Dienstag, 18. November 2025

Armut immer schlimmer: Comeback der roten Jacke

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Eigentlich hatte die als "Mädchen mit der roten Jacke" bekanntgewordene Anna-Lara ihren Job als Gesicht der deutschen Kinderarmut aufgeben wollen. Doch nachdem nun schon jedes siebte satt nur jedes fünfte Kind betroffen ist, ist sie wieder gefragt.

Sie saß schon als Beispiel für jedes fünfte deutsche Kind auf diesem verrosteten Geländer. Sie klagte nicht, als alles schlimmer wurde, und sie stellvertretend für jedes sechste deutsche Kind hinaufklettern musste. Und jetzt, wo sogar jedes siebte Kind in Deutschland als armutsgefährdet gilt, weil die Zahlen sich gegenüber dem Vorjahr sogar verschlechtert" haben, wie das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" besorgt berichtet, ist das Mädchen mit der roten Jacke natürlich auch wieder da. Den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts ist sie eins von 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die von Armut betroffen sind. Innerhalb von nur Tagen hat sich die Zahl damit fast verdoppelt.  

Rückzug in die Rente 

Im Oktober noch war Anna-Lara, geboren und aufgewachsen im sächsischen Halle, sicher gewesen, nicht mehr gebraucht zu werden. Die von Schwarz-Rot bewirkte Stimmungswende zeigte erste Erfolge. Aus dem Kanzleramt drangen Nachrichten über ganze Stapel von Investitionsangeboten internationaler Unternehmen, die nur noch "geordnet" (Friedrich Merz) werden müssten. Auch Anna-Lara, die die Rolle als Gesicht der deutschen Kinderarmutsmisere länger als ein Jahrzehnt gespielt hatte, sah hoffnungsfroh in die Zukunft. 

Der Investitionsbooster. Die neuen Abschreibungsfristen. Schließlich der Industriestrompreis und die Senkung der Ticketsteuer für Flugreisende - welcher Investor würde der Verlockung widerstehen können, den Standort Deutschland wiederzuentdecken? Armut, sagte Anna-Lara in einem großen Abschiedsinterview, spiele kaum mehr eine Rolle in der gesellschaftlichen Mediendebatte. Man habe nicht nur sie als Symbol einer jahrelang liebevoll gepflegten Kinderarmutskrise aus Zeitungen und von  Internetseiten verdrängt, sondern das gesamte Thema in aller Stille beerdigt.

Mit weniger gefährdet

Lange ging ohne das Mädchen in der roten Jacke nichts in Sachen Armut.
Anna-Lara war es zufrieden. Sie studiert inzwischen Politikwissenschaften, hofft auf einen Job im politischen Berlin oder als aktivistischer Berater in einer NGO. Doch nun ist der Anteil der armutsgefährdeten Kinder trotz aller Bemühungen wieder gestiegen: 15,2 Prozent aller noch nicht Musterungspflichtigen verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens. 

Das lag im Erhebungszeitraum 2024 für eine alleinlebende Person bei 1.381 Euro pro Monat. Ein Alleinerziehenden-Haushalt mit einem Kind unter 14 Jahren galt im vergangenen Jahr mit weniger als 1.795 Euro Nettoeinkommen im Monat als gefährdet. Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren zählten mit Gesamteinnahmen von 2.900 Euro dazu.

Ein starker Rückgang  

Erschütternd ist die Tendenz. 2022 hatte noch fast jedes fünfte Kind unter 15 Jahren in Haushalten gelebt, die über ein Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze verfügten. Drei Jahre später ist es schon jedes siebte Kind, das als armutsgefährdet gilt. Ein starker Rückgang seit dem Sommer, als die Bundeszentrale für politische Bildung die erschütternde Zahl von rund drei Millionen Kinder und Jugendliche melden musste die, "von relativer Armut bedroht" seien. 

