Freitag, 28. Februar 2014

Cyber-Dialog: Steinmeier macht mächtig Druck

Genug gebettelt, gemahnt und geredet. Bei seiner ersten USA-Reise greift Bundesaußenminister Walter Steinmeier zu härteren Bandagen, um die US-Administration zur Respektierung der deutschen Rechte auf elektronische Unversehrtheit zu zwingen. Das seit dem Bekanntwerden der NSA-Affäre im vergangenen Sommer in Rede stehende Anti-Spionage-Abkommen mit den USA soll nach Steinmeiers Willen zu einem umfassenden Cyber-Dialog mit dem transatlantischen Partner weiterentwickelt werden.

Unter Einbeziehung der Experten des Bundesblogampelamtes im mecklenburgischen Warin müssten beide Länder ganz ernsthaft darüber sprechen, dass sie "einfach unterschiedliche Bewertungen über das Verhältnis von Sicherheit, Freiheit und Privatsphäre" hätten, sagte Bundesaußenminister Steinmeier nach einem ersten wegweisenden Treffen mit seinem US-Kollegen John Kerry in Washington. Die deutsche Regierung glaube an flächendeckende Überwachung und halte ihre Bürger bereits dank mit Internetzensur, Bundestrojaner und Jugendschutz, elektronischem Personalausweis, einheitlicher Steuernummer und digitaler Krankenkassenkarte unter Bedingungen, die Deutschland weltweit zu einem Spitzenstandort in Sachen Sicherheit machen. "Und wenn es diese unterschiedlichen Bewertungen gibt, dann nützt es nichts, jetzt schlicht und einfach in Verhandlungen über ein Abkommen einzutreten", fügte er hinzu.

Wichtig sei, nach außen hin den Eindruck zu vermitteln, dass die Bundesregierung sich weiter kümmere, auch wenn es nicht mehr zu tun gebe als "Argumente auszutauschen", erklärte der SPD-Politiker. Herrnfried Hegenzecht vom Bundesblogampelamt, der Steinmeier als Fachberater begleitet, verwies im Gespräch mit PPQ auf "Konsequenzen", die Deutschland zu ziehen bereit sei, nehme die USA nicht Abstand von der Debatte der vergangenen Wochen und Monate. So sei es denkbar, dass deutsche Spione die US-Regierung und in Deutschland lebende Amerikaner ins Visier nähmen bis "John Kerry mir ein unterzeichnetes No-Spy-Abkommen in die Tasche steckt und sagt: 'Gut, dass wir drüber gesprochen haben'".

Ermittler finden Heiligen Gral in Edathys Wohnung

Ermittler sind in der Wohnung von Sebastian Edathy auf den Heiligen Gral gestoßen. Die Staatsanwaltschaft Hannover habe dem Bundestag das seit mehreren tausend Jahren vermisste Gefäß am Dienstag übergeben, teilte Parlamentssprecher Ernst Hebeker in Berlin auf Anfrage mit. Der zum Teil als geheimnisvoll eingestufte Kultgegenstand sei vom niedersächsischen Landeskriminalamt bei der Durchsuchung der Wohnung gefunden worden. Details waren zunächst unklar.

Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Edathy ist evangelisch und hat einen Jagdhundmischling namens Felix, der allerdings mit dem Heiligen Gral nichts zu tun haben soll. Nach der Geheimschutzordnung des Bundestags dürfen mystische Gegenstände irdischen wie außerirdischen Ursprungs in der Regel nur in der Geheimregistratur des Parlaments eingesehen werden. Selbst Bundeskanzler bekommen zu ihrer Amtseinführung nur eine kurze Einweisung in Verschwörungstheorien etwa zu Chemtrails, der tödlichen Wirkung von Handystrahlen und der Weltherrschaft der Krokodilmenschen. Zauberkräftige Gegenstände dürfen ihnen, aber auch Mitgliedern von Untersuchungsausschüssen nur in ihr Büro mitgegeben werden, wenn sie dort einen Tresor haben.

Auch der Heilige Gral durfte demnach nicht aus dem Bundestag mitgenommen werden, außer wenn der Bundestagspräsident dies aus unabweisbaren Gründen zulässt. Ob er das getan hat, ist unklar. Eine Stellungnahme wollte eine Sprecherin nicht abgeben. Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz sieht dennoch keinen Anlass, der Staatsanwaltschaft Hannover den Fall Edathy zu entziehen. Der Gral habe keinen Schaden genommen, die durch ihre zufällige Kenntnisnahme des Vorhandenseins des Gegenstandes betroffenen Polizeibeamten und Bediensteten der Behörde seien umgehend geblitzdingst worden. Im Landtag in Hannover betonte die Grünen-Politikerin am Mittwoch, sie lasse sich fortlaufend über das Verfahren durch die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft in Celle berichten. „Diese Ermittlungen geben keinen Anlass, einzugreifen“, sagte sie.

Edathys Anwalt wies die Behauptung zurück, sein Mandant habe sich den Heiligen Gral illegal verschafft. Sebastian Edathy selbst hat dazu auf seiner Facebook-Seite Stellung bezogen. Die Behauptung, er habe unrechtmäßig "geheime Gegenstände" in seiner Privatwohnung aufbewahrt, "ist purer Unfug und ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver einer Staatsanwaltschaft, die sich völlig verrannt hat", schrieb er. Die Geheimschutzstelle des Bundestages könne auf Nachfrage bestätigen, dass alle als "geheim" deklarierten Unterlagen und Behältnisse "von mir vor Wochen" komplett dorthin zurückgegeben worden seien. Bei ihm eventuell gefundene Kultgegenstände "von gralähnlichem Design" könnten es sich nur um "Dekomaterial nicht geheimen Charakters" handeln. Mit Blick auf ein "geplantes Buch-Projekt" habe er solche Sachen seit Jahren gesammelt.

Die CDU kritisierte, die Justiz habe die Ermittlungen zu langsam vorangetrieben, der Gral etwa sei schon lange vermisst worden. Edathys Anwalt bemängelte, die Staatsanwaltschaft habe Details über die Funktionsweise des Grals, der unter anderem unsichtbar machen, Wasser kochen und Lottozahlen vorhersagen kann, veröffentlicht und damit unter anderem die Geheimhaltungsvorschriften der Prieuré de Sion grob verletzt.

Donnerstag, 27. Februar 2014

Mit 300000 Stimmen nach Straßburg: Spinner für Europa

Alarm in Deutschland, Angst um die junge, fragile Demokratie! Nach der von Richtern, die offensichtlich jedes Maß für Macht und Mitte verloren haben, gekippten Drei-Prozent-Hürde für die Entsendung deutscher Abgeordneter ins Europaparlament drohen Weimarer Verhältnisse in Europa: Jeder Spinner darf jetzt ins Parlament, wenn er nur genug Wähler findet, kaum eine Hürde steht noch zwischen den Populisten, Rechten, Rechtsextremen, Rechtsradikalen und Europafeinden und den großzügigen Diäten, mit denen die gemeinsame Schwatzbude des Friedensnobelpreiskontinents bislang nur ausgebildete Postdemokraten lockt.

Die Leitmedien sind in Sorge. "Splitter für Europa" sieht der "Spiegel" an der Macht, "Kann bald jeder Spinner ins Parlament", fragt die Bild-Zeitung. Die Süddeutsche kritisiert gar "ein Urteil gegen Europa", das doch bisland von einer handverlesenen Schar Abgeordneter aus den etablierten Parteien richtig gut parlamentarisiert wurde. "Da sammelt sich jetzt eine ganze Menge problematischer Mandatsträger", warnt Elisabeth Niejahr von der "Zeit". Ungeheuerlich!

Die Angst ist akut, denn bei der zuletzt gezeigten Wahlbereitschaft der deutschen Wahlberechtigten, von denen nur knapp über ein Drittel noch eine symbolische Stimme abgaben, reichen schon läppische 364.000 Klappsköpfe, Vollidioten und Anhänger kruder Thesen, um einen hanebüchenen "Tierschützer, Rentner oder Freien Wähler" (Der Spiegel) in die einzige direkt gewählte supranationale Institution weltweit zu entsenden. Martin Schulz, einer der führenden europäischen Demokraten mit Spaßbadbau-Erfahrung, ist auch entsetzt von der Tür zur Anarchie, die das Verfassungsgerichts geöffnet hat: "Jetzt kommt es darauf an, dass wir für die Europawahl im Mai so mobilisieren, dass möglichst keine extremistischen Parteien ins Europaparlament einziehen", zeigt sich der gelernte Buchhändler, der Europa künftig führen wird, kämpferisch.

Alles andere wäre ein Gau für die Großparteien, die es bisher ganz allein auf sich genommen hatten, ihre Abgesandten zwölfmal im Jahr für ein paar Tage und 200 Millionen Euro von Brüssel nach Straßburg pendeln zu lassen, um über die Frauenquote in griechischen Aufsichtsräten, Glühbirnen in deutschen Wohnzimmern, die Durchlaufgeschwindigkeit in dänischen Wasserhähnen und immer wieder auch über allerlei tolle Zukunftsmodelle für die EU zu beraten und zu beschließen. Was soll werden, wenn dabei demnächst ungebildete, konträrüberzeugte und reinen Partikularinteressen verpflichtete Abgeordnete mitmachen dürfen? Nur weil sie jemand gewählt hat?

