Samstag, 16. Oktober 2010

Armen-Banker vor Gericht

Es sind die unerzählten Dramen und Tragödien, die im Foyer deutscher Gerichte darauf warten, von mitfühlenden Seelen entdeckt zu werden. Zwischen kurzangebundenen Vorschauen auf betrunkene Schlägereien, unterschlagene Mieten und gestohlene Kleinkrafträder stecken immer wieder auch Geschichten, aus denen das ZDF mit Hilfe von Veronica Ferres und Heino Ferch eine ganze Sommerabendserie machen würde, Geschichten von Rebellen, Geschichten von Menschen, die nur helfen wollten, Geschichten wie die von Muhammad Yunus aus Bangladesh(Name nicht geändert) und seinen drei mitteldeutschen Schülern Andreas Schabering, Peter Tucke und Mandy Masewald, die loszogen, die Welt zu verändern und nun damit rechnen müssen, für lange Zeit hinter Gittern zu sitzen.

Muhammad Yunus erfand den Mikrokredit und bekam den Nobelpreis dafür, Andreas Schabering und sein Freund Peter Tucke (Namen geändert) setzten das Konzept gemeinsam mit der gerade 16-jährigen Mandy Masewald (Bild unten rechts) als allererste auch in Deutschland um - und müssen sich dafür nun vor Gericht verantworten. Betrug in bis zu 41 Fällen legt die Staatsanwaltschaft in Halle den beiden Mittvierzigern zur Last, welche Rolle die noch minderjährige Mitangeklagte gespielt hat, soll das Verfahren klären.

Fest steht: Zwischen August 2002 und März 2003 begannen die drei Beschuldigten mit ihrer segensreichen Tätigkeit im mitteldeutschen Armenhaus Halle und dessen Umgebung. Gemeinsam hatten sie eigens ein Unternehmen gegründet, das Kurzkredite an die Ärmsten der Armen vergeben sollte, weil die von kaum einer Bank mit Darlehen versorgt werden. Das Risiko eines Zahlungsausfalls hatten die Helfer der Benachteiligten geschickt weitergereicht: "Unter Ausnutzung des zwischen den Banken abgeschlossenen Lastschriftabkommens", heißt es in der Anklageschrift mit dem Aktenzeichen 2 KLs 10/09, "lag es vollständig bei den beteiligten Banken".

Ein Konzept, nach dem die von Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen zur selben Zeit begeistert verteidigten Verbriefungen in aller Welt funktionierten: Die einen vergaben Kredite, die anderen bürgten dafür, ohne es zu ahnen. Zeitweise verdiente die gesamte Finanzwelt rund um den Globus damit Milliarden. Hier spielte sich das große Drama, das zur weltweiten Finanzkrise führen sollte, im ganz Kleinen ab. Wenn nämlich der von Tucke und Schabering über das Lastschriftverfahren ausgereichte Kredit nicht binnen einer Frist von sechs Wochen zurückgezahlt wurde, widerriefen die beiden Armen-Banker einfach den Lastschrifteinzug, so dass die Bank des Kreditnehmers verpflichtet war, die Lastschrift zurückzunehmen. Die Kreditgeber hatten ihr Geld zurück, die Bank saß auf der ausgefallenen Zahlung. Vermutlich, mutmaßen Fahnder, seien beide Täter ihrer 16-jährigen Komplizin auf eine Art verfallen gewesen, die derzeit immer häufiger im deutschen Fernsehen gezeigt wird. "Sie entwickelten einen großen Einfallsreichtum", sagt ein mit dem Verfahren Vertrauter, "dem Mädchen zu imponieren".

Eigentlich ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie gut sich viele Ostdeutsche inzwischen in den Wirtschaftsabläufen der größer gewordenen Bundesrepublik zurechtfinden, wie integriert sie sind und wie kreativ sie gebotene Möglichkeiten des Geldsystems zu nutzen wissen. Wer braucht noch Sicherheiten, wenn er eine Bank hat, das erkannten sie lange bevor Banken in den USA begannen, Kredite exzessiv auch an Mitbürger auszureichen, die nicht mal in der Lage waren, die Raten dafür zu bedienen, geschweige denn, mit der Tilgung zu beginnen. Zinsen zahlen und tilgen musste aber auch niemand, weil es allen schon allein durch die Ausreichung der Kredite besyser ging: Die einen hatten Geld für ein haus, die anderen Steuereinnahmen, die dritten bündelten 10.000 Kredite aus Minnesota und verkauften sie an eine irische Tochtergesellschaft der sächsischen Landesbank, die schon nach einer Woche eine halbe Million Gewinn aus dem Geschäft in den Büchern stehen hatte.

Alle schauten zu, alle freuten sich mit. Doch die Staatsanwaltschaft, die bis heute keinen der Milliardenvernichter aus den Chetetagen der staatlichen deutschen Landesbanken vor Gericht gebracht hat, entschloss sich, die Finanzkrise ausgerechnet hier aufzuarbeiten. Den Banken sei wahrheitswidrig vorgetäuscht worden, es handele sich bei den geplatzten Lastschriften nicht um Kredite, sondern um die Bezahlung von Forderungskäufen. Der entstandene Schäden liege bei mehr als 600.000 Euro.

600.000 Euro, die den Schwächsten der Schwachen zugute kamen, die viele kleine Träume erfüllen halfen und sicher manches Kinderauge zum Leuchten brachten, wenn Vater trotz hoher Schulden eine neue Wii oder Playstation unter den Weihnachtsbaum legen konnte. Alle frohlockten, von den profitierenden Händlern bis zu den Familien, von den mitverdienenden Kommunen bis hin zum Bund, der sich wie immer seinen Teil der Steuern aus den Umsätzen schnitt.

Den Männern und der jungen Frau, die ganz nach dem Vorbild von Muhammad Yunus, dem Banker der Armen, versucht hatten, das Elend dieser Welt effektiver zu bekämpfen als allgemein üblich, droht nun eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren. Prozessbeginn ist am 25. Oktober um 9.30 Uhr vor dem Landgericht Halle. Wer noch nichts Besseres vorhat oder sowieso nicht weiß, wohin bei dem Wetter, ist herzlich zu einer großen Protestkundgebung der Lehman-Opfer aus der Region eingeladen.

Mehr grauenhafte Gerichtsreportagen hier.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Nobelpreise gibt es nur für die Yunusse dieser Welt. Mandys müssen hinter Gitter. Schlimm.

VolkerStramm hat gesagt…

Der Prozess geht schon in Ordnung. Dummheit muss bestraft werden.
600.000€ - mehr muss man nicht sagen.
Wie kann man nur so dämlich sein, Schäden im Submilliarden Bereich zu produzieren?
Seht mal, wie man so was richtig anpackt:
http://www.mdr.de/DL/5837241.pdf