Dienstag, 26. Oktober 2010

Comeback der Keramik

Ein Kommentar völlig aus der Kalten, der alle Kritiker schlagartig verstummen lässt. Beinahe schon hatten Fliesen-Fans und -Feinde in Halle das große Experiment zur Neuverkachelung der gesamten historischen Innenstadt der ehemaligen Chemiemetropole für beendet gehalten, nachdem die Frequenz der Neuverfliesung zuletzt nicht mehr mit den Bemühungen der Stadtverwaltung hatte mithalten können, die angekündigt hatte, alle verfliesten Häuser abreißen lassen zu wollen. Zuvor hatte ein regionales Kunstmagazin die Identität der seit Jahren im öffentlichen Raum künstlernden Kachel-Gruppe enthüllt: Junge Männer, weitgereist und kulturbeflissen, hatten das aufsehenerregende Projekt zur Umgestaltung eines ganzen Gemeinwesens gestartet, um auf keramische Weise gegen die Verödung der ostdeutschen Innenstädte zu protestieren.

Geplagt von Verfolgung und schlechten Kachelwetter aber stockte das Unternehmen, das von seinen frühen Tagen an hier bei PPQ begleitet wird. Kaum noch neue Kachelstellen wurden von freiwilligen Feldforscherteams gemeldet, immer wieder hingegen mussten Fliesenfreunde konstatieren, dass manch klassische Kachelung marodierenden Jugendbanden, Schändern des Ordnungsamtes, rücksichtslosen Sammlern oder den aufgrund des Klimawandels zunehmenden Wetterunbilden zum Opfer gefallen war. Viele Dokumente von einmaligem Rang finden sich unterdessen nur noch im vom Internetriesen Google betriebenen großen Kachelverzeichnis, das von Fliesen-Volunteers aus zehn europäischen Ländern betreut wird.

Denen gibt ein neuer, brandaktueller Fund nun Hoffnung, dass der Traum von der verkachelten Stadt, die dann von der Unesco als erste weltweit mit dem Welterbetitel versehen würde, doch noch wahr werden kann. Offenbar in Anspielung auf die Sarrazin-Diskussion hat Kachel Gott, wie der bis heute anonym gebliebene Künstler von Fans genannt wird, eine dreifarbige Kachel entworfen, die sich beinahe unsichtbar in einer bemalte Fassade integriert. Mitten in zeitweise belebter Innenstadtlage bleibt die Anklage gegen Engstirnigkeit, Toleranz und Bilderstürmerei so für die meisten Passanten unsichtbar - ein starkes Statement, das die ungebrochene künstlerische Kraft des Mannes zeigt, der als Kachelmann bekannt wurde, noch ehe der wettermoderierende Namensvetter sich diesen Namen aneignete.

Eigene Funde können wie stets direkt an politplatschquatsch@gmail.com gesendet werden. Jeder Fund wird von uns auf Wunsch mit einem mundnachgemalten Kunstdruck der inzwischen von Kachel-Gegnern vernichteten Ur-Fliese prämiert.

Ausflug ins Kachelarchiv:
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