Wie die „Steuerpolitik der vergangenen Jahrzehnte“, die die öffentliche Hand hat „verdorren lassen“, wie er schreibt. 1991 noch nahm der Staat 338 Milliarden Steuern ein, heute sind es nur knapp 601 Milliarden. Der Staat ist pleite, er braucht dringend Geld, mehr Geld und immer noch mehr. „Davon sind wir alle betroffen: als Schüler in maroden Schulen, als Studenten in überfüllten Hörsälen, als Autofahrer auf zerborstenen Straßen, als Bürger in überlasteten Behörden.“
Aber nun endlich Steuererhöhungen! Und die Deutschen zahlen gern, glaubt Augstein. „Sie wollen ein gerechteres Land und sie wissen, das geht nur mit mehr Umverteilung.“ Um den Höchststeuersatz bezahlen zu müssen, mussten deutsche Arbeitnehmer in den 60er Jahren noch das 18-fache des Durchschnittsgehaltes verdienen. Heute zahlt den Höchststeuersatz schon der, der nur 1,8-mal soviel wie ein Durchschnittsverdiener in der Lohntüte hat. Ja, Gerechtigkeit! Mit 306,4 Milliarden Euro liegen die Staatsausgaben in diesem Jahr nur noch knapp 20 Prozent über denen des Jahres 1999, als die rot-grüne Bundesregierung mit dem radikalen Sparen begonnen hatte und der Ausgabengürtel immer enger geschnallt wurde.
Und es wird noch mehr. „Die Grünen haben bei ihrem Parteitag am Wochenende gezeigt, wie sie sich die weitere Umverteilung vorstellen. Wenn sie im Herbst gemeinsam mit der SPD die Regierung übernehmen, werden für alle, die es sich leisten können, die Steuern steigen.“ Für die anderen auch, nur dass die es sich eben nicht leisten können.
Die „grüne Steuerwelt“, von der Augstein schwärmt, sieht neben einer Erhöhung der Einkommensteuer für alle Nicht-Geringverdiener auch eine Verdopplung der Erbschaftsteuer, eine Vermögensabgabe und eine Versteuerung von Kapitalerträge nach dem persönlichen Einkommenssteuersatz vor. Dann wäre „endlich Schluss mit der steuerlichen Vorzugsbehandlung vermögender Anleger“ (Augstein), die bislang nur 25 Prozent Abgeltungsteuer auf ihre Erträge zahlen müssen, weil die Firmen die an ihre Eigentümer ausgeschütteten Erträge ja bereits einmal auf Firmenebene versteuert haben.
Gerechter ist, zwei-, drei- oder viele Male abzuschöpfen, was noch nicht dem Staat gehört. Der Solizuschlag macht es vor. „Man sieht schon“, lobt Augstein, „wenn es um Umverteilung geht, meinen die Grünen es ernst“. Das hier seien keine kosmetischen Korrekturen, das sei „der steuerliche Umbau des Staates“. Und das ungeachtet vieler im Grundgesetz niedergeschriebener Grundregeln.
Nach Jakob Augsteins Meinung tut eine Abkehr von diesen Grundrechten aber „bitter not“. Union und FDP wollten den Leuten „immer noch einreden, dass nur sinkende Steuern die Wirtschaft wachsen lassen“. Der Zuwachs bei den Steuereinnahmen, der zwischen 2003 und 2013 - einer Phase sinkender Steuersätze - fast ein Drittel betrug, mag dafür sprechen. Aber ideologisch gesehen ist das „Unsinn, mit dem der Neoliberalismus uns seit Jahrzehnten das Hirn benebelt“, sagt Augstein. Das Einzige, was wachse, wenn die Steuern sinken, sind die Gewinne der Reichen und die Schulden der Staaten. Und die Steuereinnahmen. Und die Ausgaben des Staates.
Glücklicherweise seien nun „zum ersten Mal seit Jahren in Deutschland die Interessen der Vermögenden bedroht“. Aber darin zeige sich nur, dass eine politische Partei sich heute entscheiden müsse: Wolle sie die Mehrheit der Wähler auf Kosten einer Minderheit überzeugen? Oder lieber „die Elite der Bestverdiener“ schonen? Die Deutschen, glaubt Jakob Augstein, „haben den Schwindel durchschaut. Sie haben begriffen, dass mehr Umverteilung mehr Gerechtigkeit bringt“. Nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF finden 52 Prozent der Deutschen die Grünen-Pläne für die Einkommensteuer richtig, und 72 Prozent unterstützen die grüne Vermögensteuer.
Die Grünen werden nach dem 22 September folglich allein regieren können.
Warum der Staat natürlich nie genug Geld hat