Neubert vergibt, Görke trifft nicht, Kanitz zieht drüber. Halbe Stunde gespielt in Kiel und Holstein führt im Spitzenspiel gegen den Halleschen FC seit der 19. Minute mit 1:0. Kiel, sagt der Mann von Radio Nora, spiele überlegen, Halle tut, was es immer tut: Hinten sicher stehen und auf Konter warten. Das geht dann schief, wenn es einmal schief geht wie vorhin, als Tim Siedschlag nach einem Fehler von Kamalla einschob. Unter den Augen von 1000 Hallenser Fans, wie die Heimatzeitung in ihrem Liveticker vorzählt. Der HFC ist keine Offensivmannschaft, aufs Toreschießen verstehen sie sich nicht ansatzweise so gut wie aufs Toreverhindern. Mannschaftskapitän Nico Kanitz hatte vor dem Spiel des Jahres dennoch angekündigt, man werde "1:0 gewinnen oder 0:5 untergehen". Nach 40 Minuten sieht es nach untergehen aus, auch wenn der Heimatsender gerade meldet, der HFC sei "wenigstens gleichwertig".
Aus Kiel berichtet Radio Nora, Trainer Falko Götz werde in der Pause wohl zufrieden sein. Aus fünf Punkten Vorsprung wären bei einem 1:0-Sieg acht geworden, aus einem acht Tore besseren Torverhältnis neun. Halle muss nicht aufstiegen, aber wenn Halle aufsteigen will, muss es gewinnen. Die Mannschaft aus "dem schönen Sachsen-Anhalt" (Radio Nora) komme mit dem "schnellen, direkten Spiel tschup, tschup, tschup" der Kieler nicht zurande, mutmasst der Kieler Lokalpatriot. Sven Köhler, Trainer der Hallenser, könne "natürlich überhaupt nicht zufrieden sein".
Der Mann am Mikrophon ist mit dem Herzen dabei, versucht aber, es auch noch richtig heraushängen zu lassen. Gut vorbereitet ist er, viel zu sagen hat er nicht. Alles wartet auf die Halbzeitpause - Zeit, ein wenig was vom Ausscheiden der Hallenser im Uefa-Cup anno 1991 gegen Torpedo Moskau zu erzählen.
Rene Stark, heute für den verletzten Pavel David auf Rechtsaußen, liegt flach. Halbzeit. Kann nur besser werden.
Oder es wird schiefgehen, wie beim Halleschen FC traditionell viel schiefgeht, wenn es mal drauf ankommt. Schon zu DDR-Zeiten folgte hier stets eine grottenschlechte Halbserie, sobald es mal eine sehr gute gegeben hatte. War die ganze Saison gut, enttäuschte die darauffolgende umso entschiedener. Und war auch die wider Erwarten grandios, löste sich wie 1990 gleich die gesamte Liga auf, in der man gerade zum ersten Mal seit 1971 und bitteren Jahren in der 2. Liga endlich wieder in der Nähe der Tabellenspitze angekommen war.
Der tiefe Fall führte in ein langes, dunkles Tal - Torhüter verunglückten, Fallschirmspringer fielen in Zuschauermassen, der DFB wählte den HFC aus, um eine neue harte Linie gegen "Hassrufe" aus den Fankurven per Exmpel zu popularisieren.
Trotzdem spielen sie in Kiel nun gerade "Dancing In The Dark" über die Lautsprecher und die rot-weiß Quergestreiften, die vergangene Saison noch eine Liga tiefer kickten, haben es selbst auf dem Fuß, den zweiten Schritt zurück in Richtung Profi-Fußball zu machen.
45 Minuten sind noch Zeit, Kiel von rechts nach links im Stereobild aus dem Internetradio. Die Heimatzeitung konstatiert Gleichwertigkeit des HFC, Radio Nora kritisiert, Halle wolle wohl gar nicht in die Dritte Liga. "Der Druck ist da", orakelt es.
Der Meister von 1912 spielt hier gegen den Meister von 1949, Kiel aber hat derzeit die "breitere Brust" (Radio Nora). Wieder Freistoßchance für Kiel, bleibt aber bei der Chance. Spielt Halle noch mit? Im MDR-Videotext nicht: 50. Minute, "beide jetzt etwas vorsichtiger" heißt es da. Bei den Webhallunken geht es inzwischen um Stilkritik: Der Sprecher von Nora rede mit "monotoner, langweilender Stimme" und "ohne Punkt und Komma". Jetzt mangels Spielgeschehen darüber, dass es regnet, aber nur über der HFC-Fankurve, die nicht überdacht ist.
Immerhin ist die Führung nun nicht mehr "verdient" wie noch vorhin, sondern nur noch "gerechtfertigt". Hebestreit schießt im MDR aufs Kieler Tor, bei Radio Nora versucht Stier einen Schlenzer ins Tor von Darko Horvat. Beim MDR-Videotext steht es plötzlich 1:1. Ein Zeilenfehler, denn Tafel 240 hat eigenständig auf Tafel 239 umgeschaltet, wo Chemnitz gegen Hertha II spielt.
