Freitag, 10. Mai 2013

Moderne Mythen: Das gerechtere Deutschland



Die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland verfügen über 53 Prozent des gesamten Nettovermögens, die untere Hälfte der Haushalte dagegen nur über ein Prozent. Da hätte doch der Satz "Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt" im letzten Armutsbericht der Bundesregierung stehen müssen, findet der "Stern". Dennoch habe ihn die Bundesregierung gestrichen - vermutlich, um zu verbergen, wie schlecht es um Gleichheit und Gerechtigkeit im Lande steht.

Beim Bürger kommt das gut an. Wie in der gesamten Medienlandschaft trifft die Behauptung, Deutschland werde immer ungerechter, bei weiten Teilen der Bevölkerung auf offene Ohren. Das Volk ist empört über den vermeintlich "frisierten Armutsbericht". Und zugleich sicher, früher sei alles viel besser gewesen. Vor allem ganz früher, wie die Älteren glauben: Damals in der DDR zum Beispiel hatten alle nichts, das aber war gleichmäßig verteilt.

Eine Vorstellung, die ebenso falsch wie haltbar ist. Wie der Schröder-Bericht bereits im Jahr 1990 zeigte, war der Reichtum im Arbeiter-Bauernstaat nämlich keineswegs gerechter verteilt als heute im Westen. Auf nur etwa zehn Prozent der Sparkonteninhaber entfielen vielmehr knapp 60 Prozent der Guthaben, den reichsten zwei Prozent der DDR-Bevölkerung gehörten sogar rund 20 Prozent aller Spareinlagen.

Auch bei den Einkommen gab es eine stärkere Spreizung als öffentlich bekannt war und heute noch angenommen wird. Nach der in der Bundesrepublik üblichen Berechnungsmethode befanden sich Ende der achtziger Jahre in der DDR etwa 20 Prozent der Haushalte unter der Armutsrate.Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen lag bei etwas über 2000 Mark, gut 26 Prozent der Haushalte verfügten über weniger als 1200 Mark, knapp 10 Prozent hatten sogar weniger als 800 Mark.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Ausgaben - die DDR war eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. So gaben die Haushalte mit den höheren Einkommen für Genußmittel, Bekleidung und Textilien doppelt soviel aus wie die Haushalte mit den niedrigen Einkommen. Bei Technikartikeln, die zu DDR-Zeiten besonders preisintensiv waren, betrugen ihre Ausgaben sogar das Dreifache.

Zu den Beziehern hoher Einkommen gehörten neben dem Leitungspersonal aus Partei, Staat und Wirtschaft, Künstler, Ärzten und Selbstständigen viele Mitarbeiter von Volkspolizei, Volksarmee und MfS, aus ihnen bildete sich ab Mitte der 70er Jahre eine Kaste aus Wohlhabenden. Auch wenn es keine Managergehälter und keine obszönen Boni gab, ist das Ergebnis fast identisch zum Bild, das die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik heute zeigt: Hatten 1964 nur 11.000 DDR-Bürger Sparkonten, au denen sich mehr als 50.000 Mark befanden, stieg diese Zahl bis 1974 auf 82.000. Gleichzeitig stieg auch die Zahl der Konteninhaber, die bis zu 50.000 DDR-Mark gespart hatten - doch gerechter wurde die DDR-Gesellschaft dadurch nicht, weil zugleich die Zahl der Bürger stieg, die vom Anstieg der Vermögen nicht partizipierten.

Ein eher statistisches Problem, denn wie sehr die Experten bei Parteien und deutschen Leitmedien auch zetern: Vermögen haben stets die Angewohnheit, sich entlang der Pareto-Verteilung anzuordnen, die der italienische Ökonom Vilfredo Pareto anno 1896 beschrieb, als er feststellte, dass die Einkommensverteilung in einer Gesellschaft unabhängig von den gesellschaftlichen Bedingungen keiner Normalverteilung folgt, also nicht gleichmäßig ist, sondern dass ca. 20 Prozent der Familien im Italien des ausgehenden 19. Jahrhundertes etwa 80 Prozent der Vermögens besaßen.

Eine Verteilung, die sich bis heute nicht geändert hat, weil sie sich nach dem nach Pareto benannten Prinzip nicht ändern kann. Pareto übertrug seine Beobachtung bei den Vermögen ins Allgemeine und beschrieb, dass sich in den meisten Fällen mit einem Mitteleinsatz von ca. 20 Prozent 80 Prozent aller Probleme lösen lassen, die restlichen 20 Prozent zur Lösung dann aber 80 Prozent Aufwand benötigen.

Die Aufgabe wird dabei nach hinten zu immer schwieriger, da das Prinzip fraktal, also jeweils für den verbliebenen Teil der ungelösten Aufgaben gilt. Verteilung erreicht mit zunehmenden Verteilungsversuchen ihren Grenznutzen, das heißt, verteilte Vermögen führen kaum noch oder gar nicht mehr zu größerer Gerechtigkeit bei der Verteilung.

16 Kommentare:

FDominicus hat gesagt…

"Damals in der DDR zum Beispiel hatten alle nichts, das aber war gleichmäßig verteilt."

Das stimmt nicht. Die Konzentration auf etwas haben, war den höchsten Funktionären vorbehalten. Eigene Jagen, eigene Modellwohnhäuder, eigene Urlaubsanlagen und selbstverständlich soviel Westgeld wie man eben brauchte. Dafür durften dann die Leute für Ost-Geld arbeiten.

eulenfurz hat gesagt…

Gut reherchierter und zusammengeschriebener Artikel, Lob!

