Der Grund dafür, das Zeitungen untergehen, ist natürlich nicht, dass nur Blödsinn drin steht. Der Grund ist, dass Blogger und ganz normale Leser im Internet eine "Umsonstkultur" gelernt haben, die sie glauben lässt, sie könnten die hervorragend nachgedruckten dpa-Meldungen und ddp-Reportagen, die traditionell von Praktikanten angefertigt werden, einfach so lesen, ohne sie teuer bezahlen zu müssen. Matthias Döpfner etwa, Oberherr über eine ganze Reihe von Qualitätsmedien, ruft jetzt zum Widerstand gegen Diebe, die Inhalt zu stehlen versuchen, wo meist gar keiner ist.
Das kleine Leecher-Board PPQ, sonst eher abgeneigt, die eigenen Texte zu entwerten, indem alles überstrahlende dpa-Werke danebengestellt werden, schließt sich der Initiative spontan an. Als Beispiel für einen Text, der keinesfalls gestohlen oder kostenlos gelesen werden sollte, nachfolgend als Leihexemplar Auszüge aus einem liebevollen Doppelportät der Stadt Halle und ihre größten Sohnes Georg Händel aus der Döpfnerschen "Welt". Geduld, der Einkaufstipp kommt erst ganz am Ende.
"Groß angekündigt ist auf vielen Plakaten Bonnie Tyler. Die röhrt dann wohl beim "Händels Open" auf dem Hallmarkt über ihre Herzschmerzen, auch Peter Kraus bietet dort "Kultur zum Anfassen und ein angenehmes Ambiente, das die Mitte der Stadt in einen offenen Konzertsaal ohne Schwellen verwandelt". Ein wenig Händel zum Anfassen gibt es auch ein paar Schritte weiter, gleich neben den Marktständen, dem "Kanton Imbiss" und "Maxes Grillhähnchen", die sich vor dem Roten Turm aufgebaut haben. Im städtischen Infopoint samt integriertem Laden, wo heute "2 x Süße Verführung zum Preis von 1" im Angebot lockt, stehen in der Händel-Vitrine zwei unsäglich billige Bücher, scheußliche Schlüsselanhänger, Mozartkugeln und Spieluhren mit "Stille Nacht". Sonst nichts. Es gibt diverse thematische Stadtführungen zur Auswahl, auch "mit Wortwitz und Gitarrenklang", aber ganz ohne Georg Friedrich.
Dem wird es ein paar Straßen weiter so richtig besorgt: zwischen wertvollstem Fachwerk-Verfall und gruselig architektonischem Investorenmix aus Tiefgarage, Ärztehaus und Kneipensammelstelle mit "La Salinas Tapas" und "Havanna Club Lounge", wo der "Pop Hit Weekend Schwoof Mix" tobt. Der Alte wird aufgemöbelt und museumstechnisch ins 21. Jahrhundert verfrachtet. Immerhin. 2,1 Millionen Euro durfte das kosten. Die Bauplanen, die das quittengelbe Haus an der Ecke Große Nikolai- und Kleine Ulrichstraße monatelang verhüllten, sind gefallen. Von außen hat sich kaum etwas verändert. Nur Sprossenfenster gibt es jetzt wieder, wo die DDR bei der letzten Aufhübschung auf Panoramaglas setzte.
Halle hat gerade einmal 230 000 Einwohner; aus der Innenstadt, wo manche Ecke proper saniert ist und die nächste aussieht wie Novosibirsk, verschwinden sie immer mehr. Halle besitzt Touristenattraktionen von überregionalem Wert: die Himmelsscheibe von Nebra im Landesmuseum für Vorgeschichte, die als Bilderhort der Moderne eben baukünstlerisch grandios wiedergewonnene Moritzburg, die dank hoher Bundesmittel modellhaft sanierten Frankschen Stiftungen und eben die Händelstätten (neben dem Haus vor allem die farbenprächtige Reichel Orgel in der Marktkirche, an der der gefeierte Virtuose lernte). Worauf die Stadt aber offenbar wenig Wert legt. Im Händelhaus drohen Plakate mit einem "Seniorenkolleg" in seinem Namen sowie dem "Heiteren Intermezzo mit Hasse - Referentin: Dr. habil. Karin Zauft". Gut, es sind auch wieder Händel-Festspiele im Juni, wichtig wichtig, aber selbst dieses Jahr programmatisch ziemlich kleinkariert. Man wollte den auch nicht mehr so hippen Peter Greenaway als Regisseur für die selten gespielte "Floridante", die immerhin in einer musikologisch eben edierten Neufassung. Inszenieren wird jetzt allerdings der brave Dekorateur Vincent Boussard. Selbst die nicht weniger schläfrige Konkurrenz in Göttingen hat sich zum Jubiläum Doris Dörrie geangelt. Das dem braven Stadttheater angegliederte Händel Orchester besitzt übrigens Deutschlands einzige fest angestellte Barockinstrumentalisten. Wirklich berühmt geworden ist es freilich nie. Jetzt wird es massiv stellenreduziert.
Statt groß denk man klein. In Halle, so scheint es, steht Händel weniger für weltläufige Hochkultur und lieber für Familienfeste mit Kinderschminken, feuerwerksumrahmtem Open Air Konzert in der Galgenbergschlucht und "Hallumination" benannter Licht-Klangberieselung der Innenstadt. Immerhin hat man es dieses Jahr erstmals geschafft, freilich erst für Oktober, Cecilia Bartoli zu verpflichten, eine der wichtigsten Händel-Sängerinnen überhaupt.
In Halle, da bieten sie den großen Komponisten zum Selberrühren an: Händel-Torte, die bewährte Backmischung Mohn- Marzipan, mit Schablone. Schmeckt sogar."
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2 Kommentare:
an dem text hat mich neben der punktuellen kenntnislosigkeit (es gibt beispielsweisen keine "massiven stellenstreichungen" bei den barock-spezialisten) vor allem gestört, dass (wie fast immer, wenn aus der hauptstadt recherchiert wird), das adjektiv/adverb hallesch/hallisch durch hallenser ersetzt wird - ein klarer fall von keine ahnung. stimmig im detail also, in der tendenz aber eher tendenziös (göttingen hat doris dörrie? das dürfte kein standortvorteil sein).
...und Franckesche Stiftungen, liebe Schnell- und Vielschreiber.
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