Es wird später diese eine Stelle geben im Spiel Hallescher FC gegen Hertha BSC II. Thomas Neubert, der lange Stürmer, der Halle in der Vorwoche gegen Hamburg für fünf Minuten an die Tabellenspitze geschossen hatte, umkurvt einen Gegenspieler, schirmt den Ball mit dem Hintern ab, dreht sich einmal, dreht sich zweimal, stolpert, fällt, spielt im Liegen weiter, krabbelt hoch, schirmt den Ball ab, blickt kurz hoch, um zu schauen, wo das Tor steht. Im selben Moment nimmt ihm ein Berliner den Ball vom Fuß.
Alles also wie immer in Halle: Mühe, Schweiß, ein bisschen Glück treffen auf ein bisschen Pech und eine Portion Unvermögen. Der HFC, seit Anfang Mai auf Meisterkurs, aber noch sechs Tore hinter Dauertabellenführer Kiel, beginnt stark, baut anschließend sofort stark ab und als Hertha gerade ausprobieren will, wie es sich eigentlich so in der halleschen Hälfte läuft, kombinieren Kamalla, Kanitz und Benes auf Linksaußen für ein paar Sekunden bundesligareif: Spielmacher Rene Stark, beim Auswärtsauftritt in Hamburg nur Mitläufer, zieht aus 15 Metern ab. 1:0, 10. Minute - nach allen Regeln der halleschen Kunst ist das Spiel damit gewonnen, denn Halle gewinnt immer, wenn es in Führung geht.
In Kiel steht es noch 0:0, Halle ist damit erstmal wieder Tabellenführer. Und allem Anschein nach entschlossen, es auch zu bleiben. Christian Kamalla, vergangenen Saison noch Ersatzspieler , spielt souverän, als habe es die 89. Minute von Hamburg nie gegeben, als er in Vertretung des HSV-Stürmers Shahin das Ausgleichstor für den HSV schoß. Hertha spielt jetzt offensiver, im Mittelfeld verlieren Görke und Finke nun gelegentlich auch mal einen Ball. Aber da ist ja immer noch Rene Stark: Nach 25. Minuten spielt Görke ihn diesmal auf Rechtsaußen an, im Fallen kullert der HFC-Kapitän den Ball Richtung Torpfosten. Von dem aus springt er hinter die Linie.
Damit könnte Schluß sein. Bei einem Zwei-Tore-Vorsprung hat Halle zum letzten Mal nach gefühlten drei Jahren verloren. Was nicht weiter schwierig auszurechnen ist: In dieser Saison gab es erst eine Niederlage, die letzte davor datiert vom März 2008, zu Hause gegen Plauen.
Die halten in Kiel zu neunt immer noch ein 0:0, und der HFC ist dem 3:0 nahe. Markus Müller, nach seinem Siegtor beim Auswärtsspiel in Kiel zum neuen HFC-Helden ernannte. trifft aus zwei Metern nur die Lattenunterkante. Wenig später verliert Finke den Ball beim Herumstochern im Mittelfeld. Herthas Traore legt den sechsten Gang ein, seinen Schuß pariert Horvat noch. Doch im zweiten Versuch hat Boyd keine Mühe, das leere Tor zu treffen.
Statistisch gesehen ist damit der Endstand aller HFC-Heimspiele im Mai 2009 glücklich erreicht. Ginge es nach den 3141 auf den Rängen, abzüglich der zwölf mitgereisten Berliner, die unter der Anzeigetafel von fünf Ordnern und zwei Polizisten in Schach gehalten werden, könnte Schiedsrichter Christian Leicher zur Halbzeit abpfeifen. Die Tribüne, mit Sachverstand, der in Verbands- und Oberliga antrainiert wurde, weiß: Besser wirds nicht mehr.
