Das ist mal der ganz besondere Fall, in dem der Weltuntergang zur Wiedergeburt geführt hat. Das Tschernyschewsky-Haus in Halle, eine ausladende Ruine an einem Nebenarm der Saale, hatte der Universität jahrzehntelang als Hörsaalgebäude gedient, dann aber kam die "Loge zu den Weltkugeln" und begehrte die Rückübertragung ihres früheren Logengebäudes. Anschließend wurde das Haus mit einem großen Vorhängeschloss am Eingangstor saniert. Es verfiel hernach malerisch.
Zumindest bis zu dem Tag, an dem die Krise kam. Jetzt war dringender Bedarf an Ruinen, die sich mit Geld und guter Laune zur Arbeitsbeschaffung benutzen ließen. 16 Millionen Euro legte die Landesregierung für den Umbau des Tscherny-Hauses zum künftigen Sitz der Akademie Leopoldina auf den Tisch, ein Bauschild erschien am Eingang, noch ehe die künftige erste Wissenschaftsadresse der Stadt der klammen "Großen National-Mutterloge" überhaupt abgekauft war.
Jetzt wird gebaut am in den 20er Jahren errichteten Gebäude mit der bewegten Geschichte. Mehr als 100 Jahre diente das weitläufige Ensemble, zwischen 1821 bis 1823 nach Plänen von Stadtbaumeister Johann Justus Peter Schulze auf Teilen der vorherigen Bebauung errichtet, als Logenhaus der Freimaurerloge „Zu den Drei Degen“. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde die Loge 1934 verboten und enteignet, ab 1940 zog die NS-Gauleitung von Halle in die repräsentativen Räumlichkeiten hoch oberhalb des Moritzburgringes.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs musste so nur die Farbe der Türschilder gewechselt werden: Jetzt zog die russische Stadtkommandantur ein, die von hier aus die Demontage der mitteldeutschen Industriebetriebe und den Wiederaufbau Teildeutschlands als befreundetes Brudervolk organisierte. 1952 war alles in trockenen Tüchern, die Universität durfte das Haus als Bibliotheks- und Hörsaalgebäude übernehmen. Folgsam benannten die Verantwortlichen das Gebäude nun nach dem russischen Früh-Revolutionär Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski, der Lenin einst zu dessen Fundamentalwerk "Was tun?" inspiriert hatte.
Innen ist das Haus auch nach beinahe zehn Jahren Leerstand ein in Größe und Zuschnitt beeindruckender Stadtpalast. Hier und das finden sich noch freigekratzte Spuren der früheren Logen-Symbolik, da und dort faulen ein paar Dielen und ein paar Fenster sind zu Bruch gegangen. Angesichts der bewegten Geschichte des Gemäuers aber hat die Zeit verblüffend wenige Zeichen in den Stein geritzt. Was noch zu sehen ist, wird spätestens nach der Sanierung und dem Umbau als Hauptsitz der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina verschwunden sein.
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