Relativ. Absolut. Real. Deutschland steht im Vergleich zum europäischen Durchschnittswert von 19,3 Prozent zwar "besser da" (DPA). Doch ein Jahr zuvor habe "der Anteil erst 14 Prozent betragen", ein weiteres Jahr früher waren es 15 Prozent, noch ein Jahr davor ebenfalls, das entsprach damals jedoch nur einer Gesamtzahl von 1,5 Millionen Kindern. Oder aber, wie Forscher errechneten, "mehr als jedem fünften Kind". 

Bedroht statt betroffen 

Sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, mehr ist es immer und noch viel schlimmer. Seit vor 20 Jahren beschlossen wurde, den bis dahin verwendeten Begriff "von Armut betroffen" durch "von Armut bedroht" zu ersetzen, geht es mit den Zahlen durcheinander, aber die Botschaft ist klar. 1995 lebten in Deutschland noch rund 2,8 Millionen Kindern unter 15 Jahren in Armut, was jedem fünften Kind entsprach. Heute sind es 2,2 Millionen, die "bedroht" sind. Jedes siebte Kind. Ein steiler Anstieg, verursacht womöglich durch einen Anstieg der Geburtenrate auf das niedrigste Niveau seit damals.

Musste früher weniger als 50 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens haben, wer arm sein sollte, greift die statistische Erfassung heute bereits bei weniger als 60 Prozent. Niemand muss arm sein, um arm werden können. Und kein Staatenlenker könnte ruhig schlafen, würde er nicht den Kampf gegen Armutsgefährung zur Chefsache machen. "Von Armut bedroht" zählt nicht mehr die Armen, sondern all jene, die arm werden könnten. Ein Geniestreich, der einen neuen Markt erschloss, in dem eine ganz neue Zielgruppe auf Hilfe wartet. 

Immer mehr weniger 

2005 noch lag die deutsche Armutsgrenze von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens bei 736 Euro pro Monat, heute hat sie sich durch gestiegene Löhne und Gehälter fast verdoppelt. Doch ausgerechnet neue Reichtum zog statistisch immer mehr Bürger in die Armutsfalle: 2006 war jedes sechste Kind in Deutschland von Armut betroffen, heute ist es schon jedes siebte. Das Allzeithoch von 2023, als mit drei Millionen Kindern "mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland dem Bericht der Paritätischen Wohlfahrt zufolge von Armut betroffen" war, ist mit 2,2 Millionen deutlich übertroffen.

Für Anna-Lara, die ihr Bild jetzt seit Jahren endlich wieder in einem Leitmedium sah,  ist es ein trauriger Tag. Sie ersinne sich noch, wie der Fotograf ihr damals die rote Jacke übergezogen habe, weil er mit seiner Bildsprache an Steven Spielbergs großes Epos "Schindlers Liste" erinnern wollte, in dem ein kleines Mädchen in einem roten Mantel eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Niemals habe sie damals gedacht, dass den Kampf gegen Gefährdung und Betroffenheit ein so langer sein werden. "Wir wollten aufrütteln und dachten, es tut sich dann was", sagt sie desillusioniert.

Rückgrat der Demokratie: Angriff auf staatliche Zivilgesellschaft

Ihren Plan zur Zerstörung des Rückgrats der deutschen Demokratie konnte die AfD nicht durchsetzen.

Eine Idee wurde zur materiellen Gewalt. Eine frühere Stasi-Mitarbeiterin zum Kielbalken des demokratischen Dampfers Bundesrepublik. Ein winziges, unzureichend finanziertes Projekt des bürgerschaftlichen Widerstandes gegen ein erneutes Durchregieren der Nazimörder und Stiefelfaschisten zu einem der auch finanziell erfolgreichsten deutschen Internet-Start-Ups.  

Die Geschichte der Amadeu-Antonio-Stiftung - aufgrund weit verbreiteter Fake News über den Namenspaten die ersten 25 Jahre lang anfangs noch Amadeu-Antonio-Kiowa-Stiftung  genannt - ist ein modernes deutsches Märchen. 

Am Ende der Kohl-Ära, die mit der Regierungsübernahme durch den Sozialdemokraten Gerhard Schröder einen veritablen Linksruck in dem Land verspricht, das in einer tiefen Depression gefangen ist, beschließt Anetta Kahane, eine langjährige Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, im westdeutschen Heidelberg eine Stiftung zu gründen. Ziel ist es, die Erinnerung an den acht Jahre zuvor im ostdeutschen Eberswalde umgekommenen angolanischen Gastarbeiter Amadeu Antonio wachzuhalten. 

