Der Großjournalist Christoph Diekmann ist entlang der Straße der Gewalt durch die ehemalige DDR gereist und dann tief ins dunkle Herz des Ostens eingetaucht. Sein Bericht ist mit zärtlicher Feder geschrieben, ein Protokoll von Begegnungen, wie sie nur hier zu machen sind, wo die Gegenwart mit einem Bein in der Vergangenheit steht.
Zunächst erkunden wir Margot Honeckers Glaucha. Der räudige Stadtbezirk döst zwischen Gestern und einer Zukunft, die nicht einzutreffen scheint. Gründerzeitfassaden, vernagelte Ruinen, Bröckelgrau und Wuchergrün. Sonnenstudio, Hotel (ab 26 Euro), Pizzeria ("Heiße Ware auf Bestellung!"). Margot Honeckers Kindheitshaus Torstraße 36 diente zur Nazizeit als Kurierzentrale der KPD. 2006 riss man es ab. Proteste? Nicht bekannt. Das Grundstück liegt brach, daneben ein Getränkemarkt. Ein wohlversorgtes Pärchen schlappt heraus.
Wisst ihr, dass hier Margot Honecker gewohnt hat?
Wer warn das?
Die First Lady der DDR.
Kennwer nich.
Die soll jetzt ins Stadtmuseum, mit Hans-Dietrich Genscher.
Kennwer och nich. Sorry, fragense mal weiter, hier jibt’s bestimmt ooch Schlaue.
Ein akademischer Herr, zugezogen aus Hannover: Hier wohne man ruhig und gut. Jawohl, Frau Honecker gehöre ebenso zur Geschichte wie Herr Genscher.
Unweit am Böllberger Weg steht Margot Honeckers Weingärtenschule. Schon 1985 wurde sie geschlossen. Heute birgt der backsteingelbe Bau das Künstlerhaus 188 und steht unter Denkmalschutz. Dennoch droht Abriss, wegen Straßenausbau. Nebenan zecht ein Kollektiv von Nachmittagsvernichtern: Glauchscher Adel pur. Wir fragen nach Genscher.
Der hat jesacht: De Mauer is uff! Weiter hatter hier nüscht jemacht.
Und Margot Honecker?
Der hat hier ooch nüscht jemacht.
Ich meine eigentlich Frau Honecker.
Die hat hier ooch nüscht jemacht. Doch, die war immer mit der Kürche janz dicke, mit den Pfaffen.
Dieser unschlagbar absurden Auskunft folgt eine seriöse Seniorin, ehedem Krankenschwester. Frau Honecker? Wissen Sie, das polytechnische Schulsystem der DDR war in Ordnung, sonst hätten die Skandinavier das wohl kaum übernommen. Aber der Staat konnte ja wirtschaftlich nicht überleben. Das Geklaue in den Betrieben! Und die Versorgungslage! Unsere Chefärztin hat mit dem Rezeptblock eingekauft.
Meiner, sagt der nächste Interviewpassant, Meiner, deine Zeitung koof ich nich. Höchstens mal das Lüjenblatt, das allerjrößte.
Sport by Wosz, das Sportzentrum da drüben, hat das was mit Dariusz Wosz zu tun? Dem Bundesliga-Fußballer?
Freilich! Dariusz, den kennch von kleen uff. Bolzplatz, hinten am Jaswerk, ährlich, is keen Hut. Bin hier jroß jeworn. Awer nüscht mehr, wies mal war. Die janz Alten kenntste noch, da is Emma noch berühmt.
Unser Gesprächspartner heißt Werner Emmrich, genannt Emma, wie alle Mitglieder der Familie. Soeben sechzig geworden. Drei Geschwister jung gestorben, Vater Kalle 1988. Wende leider nich mehr erlebt. Hat nur jemeckert über den Schweinestall DDR. War Arbeiter, hat mich so erzoren, zum Alkohol anscheinend ooch. Lagerist hab ich jelernt, paarmal war ich wegjeschlossen, das war so mein Wärdejang. In Westzeiten hab ich mein Ding jemacht. Naja, jetzt bin ich im Oheim.
Oheim?
Haus der Wohnhilfe. Vater Staat. Bloß trinken muss ich draußen.
Hier hat doch Margot Honecker gewohnt.
De lila Hexe? Willse nich schlechter machen, wie se war. Is jut, wie’s jekomm is. Kalle hätte jejubelt.
Und Genscher?
Wunderbar! De Merkeln kannch wenjer, CDU, CSU, den janzen Kram. Linke, Jrüne ooch nich. Wenn ich jemals noch erläbe, dass ich wähle, dann FDP.
Warum denn das?
Wejen Dietern. Genscher. Der vertritt seine Meinung und setzt se durch. Meiner, mach mal ’n Photo. Emma, wie er leibt und lebt. Hau rin, Meiner!
