Freitag, 29. Oktober 2010

Höhenflüge in Sommerlöchern

Einmal im Jahr muss es sein, einmal im Jahr muss die Vergangenheit zu Werbezwecken auferstehen, müssen die Geister der Geschichte durch Beschwörung gebändigt und den Volksmassen Geschichten erzählt werden davon, dass nicht alles schlecht und vieles noch viel besser gewesen ist, als stinkende Trabanten durch die Straßen knatterten und Wartburgs stolz und ungefedert zeigten, dass ihr Besitzer mehr war als irgendwer.

Diesmal ist es zur Abwechslung mal die "Schwalbe", die wieder auffliegen soll wie damals in den 70er und 80er Jahren der DDR, als der Sozialismus noch unbesiegbar war mit seinem Nierentisch-Design. Weit ausgestellt die Schmutzfänger, damit der LPG-Bauer auf dem Weg zum Feld trocken blieb, und mit einer Sitzgarnitur versehen, unter der sich das Frühstücksbrot verstauen ließ: Die "Schwalbe", auf der widerrechtlicherweise ganze Generationen von DDR-Jugendlichen Mopedfahren lernten, hatte die Ausstrahlung eines rollenden Brotkastens und den Charme eines Schreitbaggers.

Heute jedoch, weiß die im zeitlebens schwalbe-losen Westen aufgewachsene "Welt" unter Berufung auf die einzige amtliche deutsche Nachkriegsagentur dpa zu berichten, werde die "Schwalbe von ihren Fans doch innig geliebt". Im Westen hingegen sei sie wegen ihres "puristischen Designs" zum "Kult" (dpa) geworden. Deshalb nun wollten Investoren um den Unternehmer Daniel Schmid aus Baden-Württemberg die Knattermühle auferstehen lassen. Ökologisch korrekt soll der Roller von einem Elektromotor angetrieben werden, alle Abgase entstehen so nicht während der Fahrt, sondern weit weg in einem Braunkohlekraftwerk. Das ergibt dann ein zünftiges "Lifestyleprodukt", wie Unternehmer Schmid glaubt.

Spätestens "bis Juni 2011" (dpa) sollen die ersten "Schwalben" fliegen, hergestellt im thüringischen Suhl. Dann werden sie in harte Konkurrenz treten zum Trabant, dessen Wiederauferstehung als "Trabant nt" im Sommerloch 2009 immerhin auch für eine schöne Medienrunde gereicht hatte. Auf ihrem Höhenflug zu neuen Ufern in der alten Zeit wird die Schwalbe, die allein noch keinen Frühling machen könnte, dann zwangsläufig auch den "Wartburg" wiedertreffen, dessen baldige Auferstehung im Mai des vergangenen Jahres angekündigt worden war, ohne dass seitdem jemals wieder die Rede davon ging.

Offen ist so oder so aber nur noch die Zukunft des "SR Hupdich", eines Kultmopeds aus der Nachkriegszeit (Bild oben), und des verblüffend gleichnamigen DDR-Schulrechners SR1. Der wirkte schon 1982, als könne man mit ihm telefonieren und Faxe verschicken. Bei der Neuauflage, nun mit Sonnenstrom betrieben, könnte der Traum wahr werden. Die Fans, jedenfalls, die ihn mit Sicherheit "innig lieben", warten schon.

9 Kommentare:

VolkerStramm hat gesagt…

Eine Schwalbe ohne Abgase und ohne Knattern - ist ja widerlich.

derherold hat gesagt…

Zwei Räder und ein Brett - Kreidler Florett. Oder die *schmatz* kultige Herkules K50.
Ja, es war nicht alles besser im Westen ...

Aber ...
... die nächste Bundesregierung könnte angesichts von Staatsschulden und Demographie auf die Idee kommen, den Mauerbau als "Kult" zu entdecken. ;-)

VolkerStramm hat gesagt…

Habe gerade den WELT-Link angeklickt.
Die Produktion der Schwalbe wurde also "schon 1985 eingestellt".
Wieder was dazugelernt!

ppq hat gesagt…

ja, die schwalbe war ein opfer der 2. deutschen diktatur. sie muss also schon aus gedenkgründen wiederbelebt werden

Kurt hat gesagt…

Häärrlich! Der Essi! Auf sowas hab ich Fahren gelernt. Allerdings scheint das Bild die Exportvariante zu zeigen. Bei uns waren die alle in so einem eigenartigen Graubraun gespritzt - mit weinroten Zierrändern. Und wenn man ins Benzin noch eine Ladung Rizinusöl gekippt hatte, rochen die Abgase wie Rennbenzin. Wahlweise Waschbenzin für mehr Leistung. Der Motor hat das geschluckt. Das war ja alles solide 30er-Jahre-Technik.

VolkerStramm hat gesagt…

Ist zwar off topic ...
http://korrektheiten.com/2010/10/26/das-tal-der-aussatzigen/

ppq hat gesagt…

dann nehmen wir das hier mal als denkmal für den esser

ppq hat gesagt…

danke, volker, für den link. habe den urheber in die blogroll gepackt. feine sachen dort

vakna hat gesagt…

"EssErr"-Fahrern hat man doch nur mitleidig nachgeblickt, obwohl die meisten ihre erste Schwarzfahrt auf diesem aufgeblasenen Hühnerschreck gemacht haben.

Schwalbe fuhren nur die uncoolen Mädels und Jungs, die "normalen" fuhren S 50 oder besser S 51, die coolen Jungs kamen, sobald 16 geworden, mit einer 150er an.

Tja, so gings zu, Mitte der 80er.
Da, wo ich herkomme.