Festhalten an Verschwörungstheorien 

Eine Körperverletzung mit Todesfolge, befand ein Gericht später. Doch ähnlich wie im Fall Ouri Jalloh, einem Mann aus Sierra Leone, der bei einem Brand in einer Haftzelle der Polizei in Dessau ums Leben kam, lassen sich mit beharrlich wiederholten Verschwörungserzählungen gerade aus unanfechtbaren Ermittlungsergebnissen und Gerichtsurteilen Gefühlswallungen erzeugen. Bei Jalloh wird auch nach 20 Jahren noch der Verdacht geschürt, eine Gruppe von Polizisten sei es gewesen, die den Mittdreißiger absichtlich angezündet habe. 

Das Schicksal des von jugendlichen Skinheads erschlagenen Amadeu hingegen wurde genutzt, um der Justiz insgesamt eine Rücksichtnahme auf rechte Täter zu unterstellen. Sie sei eine "politische Justiz wie sie nach dem Ersten Weltkrieg […] geübt wurde", behauptete "Der Spiegel". Eine Strafrechtsexpertin bekam eine Plattform geboten, um krude Thesen über eine vermeintliche Zwei-Klassengesellschaft zu verbreiten. 

Das blinde rechte Auge 

"Wenn Repräsentanten des Staates oder der Gesellschaft verletzt oder getötet würden", sehe der Generalbundesanwalt den inneren Bestand des Staates gefährdet. Wenn Opfer bedroht sind, die ohnehin ausgegrenzt würden, sei das nicht der Fall. "Das ist ein klassisches Zeichen für Blindheit auf dem rechten Auge", sagte Monika Frommer, damals Direktorin des Instituts für Kriminologie und noch in Unkenntnis darüber, dass Bundestag und Bundesrat einen solchen abgestuften Schutz für wichtige und unwichtigere Menschen erst drei Jahrzehnte später einführen werden. 

Kahane, eine welterfahrene Funktionärstochter, die schon als Kind in vielen exotischen Ländern gelebt hat, schafft es in der Übergangszeit des Zusammenbruchs der DDR, als Ausländerbeauftragte in verschiedenen Behörden unterzukommen. Doch sie weiß: Ihre Stasi-Tätigkeit wird entdeckt werden und auch der Umstand, dass sie sie freiwillig beendet hat, wird kein Argument sein, um nicht entlassen zu werden. Um einer Enttarnung zuvorzukommen, entwickelt Kahane die  Idee einer Vorfeldorganisation, die die deutsche Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus "stärken" soll. Staatlich finanziert, aber vollkommen privat geführt, entsteht die AAS, Motto "Ermutigen, Beraten, Fördern". 

Erziehen, Bestrafen und Anzeigen  

Die Geschäftsfelder Aufklären, Beobachten, Ermitteln, Anprangern, Erziehen, Bestrafen und Anzeigen kommen später dazu. Die Stiftung ist da schon auf ein mittelständisches Unternehmen mit rund 100 Mitarbeitern gewachsen, das Millionenumsätze macht, sich vor kritischen Nachfragen durch die direkte Zusammenarbeit mit großen Medienhäusern schützt und um sich herum einen Dschungel an Meldestellen, Instituten, Opferfonds, Arbeitsgruppen und Internetportale aufgebaut hat. 

Mit dem "Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena" verfügt die Stiftung über eine eigene Stichwortagentur, die Gefahren für Demokratie, Extremismus und Zivilgesellschaft auf Zuruf heraufbeschwören kann. Im "Thüringer Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit" findet sich jederzeit Material, um über den angeschlossenen "Rat des bundesweiten Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)" gesellschaftliche Debatte zu lenken und zu leiten. 

