Es ist die Körpersprache, die schon beim Warmmachen vor dem Spiel Böses befürchten lässt. Adli Lachheb, seit Monaten bester Feldspieler des Halleschen FC, spaziert über den Rasen des Kurt-Wabbel-Stadion, als sei er auf Pilzsuche. Die Spurts der zehn Männer, die zu Anfang auflaufen sollen, finden in Zeitlupe statt, die Besatzung der Bank spielt derweil in zwei Dreierkreisen Hohes - und kein Wort fliegt zwischen den Ringen hin oder her.
Dazu passt das restliche Ambiente im Stadion, das heute sein vorletztes Spiel vor dem geplanten Generalumbau erlebt. Der Himmel hängt voller Wolken, die Ränge sind leer wie zuletzt vor drei Jahren. Wer nicht da ist, wird später nichts verpasst haben. Vom Anpfiff weg präsentiert sich Wilhelmshaven, bis hierhin eine der Schießbuden der Liga, als spielstärkere, passicherere und offensivere Elf. Halle spielt quer, schräg, fehl, nichts ist übrig vom überzeugenden Mannschaftsspiel der Tage bis zum 1:0 Auswärtssieg in Magdeburg.
Der Club, wie die halleschen Fans ihren Verein liebvoll nennen, ist wie ausgewechselt seit dem Abpfiff in der Landeshauptstadt. Wo vorher Kampf und Wille waren, wenn das spielerische Vermögen nicht ausreichte, ist nun nur noch "nimm Du ihn, ich hab ihn". Mit Hebestreit, Schubert und Müller sitzen drei gesperrte Leistungsträger auf der Tribüne, mit Stark ein weiterer nach langer Verletzung auf der Bank. Marco Hartmann, zuletzt eine solche im Mittelfeld, nun aber auch verletzt, wird zur Halbzeit ins Stadion geschlendert kommen.
In dem spielt nur der Gast, trainiert von der DDR-Fußballegende Wolfgang "Maxe" Steinbach. Zweimal hat Halle Glück, dass Torwart Darko Horvat vor einschußbereiten Spielern in Gelb rettet. Dann aber zieht Hammouchi nach 22. Minuten von Linksaußen kurz nach innen und direkt ab wie Halles Kapitän Nico Kanitz vier Tage zuvor im mühevoll zum Sieg gewürgten Pokalviertelfinale in Ammendorf. 0:1 mal wieder, wie neuerdings jedes Mal. Die hängenden Köpfe der Rot-Weißen hängen nun noch ein wenig mehr, auf den seit zweieinhalb Jahren sieggewohnten Tribünen wird es noch etwas stiller und der Regen nimmt zu.
Eine Viertelstunde knabbert Halle am Rückstand, dann zieht Abwehrersatzmann David Sieber seinen Gegenspieler im Strafraum vom Ball weg, der Wilhelmshavener fällt, Schiedsrichter Hoffmann zeigt sofort auf den Punkt, Moslehe schießt an Horvat vorbei zum 0:2 ein.
Damit hat der HFC nun in einem Monat acht Gegentreffer geschluckt - nach gerademal 14 in den acht Monaten zuvor. Doch es ist die Körpersprache, die Schlimmeres befürchten lässt: Es wird nicht geredet auf dem Platz, Trainer Sven Köhler, der Vater der für altgediente Fans völlig unerwarteten Erfolgsserie der Kicker von der Saale, steht wie angeschweißt vor seiner Bank. In der Fankurve singen sie unduldsam "Wir ham die Schnauze voll".
Zur Pause bringt er Benjamin Knaack aus der A-Jugendbundesligaelf. Der läuft auf den Platz, als wäre er unsichtbar. Kein Kollege klatscht ab, kein aufmunternder Klaps, kein Wort, keine Geste. Knaack bläst trotzdem als erster zum Sturm, läuft links außen durch, dreht nach innen, beißt sich fest.Hauk, vor der Saison als Verstärkung geholt, auf dem Platz aber immer nur eine Ergänzung ohne Fortune, macht es sofort danach besser. Nachdem Wilhelmshavens Schlußmann Weis nicht schnell genug aus dem Tor gekommen ist, erwischt er einen weiten Ball noch vor dem Toraus, flankt nach innen, wo Thomas Neubert steht, als habe er damit gerechnet. Neubert schießt und trifft sogar. 1:2.
Und nun hilft Schiedsrichter Hofmann sogar noch ein bisschen. Nach einem Foul von Kozarak an Finke, heute als zentraler Ausgangspunkt für Rückpässe aufgeboten, zeigt er Rot. Vor Wut reißt sich Maxe Steinbach die Jacke vom Leib und schleudert sie zu Boden. Auch die Legende muss nun gehen - trotz einer Karriere beim Erzfeind in Magdeburg von der Tribüne mit freundlichen "Maxe, setzt Dich hierher"-Rufen begrüßt.
Steinbach geht, René Stark kommt. Der Regisseur, seit dessen Verletzung vor Weihnachten der HFC nur noch 13 Tore in 13 Spielen zustandegebracht hat - nach 32 in den 18 Spielen bis dahin -, soll es richten. Der HFC ist nun nicht mehr im Koma, sondern nur noch im Wachkoma. Wilhelmshaven mauert, Halle stürmt, das aber immer wieder hinten herum, ohne Druck, ohne Kraft, mit Torchancen, die nur ein liebesvolles Fanherz als solche zu erkennen vermag.
"Los, los", ruft ein letzter Optimist auf der Tribüne. Maxe Steinbach fuchtelt mit den Armen: "Mensch, für uns gehts ums Überleben", brüllt der graugewordene Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von 1980. "Okay", schreit es zurück. Und nach unten auf den Platz: "Jungs, dann lasst sie halt gewinnen."
Jeden Tag eine gute Tat und heute diese. Görke, früher einmal ein treffsicherer Fernschütze, zielt energisch drüber, Siefkes, der inzwischen für Hauk eingewechselte Gerd Müller der HFC-A-Jugend, köpft übers Tor. Auch Görke nochmal nach einer Ecke mit Schmackes drüber, im Gegenzug rettet Horvat gegen eine plötzlich trotz Unterzahl in Überzahl auftauchender Gäste. Es dämmert inzwischen, weil das Spiel so spät am Abend anfangen musste, wie im vergangenen Jahr selbst das Pokalfinale nicht anfangen durfte. Das Flutlicht in Halle ist schon seit Jahren kaputt, jetzt ist es auch der Mythos der Unschlagbarkeit, der Mythos vom rumgerissenen Ruder, der Mythos vom neuen Zeitalter in den alten Farben.
Als Hoffmann abpfeift, ist es wie eine Erlösung im Endspiel der Einzelkämpfer unten auf dem Rasen. Mittwoch geht es zum Pokalhalbfinale nach Stendal, dann noch zum Tabellenführer Babelsberg, gegen Hannover und gegen Lübeck. Das fünfte Spiel und letzte Spiel der Saison wäre das Pokalfinale. Es wird, wenn es denn entgegen allem, was wahrscheinlich scheint, stattfindet, das letzte dieser Mannschaft sein.
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