Und jedermann erwartet sich ein Fest zur besten Fußballzeit. Endlich mal darf der Hallesche FC nachmittags um vier ran, wenn die richtigen Kicker spielen. Leider fehlt ein bisschen. Es ist Mittwochnachmittag und das Nachholspiel gegen den Chemnitzer FC aus Zuschauervermeidungsgründen so angesetzt.
Trotzdem ein Spitzenspiel, trotzdem eine ansehnliche Kulisse. Sogar aus Chemnitz sind 200 angereist und das ist Grund genug für die Polizei Sachsen-Anhalts, einmal mehr den Ernstfall durchzuspielen: Mehr Truppen könnte der ehemalige Offiziersschüler Holger Hövelmann auch im Falle eines Atomschlages auf die mitteldeutschen Raffineriekapazitäten nicht aufbringen.
Straßen gesperrt, lange Staus, Strafräume dicht, lange Bälle, so läuft es dann an, das Duell um den Platz im Nacken von Tabellenführer Babelsberg. Die zweitbeste Verteidigung der Liga trifft auf den erfolgreichsten Angriff - da gibt es nicht viele Torchancen. Die beste hat Thomas Neubert, der Carsten-Jancker-Gedächtnisstürmer, der der gegnerischen Torwart nie ins Auge schaut, weil er mit dem Rücken zum Tor auf Pässe wartet. Sein Kopfball nach einer Kanitz-Ecke segelt als Bogenlampe Richtung 1:0, wird von dort aber vom ehemaligen Sachsen-Leipzig-Kicker Garbuscheski zurück ins Spiel geköpft.
Ansonsten Freistöße, zerhacktes Gekicke und dazu ein Schiedsrichter namens Martin Hofmann, der seine Gefährlichkeit immer wieder mit seltsamen Entscheidungen andeutete. Vorteile vermag sich keine Mannschaft zu erarbeiten, beiden wollen siegen, haben aber noch mehr angst, zu verlieren. Halles Hoffnungsträger Toni Lindenhahn taucht auf rechts unter wie Kapitän Nico Kanitz auf links, Thomas Neubert tut, was er kann, schafft es aber im Gegensatz zum letzten Wochenende nicht mehr, auch mal mit dem Ball am Gegner vorbeizulaufen. Aufregendstes Ereignis der ersten Halbzeit bleibt so der Strafraumsturz von Pavel David, der von seinem Gegenspieler angeschossen wird und danach wie gefällt liegenbleibt. Diagnose nach kurzer Unterbrechung: Der Ball hat die Hand nicht nur getroffen, sondern gleich gebrochen.
Für David kommt Selim Aydemir, ein flinker Flitzer mit ausgeprägtem Hang zur Selbstdarstellung. Fußballspielen kann der Türke, beschäftigt ist er aber hauptsächlich damit, zu winken, zu gestikulieren und zu hadern. Ganz anders hinten Patrick Mouyaya: Souverän räumt der Kongolese ab, was Schubert, Lachheb und der wacklig wirkende Benes durchkommen lassen. Bis auf eine Chance von Kellig, einst Torschützenkönig der Liga und in einer nebligen Aktion nicht nach Halle gewechselt, bleibt es beim Kräftemessen der Abwehrreihen mit wechselnden Freistoßschützen.
Dann aber kommen die fünf Minuten des Selim Aydemir, der die "23" von René Tretschok auf dem Rücken trägt. Martin Hofmann hat wieder angepfiffen, Halle einen Chemnitzer Angriff abgewehrt. In der eigenen Hälfte bekommt der türkische Nachwuchsnationalspieler den Ball, er nimmt den kürzesten Weg zum Chemnitzer Tor, lässt einen Sachsen stehen, dann den zweiten - und der dritte legt ihn dann, vier Meter im Strafraum.
Martin Hofmann aber hat noch nicht wieder Luft für einen Pfiff. Er winkt "weiterspielen" und provoziert damit die ersten "Hoyzer"-Rufe. Die hören nun auch nicht mehr auf, weil der Mann vom FC BW Dachwig/Döllstädt sich kontinuierlich zu steigern versteht. Zuerst übersieht er ein Handspiel von Trehkopf, dann ein Foul von Emmerich, schließlich bekommt Mouyaya sogar einen Freistoß wegen "Handspiel" aberkannt: Er hatte sich den Ball mit der Hand zurechtgelegt, nachdem Hofmann den Freistoß freigegeben hatte.
Szenen einer zerrigen, zerfahrenen Partie, denen nur Toni Lindenhahn einige Glanzlichter aufsetzt. Zweimal zieht der neben Chemnitz´ Emmerich einzige Hallenser auf dem Platz unwiderstehlich Richtung Tor. Zweimal wird er gefällt, zweimal vertändeln die Mitspieler den möglichen Torerfolg.
Dann nimmt Halles Trainer Sven Köhler den 20-Jährigen auch schon vom Platz, dafür kommt Angelo Hauk, zuletzt eine komplette Enttäuschung und auch heute das Gegenteil einer Offenbarung. Das Problem des HFC wird hier deutlich: Seit der etatmäßige Mittelfeldmotor René Stark verletzt ist, stellt sich die Mannschaft von selbst auf, auch weil Sven Köhler konsequent auf die Dienste des widerborstigen Thorsten Görke zu verzichten beschlossen hat. Fällt mit David ein weiterer Spieler aus, sind die taktischen Möglichkeiten am Ende und Verstärkungen nicht mehr auf der Bank. Aydemir spektakelt wunderbar herum und Hauk ist schnell - doch der eine spielt im Zweifelsfall eben nicht auf den freien Mitspieler, weil er selbst gefeiert werden will, wie sein desaströser Auftritt gegen Babelsberg schon gezeigt hatte. Und der andere läuft nicht dorthin, wo er hin muss. Sondern lieber dorthin, wo sich ihm kein Gegenspieler in den Weg stellt.
Viel tut sich daher nicht mehr. Martin Hofmann führt seine mitgebrachte Gelbe Karte noch fünfmal stolz vor, die Tribüne ruft "Hoyzer, Hoyzer". Sven Köhler ist sauer, sein Chemnitzer Kollege Gerd schädlich schaut immer wieder auf die Uhr. Dann ist es vorbei, die Premiere über die Bühne gebracht: Das erste Spiel der Vereinsgeschichte am Nachmittag eines ganz normalen Mittwoch endet 0:0, es ist das erste torlose Heimspiel seit dem Oktober 2009. Damals fuhr Halle anschließend nach Wilhelmshaven und gewann 2:0. Am nächsten Wochenende heißt das Reiseziel Magdeburg.
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