Gut ausgebautes Geschäftsmodell 

Eine Goldgrube, die sich der Staat mehr als sechs Millionen Euro im Jahr kosten lässt. Die Amadeu Antonio Stiftung, internationalistisch ohne Bindestriche geschrieben, bestreitet zwei Drittel ihres Haushaltes aus staatlichen Zuschüssen. Zuwendungen privater Stiftungen und sogenannte "sonstige Einnahmen" haben über die langen erfolgreichen Jahre eines steten Ausbaus des Geschäftsmodells ausgereicht, ein sattes Rücklagenpolster von rund 4,5 Millionen Euro anzulegen. 

Der Abschied von Gründerin Anetta Kahane, die 2022 in Rente ging, vermochte die stabile Geschäftsentwicklung nicht auszubremsen. Nachfolger Timo Reinfrank ist weniger öffentliche Figur als die Gründermutter. Doch der studierte Politikwissenschaftler, der 2001 mit Ende 20 zu Amadeu Antonio wechselte, berät ebenso nimmermüd zivilgesellschaftliche Initiativen, Politik und Verwaltung in der Arbeit gegen Rechtsextremismus und für demokratische Kultur. 

Die Lage wir immer schlimmer 

Die Lage, daran lässt AAS in keiner Veröffentlichung Zweifel, ist nach mehr als einem Vierteljahrhundert Kampf gegen rechts schlimmer denn je. Selbst der Antisemitismus, dem die Stiftung von Anfang an viel Kraft widmete, scheint aus irgendwelchen Gründen zuletzt zugenommen zu haben. 2003 sprachen sich noch ganze drei Pressemitteilungen der AAS gegen Antisemiten aus, 2014 waren es acht, 2021 musste schon 49 Mal gewarnt werden und im aktuellen Jahr stieg diese Zahl auf atemberaubende 116. In einer davon kommt einmal sogar das Wort "islamistisch" vor, umgeben von fünfmal "rechts".

Das Dritte Reich, es steht vor der Tür. Doch Timo Reinfrank ist kein Lautsprecher wie Kahane, keine Oma gegen rechts, die schrill für eine Gesellschaft trommelt, in der als "segensreiches Ergebnis eines langen Zivilisationsprozesses“ (Kahane) "jenseits des Juristischen ein Klima" herrscht "das weit Gefährlicheres mit sich bringt als ein Wettrennen von wildgewordenen Säuen, die durchs Dorf getrieben werden". 

Beamte der Zivilgesellschaft 

Reinfrank ist ein stiller Beamter der Zivilgesellschaft. Er hat Deutschlands "Zivilgesellschaft", ein seinerzeit in der noch jungen Stiftung erdachten und seitdem propagierten Begriff unklaren Inhalts, bei der Anhörung des Kabinettsausschusses der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus und Rassismus vertreten. Er sitzt zudem im Vorstand des Vereins für demokratische Kultur in Berlin e.V., ist einer der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD), Vorstand der Bürgerstiftung Barnim-Uckermark und Redaktionsmitglied der Zeitschrift "Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit". 

Mehr Arbeit, als ein gewöhnlicher Sterblicher bewältigen könnte. Doch es lohnt sich. Den Bedeutungsknick, den die AAS erlitt, als Kanahe sich in den Ruhestand verabschiedete, hat Reinfrank ausgeglichen. Heute ist sein Haus wieder die wichtigste Adresse bei der Koordinierung der Verteidigung von Brandmauer und Unseredemokratie,  hier entstehen die Pläne zum Kampf gegen die Feinde unserer Ordnung, die Quertreiber, Verschwörungstheoretiker, Russen, Kritikaster und Sachsen.

Alles voller "rechtsextremer Regierungen"

Doch die ruhen nicht. Nur kurz hat der Verzicht des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz auf eine Beantwortung der berühmten 551 rechtsradikalen Fragen nach der Finanzierung der Zuvielgesellschaft in Zeiten knapper Kassen den Eindruck erweckt, als würde auch Rot-Schwarz weiter Festhalten an der weltweit nur aus Deutschland bekannten Tradition staatlich finanzierter privater Meldestellen. 