Was ist denn das für eine Demokratie! Reichen die 162 Parteien etwa nicht, die die 751 Parlamentssitze in Straßburg und Brüssel heute schon selbstlos unter sich aufteilen? Müssen denn auch noch Freie Wähler, Republikaner, Tierschutzpartei und die Partei Familie, Piraten, die Partei Rentner und die Ökologisch-demokratische Partei mit ihren absurden Ansichten und fragwürdigen Absichten in Europa für Verwirrung und ein schlechtes Deutschland-Bild bei den europäischen Partnern sorgen?

Drohen also Weimarer Verhältnisse im EU-Parlament, wenn künftig - bisher unvorstellbar - "womöglich gar die NPD europäische Volksvertreter entsenden darf - und sich auf den Rängen des Parlaments bis zu einem Drittel Europaskeptiker aus dem ganzen Kontinent finden?" (Der Spiegel).

Nein, nicht wenn es nach dem verantwortungsvoll handelnden Wähler geht, den der "Spiegel" mahnt: "Jeder Europafreund" könne der Entropie der europäischen Verhältnisse, dem vom Verfassungsgericht geplanten Auseinanderfallen Europas in zahllose Vertreter, die sich nur ihren Wählern verpflichtet fühlen, etwas entgegensetzen: Einfach bei der Europawahl im Mai abstimmen - am besten für eine der sechs Parteien des demokratischen Blocks.

Welt am Abgrund: Frieden ist Krieg

Das waren noch Zeiten, als das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) weltweit Kriege zählte! Iran, Irak, Afghanistan und immer brannte „die Welt an immer mehr Stellen“. Wenn der Februar zu ende ging, kam aus der Heidelberger Idylle eine dramatische Warnung vor noch mehr Gewalt und Elend, vor Zeiten, die so schlimm waren wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr und überhaupt vor „Auseinandersetzungen mit massivem Einsatz von Gewalt und gravierenden Folgen“.

Aber die Zeiten sind mager geworden für Friedensforscher, die schlimmsten fast seit 1944, als nur ein einziger Krieg gezählt werden konnte. Immer noch 20 Kriege wie schon seit Jahren zählen die Experten, die sich natürlich auskennen im medialen Geschäft und deshalb wissen, dass ein immerwährendes Ewiggleich keinen Berichterstatter hinter dem Ofen hervorlockt. Dann lieber doch eine kleine Begriffskorrektur, wie sie die Armutsbeobachter und Rechtsgewaltspezialisten in Deutschland bereits vor Jahren durchführten, um den zurückgehenden Zahlen, die Arbeit und Brot für viele Forscher bedeuten, den Garaus zu machen.

Wie aus dem einfachen „arm“ das allgemeinverbindliche „von Armut bedroht“ aus „rechten Straftaten“ die „Straftaten Rechter“ wurde, die auch Zigarettendiebstahl und Schwarzfahren einschließen kann, zählt das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung so also nun nicht mehr nur die ewiggleichen 20 Kriege, die ewiggleich alle Jahre wieder „eine traurige Höchstmarke“ bedeuten, wie ein Praktikant namens Marcel Burkhardt auf heute.de bedeutungsvoll orgeln darf. Sondern nun gleich „eine deprimierende Zahl von 414 Konflikten weltweit“, weil schon sehr viel akuter klingt.

Die Welt steht am Abgrund, es ist alles viel schlimmer als zu Zeiten von Welt- und Korea-, Vietnam- und Afghanistankrieg. „Allein in Afrika wüten elf Kriege, der Krieg in Syrien stürzt eine ganze Region ins Chaos und auch in Europa nehmen Krisen zu“, fantasiert Burkhardt die fehlenden „Schreckensnachrichten über menschliches Leid durch blutige Konflikte“ (heute.de) herbei. 414 Konflikte hätten die Wissenschaftler im vergangenen Jahr gezählt – das sind 26 mehr als noch 2012 und rein statistisch gesehen erstmals mehr als zwei pro Staat der Welt.

Ein schöner Erfolg für die Kriegszähler, zu deren Idee einer neuen Zählung Friedensforscher Peter Hachemer Stellung genommen hat. Es habe ihm und seinen Fachkollegen „große Sorge“ bereitet, dass die Zahl der Kriege in den vergangenen Jahren auf sehr hohem Niveau geblieben, aber nicht gestiegen sei. Viele Kriege hätten auch schon sehr lange angedauert, „zum Teil zehn Jahre und mehr“, neue aber seien nicht in Sicht gewesen. Deshalb habe man sich entschlossen, eine breitere Bemessungsgrundlage zu verwenden.

Nach der zählt nun auch die "gewaltlose Krise" (Heidelberger Institut) in Griechenland zu den 414 Konflikten weltweit, vor denen es Angst zu haben gilt.

Mittwoch, 26. Februar 2014

NSA: Ernstfall für den Datenschutz

Die Enthüllungen von Edward Snowden haben die NSA in die Defensive gedrängt. Deshalb kündigte Präsident Obama in seiner Rede zur Lage der Nation am Montag eine Reform des US-Geheimdienstes an. Ein erster Schritt in diese Richtung erfolgt bereits im Februar: Dann erhält die NSA erstmals in ihrer Geschichte eine Datenschutzbeauftragte. Die frühere Heimatschützerin Rebecca Richards, die den Posten übernehmen wird, soll darüber wachen, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig ist, soweit es Gesetze oder andere Rechtsvorschriften erlauben, anordnen oder der Betroffene eingewilligt hat. Ist das nicht der Fall, soll Richards in ihrem alljährlichen Datenschutzbericht dagegen protestieren dürfen.

Die Personalie Richards wurde von der NSA bisher noch nicht bestätigt, sie entspricht aber der gesetzlichen Vorgabe, dass zum Beauftragten für den Datenschutz nur bestellt werden darf, wer die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzt. Richards arbeitete bisher in der Datenschutzabteilung des Heimatschutzministeriums, die als besonders konsequent bei der Anwendung der Bürgerrechte gilt. Richards soll den Direktor des NSA beraten und ihn ruhig, aber sehr bestimmt mahnen, dass der Datenschutz und die Freiheitsrechte gewahrt werden müssen. Die neue Geheimdatenschützerin wäre damit auch für die Übermittlung personenbezogener Daten ins Ausland sowie an über- oder zwischenstaatliche Stellen zuständig, die sie darauf hinweisen wird, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verarbeitet oder genutzt werden dürfen, zu dessen Erfüllung sie übermittelt worden sind.

Wulff-Jahre bei PPQ: Opferabend im Free-TV

Alles geopfert, alles verloren. Zwei Jahre nach dem Scheißesturm aus Massemacht, der den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff an einem Wintermorgen wegblies, ist der einst so beliebte CDU-Politiker rehabilitiert. Wulff, so zeigte das Sat.1-Dokudrama "Der Rücktritt" verdeutlicht, wie ein unkalkulierbares Staatsversagen einen Mann vernichtet hat, der immer nur das Beste wollte und in allen seinen Ämtern stets ganz aufrichtig und unverhohlen die Hände aufhielt.

Verantwortlich einmal mehr: Eine Ermittlungsbehörde, die bei ihrem Umgang mit Sebastian Edathy   Christian Wulff jedes Maß verloren hat, um unter Missachtung der Unschuldsvermutung und mit der Benennung von Details aus seiner Privatsphäre einen der führenden Repräsentanten der jungen deutschen Demokratie zu vernichten. Dabei hatte Wulff wie später Edathy eigentlich nichts gemacht! Oder doch so gut wie nichts glasklar Strafbares.

Ein menschliches Drama, das in zahlreichen Parallelwelten ganz anders ausgegangen wäre. Der "Spiegel" und der "Stern" hatten seinerzeit schon aufgehört, in der Causa Hauskauf zu recherchieren, auch die "Bild"-Zeitung war bereits dabei, die Geschütze wieder einzufahren. Dann dieser taktisch kluge Anruf des Bundespräsidenten bei Kai Dieckmann, dem Chef des größten deutschen Boulevardblattes. Von dem konnte Wulff, das zeigt nicht zuletzt der Ablauf der Affäre Edathy, erwarten, dass er eine Klärung des Problems auf die leise Art bewirken würde.

Hinter den Kulissen wird etwas verabredet, ein wenig Geben, ein wenig Nehmen, und schon ist die Sache ausgestanden. So läuft das ja im politischen Berlin, so lief es auch bei Edathy. Mauscheln, Kaupeln, Schaden von Partei und Staat abwenden. Das Beispiel Fußball-WM 2006 zeigt, wie gern die Medien dabei mittun.

Doch hier war es ein Rechenfehler. Denn Dieckmann nutzte nun ausgerechnet die Drohungen des Präsidenten gegen die freie Presse, um dem bereits angeschlagenen Niedersachsen den nächsten Schlag zu versetzen. Wulff, der erste Deutsche, der bei einem frei verfügbaren Haushaltseinkommen, das seine Frau Bettina später auf 3500 Euro monatlich beziffert, von keiner Bank einen Kredit zum Hauskauf bekommen hätte, verließ sich auf Mechanismen, wie er sie aus Niedersachsen kannte. Und scheiterte, weil das, was er als Bundespräsident anzubieten hatte - exklusive Interviewtermine - weniger wert war als das, was ein Rücktritt einzubringen versprach: Eine einmalige Trophäe, den zuckenden Skalp eines echten Präsidenten.

