Guinnessbuch-Rekorde stellen sie hier eher mal so nebenbei auf. Freitagabend, 18 Uhr, Kurt-Wabbel-Stadion in Halle: die Geschichte des Fußballs muss von hier an neu geschrieben werden. Denn unten auf dem Rasen läuft Einmaliges, Unwiederholbares: Das erste Flutlichtspiel der Welt, das wegen der funktionsuntüchtigen Lichtanlage im halleschen Stadion ganz ohne Flutlichtbeleuchtung vonstatten geht.
Anfangs ist es aber noch hell, die Sonne scheint auf die Gegentribüne, die nach einer Anweisung des städtischen Stadioneigners, der damit auf Ausschreitungen hallescher Fans im Pokalspiel gegen Hannover 96 reagiert, leer bleiben muss, um eine Pufferzone zur Gästekurve zu schaffen. Da der Gast des Halleschen FC heute SV Wilhelmshaven heißt, bleibt nicht nur die Pufferzone leer, sondern auch die Gästekurve. Die Sicherheit ist dennoch gewährleistet - Ordner in Signalwesten haben sich drohend aufgebaut, die gähnend leeren Ränge zu bewachen.
Vom Anpfiff an versucht die Elf des Gastgebers vor den auf den Rest des weiten Rund verteilten 2300 Fans, darunter sechs aus Wilhelmshaven, so zu spielen, wie es einer bislang ungeschlagenen Regionalligamannschaft zukommt. Das Problem dabei ist nur: Die Hebestreit, Neubert, Kanitz und Co. können eigentlich nicht so spielen. Ein durchschnittlicher HFC-Angriff sieht deshalb so aus: Der Ball durchquert die Abwehr von rechts nach links, liegt dann bei Ersatz-Innenverteidiger Christian Kamalla, der, zweifellos der Mann mit der meisten Angst vor einem Fehler, schlägt ihn kompromisslos nach vorn. Dort wartet Thomas Neubert, der nicht nur Tore machen, sondern auch als Anspielstation Bälle weiterverteilen soll. Aber trotz seiner 1,92 ist Neubert kein Kopfballungeheuer. Weshalb er kaum einen hohen Ball auch nur mit der Stirn berührt.
Chancen Mangelware, sogar die Ecken hat Wilhelmshaven. Not gegen Elend, und bedürfte es dafür noch eines Beweises: Zur Halbzeit hat Christian Kamalla, vor einem halben Jahr durch die Verletzung des regulären Mannschaftskapitäns Bergner auf einen Stammplatz gerutscht, die meisten Ballberührungen.
Der beste Mann auf dem Platz ist bis dahin Philip Schubert, neueingekaufter Verteidiger mit Zug nach vorn. Stinksauerster Nichtspieler Ex-Stammrechtsaußen Maik Kunze, der dem Neuling Pawel David Platz machen musste. Rätselhafterweise wird Kunze in der 60. Minute zur Bank gerufen, um eingewechselt zu werden. Wird er aber dann doch nicht - stattdessen verbringt er den Rest des Spieles im Kabinentunnel.
Von dort sieht er, dass nicht viel geht bei der Heimelf, die im Grunde genommen nur ein Mittel kennt, nach vorn zu kommen: Langer Diagonalschlag aus der Abwehr auf den links losspurtenden Nico Kanitz, in der vergangenen Saison HFC-Torschützenkönig und darob gleich zum neuen Kapitän befördert. In diesem Jahr klemmt es beim "Dicken": Die Bälle springen weg, die Füße stolpern kurz vor dem Tor.
So wird es nichts, aber das ist nicht genug gegen eine Wilhelmshavener Mannschaft, von der ein Kenner auf der Tribüne milde sagt, "auch goldene Dresse machen aus einem Esel kein Rennpferd". Die Fankurve, von der Stadt mit einem Verbot zur Verbreitung von Parolen, einem Verbot zur Aufhängung von Fahnen und einem Verbot zur Verdeckung von Werbebanden belegt, schweigt fein still dazu. Auch die Wilhelmshavener Fans, die direkt neben den halleschen stehen, sind ganz ruhig. Der vom DFB eigens nach Halle geschickte Sicherheitsbeauftrage, ein Mann namens Bernd Stumpf, kommt vorbei, und fragt, wie es denn so geht?