In echt immer noch 1:0 vor 7342 Zuschauern. Sven Köhler nimmt Thomas Neubert raus, Markus Müller kommt. 33 Minuten noch Zeit. Ausgleich, leider nur nach Gelben Karten, 1:1. "Halle wird besser", muss Radio Nora quengeln.
Mit längerer Spelzeit wird der Mann am Mikro aber zusehends wunderlich. Von "Hallern" aus "Sachsen" ist jetzt häufiger die Rede. Klingt nervös. Geht da noch was? Erzählt er nicht alles? Wenigstens erwähnt er zwischendrin den zweiten Wechsel: Görke raus, Kunze rein. Damit jetzt Rene Stark in der Mitte, Hebestreit als zweite Spitze, Kunze auf rechts Außen.
Die Krankheit aber ist immer dieselbe in dieser Saison. Halle kassiert rekordverdächtig wenige Treffer, im Durchschnitt nur aller drei Spiele eins. Doch Halle schießt eben auch zuwenig Tore: Im Durchschnitt eins pro Spiel. Klappt es vorn, gewinnen sie so meist, kassieren sie ein Tor, wird es nur ein Unentschieden.
Der Wechsel von Görke zu Stark ist taktisch keine Überraschung, denn taktische Überraschungen gibt es im Konzept von Sven Köhler eigentlich nicht. Kiel scheint aber inzwischen überzeugt, das Spiel entschieden zu haben. Da braucht es keine Überraschungen, sondern Männer. Männer wie Hebestreit, einst ein gefürchteter Torjäger, aber in Halle immer noch nicht richtig angekommen. Der Thüringer vergibt gerade "die beste Chance der Hallenser im Spiel". Typisch wäre, wenn es dabei bliebe: Kentern in Kiel nach einen sang- und klanglosen 0:1 - zweite Niederlage hintereinander nach zuvor 26 ungeschlagenen Partien.
Viertelstunde noch. "Druckphase vom HFC", berichtet der Heimatsender, "der Ausgleich liegt in der Luft", kommentiert die Heimatzeitung. "Jetzt kann es eine richtig heiße Endphase werden", fürchtet sich Radio Nora. Ein Gewitter an Plattitüden pladdert nieder: "Brotlose Kunst" und "enttäuschende Vorstellung", kommentiert der in seiner Storch-Ehre gekränkte Sprecher den Auftritt des HFC gerade. Dann muss er aber plötzlich die Stimme heben: Rene Stark köpft freistehend vorbei, wiedermal "die größte Chance des Spiels".
Die häufen sich jetzt. Wird Halle besser? Es hört sich an, als spielen sie, was sie können. Viel gehe durch die Mitte, Probleme hätten die Gäste beim Flanken, sagt Radio Nora. Klingt wie Pfeifen im Wald. Ja, das ist die Art, wie die beste halleschen Mannschaft seit zwei Jahrzehnten sich ganz nach oben gearbeitet hat. Begeisternden Offensivfußball spielen sie nicht, können sie auch nicht spielen. Aber "Halle bestimmt das Spiel", lässt der MDR die Hoffnung flackern, "jetzt kommt Halle", macht Radio Nora seinen norddeutschen Hörern Angst.
Holstein Kiel hingegen "wird nervös". "Das kann hier noch ganz, ganz hitzig werden", sagt der Mann von Radio Nora, ehe er die Hallenser wieder "Sachsen" nennt, als könnte das was nützen. Und plötzlich fällt der Ausgleich: Ronny Hebestreit schießt ein!!! 85. Minute, noch ist alles drin, denn wenn Halle ein Tor schießt, verliert es nie, zwei aber reichen in 90 Prozent der Fälle zum Sieg.
Der Nora-Mann ist sauer. Und traurig. "Bitter" nennt er den Ausgleich. "Uffta" aus der Halle-Kurve in Kiel. "Wahnsinn", lobt der an normalen Tagen von Fans des FCM regierte Heimatsender MDR. Und da kommt Müller. Zieht ab! Tor!!!! Halle führt! 2:1.
Recht so, denn Kiel hat ja nichts gemacht, die ganze Zeit nicht. Beim MDR steht es immer noch 1:1. Öffentlich-rechtlich halt. "Unverdient" sei die Führung, grämt sich Radio Nora zeitnäher. Marko Hartmann kommt noch für Rene Stark. Und Abpfiff. Halle siegt. Holt drei Punkte auf. Im Webhallunkenforum gesteht einer, er habe bei 2:1 vor dem Internetradio geweint. Warum auch nicht: Nur noch zwei Rückstand. Das Aufstiegsrennen wieder offen - es reicht ja, wenn Halle ganz am Ende lacht.
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