Dienstag, 25. Februar 2014

Sinkende Quoten: Bundestag zieht den Stecker

Zu wenig Interesse beim Zuschauer: Noch einmal tritt der Deutsche Bundestag zusammen, dann ist Schluss. Die vier momentanen Ausrichter CDU, SPD, Die Grünen und Die linke haben das Aus für die traditionsreiche Veranstaltung gemeinsam beschlossen. Nach Informationen des Entertainment-Magazins "Spiegel" wird die Sitzung am 3. Oktober die letzte sein. Der Mietvertrag für den Reichstag sowie für das Paul-Löbe-Haus wurde zu Ende des Jahres gekündigt. Den Geschäftsbetrieb übernimmt zunächst ein zehnköpfiges Exekutivkomitee.

In den vergangenen Jahren hatte der Bundestag beim Wahlvolk zunehmend an Akzeptanz verloren. Auch wurden die Bundestagssitzungen zuletzt einen Tag zeitversetzt ausgestrahlt, was zu etlichen Kommunikationspannen führte. Zudem wurde die Aufzeichnung problematisch geschnitten (Lesen Sie bei PPQ den Kommentar, der die Abschaffung des Bundestages beklagt). Nachdem dann auch noch der Bundestags-Laptop während einer Zugfahrt von Hannover nach Amsterdam gestohlen wurde, war das Ende praktisch besiegelt.

Selbst Demokratiefans der ersten Stunde hatten das Hohe Haus in der Vergangenheit heftig kritisiert: Legendär ist inzwischen der Wutausbruch von Bundesverdienstkreuz-Träger Marcel Reich-Ranicki: "Bei dem vielen Blödsinn, den ich heute Abend gesehen habe, glaube ich nicht, dass ich dazugehöre", sagte er einmal auf der Besuchertribüne.

Wenig später legte Elke Heidenreich noch einen drauf. Das Ganze sei zuletzt eine "armselige, grottendumme Veranstaltung" gewesen, sagte die Regimekritikerin. Es habe sich um "stundenlangen Schwachsinn in hässlicher Kulisse" gehandelt und überhaupt um "hirnlose Scheiße". Bis zur letzten Sitzung im Oktober wollen die Parteien nun darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Man sei sich einig, heißt es in einer "internen Sprachregelung", die nach einer Krisensitzung am Freitag im kleinen Kreis der Parteivorsitzenden verabschiedet wurde, "dass es weiterhin eine Form geben muss, in der die hervorragenden Leistungen deutscher Politiker für Europa öffentlich gewürdigt werden können".*

Doku Deutschland: Kopflos im Parlament

(*Text mit freundlicher Genehmigung von PPQ-Volkskorrespondent Traktorist)

Olympia: Absturz im Trend

"Sturzpech hin oder her", analysiert die Sportzeitung SZ das Abschneiden der deutschen Olympiastarter in Sotschi, "das deutsche Olympia-Team hat die Medaillenziele in Sotschi klar verfehlt". Es fehle "in vielen Sportarten leistungsstarker Nachwuchs" - die Funktionäre müssten nun "grundlegende Dinge hinterfragen".

Das Auffällige dabei ist natürlich, dass die SZ es nicht schafft, grundlegende Dinge zu hinterfragen. Anderenfalls sonst wäre den Experten aufgefallen, dass die Medaillenbilanz der Wintersportler auffallend der Medaillenbilanz der Sommeraktiven gleicht. Die schafften es, aus 142 Medaillen bei den Olympischen Spielen des Jahres 1988 noch ganze 44 bei den Wettbewerben des Jahres 2012 zu machen - im Winter sank die Ausbeute von 33 auf 19, obwohl die Zahl der Wettbewerbe gleichzeitig von 46 auf 98 anstieg.

"Absolut unbefriedigend", nennt das Bernhard Schwan vom DOSB, der sich derzeit noch "Leistungssportdirektor" nennen darf. Vor vier Jahren in Vancouver waren es noch 30 deutsche Medaillen gewesen, vier Jahre davor 29, weitere vier davor 36, davor 29 und im Jahr 1994, dem ersten gemeinsamen Startjahr deutscher Wintersportler bei Olympia, 24, allerdings bei damals nur 61 Wettbewerben.

In den vergangenen vier Jahren investierte allein das Bundesinnenministerium 28,5 Millionen Euro in den olympischen Wintersport, dazu kommen Millionen von den Ländern, aus Lottomitteln und von Kommunen. Auch in Sotschi waren 67 von 158 Startern wieder Staatsamateure, die ihren Sport in hauptberuflich einer Bundeswehr-Sportkompanie betreiben. 2002 hatte die Bundeswehr das deutsche Starterfeld für Vancouver 70 von 158 Sportlern ähnlich dominiert. Dazu kamen 36 Skifahrer, Skispringer und Biathleten, die von Bundespolizei und Zoll bezahlt wurden und zusammen mit den Bundeswehrkollegen 25 von 30 aller Medaillen für Deutschland holten.

Gute alte Zeit. "Die Kurve zeigt eindeutig nach unten", sagt der "Leistungssportdirektor". Aber in Sotschi sieht vor allem die Bilanz der umgebauten Volksarmee traurig aus: Nur noch vier goldene, vier silberne und zwei Bronzemedaillen erkämpften die Sportler im Flecktarn, das ist gerade noch die Hälfte aller deutschen Medaillen. Während die un-uniformierten Starter ihre Bilanz von zuletzt fünf Medaillen auf neun fast verdoppelten, sank der Ausbeute von Bundeswehr-, Polizei- und Zoll-Sportlern von 25 auf nur noch zehnmal Edelmetall.

Ein langes Wegdämmern. Dennoch klagt die "Zeit" freundlich "Der deutsche Sport hat ein Problem" und bejammert "das schlechteste Olympia-Ergebnis seit der Wiedervereinigung" ohne das Wort Bundeswehr mehr als nur en passant zu erwähnen. Wintersport und Olympia werden behandelt, als hätten sie mit Schnee und Putin, weichen Pisten und öffentlichem Erwartungsdruck zu tun. Dabei hatten auch die olympischen Sommersportler die schlechteste Medaillenausbeute aller Zeiten in London nur um ganze drei Medaillen verpasst.

Eulenfurz über die Wimmerspiele

Montag, 24. Februar 2014

Auf der Jagd nach Kinderfleisch: 60 Milliarden Pädophile

Sebastian Edathy hat alles riskiert und alles verloren, um der Gesellschaft ein bislang völlig verdrängtes Problem in seinem ganzen grauenhaften Ausmaß vor Augen zu führen: Kinderbilder - derzeit nach Angaben des staatlichen Deutschlandfunk ein Markt, auf dem "im vergangenen Jahr 250.000 Deutsche rund 20 Milliarden Euro für Bilder und Filme mit nackten Kindern ausgegeben" haben.

Summe, die schockieren. Der Online-Marktplatz Ebay etwa macht im Jahr weltweit nur halb soviel Umsatz wie die Kinderschänderbilderanbieter allein in Deutschland. Auch der Kaufhausriese Amazon kommt in Deutschland nur auf halb soviel Umsatz wie die Posing-Foto-Mafia. Bei der gibt dem Deutschlandfunk zufolge jeder einzelne Bilderschänder rund 80.000 Euro für sein schmieriges Hobby aus - zum Preis einer normalen straffreien Edaythy-DVD konsumiert damit jeder deutscher Bilderschänder etwa 800 Datenträger mit schmutzigen Filmen und sogenannten Fotosets jährlich.

Das macht zwei Filme täglich - der Fall Edathy zieht damit immer weitere Kreise und nimmt immer größere Dimensionen an. Berichteten Medien zunächst nur über Ermittlungen gegen einen ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten im Zusammenhang mit Kinderpornografie, so zeigt sich nun eine gewaltige Industrie ungeschützt vor aller Augen: "In jeder Sekunde sind weltweit 750.000 Pädophile online", zitiert der Deutschlandfunk amtliche Daten.

Das macht pro Tag fast 65 Milliarden Pädophile, die auf der Jagd nach frischem Kinderfleisch ruhelos durch die Weiten des Datennetzes streifen. Ein Problem, das zeigt sich dank der Bemühungen von Sebastian Edathy deutlich, dessen Ausmaße also nahezu zehnmal größer sind als die gesamte Weltbevölkerung. "Wenn der Gesetzgeber es ernst meint, und nicht nur strategisch auf der aktuellen Empörungswelle surft", empfiehlt der Sender, "muss künftig dafür bestraft werden, wenn auch nur im Entferntesten die Möglichkeit besteht, dass die Persönlichkeitsrechte von Kindern durch die Foto- und Filmaufnahmen verletzt worden sind."


