlieh, haben das Instrument des Marsches inzwischen selbst als Mittel ihrer Öffentlichkeitsarbeit entdeckt. Statt Luther King, Dutschke, Gandhi oder Mandela marschieren nun Hollande, Poroschenko, Merkel und Gauck in der ersten Reihe mächtiger Aufmärsche der ultimativen Macht, sie haken sich unter wie es früher die außerparlamentarische Opposition tat, sie halten Kerzen in den Händen wie die Demonstranten in Leipzig 1989, sie rufen nicht "Wir sind das Volk", sondern "Wir sind Europa".

Der lange Marsch der Macht endet an der Spitze eines sorgfältig inszenierten Demonstrationszuges, der gleich außerhalb des Blickfeldes der Kameras endet. Medial werde die Aufnahmen als Bilder vom "Gedenkmarsch der Millionen" wie in Paris oder vom "Marsch der Würde" wie in Kiew verbreitet, auf den ersten Blick harmlose Propaganda, deren Arroganz sich selbst enttarnt. Doch in zweiter Linie handelt es sich um die Aneignung von Volkseigentum durch die Repräsentanten der Legislative, eine vollkommene Umwertung des Instruments Demonstration, das bislang immer das letzte Instrument war, auf dem die Massen den Mächtigen den Marsch spielen konnten.

4 Kommentare:

Gernot hat gesagt…

Früher erfolgten ja nicht einmal die
AUFSTÄNDE
im Namen des Anstands.

In der Demokratie wissen sich Politiker und Volksmassen eins. Daher können die Politiker die Volksmassen demonstrativ vertreten.
Nein? Doch, sie werden wieder gewählt.

Anonym hat gesagt…

Aus dem Taz-Interview:
Taz: ...ist das nicht ein Beleg für die Arbeit der „Lügenpresse“?
Tillmans: Von diesem Begriff möchte ich mich distanzieren. Wenn die in den sozialen Medien kursierenden Fotos zutreffend sind, dann hat in vielen Medien offenbar eine Inszenierung stattgefunden,...

Also nennen wir es doch lieber „Inszenierungspresse“.

ppq hat gesagt…

ich möchte mich erstmal auch von der frage distanzieren, die da unausgesprochen in den raum gestellt wird. aber ja, wenn die fotos zutreffend sind, dann war das so. wir müssen uns alle fragen, auch hier bei der taz, wem damit gedient ist, auf solchen "enthüllungen" herumzureiten. putin reibt sich doch die hände!

Anonym hat gesagt…

Ob die TAZ, ob die Rote Fahne: Ein Esel schimpft den anderen Langohr.
Bzw. Ein Lügenmaul ein anderes solches als Lügenmaul.