In einer Stadt zu wohnen, in der traditionell alles schief geht, ist für die Einheimischen nicht einfach. Noch schwieriger war es jahrelang, dem örtlichen Fußballklub die Treue zu halten. Wann immer der Hallesche FC sich nach einem letzten Höhenflug in der allerletzten DDR-Oberligasaison und einem nachfolgenden Absturz bis in die fünfte Liga anschickte, irgendwo oben mitzuspielen, folgte das böse Erwachen mit atemabschnürender Konsequenz: Hätte der Stadtrivale VfL Halle geschlagen werden können, fielen Fallschirmspringer ohne Schirm in eine Zuschauermenge vor der Kassenschlange. Das Spiel fiel aus, das Nachholspiel wurde verloren. Hätte die Tabellenspitze in der fünften Liga anvisiert werden können, trank der Trainer mehr als er vertrug. War der Aufstieg endlich geschafft, folgte der Abstieg mit einer Konsequenz, mit der sonst nur auf jedes Wahlversprechen der Ruf "Schieber, Schieber" folgen würde, wäre Wahl ein Fußballspiel.
Irgendwann aber galten die alten Gesetze nicht mehr. Irgendwann hatte Sven Köhler das Amt des HFC-Trainers übernommen - ein semiberühmter Ex-Profi aus Chemitz, das einst Karl-Marx-Stadt geheißen und als das Hannover des Ostens nicht eben berühmt geworden war. Köhler fand eine Mannschaft vor, und er begann, mit ihr zu gewinnen.
Anderthalb Jahre später schon spielt der hallesche Fußballklub, den seine Fans noch immer selig "Chemie" oder "der Klub" nennen, eine Liga höher. Und ganz oben mit. Gegen Babelsberg, den Tabellendritten der 4. Liga, geht es plötzlich um den zweiten Aufstieg in zwei Jahren. Gewinnt Halle, wird der Verein zum ersten Mal seit 25 Jahren Tabellenführer einer Liga sein, die keine "4" oder "5" im Namen trägt.
Stürmer Markus Müller, im Winter eingekauft, weil die bis dahin fürs Toreschießen verantwortlichen Spieler nur knapp mehr Treffer erzielt hatte als die beste Abwehr aller vier deutschen Profiligen (die des HFC) zugelassen hatte, war noch nicht geboren, als Dariusz Wosz, Rene Tretschok und die anderen Spieler von HFC-Trainer Karl Trautmann die DDR-Oberlige aufrollten. Aber aufs Aufrollen versteht sich der aus Aue stammende 20-Jährige: Minute vier im "Spiel des Jahres" gegen Babelsberg, das auf den 2:1-"Sieg des Jahres" gegen Tabellenführer Kiel folgt. Müller nimmt eine Art Befreiungsschlag der HFC-Abwehr. Und läuft, zwei flankierende Babelsberger ignorierend, aufs Tor zu. Um das mit einem straffen Schuss aus 15 Metern kurzerhand zu erschießen.
Babelsberg, das vorletztes Jahr noch pleite war, aber durch einen Sieg selbst noch einmal hätte zurückkehren können ins Land der Aufstiegsträume, ist geschockt. Und Müller noch lange nicht befriedigt. Eine Viertelstunde und handgemalte vier großartige Chancen später wirft er sich in eine Ecke von Torsten Görke. Und macht auch noch das 2:0.
Spiel gewonnen, Tabellenspitze erobert. Auf der Tribüne wird nur noch diskutiert, ob Babelsberg, als "die Babelszwerge" einst eine flüchtige Zweitligasensation, fünf oder sieben "Dinger" bekommt.
Sven Köhlers Mannschaft aber schießt nur Tore, wenn sie unbedingt muss. Hier muss sie nicht. Der HFC, angefeuert von 3500 Fans, die unentwegt "Chemie" und "Halle" schreien, zieht sich zurück und lässt die von Ex-HFC-Kapitän Almedin Civa geführten Babelszwerge kommen. So eingeladen, schießen die etliche Male aufs hallesche Tor. Aber erst als HFC-Torwart Darko Horvat beschließt, dem anstürmenden Moritz den Ball an der Mittellinie vom Fuß zu fischen, gelingt dem kurzerhand vor Horvat köpfenden Babelsberg-Angreifer eine Bogenlampe, die zum Anschlusstreffer führt.