Achse des Bösen: Schurkenstaat Niedersachsen

Sie lügen. Sie betrügen. Sie verfüttern Gift, handeln mit Gammelfleisch, fälschen Pferdefleischlasagne, fördern verbotenes Glücksspiel, die Übernahme der Macht in der SPD durch einen Lehrer und missbrauchen schamlos straffreie Knabenbilder: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat jetzt aufgedeckt, welche geheime Gemeinsamkeit hinter Wulff-Prozess und Edathy-Pädophilenskandal, der jüngsten Entlassung eines Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, einer inzwischen vergessenen Spielbankaffäre, der Gammelfleisch-Aufregung des Jahres 2013 und einer ganzen Reihe von weiteren großen Staatskrisen der Vergangenheit steckt.

"Schurkenstaat Niedersachsen" titelt das Blatt unter Bezugnahme auf die gemeinsamen Wurzeln der Täter in dem meistenteils flachen Landstrich um Hannover. Von hier, so zeigt eine Analyse, stammen zahlreiche Strippenzieher, die traditionell hoch hinaus wollen. Die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof kam von hier, der Pop-Demiurg Dieter Bohlen, der Rock-Zerstörer Klaus Meine und der frühere Eisbären-Pate Sigmar Gabriel, aber auch große Kaliber wie der Jugenschaftler Ernst Albrecht, der Welfenfürst Heinrich IV. von Braunschweig Grubenhagen, DDR-Halbdespot Otto Grotewohl oder August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Hitlers Welteroberungspläne mit seinen Zeilen "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt" vorwegnahm und ihnen so den Weg bereitete.

Zwei Jahrhunderte danach sind die Niedersachsen überall, verstrickt und an Strippen ziehend, beschäftigt mit Ränkespielen, Pädophilie und Dienstwagenaffären. Mit Jürgen Trittin stammte ein Spitzenkandidat der letzten Bundestagswahl aus dem bisher weithin unterschätzten Land, mit Steinmeier und Rösler verdiente sich zwei weitere Spitzenkräfte dort ihre ersten Sporen und mit Ursula von der Leyen, Gabriel und Steinmeier stellt das hauptsächlich von Pferden und Bauern bevölkerte Gebiet im Nordwesten der Bundesrepublik, das mit nicht einmal acht Millionen Einwohnern keine zehn Prozent der Bundesbevölkerung stellt, gleich drei Fachminister - das sind mehr als 20 Prozent aller Minister.

Die Niedersachsen verstünden sich eben auf das neumodisch "netzwerken" genannte synchronisieren von eigenen Interessen und gesellschaftlichen Chancen, heißt es in der siebenseitigen Titelgeschichte des Magazins. Bereits zu Zeiten des zuerst Niedersachsen regierenden späteren Bundeskanzlers Gerd Schröder waren es diese Netzwerke, die sich wie Mehltau über die gesamte Republik legten: Sarah Connor sang auf allen Kanälen, die Komiker Wigald Boning und Otto Waalkes rührten zu Tränen und die Erinnerung daran, dass Adolf Hitler hier, im bislang meist übersehenen Kernland der Achse des Bösen, einst seine Einwanderungspapiere erhielt, war überwiegend vergessen.

Die Affäre Edathy erst brachte die Erinnerung gescheiterte Reformerinnen und staatsamtliche Schadenabwender zurück. "Wenn diese Republik ein Skandal in Atem hält, führen in der Regel viele Spuren nach Niedersachsen", bestätigt die Rheinische Post die Beobachtungen des "Spiegel". Der Filz aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Unternehmen und Prominenz, der dort herrsche, habe viele fantasievolle Namen: Mit "Maschsee-Sumpf" oder "Niedersachsen-Connection" würden die steilen politischen Karrieren und jähen Abstiege beschrieben, die zur Kultur dieses Landstrichs gehören.

In Niedersachsen gehen die Uhren anders, hierher führen Spuren der RAF, aber auch der NSU, hier gilt kein Recht auf Anonymität, aber der Nato-Luftverteidigungsgürtel hält.

"Wo fielen die römischen Legionen, wo wankte Deutschland nicht! In Niedersachsens Wäldern stand Deutschland sein Gesicht!", singen schon die Kleinsten hier unverhohlen, "wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen, kämpfen gegen jeden Feind rot, braun oder weiß". So läuft das in Niedersachsen: Man kennt sich, man hilft sich, heißt es fast schon neidisch in der Rheinischen Post.

Sonntag, 23. Februar 2014

Wer hat es gesagt?

"Hätten die Indianer eine strikte Einwanderungspolitik betrieben und jeden Weißen unverzüglich wieder ins Meer geworfen, dann stünde es heute anders um die indianischen Nationen."

Dreister Angriff auf die "Straße der Gewalt"

Wenige Superlative nur sind es, mit denen der frisch demokratisierte deutsche Osten im Wettbewerb mit dem etablierten Demokratiestandort Westdeutschland konkurrieren kann. Als einer davon galt den Leitmedien bislang die rechte Gewalt, die in den ostdeutschen Bundesländern entlang der Straße der Gewalt grassierte, während sie im Westen nur als Zuschauer erlebt werden konnte. Schuld war Erich Honecker, schuld war das durch staatliche Erziehung mit Gewalt verseuchte Genmaterial der mitteldeutschen Jugend, wie der Kriminologe Christain Pfeiffffer bereits vor Jahren herausarbeitete.

Ein Makel, aber wenigstens ein Standortmerkmal, mit dem der Osten auftrumpfen und Fördermittel für den "Kampf gegen rechts" (Angela Merkel) beantragen konnte. Jedoch nur eine Zeit lang, denn jetzt schickt sich das alte Deutschland zwischen Aachen und Salzgitter an, den ehemaligen Gebieten der ehemaligen Ex-DDR auch noch den Titel der gewalttätigen No-Go-Area streitig zu machen.

Jetzt aber ergibt eine "Untersuchung von Tötungsdelikten mit mutmaßlich rechtsextremem Hintergrund" ein völlig anderes Bild: Angeblich hat sich nun "nicht mal ein Zehntel der Fälle in den neuen Bundesländern" ereignet.

Ein Schock für die von Menschen weitgehend entleerten Weiten von Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt, die bislang nach Angaben des "Focus" bekannt waren "für Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund". Denn eine vom Bundesinnenministerium veranlasste Vorprüfung zur Erhöhung der Zahl der rechten Morde hat ergeben: Nur 43 der 628 untersuchten vollendeten oder versuchten Tötungsdelikte hat sich in den No-Go-Areas im Osten ereignet, der Rest im friedlichen, längst zivilisierten Westen der Republik.

Ein Rätsel, dem auch die "Arbeitsgruppe Fallanalyse" im "Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus" der Sicherheitsbehörden bislang nicht beikommen konnte. Nach derPrüfung von 3300 ungeklärte Tötungsverbrechen seien bei 628 Fällen "abstrakt denkbare Anhaltspunkte" für ein mögliches rechtes Tatmotiv gefunden worden. Eine Benachteiligung des Ostens sei weder beabsichtigt noch billigend in Kauf genommen worden, vielmehr, analysiert der Rechtsexperte Frank Jansen im "Tagesspiegel", deute vieles darauf hin, dass der Westen rechte Gewalt verharmlose - eine völlig neue und überraschende Erkenntnis.

Hit Me With Your Rhythm Stick


Nein, es ist nicht die Dummheit, die Deutschland in ihren Fängen hält, nicht das Vorurteil (dessen Lob nicht laut genug gesungen werden kann). Und auch Geldgier und Kleinkariertheit – um wahllos weitere Beispiele zu nennen – beeinträchtigen das Leben im Land nicht so stark wie – das Ressentiment. Als „das Gefühl dauernder Ohnmacht gegenüber erlittener Ungerechtigkeit und Niederlage oder persönlichen Zurückgesetztseins“ zielt diese „negativistische Grundhaltung nicht auf Verbesserung des Kritisierten, sondern findet ihre Befriedigung im Hochgefühl der grundsätzlichen Opposition“. Das Ressentiment ist das argumentationslose Dagegen, die faktenfreie Besserwisserei, das sinnentleerte Beharren auf der Einteilung der Welt in richtig und falsch, schwarz und weiß, gut und böse. Nur auf der Grundlage dessen lassen sich (und mit der daraus folgenden rhetorischen Sicherheit) Knabenbilder und Pornografie auseinanderhalten, Steuerflucht und Persönlichkeitsrechte gegeneinander ausspielen und hohe Benzinpreise zur Rettung des Universums deklarieren. Weil wir vom Misanthropen-Board PPQ eh niemanden leiden können, sind wir davon nicht betroffen. Wir beobachten weiter das Treiben da draußen, wundern uns manchmal und lachen dann über das hier 

Samstag, 22. Februar 2014

Ein Devine allein

Er ist wieder unterwegs, Kevin Devine, auch diesmal wieder allein. Geplant war das Konzert mit Band. Aber die konnte sich der Ausnahmesänger nicht leisten. Nicht für Europa. Zu wenig Tickets im Vorverkauf. Zu wenig verkaufte Scheiben jenseits von Amerika. Aber die, die ihn kennen, waren da. Die, die ihn verehren, die ihn schätzen. Schätzungsweise 100. Weil Kevin Devine eben eine Ausnahme ist. Nicht nur sein Stimme. Auch seine Art, sein Auftreten, seine Texte. Er spielt auch schon mal schnell ein Video in der Garderobe ein, sammelt im Internet Geld für Plattenproduktion und anderes. Was bei Devine aber eben auch passt, weil er eben sonst nirgends passt.

