Wir sind Paul!

Die Stadt der Verlierer, das industriell tote rote Herz Ostdeutschlands, bewohnt von einem bärbeißigen Menschenschlag, der wenig redet und viel trinkt, regiert von Kleingeist und Klüngel hat einen neuen Helden, einen Weltrekordmann, der Halle zurückgekrault hat auf die Landkarte der Sportgeschichte. Paul Biedermann, zweifacher Sieger der Weltmeisterschaft in Rom, wurde in Halle nicht eben triumphal empfangen, denn triumphal gibt es hier nicht. Doch freundlich war die Begeisterung, die dem einzig ungedopten Schwimmweltmeister aus der Saalestadt beim Empfang auf dem Marktplatz entgegenschwappte. Gerry Kley, ehemaliger Sozialminister, kam auf dem Fahrrad, ein Spielmannszug polterte auf ohrbetäubenden Trommeln, ein paar Punks führten ihre Hunde eng an der Leine, ein städtisches Theater hatte einen echten roten Teppich spendiert.

Frisch gefönt animierte ein Moderator die Menge dazu, "Paul kann Kraul" zu intonieren, doch soweit hinunter in die Keller der Gossenlyrik begibt sich der Nachfahre der Salzwirker und Halsabschneider nicht: Es bleibt still auf dem Platz, der erst auftaut, als der zu rufende Chor in "Biedermann - schwimm du voran" geändert wird. Das kennen sie hier noch aus der Aktivistenbewegung, das hat die Rhythmik der Großindustrie, das atmet die feuchte Luft einer volkseigenen Schwimmhalle. "Wir sind Paul" sagt niemand. Doch nach der Erringung des Titels "Stadt der längsten Picknickdecke", der Verteidigung des Rufs, das Mekka der Trabbisammler zu sein, und dem fastaufstieg des örtlichen Fußballvereins in die immerhin schon 3. Liga ist Paul Biedermann ein neuer Beleg dafür, dass Erfolg einen Namen hat: Halle an der Saale.