Sie behält recht. In Kiel steht es immer noch Unentschieden, in Halle nach einer Stunde nicht mehr. Traore, ein Mann mit Beinen aus Draht, hat Schubert überlaufen und von der Linie nach innen geflankt. Die Fankurve sieht den Ball vorher im Toraus und weist der Schiedsrichter lautstark darauf hin. Hätte sie lassen sollen: Der Schiri hört nicht drauf, auch die Berliner lassen sich nicht irritieren. Wohl aber die komplette HFC-Abwehr. Die hebt kein Bein mehr, so dass Boyd in der Mitte annehmen und aus zwei Metern einschießen kann.
Zum ersten Mal überhaupt vergibt der HFC eine Zwei-Tore-Führung, und das auf der Zielgerade einer Saison, in die die Mannschaft von Sven Köhler mit dem Ziel Klassenerhalt gestartet und eher aus Versehen in den Aufstiegszweikampf mit Kiel geraten war. Der Knack ist zu hören, der durch die Köpfe geht. Stark kniet entgeistert ab, Torwart Horvath schimpft, Köhler sitzt still auf seinem Bänklein.
Für die Mannschaft ist die Situation neu, für die Statistiker auf der Tribüne auch. Die Statistik stirbt zuletzt, die Mathematik kommt zu ihrem Ende. Ein heuristischer Bruch, für den noch keine Formel greifbar ist: Hier wird es bei eigenen Vorsprung immer spannend bis nahe an den Herzinfarkt, schließlich will das Publikum für seine zehn Euro Eintritt ordentlich Adrenalin ausschütten. Aber dass ein Spiel wirklich kippt, daran erinnerten sich bis eben nur die Älteren unter den Zuschauern.
Eine Stunde ist vorbei und der Traum vom Sprung an die Spitze auch. Den Rest der Begegnung inszenieren Halle und Hertha als offene Feldschlacht, in der keiner mehr einem wehtut. Hebestreit, Neubert und Kunze kommen für Görke, David und Müller und bringen endlich auch ein paar Ecken und Freistöße mit. Aber "Zählbares springt nicht heraus" (Waldefried Forkefeld), denn Benes verstolpert, Kanitz verzieht, Stark schießt vorbei und der statistisch seit längerem überfällige Elfmeter für Halle kann nicht gepfiffen werden, weil Thomas Neubert Fruchtbarkeitstänze aufführt, statt den Weg in den Strafraum zu suchen..
Haareraufen im bröckligen Stadionrund. Kurz Zusammenzählen, wo überall die Punkte liegengeblieben sind, die nun vielleicht am Ende fehlen werden. Gegen vier von 15 Gegnern hat der HFC alle sechs Punkte geholt, gegen acht immerhin noch vier, gegen Hannover, den einzigen Gegner, gegen den zwischendurch mal verloren wurde, auch noch drei. Ausgerechnet gegen die beiden Berliner Vereine Hertha und Türkiyemspor aber, Tabellenachter und Tabellen-15., reichte es nur zu jeweils zwei Punkten.
Preußen, einmal mehr Schicksal der Region, die immer dazwischen war und nie richtig dabei? Aber vielleicht reicht selbst das Unentschieden noch. Kiel spielt auch nur 0:0 und holt das dritte Remis hintereinander - die Bilanz des Aufstiegsfavoriten ist die eines Absteigers: Fünf Punkte von 15 möglichen aus den letzten fünf Spielen. Halle holte in derselben Zeit 11 von 15 und damit zehn Punkte auf.
Hält der Trend, wird der HFC am Ende vier Punkte Vorsprung haben. Gewusst werden wird das erst nach dem Landes-Pokalfinale, das der treu für seine Vereine sorgende Fußballverband Sachsen-Anhalts direkt zwischen das Sonntagspiel gegen Hertha und das vielleicht alles entscheidende Liga-Aufstiegsvorfinale am nächsten Samstag in Wolfsburg gelegt hat. Sollen wohl im Rhythmus bleiben, die Hallenser.
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2 Kommentare:
Thomas oder Torsten Neubert? Oder Thoralf? Oder Torben? :-)
naja, in wirklichkeit heißt er marius müller-westernhagen:
http://www.politplatschquatsch.com/2008/11/thomas-gegen-den-rest-der-welt.html
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