Und so steht er allein auf der Bühne im Magnet-Club in Berlin. Begleiter sind seine Gitarre und seine Stimme, die er, je nachdem, wie weit er sich vom Mikro weg bewegt, derart variieren kann, dass man bei “Brothers Blood” zum Beispiel nur sprachlos und mit Gänsehaut zuhören und -sehen kann. Wenn er weit hinten steht und seine Songs ins Publikum flüstert, dann klirrt auch schonmal das Mädel hinterm Tresen etwas leiser mit den Gläsern, Unterhaltungen im hinteren Bereich lässt er so verstummen. Devine muss zwischendrin nicht viel erzählen. Seine Songs machen das schon. Nur einmal, da fragt er, ob denn jemand von weither nach Berlin gekommen sei. Ja, natürlich. Dublin, Kapstadt, Long Island. Wow. Sagt Kevin. Aber sicher nicht nur wegen mir. Aber egal.

Devine spielt einen Song nach dem anderen, will gar nicht mehr aufhören. Zuerst die Lieder vom neuen Album “Bulldozer”. “Matter Of Time”, “Little Bulldozer”, “From Here”, “For Eugene”. Dann die älteren. Wie “Another Bag of Bones”. Oder “I Could Be With Anyone”. Oder eben “Brothers Blood”. Jene Songs also, die für mich und einige andere das Zeug zum Hit haben. Aber eben nicht für alle. So bleiben seine eben unsere Hits. Auch schön. Und so steht er weiter nach seinen Konzert inmitten seiner Fans und beantwortet alle ihre Fragen. Und bleibt eben die Ausnahme. Einer der besten Ausnahmen, die es gibt.

Danke an Berlinpankowblogger

kevindevine.net

Mehr als wenig braucht kein Mensch

Die Nachdenkseiten, des Nationalökonomen Albrecht Müller schaffen es immer wieder. Während staatlich kontrollierte Zentralbanken die Allmacht über die Ökonomie erobert haben, während sozialistische Wunscherfüllungsprediger mit dem Füllhorn geborgter Gnade übers Land ziehen und Taschenspieler aus allen politischen Lagern für die Verengung des zulässigen Meinungskorridors auf einen zentral beschlossenen Meinungsmainstream hinarbeiten, zetert die Internetoase für Altlinke fortwährend über die Machtergreifung des Neoliberalismus, den Vormarsch der Faschisten und eine Regierung des Rechenschiebers im Sozialbereich.

Realitäten waren also noch nie die Sache der wackeren Kämpfer gegen eine vorgestellte Wirklichkeit - aber jetzt hat der Zorn der Freunde von Entmündigung, Verstaatlichung und Bevormundung des Einzelnen durch das Kollektiv eine neue Qualität im Leninschen Sinn erreicht. In einem Beitrag über die „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ und ihre „Zwangsabgaben auf Sparguthaben“ lässt Autor Jens Berger seiner Empörung darüber freien Lauf, dass die Webzeitung ein "Gedankenspiel der Bundesbank zur Erhebung einer Vermögensabgabe bei allen Sparern so hinstellt, als sei das ein ernstgemeinter Plan, um das zur Krisenbekämpfung notwendige Geld von den Bürgern zu holen.

Ist es natürlich nicht! Sagt Jens Berger. Nicht dass der Autor, seit Jahren ein Verfechter zunehmender Armut in Deutschland, gegen eine Enteignung wäre. Nein, nein, "diese Idee hat zweifelsohne Charme", schreibt er. Aber leider, leider meine die Bundesbank das ja gar nicht ernst. Und außerdem, wenn sie es ernst meinen würde, wären ja gar nicht die Bürger ansich, sondern nur einige wenige Reiche, eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Spekulanten, Manager und Millionäre getroffen!

Berger ist angetan, aber zugleich empört. Erstens sei die Idee gut, zweitens sei es schlecht, dass Zeitungen wie wie Deutschen Wirtschaftsnachrichten oder die "Welt" und überhaupt allerlei "libertäre Dummköpfe" davor warnten, ohne dass eine Durchführung schon konkret geplant sei. Jens Berger beschreibt dann detailverliebt, wie alt entsprechende Enteignungspläne schon seien (mehrere Monate), wie kurz sie in Papieren der Bundesbank abgehandelt würden (in einem kleinen Info-Kasten) und wie demagogisch es sei, zu behaupten, sie könnten eines Tages verwirklicht werden (sehr!).

Niemals! Getroffen von einer „Schuldensteuer auf Sparguthaben“ würden doch allenfalls "millionenschwere griechische Reeder" oder "steinreiche spanische Bauunternehmer", heißt es mit einem leicht fremdenfeindlichen Unterton. Lieschen Müller aber, die von den libertären Dummköpfen wider besseren Wissens gegen die Endlösung der Schuldenkrise durch eine Zwangsabgabe auf Spargroschen aufgehetzt wird, das verspricht Jens Berger, würden nie betroffen sein.

Freitag, 21. Februar 2014

Menschenopfer auf dem Machtaltar

Der "Steuersünder" als Sündenbock der Neuzeit, naheliegende ähnliche Vergleiche mal beiseitegelassen: Es ist inmitten des Getöses allgemeiner Empörung einmal mehr die einsame Stimme von Hendryk M. Broder, die in der Kakophonie der wohlfeilen Empörung eine Melodie erkennbar macht. Der Staat selbst, schreibt er, ist es, der seine eigenen Grundregeln und Gesetze fortwährend verletzt und missachtet. Um parallel dazu mit großem Pomp auszuziehen, Menschen, die Gleiches tun, am öffentlichen Pranger hinzurichten.

"Man muss die Ereignisse und die allgemeine Hysterie der letzten Tage auf ein so einfaches Beispiel herunterbrechen, um zu begreifen, was wir gerade erleben", schreibt Broder in Anspielung auf die inzwischen schon wieder vergessene Affäre Schwarzer: "Offenbar ist es so, dass auch eine aufgeklärte, liberale und säkulare Gesellschaft, die Menschenopfer nur aus Märchen und Horrorfilmen kennt, ohne Sündenböcke nicht auskommt."

Eine Schlussfolgerung, die hier bei PPQ zum Bildungskanon gehört. Nur weil es, in Broders Worten "aufgrund der herrschenden Political Correctness nicht möglich ist, die üblichen Verdächtigen vor das Tribunal des gesunden Volksempfindens zu stellen – also die Ausländer, die Juden, die Zeugen Jehovas, die Asphaltliteraten, die negativ-zersetzenden Elemente, die Schwulen, die Halbstarken, die Schmarotzer –, sind jetzt die Steuersünder an der Reihe, die eben nicht zu den geschützten Spezies gehören, derentwegen die Straßenverkehrsordnung umgeschrieben wird."

Es ist bemerkenswert zu sehen, welch winzig' Licht in dunklen Zeiten und heimelig wärmt und leuchtet. In ein paar simple Beispiele gefasst, wird hier plötzlich deutlich, wie das alte Muster von Brot und Spielen und öffentlichen Hinrichtungen in den Tagen von Steuer-CDs und staatsamtlichen Gesetzesbrechern funktioniert: Es braucht Menschenopfer auf dem Altar der Macht, um den Massen die Richtung zu weisen, ihren Hass zu kanalisieren und sie abzulenken von der im Dienst des Machterhalts betriebenen Unterminierung der Grundlagen des Gemeinwesens.

Den ganzen Text von Broder gibt es hier
FDominicus dazu

Warum sich der Bundestag nach dem Nominallohnindex entlohnt

"Wie jeder lohnabhängig beschäftigte Bürger", sagt Michael Grosse-Böhmer on der CDU, würden die Bundestagsabgeordneten künftig entlohnt. Massstab sei nach dem neuen Abgeordnetengesetz nur noch der Nominallohnindex, an dem sich künftige Steigerungen der kargen Diäten der Abgeordneten orientieren werden.

Der Bürger staunt. Vom Nominallohn hört man eher selten, selbst die allmächtige Google-Maschine findet nur 9500 Verwendungsstellen im ganzen Internet, verglichen mit mehr als 50.000, die den bekannteren Reallohn erwähnen. Warum also möchte sich der Bundestag bei seiner Bezahlung an jenem "Nominallohn" orientieren?

Nun, eine Grafik aus dem Statistischen Bundesamt (oben) verrät es.

Donnerstag, 20. Februar 2014

Zitate zur Zeit: Auf DDR-Niveau

"Wer sich in den Foren von Spiegel Online, der Tagesschau, der ZEIT etc. umschaut, wer mit Freunden und Kollegen spricht, der erkennt schnell: Das Vertrauen in offizielle politische Erklärungen und auch in die zugehörige Berichterstattung hat in einer langen Abwärtsbewegung nun DDR-Niveau erreicht."

