Ein Aufeinandertreffen von Macht und Volk, wie es bis dahin unvorstellbar gewesen war: Im November vor 25 Jahren stellt sich Hans-Joachim Böhme, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen SS-Standartenführer, den Bürgern seines Bezirkes. Böhme, geboren in Bernburg und seit acht Jahren Chef der SED-Bezirksorganisation im mitteldeutschen Chemierevier, kämpft ums Überleben, sein eigenes und das des Staates, den er für den seinen hält. Auf den Stufen des Rathauses versucht das Politbüromitglied, den vom neuen SED-Chef Egon Krenz ausgerufenen "Dialog" mit den revolutionären Volksmassen zu führen. Doch vergebens. Ein Gespräch mit den 7000 überwiegend aufgebrachten Menschen kann nicht zustandekommen, weil die den wankenden Bezirksfürsten nicht mehr als Gesprächspartner, sondern nur noch als Schuldigen sehen wollen.
Bizarr die Auseinandersetzung, die ein früher Bootlegger mit einem Tonbandgerät vom Zyp "Bändi" mitschneidet. Bürger konfrontierten den Parteiführer mit teilweise absurden Fragen und seltsamen Forderungen, eine junge Frau fordert ihren FDJ-Beitrag zurück, ein junger Mann beklagt, er sei ein Jahr zuvor von der Polizei verprügelt worden - "völlig grundlos", wie er beteuert. Andere verlangten höhere Renten, kürzere Arbeitszeiten und eine bessere Versorgung in den staatlichen Geschäften. Alles geht durcheinander, jahrelang nässende Wunden brechen auf, Böhme ist hörbar verdattert, erschrocken, hilflos angesicht des Zorns, der ihm entgegenschlägt.
In einem MfS-Bericht heißt es später unverhohlen: »Die Atmosphäre war insbesondere von einer aggressiven Haltung der Mehrzahl der Teilnehmer gegen den 1. Sekretär der Bezirksleitung bestimmt. In Wortmeldungen, Sprechchören und auf Transparenten wurde der Rücktritt des 1. Sekretärs gefordert." Der kämpft, aber auf längst verlorenem Posten. Böhme klingt, als sei er aus dem Himmel der eingebildeten Erneuerung gerade eben in der Hölle der Erkenntnis gelandet, dass die Zukunft ohne ihn stattfinden wird. Wenige Tage später wird sich Böhme noch einmal ins Politbüro wählen lassen, schon am Tag des Mauerfalls aber fällt auch er: Auf einer nächtlichen Sondersitzung des Sekretariats tritt der frischgebackene Reformer zurück.
Das Ende einer fast 35 Jahre währenden Parteikarriere, die im Januar 1990 mit dem Parteiausschluss ihr Ende findet. Es folgt noch ein Ermittlungsverfahren wegen Amtsmissbrauchs, das ergebnislos bleibt. 15 Jahre später wird Hans-Joachim Böhme vom Berliner Landgericht wegen Beihilfe zum Mord durch Unterlassen wegen des Schießbefehls zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der 75-Jährige mit der mächtigen Hornbrille sitzt seine Strafe in einer Neubauwohnung in Halle-Neustadt ab. Er stirbt nach verbüßter Strafe im September 2012, ohne noch einmal öffentlich Stellung bezogen zu haben.
Bizarr die Auseinandersetzung, die ein früher Bootlegger mit einem Tonbandgerät vom Zyp "Bändi" mitschneidet. Bürger konfrontierten den Parteiführer mit teilweise absurden Fragen und seltsamen Forderungen, eine junge Frau fordert ihren FDJ-Beitrag zurück, ein junger Mann beklagt, er sei ein Jahr zuvor von der Polizei verprügelt worden - "völlig grundlos", wie er beteuert. Andere verlangten höhere Renten, kürzere Arbeitszeiten und eine bessere Versorgung in den staatlichen Geschäften. Alles geht durcheinander, jahrelang nässende Wunden brechen auf, Böhme ist hörbar verdattert, erschrocken, hilflos angesicht des Zorns, der ihm entgegenschlägt.
