Es ist eine der großen unerzählten Geschichten des neuen, wiedervereinigten Deutschland, die an diesem Abend beim Festempfang des deutschen Botschafters im kolumbianischen Bogota ihre Klimax findet. Der Saal der alten Patrizier-Villa ist strahlend hell erleuchtet, die Anzüge sind festlich, die Damen schön. Und mittendrin strahlt Reinhold Herger, um die Hals die Kette des Bundesverdienstkreuzes am Bande, das er eben aus den Händen von Botschaftsrat Walter Radebutz erhalten hat – von dem Diplomaten im Auftrag von Bundespräsident Horst Köhler geehrt als einer jener jungen, quicken Innovatoren, die das Bild der gesundenden Nation im Ausland neu prägen.
Es war Herger nicht in die Geburtsurkunde gestempelt, dass er einst ausziehen würde, die Welt zu erobern. Geboren als Sohn eines Grenztruppenoffiziers der DDR und einer heute wohl als „Consultant“ annähernd exakt zu bezeichnenden Sachbearbeiterin, wuchs der der kleine Reinhold im ostdeutschen Örtchen Hüttenrode auf. „Eine glückliche Kindheit“, beschreibt er heute, und er denkt dabei an lange Spielnachmittage in dunklen Wäldern, Wanderungen durchs Sperrgebiet und das Sammeln von Kaugummibildern. Als die Mauer fällt, platzen Hergers Träume von einer Karriere wie der des Vaters, den er verehrt und liebt. Enttäuscht von der politischen Entwicklung wendet sich der Teenager konzentriert dem Alkohol zu. Seine schulischen Leistungen lassen nach, er hört viel Rockmusik und bricht eine Ausbildung zum Hexentanzplatzführer ebenso ab wie später ein Studium als Glasblaskultur-Katalogisierer.
Reinhold Herger zieht hinaus in die Welt. Ziellos bereist er alle fünf oder sechs Kontinente, je nachdem, wie gezählt wird. In Asien hängt er mit heterosexuellen Dragqueens ab, in Neuseeland arbeitet er auf einer Schaffarm, in Südamerika lebt er inmitten eines unentdeckten Indianerstammes, der noch auf die althergebrachte Art mit Vogelbeeren jagt.
In langen Gesprächen, so berichtet Herger, habe er mit den Alten des Stammes über die Welt draußen und seinen Ort darin geredet, immer wieder. So sei ihm klar geworden, dass er nicht ewig im Dschungel würde bleiben können. Andererseits habe er erkannt, dass der Weg zurück umso weiter werden würde, je weniger konkret er seine Ziele umreiße.
Einmal mehr war es der Zufall, der dem Mann mit den sympathischen Lachfältchen um die Augen weiterhalf. Lange schon vor seiner Flucht in den Urwald war ihm aufgefallen, wie zahlreich und eintönig zugleich die Fastfood-Kost des westlichen Zivilisation war. „Immer nur Burger, immer nur Sandwiches, immer nur Pizza“, beschreibt Herger, der bei den Indios zahllose Rezepte zur Zubereitung von frischgefangenen Singvögeln kennengelernt hatte.
Es galt nun nur noch, zwei und zwei zusammenzurechnen, und das fiel Reinhold Herger nicht schwer. Eine Genehmigung der Provinzregierung von St. Augustin vor der Küste Kolumbiens, für die Herger seiner Erinnerung nach 300 US-Dollar zahlen musste, gestattete ihm nicht-geschützte Vögel, aber auch sogenannten „unerwünschten Beifang“ - also Exemplare geschützter Arten, die irrtümlich in eigens aufgestellte Netze gegangen waren - in seinem kleinen Restaurant an der Flaniermeile der bei Touristen beliebten Stadt anzubieten.
„Hot Bird“, wie Herger seine „gemütliche kleine Brutzelbude“ (Herger) nannte, brummte dank exotische Gerichte wie Spatz am Spieß, geröstetem Ibis oder gesottenem Papagei im eigenen Federmantel. Von Touristen bis zu Fernfahrern, über Familien bis zu Geschäftspartnern gönnten sich unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen ein paar gegrillte Kolibris zwischendurch oder einen sauer eingelegten Graureiher. Das Motto "No Frying, No Fat. No Oil" sprach sich herum, Leckerbissen wie saurer Sittich oder Drossel-Döner fanden immer mehr Freunde. Schnell öffnete der Harzer ein zweites Restaurant, ein drittes folgte. Mit der Eröffnung von zwei Filialen im Nachbarland Venezuela ließ Herger auch öffentlich erkennen, dass er einem Kampf mit den Platzhirschen McDonalds, Starbucks und Wendys nicht aus dem Weg gehen wollte.
Seinen Namen hatte er da schon geändert: Aus Reinhold Herger war „Bird Reynolds“ geworden, so hatten ihn die indianischen Freunde stets genannt. Reynolds schuf sich mit der Hot Birds Inc. Ein Investmentvehikel, das die weitere Expansion der Kette vorantreiben sollte, mit Angelo Traviri holte er einen erfahrenen Singvogelkoch aus Italien, um die indianischen Rezepte zu ergänzen und für den Großküchenbedarf zu optimieren.
Der Erfolg gab ihm recht. Mit 33 feierte Reynolds die Eröffnung des 333. Hot Bird-Restaurants. Auf der Party in Sarasota im US-Bundessaat Delaware, wohin er den Firmensitz auf Anraten der Kreditanstalt für Wiederaufbau verlegt hatte, ließ er das Dresdner Gewandhausorchester die „Vogelhochzeit“ spielen, ehe die für diesen einen Tag reformierten „Byrds“ bekennende Singvogel-Fans wie Angelina Jolie, Walter Momper, Billy Joel und Sasha Grey mit ihren größten Hits zum Tanz baten.
„Ich hatte alles erreicht“, denkt Bird Reynolds an diese Zeit zurück. Der US-Konkurrent Burger King hatte ihm ein Angebot unterbreitet, Hot Bird komplett zu übernehmen. McDonalds begann, Singdrossel-Wochen einzuführen. „Wendys“ kopierte mit dem „Kolibri-Grillspieß“ das erfolgreichste Hot-Bird-Gericht. „Aber natürlich ohne dass die Vögel wirklich so zart waren, dass man sie wie unsere komplett im Mund zerknuspern lassen konnte“, lächelt Reynolds, der 20 Jahre nach dem Mauerfall ganz anders über das Ereignis denkt, das ihm und seiner Singvogelküche erst die Tür zum Gaumen der Welt öffnete. "Heute bin ich dankbar dafür, dass das damals passiert ist", sagt er, "aber ich glaube, jeder der bei uns schonmal eingelegten Reiher oder panierten Leierschwanz gegessen hat, ist das auch."
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4 Kommentare:
ah, ist das krank, herrlich
mich gruselte auch beim reinbeißen in die marinierte möwe, ehrlich
schmeckte aber dann ganz lecker
Ein typischer Fall von Kolonialismus. Ohne die Rezepte der indigenen Bevölkerung wäre ihm nichts gelungen. Das ist ein Fall für die UNO!
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