Der Rest ist Angst. Angst davor, dass am Ende doch wieder alles so sein wird wie es immer war. Halle steht hinten und wartet auf Konter. Der Schiri pfeift für Babelsberg oder doch wenigstens nicht für den HFC. Und von der Tribüne werden die Herzkranken im Minutenrhythmus getragen. Würden, wenn da welche wären - aber die sind ja alle in der Saison gestorben, als der HFC insgesamt nur drei Punkte holte. Gegen Hettstedt, Glaswerk Jena und andere Siedlungen, die inzwischen längst aufgegeben wurden.
Köhler aber hat aus den Rotweißen, denen das Verlieren in den Genen steckte, Männer gemacht, die gewinnen wollen. Christian Kamalla, ein Fußball-Handwerker, der seine Karriere schon hatte beenden wollen, weil er glaubte, sein Talent reiche nicht für die fünfte Liga, knallt im Spitzenspiel der 4. nicht mehr nur Bälle besinnungslos auf die vollbesetzte Tribüne. Nein, der Saaleballack lässt anstürmende Gegner ins Leere laufen, er trickst und fintet und eröffnet das Spiel von der Innenverteidigerposition, als habe ihm das jemand erlaubt.
Der Verantwortliche draußen auf der Bank kaut Kaugummi dazu, trinkt literweise Wasser und schaut zu, wie seine Mannschaft mehr und mehr zurückgedrückt wird. Gelegentliche Konter verebben, weil der eingewechselte Pavel David versucht, von der Mittelinie aus aufs Babelsberger Tor zu schießen. Weil der Schiedsrichter ein Foul an Nico Kanitz ebenso für eine Schwalbe hält wie eines an Finke. Und weil der von angeblich schon allerlei Bundesligisten umworbene Innenverteidiger Adli Lachheb aus zwei Metern lieber vorsichtig in die Arme des Babelsberger Torwarts köpft als vorzeitig die Spannung aus dem Match zu nehmen.
Die bleibt nicht nur erhalten, sie steigt mit jeder abgelaufenen Minute. Babelsberg drückt, ohne zu Chancen zu kommen. Halle kontert, ohne dass es direkt torhungrig aussieht. Sven Köhler trinkt an der Seitenlinie Liter um Liter, Co-Trainer Dieter Strozniak, ehemals DDR-Nationalspieler und in der legendären Drei-Punkte-Saison Mannschaftskapitän, ist inzwischen versteinert.
Aus der Fankurve rufen sie "Chemie", von der Tribüne schallt "Halle" zurück. Es war nicht alles schlecht in der DDR und nur der BFC war eine wirkliche Unrechtsmannschaft. Babelsberg ist mehr Potsdam als Berlin, Almedin Civa und seine Männer liefern einen fairen Kampf, ohne die Hallenser je zu überfordern. Die haben in den 26 Ligaspielen zuvor 14 Tore kassiert und 24 geschossen, das 2:1 ist also statistisch gesehen genau das Ergebnis, mit dem jeder Abonnent des "Rennkurier" gerechnet hätte.
Ob nun deshalb oder trotzdem bleibt ungeklärt, aber nach siebzig hohen Flanken von Babelsberg, die "Horvat, unser Torwart" (Fankurve) flüssig herunterpflückt, und einem Dutzend misslungener Konter bleibt es dann doch dabei. Markus Müller fällt mit dem Schlusspfiff glücklich auf die Knie, als sei die Champions League endlich mal wieder gewonnen. Kamalla klatscht Horvat ab, Schubert herzt Lachheb, Finke drückt Neubert. Die Tribüne liegt sich in den Armen, die Ungläubigen heißen nicht mehr Thomas. Der HFC siegt und ist Tabellenführer. Verliert Kiel gegen Lübeck, ist der HFC wieder da, wo er schonmal war: In Liga drei.