Prima, abgesehen davon, dass der Name Stumpf allen DDR-Oberligakennern Lustiges in Erinnerung ruft: Als Schiedsrichter pfiff Stumpf im März 1986 die Partie zwischen Lok Leipzig und dem BFC, die als schlimmstes Schieber-Spiel der sozialistischen Fußball-Ära in die Geschichte einging. Stumpf, als IM Peter Richter bei der Stasi im Wort, zeigte damals erst Leipzigs Spielmacher Matthias Liebers eine unberechtigte Rote Karte, dann ließ er bis zur 95. Minute spielen, um dem Berliner Bernd Schulz die Chance zu geben, im Leipziger Strafraum erschöpft zu Boden zu sinken. Der Elfmeter reichte dem BFC noch zum 1:1-Ausgleich durch Frank Pastor, einen HFC-Spieler, den Stasichef Mielke selbst nach Berlin befohlen hatte.
Stumpfs Pfiff löste 1986 die größten Fußballkrawalle der DDR aus. "Nach dem Spiel versuchten aufgebrachte Zuschauer, das Spielfeld zu stürmen und den Schiedsrichter anzugreifen. Negative Elemente wollten die Situation ausnutzen, um Unruhe zu stiften und die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu beeinflussen", notierte die Stasi. Wegen anhaltender Diskussionen in den Arbeitskollektiven war sogar die Planerfüllung in Gefahr.
Ein Beweis der integrativen Kraft der Marktwirtschaft, dass der frühere Stasi-Schiri, der einst den Volkszorn schürte, 22 Jahre später für Sicherheit auf den Rängen sorgt.
Unten sind es noch zehn Minuten bis Buffalo, der Himmel hängt tief, nur noch ein trüber Dämmer liegt über der früheren "Mitteldeutschen Kampfbahn", die heute Abend alles sieht, aber keinen Kampf. Das Remis ist schon gebucht, als ein langer Ball auf der linken Abwehrseite der Hallenser irgendwie noch am Fuß von Marcus Storey klebt, nachdem schon alle Abwehrspieler der Hallenser respektvoll den Weg frei gemacht haben. Was macht der kleine Flitzer da? Genau, ins Tor schießen.
Ein Drama im Dämmerlicht. Entsetzen im Rund, plötzlich sind die Fans zu hören und die Spieler laufen nach jedem Ball. Sechs Minuten reichen so, um den verdienten, aber keineswegs mehr zu erwartenden Ausgleich zu erzielen: Nico Kanitz stolpert diesmal nicht, er lässt den Ball nicht ins Aus prallen und zerschießt nicht die Anzeigetafel. 89. Minute, 1:1. Wer so ein Spiel nicht gewinnt, ist keine Spitzenmannschaft. Aber wer so ein Spiel nicht verliert, kann eine werden.
Anfangs ist es aber noch hell, die Sonne scheint auf die Gegentribüne, die nach einer Anweisung des städtischen Stadioneigners, der damit auf Ausschreitungen hallescher Fans im Pokalspiel gegen Hannover 96 reagiert, leer bleiben muss, um eine Pufferzone zur Gästekurve zu schaffen. Da der Gast des Halleschen FC heute SV Wilhelmshaven heißt, bleibt nicht nur die Pufferzone leer, sondern auch die Gästekurve. Die Sicherheit ist dennoch gewährleistet - Ordner in Signalwesten haben sich drohend aufgebaut, die gähnend leeren Ränge zu bewachen.
Vom Anpfiff an versucht die Elf des Gastgebers vor den auf den Rest des weiten Rund verteilten 2300 Fans, darunter sechs aus Wilhelmshaven, so zu spielen, wie es einer bislang ungeschlagenen Regionalligamannschaft zukommt. Das Problem dabei ist nur: Die Hebestreit, Neubert, Kanitz und Co. können eigentlich nicht so spielen. Ein durchschnittlicher HFC-Angriff sieht deshalb so aus: Der Ball durchquert die Abwehr von rechts nach links, liegt dann bei Ersatz-Innenverteidiger Christian Kamalla, der, zweifellos der Mann mit der meisten Angst vor einem Fehler, schlägt ihn kompromisslos nach vorn. Dort wartet Thomas Neubert, der nicht nur Tore machen, sondern auch als Anspielstation Bälle weiterverteilen soll. Aber trotz seiner 1,92 ist Neubert kein Kopfballungeheuer. Weshalb er kaum einen hohen Ball auch nur mit der Stirn berührt.
Chancen Mangelware, sogar die Ecken hat Wilhelmshaven. Not gegen Elend, und bedürfte es dafür noch eines Beweises: Zur Halbzeit hat Christian Kamalla, vor einem halben Jahr durch die Verletzung des regulären Mannschaftskapitäns Bergner auf einen Stammplatz gerutscht, die meisten Ballberührungen.
