Mit wieviel Entschlossenheit Politiker einander missverstehen können, führt die politische Klasse vor, seit der bis dato kaum existente Verteidigungsminister Franz-Josef Jung bekannt gab, dass er entschlossen sei, im Falle einer terroristischen Bedrohung mit Hilfe eines entführten Verkehrsflugzeuges nicht auf den Einschlag des Luftverkehrsgerätes im AKW Krümmel zu warten. Vielmehr werde er unter Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand den Befehl erteilen, die Maschine abzuschießen.
Die Folge wäre natürlich, dass Jung vor Gericht gestellt und bestraft werden würde. Die Piloten, die seinen Befehl ausgeführt hätten, würden ebenso angeklagt, dürften aber mit Verweis auf den Befehlsnotstand mit einer eher symbolischen Strafe davonkommen. Das aber dann auch nur, weil das Atomkraftwerk nicht explodiert, Deutschland also noch verhandlungsfähig wäre.
So weit, so gut und wenig Grund zur Aufregung, denn im von Jung entworfenen Szenario bleibt eine andere Entscheidung wohl nicht. Was immer jemand in einer solchen Situation tut, ist falsch, das weniger Falsche aber ist, was mehr Leben rettet.
Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren das von der rot-grünen Koalition entworfene Luftverkehrssicherheitsgesetz gekippt, das vorgesehen hatte, einen Abschuss wie von Jung ausgemalt auf dem Boden eines Gesetzes zu legalisieren. Und den jeweils amtierenden Verteidigungsminister damit straffrei zu stellen.
Das geht selbstverständlich nicht, befanden die höchsten Richter, weil sich Menschenleben nicht gesetzgeberisch gegeneinander aufrechnen lassen - zwei Touristenleben in einer entführen Maschine mithin rechtstheoretisch genausoviel wert sein müssen wie drei Millionen Menschenleben in einer vom atomaren Fallout bedrohten Metropolenregion. Folglich ist es dem Gesetzgeber verboten, Rechtsvorschriften zu erlassen, in denen Leben aufgerechnet werden.
Damit hat das Verfassungsgericht allerdings nicht gesagt, dass ein Flugzeug nicht abgeschossen werden kann, wenn der "übergesetzliche Notstand" eintritt, der eben genauso heißt, weil er übergesetzlich, also von Rechtsvorschriften nicht geregelt ist. Betont hat es nur, dass ein "übergesetzlicher Notstand" sich - wie der Name schon sagt - nicht per Gesetz regeln lässt. Handelnde in übergesetzlichen Notständen also damit rechnen müssen, für ihr Vorgehen bestraft zu werden.
Was aber blökt die politische Kulisse? Jung müsse zurücktreten, weil er "zum Abschuss von Verkehrsflugzeugen aufgerufen" habe. Wen eigentlich? Jung breche die Verfassung. Jung ermuntere Piloten zum Verfassungsbruch. Jung stelle sich über Recht und Gesetz. Gedöns, gehaltvoll wie Gammelfleisch. Peter Struck, unter der mit dem Luftverkehrssicherheitsgesetz vor dem Verfassungsgericht grandios gescheiterten rot-grünen Regierung selbst Verteidigungsminister, plappert betont kenntnisfrei "das Urteil aus Karlsruhe hat klar gesagt: Unschuldige Menschen dürfen nicht getötet werden". Obwohl er weiß, dass genau das gar nicht die Frage ist.
Auch die eilfertigen Expressschwätzer aller anderen Parteien verteilen ihre Empörung wie Autogrammkarten im Landtagswahlkampf. Hysterisches Gekläff statt sachlicher Auseinandersetzung, Wadenbeißen statt Akzeptanz der Wirklichkeit.
Sicher ist: Wenn Jung oder einer seiner Nachfolger die entführte Maschine erst hätte ins AKW Krümmel fliegen lassen, müssten die empörten Verfassungsschützer anschließend nicht mal die Tonart wechseln - sie würden genau so empört und entsetzt und entgeistert weiterblöken. Dann aber mit der Frage, warum der Minister nicht die Verantwortung übernommen und die Maschine angesichts der offenkundigen Bedrohung von Millionen Leben vom Himmel habe schießen lassen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
1 Kommentar:
spätestens seit antigone sollte klar sein, dass es in tragischen situationen kein richtig oder falsch gibt, allerhöchstens ein besser oder schlechter. ich denke, darauf läuft jungs vorschlag hinaus: es ist nicht gut, flugzeuge abzuschießen. aber es ist besser, als diese flugzeuge in atomkraftwerke rasen zu lassen. alle, die jung jetzt anpissen, ohne einen besseren vorschlag zu machen, sind heuchler.
Kommentar veröffentlichen