Ermutigt durch "rechtsextreme Regierungen" (AAS), die in Ländern wie Ungarn, Polen und den USA demokratischen Initiativen gezielt die Förderung enziehen, "um sie politisch auszuschalten", versucht mit der AfD der Hauptgegner der Demokratie "dieses autoritäre Vorgehen auch in Deutschland zu etablieren", wie Stiftungschef Reinfrank warnt.

Der vorläufige Höhepunkt 

Mit einem Antrag im Bundestag, der Antonio Amadeu Stiftung "sämtliche staatliche Fördermittel" (Reinfrank) zu streichen, erreichte "eine jahrelange Diffamierungskampagne" ihren "vorläufigen Höhepunkt", wie die AAS selbst fürchtet. Natürlich lief der Antrag mit dem Titel "Staatliche Finanzierung der Amadeu Antonio Stiftung aus Bundesmitteln beenden" ins Leere.

Die "Beseitigung der politischen Mitte", wie der frühere grüne Wahlkampfberater Johannes Hillje die Absicht hinter dem Plan umschrieb, misslang, weil sich die demokratsichen parteien über alle Differenzen hinweg einig blieben, obwohl die Uetrstützer-Petition bei Campact die erhoffte Anzahl an Unterschriften nicht erreicht hatte. Nach halbstündiger Debatte wurde der Angriff im Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend beerdigt.

Für die Stiftung ist es ein wichtiger Sieg, der ihre Bedeutung betont. "Wir werden angegriffen, weil wir der AfD gefährlich werden – weil wir aufzeigen, dass die rechtsextreme Partei eine existenzielle Bedrohung für die Demokratie ist", hat Timo Reinfrank deutlich gemacht, an welcher "vorderster Front" sein Haus kämpft. Umso entchlossener, je deutlicher die Umfragezahlen der Rechtsextremen steigen. 

Diskreditieren, Einschüchtern, mundtot machen

"Die AfD will unsere Demokratie abschaffen, wir hingegen verteidigen sie", deshalb der "gezielte Angriff auf die gesamte zivilgesellschaftliche Demokratiearbeit", mit dem die AfD versuche, "zivilgesellschaftliche Organisationen zu diskreditieren, einzuschüchtern und mundtot zu machen"
Es gehe um nichts weniger als "die Grundlagen unserer demokratischen Kultur", die  heute ohne staatlich finanzierte Zivilgesellschaft nicht mehr vorstellbar ist. 

"Vereine, Initiativen und Stiftungen fördern Resilienz gegen Rechtsextremismus, dokumentieren Hass und Gewalt, unterstützen Betroffene und schaffen Räume für Aufklärung", ist der AAS-Chef sicher. "Wenn diese Stimmen verstummen, verliert die Demokratie ihr Rückgrat."Betroffen sind damit vor allem Projekte, die Demokratie und Menschenrechte stärken: Bildungs- undoch gemeint ist die gesamte Zivilgesellschaft, die sich für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzt“, so Reinfrank weiter. Es gehe "um die Grundlagen unserer demokratischen Kultur".

Vereine, Initiativen und Stiftungen förderten Resilienz gegen Rechtsextremismus, dokumentieren Hass und Gewalt, unterstützen Betroffene und schaffen Räume für Aufklärung. Wenn diese Stimmen verstummen, weil der Staat nicht mher zahlenwill, verliert die Demokratie ihr Rückgrat.


Montag, 17. November 2025

Annalena Baerbock: Wenn sie den Mund aufmacht

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Von einer "wachsenden Nahrungsmittelknappheit", wie sie Annalena Baerbock beschworen hat, konnte in den zurückliegenden acht Jahrzehnten nie weniger die Rede sein als heute.

Sie ist Deutschlands derzeit wichtigste Mitspielerin auf der Weltbühne, eine Frau, die als Frühstücksdirektorin der Vereinten Nationen das Sagen hat. Annalena Baerbock ist in ihrem neuen Job in New York als vorübergehende Chefin der Vollversammlung der Vereinten Nationen nicht nur wirkungsmächtig, sondern auch als Influencerin in den nationalen Netzwerken eine permanente person of interest.  

