So einig war sich die deutsche Presse zuletzt im WM-Sommer vor zwei Jahren. Damals filmte ein Team der BBC Straßenschlachten zwischen Fußballfans überall in Deutschland, Polizeiattacken mit Tränengas, Einsätze von Reiterstaffeln, wilde Prügeleien - all das ist im Film "Ein anderes Sommermärchen" zu besichtigen. Dennoch stand zwischen 3. Juni und 4. Juli in keinem einzigen überregionalen deutschen Presseerzeugnis auch nur eine einzige Zeile über Gewalt, die das friedliche Fußballfest überschattet, über Straßenschlachten, Festnahmen oder Verletzte.
Die Realität als Gegenstand der Ausblendung, die Wirklichkeit als störendes Moment in einem Wunschbild, das diesmal BILD und die türkische Schwesterzeitung Hürriyet entworfen haben. Die restliche Journaille malt es gerade begeistert aus: Am Vorabend der EM-Begegnung zwischen Deutschland und der Türkei entstand so die kollektive Zeichnung zweier Fanvölker, die einander den Sieg mehr gönnen als sich selbst, aus deren Autos zwei Fahnen bammeln und denen letztlich egal ist, wer gewinnt, Hauptsache, es ist der sportlich bessere.
Natürlich ist das nicht wahr, sondern Volkspädagogik, die durch gute Beispiele zu erziehen sucht. Wer jemals in einer Kurve stand, kann ermessen, wie weit weg die vermeintliche Abbildung der Stimmungslage im Land von der wirklichen ist. Die Inhaber von Döner-Buden haben Angst, dass die Deutschen gewinnen, weil sie fürchten, anschließend gewaltig in Regress genommen zu werden. Die deutsche Regierung hat Angst zu verlieren, weil eine nachfolgende Aufwallung von Türkenhass diplomatisch schwer zu handhaben wäre. Die Türken wiederum fürchten eine Niederlage, weil Übergriffe junger Türken etwa in Berlin und Köln die Diskussion um Ausländergewalt neu beleben und den Gegnern eines türkischen EU-Beitritts Munition liefern würde.
Von all dem nichts in der veröffentlichten Diskussion, die ein Selbstgespräch zwischen Kebabspießen ist. Jeder der in einer der zahllosen Befragungen seine Ansicht zum Spielausgang preisgeben darf, weiß, weshalb er gefragt wird und was sich zu antworten geziemt. Jeder Türke ist schlagartig "halb Deutscher", jeder Deutsche lobt Terims Heimat als prima Urlaubsland, und selbst Kurden, die die vor der Türkei nach Deutschland geflohen sind und die alte Heimat allenfalls mit knirschenden Zähnen siegen sehen, wünschen sich keinen deutschen Sieg, sondern ein "spannendes Spiel".
Das Nicht-Geschriebene ist wie einst in der DDR die wahre Botschaft, die Deeskalation ohne erkennbaren Grund der Offenbarungseid der freien wahrheitsgetreuen Berichterstattung. "Ja, sollen wir denn die gefärliche Stimmung noch anheizen?" ist eine wunderbare Begründung für den Rückzug einer ganzen Branche in einen Gedankenkokon chinesischer Bauart: Noch anheizen? Welche gefährliche Stimmung? Nach dem, was man liest, gibt es doch sowas nicht?
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3 Kommentare:
da hat ja n-tv prima die stimmung angeheizt.
die zeitung schreibt über die ursachen der verletzungen von neun polizisten in halle (saale)
"wurden aber durch herumfliegende Bierflaschen leicht verletzt"
nun das bei dieser euforie auch flaschen anfangen, freude zu empfinden und selbige durch herumfliegen entäußern, wen wunderts?
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