«Die Hysterie hat die Aufklärung des Falls behindert», betont Michael Thies. Mit ruhiger Stimme begründet der Vorsitzende Richter am Landgericht Potsdam im Juni 2007 die Freisprüche für zwei Angeklagte im Fall des Angriffs auf den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. in Potsdam. Der Familienvater war am Ostersonntag 2006 an einer Haltestelle niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt worden. Erst nach zwei Operationen und einer langen Rehabilitation kommt er wieder auf die Beine. An die Tat erinnern kann er sich nicht. Auch das erschwert die Ermittlungen. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen zunächst von einem rassistisch motivierten Mordversuch aus. Grundlage für diese Annahme ist der Mitschnitt auf einer Handy-Mailbox. Ermyas M. hatte in der Tatnacht mehrfach versucht, seine Frau Steffi anzurufen. Ihre Mailbox zeichnet einen Streit zwischen Ermyas und seinen Angreifern auf. Dabei wird der dunkelhäutige Potsdamer als «Scheiß-Nigger» beschimpft. Wenige Stunden nach der Tat informieren die Ermittler die Presse. Der Fall macht kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland international Schlagzeilen. Es wird über sogenannte No-go-Areas diskutiert. Der Generalbundesanwalt übernimmt die Ermittlungen. Wenige Tage nach der Tat werden zwei Verdächtige nach Karlsruhe geflogen. Als Hauptbeschuldigter gilt Björn L., den Zeugen aufgrund seiner hohen Stimme auf dem Mailbox-Mitschnitt wiedererkannt haben wollen. Doch schon bald sind die Anschuldigungen nicht mehr zu halten. Der Generalbundesanwalt gibt die Ermittlungen nach Potsdam zurück. Gegen die Tatverdächtigen wird wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung ermittelt. Im August erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. Das Landgericht Potsdam lässt diese zu. Thies leitet von Februar den Prozess an 20 Verhandlungstagen. Am 15. Juni spricht er den 30-jährigen Björn L. und den 32-jährigen Thomas M. frei - aus Mangel an Beweisen. Es habe zwar einige Indizien für eine Tatbeteiligung gegeben. Doch reichten diese nicht für eine
Verurteilung. Im Prozess werden Ermittlungspannen bekannt. So wurden Scherben am Tatort nicht fachgerecht gesichert. Polizeifotos vom Ort des Geschehens sind unbrauchbar. Eine DNA-Spur auf Scherben einer Bierflasche taugt nicht als Beweis für die Anwesenheit von Thomas M. Und gegen eine Identifizierung der Stimme des Hauptverdächtigen auf der Mailbox sprechen glaubwürdige Aussagen eines Arztes, wonach Björn L. zur Tatzeit krank und heiser war. «Ein klassischer Fall für den Zweifelssatz», merkt Thies in der Urteilsbegründung an. Eine Verurteilung komme nicht in Betracht. Thies fügt hinzu, niemand hätte unmittelbar nach der Tat behaupten dürfen, es handele sich um eine fremdenfeindlich motivierte Tat. Das habe die Aktenlage nicht hergegeben. Die infolge der verfrühten Einschätzung ausgebrochene Hysterie habe sich als kontraproduktiv erwiesen, sagt auch Opferanwalt Thomas Zippel am letzten Prozesstag. Er sieht allerdings auch nach dem Prozess noch «erhebliche Anzeichen» für eine fremdenfeindliche Motivation. Auch Ermyas M. geht von einem rassistischen Angriff aus. Trotz des Freispruches habe ihm der Prozess geholfen, alles zu verarbeiten. «Ich bin ausgeglichen und geistig stark», betont er.
Inzwischen ist der Vater von Zwillingssöhnen, der von seiner Familie getrennt lebt, selbst ins Visier der Ermittler geraten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den 39-Jährigen wegen Betrugsverdacht. Nach Angaben von Behördensprecher Christoph Lange gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Ermyas M. in einem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe falsche Angaben gemacht hat. Nach dem Angriff hat der Verein «Brandenburg gegen Rechts» rund 50 000 Euro für Ermyas gesammelt. Die Spenden sollten für die Behandlung und mögliche Prozesskosten verwendet werden. M. soll jedoch in dem Antrag auf Prozesskostenhilfe angegeben haben, so gut wie kein Geld zu besitzen. Die Ermittlungen laufen noch. Im Fall Björn L. sind dagegen alle Verfahren erledigt. Gegen ihn wurde nach dem Prozess unter anderem wegen Verstoßes gegen das
Waffengesetz ermittelt. Bei seiner Festnahme nach dem Angriff auf Ermyas war in seinem Auto eine Schreckpistole gefunden worden. L. akzeptierte in dieser Angelegenheit einen Strafbefehl über 450 Euro.
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1 Kommentar:
Wo steht eigentlich, daß man keine Schreckpistole besitzen darf? Bitte um rechtliche Aufklärung!
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