Am Anfang herzergreifende Bördepoesie. "Wir sind, wir sind ein Magdeburger Kind" quieckt die Nordtribüne in der Heinz-Klüngel-Arena unter Vernachlässigung grammatikalischer Regeln. Bauerntheater in Magdeburg, die Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts hat zum Derby in der Regionalliga geladen und jedermann erwartet sich ein Fest wie zuletzt im unterhaltsam verpfiffenen Pokalfinale. Damals war es einem in Überzahl angetretenen FC Magdeburg gelungen, die Schmach des verlorenen Endspiels 2008 mit Hilfe eines engagiert pfeifenden Schiedsrichterkollektivs aus der nahegelegenen Börde unvergesssen zu machen. Heute nun geht es um alles: Magdeburg steht nach einem bisher sieglosen Spieljahr 2010 ohne Trainer mit dem Rücken zur Wand. Halle dagegen auf Tabellenplatz zwei, von wo Spitzenreiter Babelsberg noch ohne Fernglas zu sehen ist.
Die Polizei hat Großkampftag, aus "Sicherheitsgründen" (FCM) waren sogar die Internet-Ticketschalter vorsichtshalber geschlossen geblieben. Dennoch sind 3500 Fans in Rot und weiß von der Saale über die Sülze an die Elbe gereist, um bei sonnigen 12 Grad im hochmodernen Betonbauernhaus, vom Bürgermeister der Hauptstadt einst ohne Genehmigung für die selbsternannten "Größten der Welt" gebaut, die hier traditionell fälligen Punkte abzuholen.
Ein Spiel wie keines, alle Jahre wieder. Vom Anpfiff weg spielen die in Schwarz aufgelaufenen Hallenser den kontrollierteren Ball, doch Magdeburg, aus der rot-weißen Kurve launig als "Magdedorf" verhöhnt, hat die erste Chance. Lars Fuchs, aus Braunschweig importierter Nachfolger des sympathischen Nadj Braham, schießt Halles Horvat den Ball freundlicherweise ohne Nachdruck in die Arme. Gegenüber macht es Selim Aydemir allerdings nicht besser: Auch der Ersatz des mit Handbruch ausgefallenen Pavel David, Halles etatmäßigem Magdeburg-Torschützen, bringt das Leder nicht über die Linie.
Aber die Gäste stehen hinten mit Mouyaya und Lachheb wieder sicher, Kanitz und der von Trainer Sven Köhler wieder in die Startelf gestellte Angelo Hauk kurbeln von außen, Finke und Hebestreit machen die Mitte dicht. Ein Spiel auf Augenhöhe, das verblüffend fair bleibt. Schiedsrichter Manuel Gräfe zeigt, was Übersicht und Souveränität ausmachen: Der Berliner Bundesligareferee steht gut und liegt dann richtig. Mit seinen Entscheidungen.
So dauert es bis zur 38. Minute, ehe die Südkurve jubeln darf, Der Ball kommt von links, geht an der Mittellinie auf rechts, von dort in Strafraumhöhe in die Mitte zu Hebestreit, der leitet weiter zu Neubert. Und der zwischen Kampfschwein und Chancentod oszillierende Stürmer, normalerweise darauf gebucht, echte Torchancen eher nicht zu verwerten, nimmt ruhig an und schießt aus zwölf Metern überlegt ins Tor.
Gewonnen ist natürlich noch nichts. Auch im Hinspiel stand es nach einem Schubert-Knaller schon 1:0 für den HFC, Magdeburg war nur noch zu zehnt - trotzdem gelang es den unbemerkt von sich selbst in die vierte Liga abgestürzten ehemaligen Europacupsiegern damals, noch den Ausgleichstreffer zu erzielen. "Beide spielen auf Augenhöhe", beobachtet der Magdeburger Heimatsender MDR auf dem Männerklo: Nach Chancen stehe es 2:1 für den FCM, der HFC sei "etwas cleverer".
Zu clever jedenfalls für diesen FCM, der heute ein Schlachtfest im eigenen Haus geboten bekommt. Waren frühere Siege des HFC hier meist Kampf und Krampf und Glück und Elfmeterscheißen, sieht heute alles nach Plan aus. Der Viererblock vor dem halleschen Strafraum steht wie eine Mauer, was durchkommt, fängt und faustet Torwart Darko Horvat weg. Zur Halbzeit denkt FCM-Aushilfstrainer Müller offenbar schon übers Aufgeben nach: Fünf Minuten lassen seine Männer ihre Gäste auf dem Platz warten, ehe sie sich denn doch wieder in die Schuhe und aufs Feld bequemen.