Zunächst erkunden wir Margot Honeckers Glaucha. Der räudige Stadtbezirk döst zwischen Gestern und einer Zukunft, die nicht einzutreffen scheint. Gründerzeitfassaden, vernagelte Ruinen, Bröckelgrau und Wuchergrün. Sonnenstudio, Hotel (ab 26 Euro), Pizzeria ("Heiße Ware auf Bestellung!"). Margot Honeckers Kindheitshaus Torstraße 36 diente zur Nazizeit als Kurierzentrale der KPD. 2006 riss man es ab. Proteste? Nicht bekannt. Das Grundstück liegt brach, daneben ein Getränkemarkt. Ein wohlversorgtes Pärchen schlappt heraus.
Wisst ihr, dass hier Margot Honecker gewohnt hat?
Wer warn das?
Die First Lady der DDR.
Kennwer nich.
Die soll jetzt ins Stadtmuseum, mit Hans-Dietrich Genscher.
Kennwer och nich. Sorry, fragense mal weiter, hier jibt’s bestimmt ooch Schlaue.
Ein akademischer Herr, zugezogen aus Hannover: Hier wohne man ruhig und gut. Jawohl, Frau Honecker gehöre ebenso zur Geschichte wie Herr Genscher.
Unweit am Böllberger Weg steht Margot Honeckers Weingärtenschule. Schon 1985 wurde sie geschlossen. Heute birgt der backsteingelbe Bau das Künstlerhaus 188 und steht unter Denkmalschutz. Dennoch droht Abriss, wegen Straßenausbau. Nebenan zecht ein Kollektiv von Nachmittagsvernichtern: Glauchscher Adel pur. Wir fragen nach Genscher.
Der hat jesacht: De Mauer is uff! Weiter hatter hier nüscht jemacht.
Und Margot Honecker?
Der hat hier ooch nüscht jemacht.
Ich meine eigentlich Frau Honecker.
Die hat hier ooch nüscht jemacht. Doch, die war immer mit der Kürche janz dicke, mit den Pfaffen.
Dieser unschlagbar absurden Auskunft folgt eine seriöse Seniorin, ehedem Krankenschwester. Frau Honecker? Wissen Sie, das polytechnische Schulsystem der DDR war in Ordnung, sonst hätten die Skandinavier das wohl kaum übernommen. Aber der Staat konnte ja wirtschaftlich nicht überleben. Das Geklaue in den Betrieben! Und die Versorgungslage! Unsere Chefärztin hat mit dem Rezeptblock eingekauft.
Meiner, sagt der nächste Interviewpassant, Meiner, deine Zeitung koof ich nich. Höchstens mal das Lüjenblatt, das allerjrößte.
Sport by Wosz, das Sportzentrum da drüben, hat das was mit Dariusz Wosz zu tun? Dem Bundesliga-Fußballer?
Freilich! Dariusz, den kennch von kleen uff. Bolzplatz, hinten am Jaswerk, ährlich, is keen Hut. Bin hier jroß jeworn. Awer nüscht mehr, wies mal war. Die janz Alten kenntste noch, da is Emma noch berühmt.
Unser Gesprächspartner heißt Werner Emmrich, genannt Emma, wie alle Mitglieder der Familie. Soeben sechzig geworden. Drei Geschwister jung gestorben, Vater Kalle 1988. Wende leider nich mehr erlebt. Hat nur jemeckert über den Schweinestall DDR. War Arbeiter, hat mich so erzoren, zum Alkohol anscheinend ooch. Lagerist hab ich jelernt, paarmal war ich wegjeschlossen, das war so mein Wärdejang. In Westzeiten hab ich mein Ding jemacht. Naja, jetzt bin ich im Oheim.
Oheim?
Haus der Wohnhilfe. Vater Staat. Bloß trinken muss ich draußen.
Hier hat doch Margot Honecker gewohnt.
De lila Hexe? Willse nich schlechter machen, wie se war. Is jut, wie’s jekomm is. Kalle hätte jejubelt.
Und Genscher?
Wunderbar! De Merkeln kannch wenjer, CDU, CSU, den janzen Kram. Linke, Jrüne ooch nich. Wenn ich jemals noch erläbe, dass ich wähle, dann FDP.
Warum denn das?
Wejen Dietern. Genscher. Der vertritt seine Meinung und setzt se durch. Meiner, mach mal ’n Photo. Emma, wie er leibt und lebt. Hau rin, Meiner!
2 Kommentare:
"Man konnte ihnen getrost geistige Freiheit gewähren, denn sie hatten keinen Geist."--- Emmanuel Goldstein, Theorie und Praxis des oligarchischen Kollektivismus.
...und er hörte,was er hören wollte, dann schrieb er, was er schreiben wollte.
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