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Dabei ist es geblieben. Ein ganzes Jahrzehnt hat der wortkarge Riese trainiert und geboxt, geboxt und trainiert, zum Schluss ist er bei einem halbseidenen Promoter aus Hamburg untergekommen, der ihm eine Weltkarriere im Tausch gegen Leib und Seele bot. Steffen Kretschmann hat eingeschlagen, aber es sich dann anders überlegt. In einer "Doku-Soap" ließ er sich wochenlang bei der Vorbereitung auf den "Kampf seines Lebens" (Sat1) gegen den Russen Dennis Bachtow abfilmen. Knurrig wirkte er da und unglücklich. Am Kampfabend dann blieb er zumindest konsequent: Nach Punkten führend, drehte Steffen Kretschmann seinem Gegner in der 9. Runde einfach den Rücken zu und bedeutete, dass er aufgeben wolle.
Tolle Werbung für den Boxstandort in ohnehin schon viel zu kriegerischen Zeiten. Der Faustkämpfer als Abrüster, der Sportler nicht auf der Suche nach Ruhm und Titeln, sondern nach Rast und Ruhe. Steffen Kretschmann hat nicht das kantige Showtalent eines Henry Maske oder die schamlose Werbebereitschaft eines Axel Schulz. Der Görziger Gigant wirkt eher wie das späte Ergebnis konsequenter DDR-Friedenserziehung - ein Mann wie ein Berg, dem die winzige Boxweltmeisterin Regina Halmich bescheinigt, er habe "einfach keinen Killerinstinkt".
Alles richtig gemacht, Mutter Beate und Vater Gerald. So sind sie eben, die Boxer aus dem mitteldeutschen Ringrevier, so war schon Timo Hoffmann, den sie als "Deutsche Eiche" vermarkten wollten, der aber eher ein deutsches Kantholz war, das in keine Reklameschablone passte. Auch Kretschmann ist weder Dr. Faust noch eleganter Modellathlet. Aber er ist seit seinem Abgang ein Beispiel für Generationen: Wenn Du nicht bleiben kannst, dann geh, wenn du nicht schlagen willst, dann halte die andere Wange hin. Und wenn Dein türkischer Gebrauchtwagenpromoter brüllt, mach die Ohren zu. Frieden zählt mehr als Meistergürtel, ein demonstrativer Protestabgang wie der von Steffen Kretschmann tut mehr für das angeschklagene Image des Profiboxens als zehn Siege eines "Klitschko-Bruders" (ZDF). Erstmals seit Sven Ottkes erstem Auftritt war bei Kretschmanns Kamikaze-Aktion völlig klar: Hier war nichts abgesprochen, hier war niemand gekauft, hier wurde nicht im "Kampfgericht" (ARD) gekungelt und mit dem veranstaltenden Sender getürkt. Sondern ehrlich geboxt. Und mit den besten Gründen verloren.
5 Kommentare:
Den unbedingten Willen zur kampflosen Aufgabe, das ist es, was wir von solchen Vorbildern lernen können. Antreten und dann großartig den konsequenten Weg in die freiwillige Niederlage gehen, bis zum letzten Handtuch, das braucht unsere Jugend.
so sieht es aus. ich bin stolz auf ihn
"Der May ist gekommen, die Boxer geben auf..." *sing*
Wie sagte ich doch früher als jugendlicher Fußballer: "Wer auf Asche grätscht, hat nichts mehr zu verlieren." So werden es auch ostdt. Boxer sehen, die im Gegensatz zu ihren westlichen Pendants seltener aus Knacki-/Armen-/Ausländer-Familien kamen.
... oder, um es mit Jürgen Brähmer zu sagen: "Boxen ist kein Rudern !"
P.S. Wenn das jetzt 157-mal auftaucht, bitte 156-mal löschen ! :-)
sehr treffend analysiert. das ist noch die letzte spaktakiade-generation, die da versucht, das leben so zu nehmen, wie sie es in der pionierorganisation erklärt bekommen hat. dabei passt das für manchen eben gar nicht
Keine Ahnung warum, aber an die Spartakiade habe ich nur positive Erinnerungen. Kann sein es liegt daran, dass mich die Erinnerung täuscht.
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