Das Märchen vom teuren Benzin

Ausgerechnet in der „Zeit“ ist Dieter Wermuth angetreten, die Funktionsweise des Kapitalismus zu erklären. „Herdentrieb“ heißt sein Blog und derzeit ist Wermuth dort gerade dabei, zu erläutern, warum hohe Energiepreise gut sind für Deutschland: Sie helfen beim Energiesparen! „In einer Marktwirtschaft lassen sich diese Ziele am besten durch einen fühlbaren Anstieg der relativen Strompreise erreichen“, schreibt der in Amerika promovierte Volkswirt, dessen Herz natürlich links schlägt. Nur wenn Energie teuer sei, gebe es Anreize, sie effizient einzusetzen, argumentiert er: „Wir würden immer noch Spritschlucker fahren, wenn Benzin im Vergleich zu unseren sonstigen Ausgaben so billig wäre wie anno dazumal.“

Es ist nun seit alters her der Fehler aller Demagogen, die Wirklichkeit außer acht zu lassen, wenn es darum geht, Argumente für ihren Glauben zu finden. Auch Dieter Wermuth plumpst in diese Grube: Benzin kostet heute zwar etwa 1,54 Euro pro Liter, Diesel 1,36 Euro. Aber teuer ist das nur im Vergleich zu anderen Ländern, aber nicht zu anderen Zeiten.

Benzin ist, ganz im Gegensatz zum dem, was Wermuth glaubt und öffentlich behauptet, nämlich gerade außerordentlich billig: Bei den derzeitigen Tankstellenpreisen erarbeitet der Durchschnittsdeutsche sich heute mit seinem Durchschnittsstundenlohn von etwa 12 Euro netto in der Stunde knappe acht Liter Benzin oder 8,5 Liter Diesel, mit denen er rund 100 bis 150 Kilometer weit fahren kann.

Paradiesische Verhältnisse, wenn wir in die Geschichte schauen. Ende der dreißiger Jahre lag der Preis für einen Liter Benzin in Deutschland zum Beispiel zwar nur bei 39 Pfennig. Doch wer 150 Kilometer mit dem Auto fahren wollte, musste dafür den durchschnittlichen Tageslohn eines Arbeiters hinlegen. Das heißt: Acht Stunden Arbeit für 150 Kilometer. Heute reicht eine. Auch der Rest der Vergangenheit schneidet schlecht ab: 1962 konnte sich ein Durchschnittsverdiener zwar wie heute zwischen sieben und acht Liter Sprit vom Einkommen einer Stunde Arbeit leisten. Dank des Durchschnittsverbrauches der Autos damals kam er damit allerdings nur halb so weit wie heute.

Wie also konnte es dazu kommen, dass wir keine Spritschlucker mehr fahren? Obwohl doch Fortbewegung mit Benzinmotoren im Vergleich zu unseren sonstigen Ausgaben so billig ist wie nie zuvor? Nun, Dieter Wermuth geht nicht ins Detail, er geht lieber gar nicht darauf ein. Weil er nicht weiß. Sondern glaubt. Und darum auf Fakten verzichten kann.

Mittwoch, 19. Februar 2014

Zitate zur Zeit: Hans-Peter zieht ein Zweifellos

"Natürlich habe ich richtig gehandelt, das können nur Winkeladvokaten und Rechtspositivisten anders sehen."

Plädoyer in eigener Sache: Edathy spricht über seinen Fall

Es war im Sommer 2012, ganz Deutschland kämpfte mutig gegen den Rechtsextremismus, der in Gestalt einer Ruderin zu Olympia nach London gefahren war. Ganz Deutschland? Nein, ein Mann aus dem Bundestag, bekanntgeworden als nimmermüder Aufklärer der NSU-Affäre, hielt dagegen. Sebastian Edathy, damals noch der einzige Deutsche, der wusste welche knabenhaften Dämonen ihn in den langen, einsamen Stunden in seinem Abgeordnetenbüro jagten, plädiert in eigener Sache.

PPQ dokumentiert ein vergessenes Interview.

Sebastian Edathy: Guten Morgen, grüße Sie!

Klein: Wir haben gerade den O-Ton von Thomas de Maizière gehört. Ist eine Grenze überschritten worden bei Nadja Drygalla in der öffentlichen Debatte?

Edathy: Ich denke, dass es ganz klar sein muss, wer im öffentlichen Dienst ist - und Frau Drygalla war ja Polizeibeamtin -, der ist rechenschaftspflichtig gegenüber dem Dienstherren, ob er oder sie sich so verhält, wie es dem Diensteid angemessen ist, nämlich einzustehen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das zu beurteilen, das zu bewerten, das ist Sache des Dienstherren, das ist nicht unsere Aufgabe in der Öffentlichkeit. Und ich habe Schwierigkeiten damit, wenn man über eine Person öffentlich spekuliert - das ist so ein bisschen auch, finde ich, wie ein Blick durchs Schlüsselloch - aufgrund einer privaten Beziehung. Und ob ihr Freund oder Lebensgefährte Rechtsextremist ist oder nicht, die Entscheidung darüber, ob es trotzdem ihr Freund oder Lebensgefährte sein kann, die muss Frau Drygalla selber treffen. Wenn sie selber nicht in der Szene aktiv ist, ist das nicht unsere Angelegenheit.

Klein: Bleiben wir mal kurz bei der Frage nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst, das hat im vergangenen Jahr stattgefunden. Die Grenzen scheinen ja so ein wenig fließend zu sein. Also ich muss, wenn ich Beamtin werden möchte oder im öffentlichen Dienst arbeiten möchte, muss ich unterschreiben, dass ich nicht Organisationen, die dem Rechtsextremismus oder irgendeinem Extremismus nahestehen, unterstütze oder dieses Gedankengut teile. Ich muss aber nicht unterschreiben, dass ich keinen Freund habe in der Szene. Wie beurteilen Sie das, ist man da zu weit gegangen, indem man ihr nahegelegt hat, auszuscheiden?

Edathy: Das müsste Herr Caffier beantworten als zuständiger Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern. Ich kenne die näheren Hintergründe nicht, ich kenne nur das, was in den Medien diskutiert wird, und da muss ich sagen, erinnere ich mich ein bisschen an das Buch "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Heinrich Böll. Es kann nicht sein, dass wir kollektiv in Deutschland über das Privatleben einer Sportlerin diskutieren, wenn man dieser Sportlerin nichts selber vorwerfen kann, und gerade im Kontext, dass sie Polizeibeamtin ja gewesen ist, dass sie selber Rechtsextremistin ist. Wenn man diesen Vorwurf nicht aufstellen kann, dann, finde ich, ist das Privatleben egal welcher Person in diesem Land nicht geeignet, zum Gegenstand von öffentlichen Diskussionen zu werden. Und da muss man wirklich sagen, da gibt es Persönlichkeitsschutzrechte, und die sollte man auch respektieren, ich tue das jedenfalls.

Klein: Sind die teilweise schon verletzt worden in der öffentlichen Debatte jetzt?

Edathy: Soweit ich es verfolgen konnte, ist das zumindest zum Teil grenzwertig, also die entscheidende Frage ist doch: Haben wir da ein Mitglied in der Olympiamannschaft gehabt, haben wir da jemanden gehabt, der als Polizeibeamtin tätig gewesen ist, eine Person, die selber in der rechtsextremen Szene aktiv gewesen ist? Und nach all dem, was ich bisher gehört habe und höre, ist das ja nicht der Fall. Und deswegen, finde ich, ist das ein bisschen müßig, sich jetzt darüber groß auszulassen. Also mich interessiert da eigentlich eher, wenn ich jetzt lese im Zuge der Akten im NSU-Untersuchungsausschuss, in Baden-Württemberg gab es zwei Beamte im Polizeidienst, die waren im Deutschen Ableger des Ku-Klux-Klan aktiv, und die sind nach wie vor im Polizeidienst. Wissen Sie, das finde ich viel skandalöser, als wenn eine Ex-Polizeibeamtin und eine Profisportlerin in Deutschland privat liiert ist mit einem Rechtsextremisten. Rechtsextremisten in der Polizei sind, glaube ich, schwieriger.

Klein: Nun sprechen wir die ganzen Tage über den Fall Nadja Drygalla - und das ist auch der Anlass unseres Interviews heute, Herr Edathy -, wenn ich Sie richtig verstehe, üben Sie schon deutliche Kritik an denjenigen, die sich zunächst mal kritisch an die Sportverbände gewandt haben und gesagt haben, warum wusstet ihr das nicht früher, warum habt ihr nicht verhindert, dass eine solche Sportlerin überhaupt zu den Olympischen Spielen reisen durfte. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann halten Sie das für komplett unangemessen?

Edathy: Noch mal, um das differenziert auch darzustellen: Es ist, glaube ich, ein Unterschied, ob jemand sozusagen ein Schlafzimmer teilt mit einem Extremisten, oder selber einer ist. Ich meine, vielmehr muss man dazu, glaube ich, auch gar nicht sagen. Es ist also, es ist doch ...

Klein: Es ist ja nur, wir sprechen ja auch so ein bisschen ...

Edathy: ... ist doch, ich meine, wo kommen wir eigentlich hin in Deutschland, wenn wir sozusagen die privaten Liebschaften von einzelnen Bürgern, die selber nicht irgendwie was mit Extremismus zu tun haben, die jetzt im konkreten Fall auch gar nicht mehr im öffentlichen Dienst sind, zum Gegenstand öffentlicher Debatten zu machen? Ich habe da große Schwierigkeiten mit. Das kann dann auch schnell zur Hexenjagd werden, in der Tat.

