Ein alter, erfahrener Demokrat wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer lässt sich da kein X für ein U vormachen. Volksentscheide, so weiß der ausgebildete Gynäkologe, dürfen die demokratischen Entscheidungsstrukturen eines Landes nicht schwächen. Das aber tun sie, wenn verantwortlich handelnde Männer wie er nicht vorher wissen, was bei einem Plebiszit herauskommt. "In einem modernen Staat kann man nicht jede Entscheidung durch einen Volksentscheid herbeiführen", zeigte sich der greise Mitgründer des demokratischen Sachsen-Anhalt schon Tage vor der jüngsten Niederlage des Guten und Schönen in der Schweiz sicher.
Dort haben sich erneut "rechte Populisten" die Sympathien einer Mehrheit erschlichen, um gefährliche Ideen demokratisch absegnen zu lassen. Auf die sogenannte Ausschaffungsinitiative der Schweizerische Volkspartei, die die automatische Ausweisung von Ausländern vorsieht, wenn sie wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden, fand eine Mehrheit von 52,9 Prozent der Abstimmenden und keinen Beifall bei der für Basisdemokratie eigentlich leicht zu begeisternden Taz.
Die ficht nun in einer Front mit Böhmer und der basisdemokratischen Rauchverbotspostille SZ gegen das "knallharte Ausländer-Abschiebungsrecht", das sich "leichten Herzens über Abkommen mit der EU und internationale Konventionen" hinweg- und ein "fatales Signal in die Welt" setzt. "Die Stimmung in der Schweiz ist gehässig", urteilt der staatliche deutsche Fernsehsender ZDF kritisch, einen "Triumph für die Rechtspopulisten" sieht die "Märkische Allgemeine", auch aus der Ferne stets nah dran am Geschehen. Nach Ansicht der plebiszitären Elementen traditionell abgeneigten "Financial Times" "vergrault direkte Demokratie ergrault Investoren", nach Ansicht der "Zeit" tragen die Leute, die für die Ausschaffung stimmten, nicht zur Lösung von Problemen bei, sondern sie schaffen selbst welche.
Wolfgang Böhmer hat es vorher gewusst. Wer das Volk fragt, bekommt womöglich Antworten, die er nicht hören will. "Mit Volksinitiativen und Wählergruppen kann man in der Kommunalpolitik sicher einiges bewegen – aber Landes- oder gar Bundespolitik ließe sich so sicher nicht machen", hat der Hauslatsch unter den Ministerpräsidenten die "Welt" schon Tage vor der verhängnissvollen Rückkehr des hässlichen Schweizers aus der Minarettabstimmung vom vergangenen Jahr wissen lassen. Dass die Eidgenossen dann auch noch einer Initiative zur Erhöhung der Reichensteuer die kalte Schulter zeigten, passt ins Bild. So wäre Deutschland, wo Politiker unter Beifall von allen Seiten DVDs mit den Daten vermeintlicher Steuersünder kaufen, um sich ein halbes Jahr später unter nicht weniger lautem Applaus über mangelnden Schutz vertraulicher Daten bei Wikileaks zu empören, unregierbar.
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