Es gibt sie nur hier, an der Straße der Gewalt, in der Nähe von Hallunken, Halloren und Hallodris. Am Ufer der Saale, unweit der gemessen an der erbarmungswürdigen Kaufkraft der Einheimischen größten Einkaufszonen der Welt, entdeckten Völkerkundler aus der Stadtverwaltung Halle jetzt eine neue Spezies, die sich von Flaschenbier und Billigfusel ernährt. Die im Gedenken an die kurz vor Abbruch des Sozialismus von Erich Honecker selbst ins Leben gerufene Freidenker-Bewegung "Freitrinker" genannte neue Art vergnügt sich in aller Öffentlichkeit mit dem Trinken von Alkoholika und dem nachfolgenden plakativen Ausscheiden der Verdauungsrückstände.
Auf ihren Touren von Trinkort zu Trinkort fallen die zum Teil von possierlichen Hunden begleiteten Anhänger der Freitrinker-Bewegung niemandem zur Last, sind den Stadtvätern aber gerade dadurch ein Dorn im Auge, weil immer mehr ganz normale Menschen freiwillig mitmachen. 1994 seien etwa im Stadtteil Silberhöhe rund 50 Freitrinker gezählt worden, berichteten Szenebeobachter dem Stadtmagazin HalleForum.de. Bis heute habe sich die Beteiligung vervierfacht, weiterhin tränken etwa 1000 der 13.000 Einwohner heimlich daheim - ein beängstigendes Potential für weiteren Zuwachs an den bekannten Saufplätzen der Bewegung. Insgesamt, so ergab eine Studie der Stadt, träfen sich derzeit an 40 Stellen im Stadtgebiet Grüppchen, "um teilweise Unmengen an Alkohol zu trinken" (Halleforum). Vielerorts würden die Trinker generationsübergreifend stehen - vom Enkel bis zur Großmutter. “Viele Eltern nehmen auch ihre Kinder mit hin, eine Form der Aufsichtspflicht”, lobt die städtische Drogenbeauftragte.
Die lebt nach Erkenntnissen der Experten vor allem davon, dass "sich viele der Betroffenen keinen Kneipenbesuch leisten können und sich deshalb ihr Bier im Supermarkt holen und davor trinken". Unter ihnen seien auch immer öfter jüngere Nachwuchssäufer, die "dieses Verhalten so von den Erwachsenen übernommen" haben, weil sie "ihre Eltern nie arbeiten sehen" hätten. Als politische Bewegung und Initiative zur Volksgesundheit ständen die Freitrinker, die als eine Art deutsche Antwort auf die amerikanische Tea-Party-Bewegung angetreten sind, Verkrustungen in der Politik aufzuweichen und alle zum Mitmachen einzuladen, aber offenbar dennoch noch ganz am Anfang.
Gespräche an den bekannten Trinker-Treffpunkten kreisten meist um ganz alltägliche Dinge, berichten Aktivisten. Häufig gehe es um Geldfragen, um die weiteren Beratungen zu finanzieren, manchmal würden auch gesellschaftliche Missstände angeprangert oder das Gespräch mit Vertretern der Staatsmacht gesucht, jedoch häufig ohne generellen Plan zur Umgestaltung der Gesellschaft. Vielen Freitrinkern reiche es derzeit noch, das schöne Sommerwetter bei einer Flaschen Gräfenwalder Edelpils zu genießen und dabei ganz global vom Elend der Welt zu schwärmen, sagen Kenner der Stimmung am Oberen Boulevard, einer Lumpenmeile, die derzeit nur durch einen bei Rechten beliebten Pulloverladen und die herumlungernden Trinker auf gewertet wird.
Troztdem kümmert sich die tief im Volk verwurzelte Linkspartei bereits um die Frage, wohin die Freitrinker ausweichen könnten, wenn das Wetter schlechter wird. "Welche Alternativen wurden angeboten, z. B. von der Stadt, den Wohnungsgesellschaften?", fragte Linken-Fraktionschef Bodo Meerheim kategorisch an, im Hinterkopf wohl schon das bemerkenswerte Beispiel des Berliner Modells "Mehr Ghetto vom Netto". In dem hatte der Senat erst kürzlich beschlossen, seinen Freitrinkern einen eigenen Saufplatz am U-Bahnhof Kottbusser Tor einzurichten. Eine Lösung für Halle könnte auch das Projekt “Sofa” sein, in dem Kiel seinen Trinkern einen Raum zur Verfügung stellte, in dem sie ihrem auch für Absatzzahlen der Industrie und Umsatzzahlen im Handel wichtigen Hobby nachgehen können.
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9 Kommentare:
Wo habt ihr eigentlich immer diese tollen Fotos her?
gemacht. also fotografiert. ;-)
Heimat eben. 28. Mai 2008.
wieso 28. mai 2008? hatten wir das da schon mal?
Ja, so ungefähr jedenfalls. Global gesehen, war das da schon mal.
habs unter dem datum nicht gefunden, aber sicher hast du recht. das ist wie mit allem in der welt, erst kommt der tunneltest, dann der brückentest, dann der fährentest, danach das säuferfoto und ehe man das richtig angeguckt hat, ist das jahr rum
passiert nicht wieder
och, dann hätte ich das tolle Foto ja nicht gesehen, denn am 28. Mai 2008 kannte ich euch noch gar nicht.
Komm Karlinekin, komm Karlinekin komm, wir wolln nach Pankow jehn und Olekrüja sehn...
Aber da kann man mal sehen: so ein gelungenes Foto brennt sich ins Gedächtnis ein. Mehr davon!
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