Klein: Genau, und über diese Debatte sprechen wir ja eigentlich gerade. Und es wäre meine Frage gewesen, wo genau da eigentlich die Grenze zur Sippenhaft verläuft. Das war ja ganz am Anfang auch schon der Vorwurf: Müssen wir gerade in Deutschland, auch wenn wir glauben, gerade ganz besonders vorsichtig sein zu müssen und ganz besonders aufzupassen, was rechtsextreme Tendenzen angeht, müssen wir auf der anderen Seite auch stärker aufpassen, dass nicht sofort - ich nenne mal ein Wort, was auch in der Debatte gefallen ist - die Gesinnungspolizei auftritt und eben sozusagen das Privatleben von Sportlern in einer Weise auch in die Öffentlichkeit zieht, wo Sie jetzt auch sagen, das ist nicht angemessen?

Edathy: Also ich finde jedenfalls, dass es zwar Extreme gibt, die man vermeiden sollte: Das eine ist das Unterschätzen der Gefährdung unserer Republik durch Rechtsextremisten, und das andere ist Hysterie.

Klein: Was ist jetzt sozusagen Ihr Appell auch an den DOSB zum Beispiel, der Gespräche mit ihr geführt hat, und daraufhin hat sie das Olympische Dorf verlassen? Würden Sie sagen, da hat auch der Deutsche Olympische Sportbund überzogen?

Edathy: Ich war bei den Gesprächen nicht dabei.

Klein: Aber der Effekt ist ja klar, sie ist jetzt abgereist, und wenn ich Sie richtig verstehe - und darauf ging das ja eigentlich zurück, auf die Beziehung zu einem Rechtsextremen oder einem NPD-Mitglied - wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Edathy, dann glauben Sie, dass das nicht angemessen und dass das zu viel war. Und das verstehe ich schon, deswegen noch mal die Nachfrage an Kritik am Sportverband.

Edathy: Also, Frau Drygalla hat sich ja öffentlich geäußert, dass sie selber keinen Bezug hätte zur rechtsextremen Szene, dass sie einen Freund habe, der dieser angehört habe oder angehöre - das ist für mich übrigens egal, ob der jetzt noch in der NPD ist oder nicht, das ist ihre private Geschichte, wenn sie selber nicht Teil der Szene ist. Und bisher habe ich keinen Hinweis, keinen Beleg dafür gehört, gelesen oder gesehen, der etwas anderes aussagt. Und wenn Frau Drygalla selber keine Rechtsextremistin ist und sich nicht entsprechend betätigt, dann muss ich wirklich sagen - das sage ich zum vierten oder fünften Mal -, das ist dann ihre private Angelegenheit. Und ich möchte nicht in einer Republik leben, in der wir anfangen, unter die Bettdecke unserer Bürger zu gucken.

Klein: Welche Konsequenzen sollten Ihrer Meinung nach aus dem Fall gezogen werden?

Edathy: Ich würde sagen, ein bisschen Beruhigung der Debatte und ein bisschen mehr Sachlichkeit, das wäre schon ein erster Schritt.

Klein: Und in Zukunft würden Sie auch sagen, es darf mich als Sportlerin nicht hindern, an Spielen teilzunehmen, wenn mein Freund dieser oder jener Partei angehört, einer extremistischen womöglich?

Edathy: Nein. Entschuldigung, das ist Privatleben, und so viel Reife muss diese Republik schon ertragen können, zu sagen, man kann einen Extremistin oder eine Extremistin lieben, ohne selber Extremist zu sein.

Klein: Sebastian Edathy, der SPD-Politiker aus dem Deutschen Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Edathy.

Edathy: Gerne!

Dienstag, 18. Februar 2014

Verbot der Woche: Pornobremse für Fotoalben

Nach dem Skandal um die Knabenbild-Sammelleidenschaft des SPD-Politikers Sebastian Edathy fordern Politiker, Kinderschützer und Kriminalbeamte schärfere Gesetze gegen Kinderbilder. Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, plädiert im Rahmen der PPQ-Aktion "Verbot der Woche" dafür, den Kauf und Verkauf von Bildern, die nackte oder unvollständig bekleidete Kinder zeigen, nach erfolgreicher Ablösung der laufenden Staatsaffäre™ durch den nächsten Skandal oder kleinen Krieg generell unter Strafe zu stellen. Es handle sich um einen schweren Verstoß gegen die Menschenwürde, Kinder in nicht vollständiger Garderobe zu fotografieren oder zu malen und diese Bilder dann meistbietend zu verkaufen.

Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen Edathy wegen Vorwürfen "im Grenzbereich" zur strafbaren Nacktdarstellung, strafbare Genitalienbilder konnten dem inzwischen ins dänische Exil geflohenen Sozialdemokraten bislang aber nicht nachgewiesen werden. Edathy hatte bei seiner "devianten" (Der Spiegel) Sammelleidenschaft offenbar darauf geachtet, Bilder nackter Kinder zusammenzutragen, auf denen deren Genitalien nur als Beiwerk wahrgenommen werden. Solche Aufnahmen sind nach derzeitiger Gesetzeslage nicht strafbar. Edathy soll jedoch pro DVD rund 100 Euro gezahlt haben, was nach Auffassung von Beobachtern im politischen Berlin dafür spricht, dass der 44-jährige ehemalige mutige Chefaufklärer der NSU-Affäre sich darüber klar war, dass er sehr exklusives Material für den einsamen Herren mit dem ganz besonderen Geschmack erwarb.

Auch in der CDU gibt es offenbar Überlegungen zu einem generellen Verbot von Fotos von Kindern. Zumindest die gewerbliche Verbreitung derartiger Bilder solle verboten werden, sagte der Staatssekretär im Innenministerium Günter Krings (CDU) der "Rheinischen Post". Es gehe jetzt wie immer in der dritten Phase eines Skandals darum, "den Menschen draußen im Lande zu suggerieren, dass die Politik bereit ist, etwas zu tun". Zuletzt hatte die Bundesregierung aus derselben Motivation heraus eine "Benzinpreisbremse", eine "Mietbreisbremse" und eine Abschaffung des Steuergeheimnisses beschlossen. Aufnahmen von Kindern könnten deren kleine Seelen verletzen, besonders wenn sie ohne Wissen der Betroffenen weltweit verbreitet würden.

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nannte es eine "problematische Grauzone", dass es wegen des in Deutschland immer noch fehlenden Bilderverbotes Bilder von Kindern gebe, die verkauft werden könnten. Sie führte als Beispiel die Maler Max Liebermann, Franz Pforr und Paul Gauguin (Bild oben) an, deren angebliche Gemälde bislang leider "strafrechtlich nicht relevant sind". Auch der eurokritische CSU-Politiker Peter Gauweiler forderte eine Verschärfung der Gesetze, ebenso schloss sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter der Forderung an, Herstellung, Aufbewahrung und Betrachtung von nicht strafbaren Kinderdarstellung schärfer zu verfolgen.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sprach sich ebenfalls für neue Regeln aus. "Der Fall Edathy zeigt klar, dass es hier eine Gesetzeslücke gibt", sagte Rörig. Diese Lücke müsse geschlossen werden: "Wenn Darstellungen von Kindern erzeugt werden, um sexuelle Interessen von Erwachsenen zu befriedigen, muss dies im Sinne eines besseren Kinderschutzes strafrechtlich sanktioniert werden." Mehr als die Hälfte aller Fälle von Missbrauch geschehe hier in der Familie. "Deshalb kann es keine Ausnahmen für angeblich harmlose Strandfotos oder Bilder von Schwimmsportveranstaltungen geben, hieß es in Berlin.

Zettel im Unrechtsstaat: Das krude Rechtsverständnis der Politikerkaste
Galerie mit grenzlegalem Kinderbild bei Die Anmerkung

Neues von der Staatsaffäre™: Grundwerte ohne Knabenbilder

Niemand dürfe wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden, forderte der SPD-Politiker Klaus Wowereit vor drei Jahren gemeinsam mit zahlreichen Vorkämpfern ein neues Grundgesetz, das sich von alten Zöpfen trennt und die herrschende neue Lebenswirklichkeit vielen endlich anerkennt. Gemeint war damals etwas in der Gesellschaft Selbstverständliches: Das Ausleben jeder Freiheit, die niemand anderen in seiner Freiheit einschränkt.

"Wer Akzeptanz in Frage stellt, ist für Diskriminierung", urteilte der Tagesspiegel erst kürzlich. Doch ausgerechnet Wowereits Parteichef Sigmar Gabriel zeigt jetzt anlässlich der Staatsaffäre™ um Edathy, dass noch längst nicht alle Deutschen und nicht einmal alle Sozialdemokraten diese Forderung so weit verinnerlicht haben, dass sie sie im Alltag leben. Obwohl der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy schwört, immer noch nur strafrechtlich nicht relevante Fotos und Filme von unbekleideten Knaben gekauft zu haben, die dann leider mit seinem Laptop gestohlen worden seien, will Gabriel nach dem Bekanntwerden der „devianten Vorliebe“ (Der Spiegel) des früheren NSU-Chefaufklärers ein Parteiordnungsverfahren gegen Edathy anstrengen.