In einem MfS-Bericht heißt es später unverhohlen: »Die Atmosphäre war insbesondere von einer aggressiven Haltung der Mehrzahl der Teilnehmer gegen den 1. Sekretär der Bezirksleitung bestimmt. In Wortmeldungen, Sprechchören und auf Transparenten wurde der Rücktritt des 1. Sekretärs gefordert." Der kämpft, aber auf längst verlorenem Posten. Böhme klingt, als sei er aus dem Himmel der eingebildeten Erneuerung gerade eben in der Hölle der Erkenntnis gelandet, dass die Zukunft ohne ihn stattfinden wird. Wenige Tage später wird sich Böhme noch einmal ins Politbüro wählen lassen, schon am Tag des Mauerfalls aber fällt auch er: Auf einer nächtlichen Sondersitzung des Sekretariats tritt der frischgebackene Reformer zurück.
Das Ende einer fast 35 Jahre währenden Parteikarriere, die im Januar 1990 mit dem Parteiausschluss ihr Ende findet. Es folgt noch ein Ermittlungsverfahren wegen Amtsmissbrauchs, das ergebnislos bleibt. 15 Jahre später wird Hans-Joachim Böhme vom Berliner Landgericht wegen Beihilfe zum Mord durch Unterlassen wegen des Schießbefehls zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der 75-Jährige mit der mächtigen Hornbrille sitzt seine Strafe in einer Neubauwohnung in Halle-Neustadt ab. Er stirbt nach verbüßter Strafe im September 2012, ohne noch einmal öffentlich Stellung bezogen zu haben.
7 Kommentare:
Damals wäre ich für Pfählung gewesen... Aber gegen das heutige Politkroppzeug war die SED-Führung von purem Golde. Hier stehe ich, ich kann nicht anders.
die brillen damals hatten in jedem fall mehr charakter
Kann man darauf hoffen das sich dergleiche in wenigen Monaten wiederholt?
Warum sind die Laternenmasten gebogen?
Beste Grüße vom Preussen
Als Augenzeuge des damaligen Auftritts halte ich die Zahl von 7000 Menschen für bedeutend zu niedrig gegriffen. Auf der zuvor stattfindenden Demo, die schließlich am Markt endete war eine nicht zu überschauende Menschenmenge auf den Beinen. Das Buch "Halle im Herbst" (fliegenkopf verlag 1990) nennt eine Zahl von 80.000 Teilnehmern, gibt allerdings keinen Hinweis auf welchen Quellen diese Zahl beruht. Es war zwar so, daß sich nach Ankunft auf dem Marktplatz die Menge etwas verlief, die ersten sich nach Hause begaben und sich auch viele Achim Böhmes Aussagen nicht anhören wollten aber zumindest zu Beginn seines Auftritts müßte die Zahl der Zuhörer noch über 10000 gelegen haben. Definitiv falsch ist das Datum 2. November, dieser Tag war ein Donnerstag - damals untypisch für Demonstrationen. Korrektes Datum - auch hier hilft Halle im Herbst - ist Montag der 6. November. Am Samstag, den 04.11. fand die Großkundgebung auf dem Alexanderplatz in Berlin statt, am darauf folgenden Montag stellten sich die lokalen Größen den Menschen auf den Montagsdemos, einen Tag später tritt Ministerpräsident Stoph samt Kabinett zurück, am 8.11. tritt das Politbüro zurück, Krenz bleibt Generalsekretär und in der Nacht des 09.11. wird Böhme zum Abdanken gezwungen, aber das interessiert eigentlich schon keinen mehr, weil alle nur noch nach Berlin schauen.
der 2.11. steht handschriftlich auf der kassette, aber du wirst sicher recht haben
aber 80.000? niemals
habe nachgeschaut, du hast echt, laut literatur war es am 6.
Ich nehme alles geschriebene zurück, meine Erinnerung bezieht sich offenbar auf eine völlig andere Veranstaltung.
Als ich heute beim Friseur saß, blätterte ich in einem der kostenlosen Stadtmagazine, es nennt sich Zachow. Dort gibt es unter einem Artikel über die Wendezeit in Halle eine Timeline mit den wichtigsten Daten Halles für den Herbst 1989. Und da war auch eine Veranstaltung für den 02.November 89 vermerkt, ein von der Partei der Arbeiterklasse organisiertes "Problemgespräch" auf dem Marktplatz mit 7000 Teilnehmern, wie es auch in deinem Artikel beschrieben wurde. Dass es eine solche Veranstaltung gegeben hat, ist mir völlig entfallen, ich selbst habe nur Böhmes Auftritt am darauf folgenden Montag erlebt.
Ich bitte um Entschuldigung
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