Wo er hingehört.
Irgendwann aber galten die alten Gesetze nicht mehr. Irgendwann hatte Sven Köhler das Amt des HFC-Trainers übernommen - ein semiberühmter Ex-Profi aus Chemitz, das einst Karl-Marx-Stadt geheißen und als das Hannover des Ostens nicht eben berühmt geworden war. Köhler fand eine Mannschaft vor, und er begann, mit ihr zu gewinnen.
Anderthalb Jahre später schon spielt der hallesche Fußballklub, den seine Fans noch immer selig "Chemie" oder "der Klub" nennen, eine Liga höher. Und ganz oben mit. Gegen Babelsberg, den Tabellendritten der 4. Liga, geht es plötzlich um den zweiten Aufstieg in zwei Jahren. Gewinnt Halle, wird der Verein zum ersten Mal seit 25 Jahren Tabellenführer einer Liga sein, die keine "4" oder "5" im Namen trägt.
Stürmer Markus Müller, im Winter eingekauft, weil die bis dahin fürs Toreschießen verantwortlichen Spieler nur knapp mehr Treffer erzielt hatte als die beste Abwehr aller vier deutschen Profiligen (die des HFC) zugelassen hatte, war noch nicht geboren, als Dariusz Wosz, Rene Tretschok und die anderen Spieler von HFC-Trainer Karl Trautmann die DDR-Oberlige aufrollten. Aber aufs Aufrollen versteht sich der aus Aue stammende 20-Jährige: Minute vier im "Spiel des Jahres" gegen Babelsberg, das auf den 2:1-"Sieg des Jahres" gegen Tabellenführer Kiel folgt. Müller nimmt eine Art Befreiungsschlag der HFC-Abwehr. Und läuft, zwei flankierende Babelsberger ignorierend, aufs Tor zu. Um das mit einem straffen Schuss aus 15 Metern kurzerhand zu erschießen.
Babelsberg, das vorletztes Jahr noch pleite war, aber durch einen Sieg selbst noch einmal hätte zurückkehren können ins Land der Aufstiegsträume, ist geschockt. Und Müller noch lange nicht befriedigt. Eine Viertelstunde und handgemalte vier großartige Chancen später wirft er sich in eine Ecke von Torsten Görke. Und macht auch noch das 2:0.
Spiel gewonnen, Tabellenspitze erobert. Auf der Tribüne wird nur noch diskutiert, ob Babelsberg, als "die Babelszwerge" einst eine flüchtige Zweitligasensation, fünf oder sieben "Dinger" bekommt.
Sven Köhlers Mannschaft aber schießt nur Tore, wenn sie unbedingt muss. Hier muss sie nicht. Der HFC, angefeuert von 3500 Fans, die unentwegt "Chemie" und "Halle" schreien, zieht sich zurück und lässt die von Ex-HFC-Kapitän Almedin Civa geführten Babelszwerge kommen. So eingeladen, schießen die etliche Male aufs hallesche Tor. Aber erst als HFC-Torwart Darko Horvat beschließt, dem anstürmenden Moritz den Ball an der Mittellinie vom Fuß zu fischen, gelingt dem kurzerhand vor Horvat köpfenden Babelsberg-Angreifer eine Bogenlampe, die zum Anschlusstreffer führt.
Der Rest ist Angst. Angst davor, dass am Ende doch wieder alles so sein wird wie es immer war. Halle steht hinten und wartet auf Konter. Der Schiri pfeift für Babelsberg oder doch wenigstens nicht für den HFC. Und von der Tribüne werden die Herzkranken im Minutenrhythmus getragen. Würden, wenn da welche wären - aber die sind ja alle in der Saison gestorben, als der HFC insgesamt nur drei Punkte holte. Gegen Hettstedt, Glaswerk Jena und andere Siedlungen, die inzwischen längst aufgegeben wurden.