Friederich hat gesagt…

»Hatten 1964 nur elf DDR-Bürger Sparkonten, au denen sich mehr als 50.000 Mark befanden, stieg diese Zahl bis 1974 auf 82.«

Es waren lt. gezeigter Tabelle nicht 11 bzw. 82 sondern 11.000 bzw. 82.000.

Anonym hat gesagt…

Genau so war es. Auch waren die Unterschiede zwar geringer, aber dafür gravierender. Wenn ich mir in der DDR damals kein Auto leisten konnte, dann war ich nur sehr eingeschränkt mobil, was schon eine ziemliche Einschränkung war. Wenn ich mir heute keine 40-Fuß Jacht leisten kann, dann ist das eher ein Luxusproblem. Gravierend ist das nicht - außerdem, wenn ich so ein Ding mal segeln will, kann ich es chartern (was ohnehin den Vorteil hat, dass ich mir verschiedene Reviere aussuchen kann). Noch kritischer war es, wenn man auf das Angebot des staatlichen Obst-und Gemüsehandels angewiesen war. Wer ein Garten oder Grundstück hatte, oder etwas zum Tauschen hatte, war da wesentlich besser dran. Die Unterschiede manifestierten sich in der DDR auch nicht nur in Geld. Fast noch wichtiger als die Aluchips waren Ersatzwährungen (Beziehungen, gesuchte Sachen). Mir geht es heute jedenfalls wesentlich besser, als damals in der DDR, obwohl ich auch heute nicht gerade zu den Leuten mit Spitzeneinkommen zähle. Auch ist es mir ziemlich egal, wie viele Milliarden manche scheffeln, solange ich vernünftig leben kann (mir alles leisten kann, was ich zum Leben brauche, und noch ein ganzes Stück mehr).

Moritz Haberland hat gesagt…

"Ach Du meine Neese"... sagt Pittiplatsch der Liebe auch in Politsachen.
Wer sich hier zuweilen als "Ossi" autet, hat nie oder nur sehr kurze Zeit in "Unserer Republik" gelebt.

Ich sehe es an meinen eigenen Mädels, die waren zur "Wende" genau 10 Jahre alt und erzählen neuerdings ziemlich viel Westmist.

Heute muß ich sie (auch mittels Fotos) oft an die Wirklichkeit von damals erinnern.

suedwestfunk hat gesagt…

Hm. Muss ich daraus jetzt folgern, dass sich insgesamt alles zum Ende hin der DäDäÄrr annähert?

Teja hat gesagt…

@Sennewald
Jein. Das Ende ist gleichzeitig die Gegenwart, will heissen, die relative Verteilung bleibt immer die gleiche; wir leben schon, wenn Sie so wollen, in DDR-Verhältnissen. Oder positiv ausgedrückt: alles bleibt wie es ist.

Genial, wie es zur Eigentumsverteilung eine mathematische Theorie existiert.

Anonym hat gesagt…

Um der historischen Genauigkeit willen: Pittiplatsch sagte „Ach du meine Nase“.
***
Seit 1896 könnten also alle Wissen, wie Gerechtigkeit mathematisch funktioniert und wie nicht. Gelernt haben sie aber nur, wie Neid funktioniert.

Kurt hat gesagt…

Das Pareto-Dingsbums sorgte auch für den einzigartigen Fall, daß ein Wahlkampfslogan mal nicht gelogen war. Die DSU plakatierte 1990 in Antwort auf die PDS-Angstkampagne: "Niemand wird es schlechter gehen - aber vielen besser!".

Anonym hat gesagt…

Ja aber ist nicht Neid der stärkste Trieb von allen menschlichen Trieben? Viel stärker als der Sexualtrieb bei einem Viagra-Abgefüllten im Darkroom? Geht es nicht den meisten Menschen viel viel besser, wenn es dem Nachbarn schlechter geht? Beruht nicht der Erfolg von Faschismus/Kommunismus/Mutter Gaia allein darauf dem Nachbarn die Wohnung zu klauen? Weil dies das Paradies im Jenseits ist. Nicht? Na dann nicht. Empfehle trotzdem die Lektüre von „Aly: Der Volksstaat“.

Anonym hat gesagt…

Der Trieb Neid kann sich verschiedentlich auswirken.
Einmal im Bestreben, den Bessergestellten zu bestehlen (sozialdemokratische Lösung), oder im Bestreben, durch Klugheit und harte Arbeit das zu erreichen, was der Bessergestellte hat. Für letztere Lösung gibt es gegenwärtig keine politische Vertretung.

Moritz Haberland hat gesagt…

1. Stimmt ... "Nase", wir haben einen "Pitti-Emitierer" im Dorf, der verdient damit sein Geld und sagt immer "Neese", so werden auch Opas Kindheitserinnerungen getrübt.

2. Der Trieb / das Gefühl ist um so stärker, je weniger "Kopf" er / es benötigt, darum gehen Gehirnspezialisten (in aller Welt) davon aus:
a) Sex, b) Eifersucht, c) Neid !!!

Moritz Haberland hat gesagt…

PS. Mit zunehmendem Alter dreht sich das allerdings um :-) .

Volker hat gesagt…

"PS. Mit zunehmendem Alter dreht sich das allerdings um :-)"

Je älter umso neidischer?

Moritz Haberland hat gesagt…

Ja Volker, allerdings etwas weiter gefaßt. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man bilanziert, nicht mehr viel reißen kann, das Leben also gewissermaßen einen "Istzustand" erreicht hat.
Dieser macht Vergleiche erst richtig sinnvoll und siehe da: die Leute, die sich ein Leben lang kennen, werfen sich auf einmal Dinge vor, die man durchaus Neid nennen kann.

Thomas hat gesagt…

Hm. Wenn es für die Vermögensverteilung gleichgültig ist, welches Regime herrscht, dann sollten wir uns doch für das Freieste entscheiden, oder?