Es ist kein runder Geburtstag, deshalb bleiben die Gedenkreden am immer noch offenen Grab aus. Die Mauer, 49 Jahre nach ihrer Grundsteinlegung ist sie nur dem Checkpoint-Charly-Museum noch eine Marketing-Meldung wert: Die Zahl der Opfer, melden die seit 1961 mit Nachrechnen beschäftigten Experten wie in jedem Jahr, sei "noch höher als gedacht".
James Cook, der bei der britischen Rockband Nemo singt, weiß das vermutlich ebensowenig wie er ahnt, dass der Amerikaner Charles Weedon Westover während seiner Militärzeit von 1956 bis 1958 in Stuttgart stationiert war. Kaum war er entlassen, trat legte er sich den Künstlernamen Del Shannon zu, tingelte mit der Band Battle Creek und schrieb nebenher eigene Lieder. Deren schönstes erschien, als in Ostberlin Handwerker und Soldaten anrückten, um dem neuen Deutschland eine tragende Wand einzuziehen. Passenderweise lässt sich "Runaway", das Lied mit dem im Falsett gequietschen "Wa-wa-wa-wa-wonder" mit einem halben Jahrhundert Abstand als erste Mauerhymne überhaupt decodieren: "As I walk along I wonder", singt James Cook stellvertretend für Del Shannon, "what went wrong"?
Klar, vordergründig meint er "our love, a love that was so strong". Aber "and as I still walk on, I think of the things we've donetogether", das kann nur den 2. Weltkrieg meinen, damals nämlich waren, so geht der Text weiter "unsere Herzen jung". Nun aber fallen die Regentränen und der Ex-GI fühlt den Schmerz und er wünscht, der da drüben, im Osten, hinter der Mauer, könnte bei ihm sein und der Schlamassel sei vorbei. Denn " why,why-why-why-why", fragt er leicht verschlüsselt, "why she ran away?", um die weltgeschichtliche Einordnung umgehend nachzuschieben: Das ist nämlich nur ein "little Runaway, a-run-run-run-run-runaway", wo die große Flucht nicht mehr geht, wegen Mauer und Stacheldraht, eisernem Vorhang und Schießbefehl. Del Shannons Hit war damals unerkannt beinahe überall Nummer 1, sein Autor starb drei Monate nach dem Zusammenbruch des Jahrhundertbauwerks. Womöglich zufrieden.
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