Köhler aber hat aus den Rotweißen, denen das Verlieren in den Genen steckte, Männer gemacht, die gewinnen wollen. Christian Kamalla, ein Fußball-Handwerker, der seine Karriere schon hatte beenden wollen, weil er glaubte, sein Talent reiche nicht für die fünfte Liga, knallt im Spitzenspiel der 4. nicht mehr nur Bälle besinnungslos auf die vollbesetzte Tribüne. Nein, der Saaleballack lässt anstürmende Gegner ins Leere laufen, er trickst und fintet und eröffnet das Spiel von der Innenverteidigerposition, als habe ihm das jemand erlaubt.
Der Verantwortliche draußen auf der Bank kaut Kaugummi dazu, trinkt literweise Wasser und schaut zu, wie seine Mannschaft mehr und mehr zurückgedrückt wird. Gelegentliche Konter verebben, weil der eingewechselte Pavel David versucht, von der Mittelinie aus aufs Babelsberger Tor zu schießen. Weil der Schiedsrichter ein Foul an Nico Kanitz ebenso für eine Schwalbe hält wie eines an Finke. Und weil der von angeblich schon allerlei Bundesligisten umworbene Innenverteidiger Adli Lachheb aus zwei Metern lieber vorsichtig in die Arme des Babelsberger Torwarts köpft als vorzeitig die Spannung aus dem Match zu nehmen.
Die bleibt nicht nur erhalten, sie steigt mit jeder abgelaufenen Minute. Babelsberg drückt, ohne zu Chancen zu kommen. Halle kontert, ohne dass es direkt torhungrig aussieht. Sven Köhler trinkt an der Seitenlinie Liter um Liter, Co-Trainer Dieter Strozniak, ehemals DDR-Nationalspieler und in der legendären Drei-Punkte-Saison Mannschaftskapitän, ist inzwischen versteinert.
Aus der Fankurve rufen sie "Chemie", von der Tribüne schallt "Halle" zurück. Es war nicht alles schlecht in der DDR und nur der BFC war eine wirkliche Unrechtsmannschaft. Babelsberg ist mehr Potsdam als Berlin, Almedin Civa und seine Männer liefern einen fairen Kampf, ohne die Hallenser je zu überfordern. Die haben in den 26 Ligaspielen zuvor 14 Tore kassiert und 24 geschossen, das 2:1 ist also statistisch gesehen genau das Ergebnis, mit dem jeder Abonnent des "Rennkurier" gerechnet hätte.
Ob nun deshalb oder trotzdem bleibt ungeklärt, aber nach siebzig hohen Flanken von Babelsberg, die "Horvat, unser Torwart" (Fankurve) flüssig herunterpflückt, und einem Dutzend misslungener Konter bleibt es dann doch dabei. Markus Müller fällt mit dem Schlusspfiff glücklich auf die Knie, als sei die Champions League endlich mal wieder gewonnen. Kamalla klatscht Horvat ab, Schubert herzt Lachheb, Finke drückt Neubert. Die Tribüne liegt sich in den Armen, die Ungläubigen heißen nicht mehr Thomas. Der HFC siegt und ist Tabellenführer. Verliert Kiel gegen Lübeck, ist der HFC wieder da, wo er schonmal war: In Liga drei.
Wo er hingehört.
3 Kommentare:
Fussballlegastheniker ist ein hartes Wort Herr Redakteur und auch übertrieben, wenn sie denn meinen er könne Fussball nicht spielen.
Sollten sie aber zum Ausdruck bringen wollen, Kamalla könne ein Spiel nicht lesen, so mögen sie vielleicht recht haben. Seine Jugendlichkeit mag das aber entschuldigen ebenso die Tatsache, daß er, sie erwähnten es dankenswerter Weise, ja gar nicht mehr daran glaubte, für eine Mannschaft wie unseren HFC auflaufen zu dürfen, manchen sagen zu müssen.
du hast recht. ich habs korrigiert
mmm..., wenn man schon soeinen bericht schreibt, dann sollte man wenigstens keine falschen dinge reinschreiben. denn unser verein war definitiv letztes jahr nicht pleite.
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