Die SPD ist nun ganz "neu", wie Deutschlands einzige wahre Nachrichtenagentur dpa brühwarm aus Dresden berichtet. Aber alle Aufregung ist überflüssig, denn die Feindbilder der Genossen sind ebenso die alten geblieben wie das Personal. Gegen "neunmalkluge BWL-Yuppies" wetterte der frühere Pop-Beauftragte und nunmehrige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel. Viel zu lange habe man sich von fragwürdigen Figuren wie dem SPD-Finanzstaatssekretür Jörg Asmussen sagen lassen, wo die neoliberale Axt hänge, es Nicht-Fachleuten wie Hans Eichel überlassen, Staatseigentum ohne Rücksicht auf Verluste zu privatisieren und dem ohne Berufserfahrung in der Finanzwirtschaft als Minister dilletierenden Peer Steinbrück freie Hand beim Vorantreiben immer größerer Verbriefungsmöglichkeiten gegeben.
Damit müsse jetzt Schluss sein, bastate Sigmar Gabriel. Statt des gewohnten Brioni-Anzug solle die SPD wieder Blaumann tragen, in die längst geschlossenen Stehkeipen der "Kumpel" gehen und sich so zum Interessenvertreter der Hausmeisterbranche stilisieren. Wo es "stinke" (Gabriel) müsse ein Genosse sein. Als starker Arm von Callcenter-Angestellten habe die deutsche Sozialdemokratie eine Zukunft, hören müsse sie jedoch wieder viel mehr auf den "einfachen Mann", dem Schwarz-Geld demnächst "das letzte Hemd ausziehen" werde.
Dass das nicht wie von Ex-Fastkanzler Walter Steinmeier vorhergesagt direkt nach der Wahl geschehen ist, hatte für viel Enttäuschung bei den Enttäuschten gesorgt. Wieder habe die SPD ein Wahlverprechen gebrochen, hieß es bei Benachteiligten. Statt die kalte neoliberale Klinge auszupacken, um harte soziale Einschnitte vorzunehmen, hatte das neue Kabinett Merkel unter dem Namen "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" Steuersätze gesenkt und das Kindergeld erhöht.
Steinmeier aber macht keinen Rückzieher, sondern nutzt seine fulminante Rede in Dresden, um das gegebene Wahlversprechen zu erneuern: Spätestens im Mai 2010 werde es soweit sein, rief er den Delegierten zu. Bis dahin habe sich die neue Koalition in Berlin entschlossen, eine völlig verantwortungslose Politik nach dem Vorbild der abgewählten Großen Koalition zu machen. Wie bei SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, der Milliardenschulden machte, um Autokäufern bei der Neuwagenfinanzierung zu helfen, verschulde die Regierung das Land langfristig, um kurzfristige Steuergeschenke machen zu können. Das sei natürlich ungeheuerlich, sagt auch der neue Parteichef Sigmar Gabriel, der sich für ein bisschen Promotion schon mal von einem Parteigenossen wünscht, dass der ihn bei McDonalds erwischt und das Foto davon als Bild-Leserreporter veröffentlicht (Repro oben).
Mit einer verantwortlich handelnden Sozialdemokratie in Regierungsverantwortung wäre das nie passiert, sondern ganz genauso. Aber das sagt hier niemand. "Wir sind die alte Garde" singt der Parteitag, der mit der früheren Managermatratze Andrea Nahles, dem Berliner Partylöwen Klaus Wowereit, dem Popmusikexperten Gabriel und dem alten Gerhard-Schröder-Getreuen Olaf Scholz alles an die Spitze wählt, was aus den großen Tagen der Schröder-Fischer-Regierung noch nicht im Rentenalter ist. Gemeinsam will die ehemalige zweite Reihe der ehemaligen Volkspartei nun die "Deutungshoheit" (Gabriel) für die Interpretation der Weltläufte zurückerobern. Es gibt keine Inhalte, keine Visionen, keine Botschaften. Außer der, wie wichtig es sei, darüber zu sprechen, welche man denn am besten haben sollte, um möglichst schnell zurückzukehren in "Verantwortung" (Gabriel), wie der hier gebräuchliche Code für Macht und Posten heißt.
Eine Selbsthilfegruppe, die nach der Macht strebt, um sie zu haben, nicht um sie zur Erreichung irgendwelcher Ziele zu nutzen. Denn Ziele hat die SPD derzeit keine außer dem, welche zu finden, die konsensfähig genug sind, sie zurückzubringen an die Fleischtröge der Kabinettstische. Doch die Gesellschaft, von der aus die alte neue SPD in Dresden auf die Suche nach einer Gestaltungsperspektive geht, ist eine rein virtuelle. Menschen im Deutschland des Jahres 2009 tragen in der Gedankenwelt des Walter Steinmeier ernsthaft ein "letztes Hemd", denn sie sind seiner Ansicht nach ja "einfache Leute" und sie lechzen deshalb natürlich nach immer nur noch mehr Verteilungsgerechtigkeit.
Mutterschutz fürs Vaterland, dass ist die Glücksvorstellung der Sozialdemokratie in ihrem 142. Jahr. Das ganze Leben soll betreutes Wohnen sein, statt Vertrauen in die Eigenverantwortung der Menschen zu wagen, sieht die "neue" SPD sich ganz im Stil der alten lieber als Kindergärtner für die Gesamtbevölkerung. Diese Vorstellung allein hält die auseinanderfliegenden Flügel der Sozialdemokratie noch zusammen - dass Verkäuferinnen ein Vollkaskoleben wollen, Bauarbeiter Rundumbetreuung brauchen wie Werbegrafiker ein warmes sozialdemokratisches Kuschelsofa, dass sich ein ganzes Land mit Mindestlohn und Pornosperre, mit Alcopopbann und Feinstaubfilter, mit Verboten und Regulierungen in allen Lebensbereichen spielen lässt wie eine große willenlose Marionette.
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5 Kommentare:
Genau, Schwarz-Geld wird das letzte Hemd ausziehen. ;)
heisst das nicht so?
ppq,
wie lange braucht Ihr eigentlich für so einen Artikel?
(Bis ich alle Feinheiten entdeckt und mich daran ergötzt habe, vergehen ja schon kleine Ewigkeiten.)
Neugierig
FG
@ anonym
Nicht lange genug. Der letzte Satz geht dann doch in die Irre der verschachtelten Nebensätze und ergibt auch nach dreimaligem Lesen noch nicht viel Sinn.
Davon abgesehen, ist der Text aber ganz unterhaltsam.
@ flash: was den letzten satz betrifft, gebe ich dir recht. man kann aber immerhin mutmaßen, was gemeint ist, oder?
ich fühlte mich in dem moment einfach nicht mehr in der lage, der spd ein angemessen schlüssiges ende zu geben.
@anonym: keine ahnung. mal so, mal so. aber nicht sehr. die sind ja fertig, man muss sie dann nur noch abtippen.
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