Dienstag, 8. September 2009

Rädchen in der Apathiemaschine

Kurz vor der "heißen Phase des Wahlkampfes", die sicherlich von Lafontaine, Merekel oder gar von Steinmeier irgendwann am Nachmittag des 24. September eingeläutet werden wird, fällt allmählich auf, dass der Wähler mittlerweile nicht mehr nur im Privatradio angesprochen wird, als sei er ein leicht debiler Trottel, sondern durchweg auf allen Fernsehkanälen. Ein Besuch bei Will, Plaßbeck oder der als "Tagesschau" reanimierten "Aktuellen Kamera" - und schon fühlt sich der mündige Bürger, als sei er zufällig in die "Sendung mit der Maus" geraten, wo einem dauernd jemand fürsorglich erklärt, wie Scher´und Licht eigentlich funktionieren.

Überall wird auf eine möglichst eingängige Formel gebracht, was als politische Botschaft vorgezeigt wird, ohne eine zu sein. Wer dem inhaltsleeren Gebrabbel Marke "Wissen macht ahhhh!" mit von den machern ungeplanter Aufmerksamkeit folgt, findet sich unversehens in einem Land und unter Leuten wieder, die ihm völlig fremd sind: Überall lauert offene und versteckte Armut, alle Menschen haben panische Angst vor Heute, Morgen, den Taliban, der Wirtschaftskrise, dem Weltklima; davor, ein falsches Wort zu sagen, und vor allem davor, von ihren Politikern die Wahrheit gesagt zu bekommen. Kinder sind arm, Rentner fürchten um ihre Rente, Handwerker schuften zu Billiglöhnen, Alleinerziehende stehen vor den Suppenküchen Schlange.


Nie war die Welt schrecklicher! Nie das Leben grausamer! Die Parteien nun versichern kollektiv, sie hätten die Lösung für diese Probleme, die im wahren Leben natürlich keine sind. Alle versprechen Gerechtigkeit, als ob hierzulande pure Willkür und frühindustrielle Ausbeutung regierten, alle sagen uns niedrigere Managergehälter, sozial ausgewogenere Steuern, mehr Frieden und mehr Sicherheit zu.

Es ist ein Beruhigen und Beschwichtigen in der Luft: Dein Geld ist sicher. Dein Arbeitsplatz wird erhalten. Die Rente bekommst Du in voller Höhe und noch ein bisschen obendrauf. Und aus Afghanistan planen wir den Abzug in Zeiträumen, in denen Hitler einst ganze Weltkriege unterbrachte: Der Führer wollte damals Linz zur schönsten Stadt der Welt machen, sobald alle Kriegsgegner niedergeworfen gewesen wären - von 1939 aus gerechnet spätestens 1950. Heute, in Ermangelung der Möglichkeit, im Jetzt zu regieren, plant die Große Koalition der Nationalen Front in ähnlichen Zeiträumen. 2015 der Abzug aus Afghanistan. Ab 2019 keine neuen Schulden mehr. 2020 die Abschaffung der Arbeitslosigkeit. 2050 die Rettung des Weltklimas.

Frau Merkel ist dann 96 Jahre alt, sie wird bei "Beckmann" oder "Kerner" oder, das ist am wahrscheinlichsten, bei beiden sitzen, aussehen wie aus Stein gebrannt und erzählen, wie sie das alles geschafft hat. Denn für all das, versichern die Parteien, sorgen wir, Deine Parteien, denn wir sind Dein Staat, wenn Du nur bereit bist, uns noch einmal das Vertrauen zu geben, das wir bis hierher noch jedes Mal so zuverlässig enttäuscht haben.

Dabei sind wir ja gar nicht so. Wir sind nicht alle bedürftig, die meisten wollen es nicht einmal sein. Viele von uns fahren Autos, manche sogar größere Modelle, wie sie in Berlin Kreuzberg lieber nicht auf der Straße geparkt werden sollten. Wir kommen gut zurecht, ohne dauernd beschützt zu werden, wir lesen meist nicht einmal das Kleingedruckte in den Garantieheften unserer neuen LCD-Fernseher, Laptops und Handys. Gehungert haben wir das letzte Mal, als Erich Honecker noch an der Macht war und der Spätverkauf wegen Inventur geschlossen hatte. Seitdem können wir sogar vergessen einzukaufen, dann gibt es eben Bringepizza oder Döner.

Aber wenn Wahlkampf ist, darf keine Wirklichkeit sein. Wir hätten keinen Cent mehr, würde man allen Manager des Landes die Hälfte ihres Einkommens nehmen, denn wir sind nicht arm und wir werden nicht reich werden. Aber wir sind es ja auch nicht, die als Stimmvieh interessieren. Unter der Kanonade dreister und dummer Politparolen verändert das deutsche Volk wie von Zauberhand seine Zusammensetzung: Zurück bleibt ein nach Betreuung und Bemutterung lechzendes Kollektiv an Menschen, dem man auf Streichholzschachteln mitteilen muss: "Vorsicht, kann zu Bränden führen" und auf Sprayflaschen rät "Nicht inhalieren". Der Bürger aus den Sonntagsreden, der seinen Platz im Gemeinwesen engagiert ausfüllen und seinen Status als freier, selbstverantwortlicher Mensch eigenverantwortlich verteidigen soll, ist Objekt der Zwangszuwendung der großen Mutter Staat, ein Rädchen in der Apathiemaschine, das sich den letzten Rest Freiheit nimmt, der ihm bleibt - und sich abwendet, wo er nur kann.

9 Kommentare:

Friederich hat gesagt…

Produktwarnungen müssen aber sein, sonst geht einfach zu viel schief und die Leute fangen an,ihre Haustiere nach dem Baden in der Mikrowelle zu trocknen.

WICHTIGE INFORMATION FÜR DEN KÄUFER: Das gesamte Universum, einschließlich dieses Produktes, kann eines Tages zu einem unendlich kleinen Punkt kollabieren. Sollte daraus wiederum ein neues Universum entstehen, kann die Existenz dieses Produktes darin nicht garantiert werden.

WARNUNG DES INNENMINISTERS: Jeder Gebrauch dieses Produktes erhöht die Unordnung im Universum (Entropiegesetz). Dieser Prozeß führt mit Sicherheit zum Wärmetod des Universums.

drWhiet hat gesagt…

großartig .. einfach großartig .. am besten an alle Freunde tweeten .. !

Eisenschwein hat gesagt…

jau, ganz großes kino. wunderbar.

Anonym hat gesagt…

Herrlich! Großartig zusammengefast! Danke für den Text!

Calimero

Anonym hat gesagt…

Supergut. Trifft genau auf den Punkt. Danke und Grüße Alexander

Pisaner hat gesagt…

Wenngleich ich eigentlich nicht mehr mitreden kann,weil ich das Politzeugs im Fernsehen nur noch sehr selten und dann meist auch nur kurz ansehe, auch von mir Glückwunsch und Dank für diesen treffenden Text.

ppq hat gesagt…

dankedanke, war nur ein rülpser, der raus musste

nwr wahlprog btw 2009 hat gesagt…

Die Wahl ist doch eh schon gelaufen, bei dem Vorsprung, den die Piratenpartei hat ... http://tinyurl.com/prog2009

ppq hat gesagt…

uh ja, da oben rechts bei uns ja auch. aber ganz ehrlich: das wird sich nicht durchsetzen, das ganze internetzeug. wenn erst die generation ausdruck zur urne schreitet, sieht das alles wieder anders aus