Gabriel versucht damit mit großem medialen Erfolg, das von der CSU geforderte Oppermann-Opfer vermeiden. Wenn die Presse über ein Parteiverfahren gegen Edathy berichtet, so das Kalkül, bleibt nach dem 1. Hauptsatz der Mediendynamik kein Platz mehr für weitergehende Forderungen nach einem Rücktritt des in Sachen BKA übergriffigen Fraktionsgeschäftsführers Oppermann.

Gabriel selbst sei deshalb, schreibt der „Spiegel“ entschlossen, den bislang weder angeklagten noch verurteilten Ex-Bundestagsabgeordneten wegen der "nicht zu rechtfertigenden" Schmuddelbilder aus der Partei zu werfen: Es gehe dabei auch darum, die Debatte wegzulenken von der Frage, welch ein krudes Rechtsverständnis der politischen Klasse im Land habe. In der Sitzung des Präsidiums habe der junge Vater für „entsprechende Schritte“ geworben und viel Zuspruch seiner offenbar völlig außer Rand und Band geratenen Partei geerntet. Nackte, unbekleidete und legale Knabenfotos verstießen gegen die Grundsätze der deutschen Sozialdemokratie und seien ein glasklarer Ausschlußgrund, hieß es im politischen Berlin.

Auf einer Pressekonferenz zum Komplex Knabenbilder sagte Gabriel dann, die SPD sei "entsetzt und fassungslos" über die Sammelvorlieben Edathys. Obwohl es sich nur um strafrechtlich nicht relevante "Bilder unbekleideter Jugendliche" handelte, scheinen Parteivorstand und Präsidium bereit, im Sinne des gesunden Volksempfinden ein Exempel zu statuieren. Toleranz oder gar Akzeptanz ende, "unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz" dort, wo die Partei "entsetzt und fassungslos" sei, erklärte der SPD-Chef.

Montag, 17. Februar 2014

Schablone Staatsaffäre: Abmalen nach Zahlen

Treue PPQ-Leser sitzen da in Hamburg, wo der "Spiegel" die Standardsorachregelungen für die deutsche Medienbranche schreibt. Immer mal wieder lassen sich die Sturmschützen der gelenkten Demokratie dabei auch von PPQ-Schlagzeilen inspirieren: Letzten Herbst tauchte der Begriff "Tiernamen" keine 24 Stunden nach seiner Nutzung hier im kleinen Zoo-Board als Überschrift im "Spiegel"-Sportteil wieder auf, nachzunutzen. Auch 2012, als dem Magazin im Zuge der Wulff-Affäre die Worte ausgingen, landete letztlich ein PPQ-Formulierung prominent und ohne Quellenangabe im Qualitätsmedien-Angebot.

Eine schöne Tradition, der die "Spiegel"-Redaktion nun auch in der Causa Edathy mit der Entlehnung einer Formulierung folgt, die hier bei PPQ am Donnerstag letzter Woche verwendet wurde - sieben Stunden, bevor das "Handelsblatt" danke sagte und den Begriff ebenfalls verwandte: "Staatsaffäre" hieß es da in einer Überschrift.

Der "Spiegel" war zu jener Stunde noch überzeugt, es mit einer "Regierungsaffäre" zu tun zu haben. Eine Fehleinschätzung, die wohl der festen Überzeugung geschuldet war, in der Stunde der Not nicht auch noch dunkle Schatten auf die junge deutsche Demokratie als solche fallen lassen zu dürfen. Weil aber nach dem dritten Hauptsatz der Mediendynamik alle Vorwürfe sich ständig verschärfen müssen, Druck in Affären immer nur zunimmt und jeder Skandal in sich das Gesamtbild der Gesellschaft tragen muss, reicht eine Krise der Regierung am Montag danach nicht mehr. Aus der "Regierungsaffäre" wird nun doch die "Staatsaffäre" - erstmals schafft es ein PPQ-Vorschlag damit auf dem "Spiegel"-Titel.

Wie die Raben:
Der "Spiegel" als Contentdieb
Der "Spiegel" und das Army-Video

Edathy: Rettungstat im Unrechtsstaat

Einmal hat Thomas Oppermann die Republik gerettet. Es war am 8. November, mitten in der heißen Phase der Koalitionsverhandlungen, als der verdiente Rechtsterror-Aufklärer Sebastian Edathy zum Geschäftsführer der SPD-Faktion kam, um "Karrierewünsche" (Oppermann) anzumelden. Edathy hatte bei der Aufarbeitung der NSU-Affäre gute Arbeit geleistet, die SPD, während der aktivsten Zeit der Mordbande aus Thüringen Regierungspartei - hatte Punkte gemacht als Partei, die nichts mit dem Ganzen zu tun hat.

Nun wollte sich Edathy entlohnen lassen. Der nach Angaben der Bild-Zeitung so hochintelligente Sohn eines Inders und einer Deutschen bringt schließlich alles mit, was es für einen Minister- und sogar den Kanzlerposten braucht: Die multiethnische Herkunft, das Soziologie-Studium, völlig fehlende Erfahrung in der Arbeitswelt und den Nachweis, sich konsequent über schlechtbezahlten Hilfsdienste für heute längst vergessene Landtags- und Bundestagsabgeordnete zum eigenen Mandat hochgedient zu haben.

Edathys Weste ist zu diesem Zeitpunkt sauber, nicht einmal sexuelle Präferenzen hat der Niedersachse.

Oppermann aber ist gewarnt. Irgendetwas laufe gegen Edathy, hatte ihm sein CSU-Genosse Hans-Peter Friedrich anvertraut. Als SPD-Beauftragter für wacklige Abgeordnete sagt Oppermann Edathy daraufhin vorsichtshalber also keinen Posten zu. Es sei bei den Ermittlungen, bei denen Edathys Name gefallen sei, nicht um strafbare Inhalte gegangen. Aber.

Eine Woche später machte die Aktion "Spade" Schlagzeilen, bei der kanadische Behörden Wochen zuvor einen Kinderpornoring ausgehoben hatten. Was Oppermann schon wusste, stand nun auch in der Zeitung. Edathy las es und ahnte beim Blick auf sein DVD-Regal, dass seine Karriere beendet war, ehe er sie richtig hatte anfangen können.

Bestraft, ohne verurteilt zu sein. Hingerichtet ohne Chance auf Verteidigung, und das auf eine Art, dass auch die Richter gleich noch mit über die Affäre stürzen, weil deren mangelnder Respekt und ihre fehlenden Kenntnisse rechtsstaatlicher Grundsätze es letztlich verhindert haben werden, dass die Justiz ihre Arbeit tun kann.

Verhindert aber haben sie auch ein Zukunftsszenario, das so undenkbar nicht gwewesen ist: Sebastian Edathy, im Jahr 2021 erster indischstämmiger Bundeskanzler geworden, sitzt im Januar 2022 mit US-Botschafter Walther P. Derrock in seinem Büro. Der friedensliebende Deutsche sagt den Amerikanern gerade ab: Nein, die Bundeswehr wird sich nicht an dem von US-Präsidentin Clinton geplanten Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine beteiligen, mit dem die seit Jahren im Krieg befindlichen Truppen der europafreundlichen demokratischen Westukraine und der von einem Despoten regierten Ostukraine auseinandergehalten werden sollen. "Wir waren schon einmal dort", sagt Edathy klipp und klar, "und wo wir waren, können wir aus historischer Verantwortung nicht wieder hin."

Walther P. Derrock nickt angemessen gemessen. Der Amerikaner versteht das.

Immer noch nickend, langt er dann allerdings in seine Anzugjacke. Ein Umschlag, vier Fotos. Straffreie Bilder unbekleideter Knaben. "Ich denke, die kennen Sie, Herr Bundeskanzler", sagt Derrock. Edathys Lächeln wird verkniffen. Eine tiefe Stille senkt sich über den weitausladenden Raum hoch oben in der Kanzlerwaschmaschine.

Sebastian Edathy steht auf, das Gesicht jetzt gerötet. Er tritt ans Fenster. Er schaut hinaus auf sein Berlin, sein Deutschland. Er atmet schwer. Edathy schaut Derrock nicht an. Er sagt: "Ich denke, es wird Zeit für Deutschland, auch in den Regionen Verantwortung zu übernehmen, in denen deutsche Truppen ihrer Verantwortung in der Vergangenheit nicht immer so gerecht geworden sind, wie das wünschenwert gewesen wäre."

Im April 2022 wären die ersten deutschen Panzer nach Kiew gerollt. Wären Hans-Peter Friedrich und Thomas Oppermann nicht gewesen, stille Helden, die niemand ehrt.

Sonntag, 16. Februar 2014

Staatsaffäre: So schaut die Welt auf Deutschland

Die Kanzlerin hat nichts gewusst. Würde die Kanzlerin nicht Zeitung lesen, wüsste sie wahrscheinlich immer noch nichts.

In einem Land, in dem ein großer Teil der Medien der Regierungschefin diese Aussage dankbar abnimmt, ist auch die vierte Wiederwahl machbar.