Der beste Mann auf dem Platz ist bis dahin Philip Schubert, neueingekaufter Verteidiger mit Zug nach vorn. Stinksauerster Nichtspieler Ex-Stammrechtsaußen Maik Kunze, der dem Neuling Pawel David Platz machen musste. Rätselhafterweise wird Kunze in der 60. Minute zur Bank gerufen, um eingewechselt zu werden. Wird er aber dann doch nicht - stattdessen verbringt er den Rest des Spieles im Kabinentunnel.
Von dort sieht er, dass nicht viel geht bei der Heimelf, die im Grunde genommen nur ein Mittel kennt, nach vorn zu kommen: Langer Diagonalschlag aus der Abwehr auf den links losspurtenden Nico Kanitz, in der vergangenen Saison HFC-Torschützenkönig und darob gleich zum neuen Kapitän befördert. In diesem Jahr klemmt es beim "Dicken": Die Bälle springen weg, die Füße stolpern kurz vor dem Tor.
So wird es nichts, aber das ist nicht genug gegen eine Wilhelmshavener Mannschaft, von der ein Kenner auf der Tribüne milde sagt, "auch goldene Dresse machen aus einem Esel kein Rennpferd". Die Fankurve, von der Stadt mit einem Verbot zur Verbreitung von Parolen, einem Verbot zur Aufhängung von Fahnen und einem Verbot zur Verdeckung von Werbebanden belegt, schweigt fein still dazu. Auch die Wilhelmshavener Fans, die direkt neben den halleschen stehen, sind ganz ruhig. Der vom DFB eigens nach Halle geschickte Sicherheitsbeauftrage, ein Mann namens Bernd Stumpf, kommt vorbei, und fragt, wie es denn so geht?
Prima, abgesehen davon, dass der Name Stumpf allen DDR-Oberligakennern Lustiges in Erinnerung ruft: Als Schiedsrichter pfiff Stumpf im März 1986 die Partie zwischen Lok Leipzig und dem BFC, die als schlimmstes Schieber-Spiel der sozialistischen Fußball-Ära in die Geschichte einging. Stumpf, als IM Peter Richter bei der Stasi im Wort, zeigte damals erst Leipzigs Spielmacher Matthias Liebers eine unberechtigte Rote Karte, dann ließ er bis zur 95. Minute spielen, um dem Berliner Bernd Schulz die Chance zu geben, im Leipziger Strafraum erschöpft zu Boden zu sinken. Der Elfmeter reichte dem BFC noch zum 1:1-Ausgleich durch Frank Pastor, einen HFC-Spieler, den Stasichef Mielke selbst nach Berlin befohlen hatte.
Stumpfs Pfiff löste 1986 die größten Fußballkrawalle der DDR aus. "Nach dem Spiel versuchten aufgebrachte Zuschauer, das Spielfeld zu stürmen und den Schiedsrichter anzugreifen. Negative Elemente wollten die Situation ausnutzen, um Unruhe zu stiften und die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu beeinflussen", notierte die Stasi. Wegen anhaltender Diskussionen in den Arbeitskollektiven war sogar die Planerfüllung in Gefahr.
Ein Beweis der integrativen Kraft der Marktwirtschaft, dass der frühere Stasi-Schiri, der einst den Volkszorn schürte, 22 Jahre später für Sicherheit auf den Rängen sorgt.
Unten sind es noch zehn Minuten bis Buffalo, der Himmel hängt tief, nur noch ein trüber Dämmer liegt über der früheren "Mitteldeutschen Kampfbahn", die heute Abend alles sieht, aber keinen Kampf. Das Remis ist schon gebucht, als ein langer Ball auf der linken Abwehrseite der Hallenser irgendwie noch am Fuß von Marcus Storey klebt, nachdem schon alle Abwehrspieler der Hallenser respektvoll den Weg frei gemacht haben. Was macht der kleine Flitzer da? Genau, ins Tor schießen.
Ein Drama im Dämmerlicht. Entsetzen im Rund, plötzlich sind die Fans zu hören und die Spieler laufen nach jedem Ball. Sechs Minuten reichen so, um den verdienten, aber keineswegs mehr zu erwartenden Ausgleich zu erzielen: Nico Kanitz stolpert diesmal nicht, er lässt den Ball nicht ins Aus prallen und zerschießt nicht die Anzeigetafel. 89. Minute, 1:1. Wer so ein Spiel nicht gewinnt, ist keine Spitzenmannschaft. Aber wer so ein Spiel nicht verliert, kann eine werden.
3 Kommentare:
Mit Fußball habt ihr im Allgemeinen aber nicht viel am Hut, oder?
wieso? mit fußball hat das im allgemeinen doch auch nicht viel zu tun?
wir sind fans - aber unglückliche.
Kommentar veröffentlichen