Dort gibt es aber auch jetzt nichts zu holen. Hilflos rennen die Blau-Weißen an, nach schnellen Kontern haben Kanitz, Hauk, Hebestreit und Aydemir mehrmals Gelegenheit, den Vorsprung zu erhöhen, ehe Sven Köhler von der Bank auf Ergebnissicherung umschaltet. Für Kanitz kommt Lindenhahn, für Hauk Hartmann, für Aydemir schließlich Müller: Im Fünf-Minuten-Rhythmus bekommen die Magdeburger neue Gegenspieler, weil Köhler ausnahmsweise mal nicht positionsbezogen wechselt, sondern jede Einwechslung ein kleines Stellungskarussell in Gang bringt. Ehe Magdeburg sich sortiert hat, ist schon die Schlußphase heran. Noch ein paar Feuerwerksraketen aus dem FCM-Block aufs Feld, weil das letztes mal geholfen hat. Ein paar blau-weiße Geheimagenten in Halles Stehkurve antworten auf demselben intellektuellen Niveau mit Böllern, so dass HFC-Kapitän Nico Kanitz händeringend an die nicht vorhandene Vernunft appellieren kommt. Im Mittelfeld knallt Bankert den großartigen Finke weg und sieht Rot. FCM-Keeper Tischer stürmt bei einer Ecke noch mit vor, wohl weil man das im Fernsehen manchmal so sieht.
Dann pfeift Gräfe ab. Halle liegt sich in den Armen, Lachheb tanzt, La-Ola-Welle, Uffta, zehn Minuten Party vor der Tribüne mit Markus Müller auf dem Zaun. Schließlich kommt auch noch Trainer Sven Köhler, schüchtern lächelnd. Während die Magdeburger Tribünen längst leer sind, müssen die Hallenser noch unterm Stadiondach warten. Passt alles heute: Draußen regnet ein plötzlicher Schauer alles nass, was Blau und Weiß trägt. Als die Polizei dann die Türen für die Sieger öffnet, strahlt die Sonne schon wieder.
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14 Kommentare:
Schöner Text.
Um was gings?
Derby eines Punktspiels in der Regionalliga Nord zwischen dem Halleschen FC und FC Magdeburg.
Aber wirklich schöner Text: "trotzdem gelang es den unbemerkt von sich selbst in die vierte Liga abgestürzten ehemaligen Europacupsiegern" - sehr geil! ;)
eigentlich gings um nichts, gemessen am weltfrieden. aber schoenes wetter war
Herzlichen Glückwunsch für den verdienten Sieger. Evtl.solltet ihr aber euer Kleinkariertes Schwachsinniges denken hier abstellen.Freut euch das es so gut in Halle läuft und vergesst die gute Saison nicht den zum Aufstieg wird es eh nicht reichen und die Zeiten werden sich ändern aber dann kann sich ja die gesammelte H4 Fanbelegschaft an die so glorreiche Saison 2009/2010 Erinnern.
Grenzwertig wenn man sich so über einen Gegner lustig macht. Das "Magdeburger Kind" ist ein Volkslied, dass hier beiuns jeder im Kidnergarten lernt. Aber das ist Halle. Nichts kapieren aber sich lustig machen. Eben eine Gurkentruppe!
Oh, Magdbeburg hat doch noch Fans! Leute, schlagt die Glocken!
@ FCM Boy
oh ja..kindergarten: das paßt!!
Super geschrieben, Daumen hoch.
bei der vorlage...
Eins voraus, ein verdienter Sieg, aber Eure Schwanzvergleiche könnt Ihr stecken lassen ( 3500 ). Zu meiner glorreichen Zeit waren Spiele gegen Halle genauso popelig wie gegen Zwickau, Schiebock ect. Das ist bei mir noch heute so. Freut Euch das Ihr z.Z die bessere Mannschaft habt, abkotzen muss ich nur, wenn ich daran denke , nächste Saison wieder ins Schwabbel zu müssen.
BWG
musst du doch nicht. entweder wir steigen auf, was ich noch nicht glaube und auch nicht unbedingt optimal fände.
oder wir spielen in halle-neustadt.
das wabbel wird doch abgerissen oder "saniert", wie man hier sagt
der zweite ist der erste verlierer !
verdammte schei.. ich bekomme das kinderlandlied nicht mehr aus den ohren
danke.danke. danke auch für die gastkommentare der einheimischen ... euer gezeter macht alles noch schöner... einfach vollkommen ..
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