Baerbock hatte sich als erster von Olaf Scholz Ministernden eine Anschlussverwendung verschafft, die ihren Fähigkeiten als Völkerrechtlerin angemessen ist. Während ihr Kollege Robert Habeck sich an Universitäten rund um die Welt einem straffen Vorlesungsbetrieb unterwerfen muss, lautsprechert Baerbock weiterhin von der obersten Etage. Wer möchte, kann dem vielköpfigen Medienteam der früheren Kanzlerkandidatin auf verschiedenen sozialen Plattformen folgen. Wer das nicht mag, bekommt von den Baerbock schon immer eng verbunden Leitmedien zugereicht, was die frühere Grüne-Chefin zu sagen hat. 

Schwindeln mit schlanken Fesseln 

Annalena Baerbock zeigt regelmäßig nicht nur ihre immer noch schlanken Fesseln. Sie nimmt auch kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, den Finger in die weltweiten Wunden zu legen. So manche unangenehme Unwahrheit spricht sie unerschrocken aus. Eben erst eilte die 44-Jährige eigens ins brasilianische Belèm, wo die um die Hälfte der Köpfe geschrumpfte weltweite Klimaelite in diesen Tagen gemeinsam mit wütenden Indigenen einen Gipfel der Unverbindlichkeit namens Cop 30 feiert. 

Vor Ort sprach Baerbock nicht nur an, dass etwa 3,6 Milliarden Menschen – nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung – bereits heute massiv von den Klimawandelfolgen betroffen sind. Sie prangerte auch den "Teufelskreis aus Hunger, Armut, Vertreibung, Instabilität und Konflikten", den "Dürreperioden, Überflutungen, Extremtemperaturen und zunehmende Nahrungsmittelknappheit"  auslösen.

Umzug ins Exil 

Die frühere grüne Kanzlerkandidatin, seit ihrem Umzug ins Exil der Vereinigten Staaten des Donald Trump als das schönste Gesicht des deutschen Ökosozialismus gerühmt, bediente sich dabei der bewährten Methode aller Populisten. Angst machen und verunsichern, Zweifel wecken und Aussichtslosigkeit beschwören. Die  ehemalige Außenministerin, die Deutschland jahrelang bei Klimaverhandlungen vertrat, nannte für ihre Behauptung, dass es eine "zunehmende Nahrungsmittelknappheit" gebe, keine Quelle. Sie allein stand als Zeugin dafür ein, dass es diese wachsende Knappheit wirklich gibt.

Wie gut der Ruf der wegen ihrer Methoden zeitweilig umstrittenen Ministerin bei den deutschen Medien immer noch ist, zeigt die Reaktion der großen Zeitungen, Zeitschriften, Magazine und Sendeanstalten. Baerbocks "wachsende Nahrungsmittelknappheit" wird überall einhellig beklagt, wohin die Nachrichtenagentur DPA die schlimme Nachricht übertragen konnte. Hunderte Internetplattformen, Zeitungen, Zeitschriften und Magazine verbreiteten Baerbocks Behauptung, dass die Welt unter einem bei einem Mangel an ausreichend Nahrungsmitteln leide und dieser Mangel zudem auch noch im Wachsen begriffen sei.

Eine freie Erfindung


Nicht eine einzige Redaktion in Deutschland fühlte sich bemüßigt, den Kern der Baerbock-Behauptung zu überprüfen. Gibt es diesen Mangel wirklich? Wächst er gar weiter? Alles verfügbaren Zahlen nach ist eigentlich das Gegenteil der Fall: Der Anteil unterernährter Menschen sank zuletzt von 8,5 Prozent der Weltbevölkerung auf 8,2 Prozent. Der Welthunger-Index (WHI) verbesserte sich zwischen 2016 und 2025 von 19,0 auf 18,3 Punkte. Die globale Lebensmittelproduktion wächst weiterhin schneller als die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen. Knappheit an Lebensmitteln ist keineswegs durch fehlende  Produktion bedingt, sondern allein durch Probleme bei der Verteilung verursacht. 

Wo Krieg und Krisen herrschen, etwa im Sudan oder in Gaza, fehlt es wirklich an Lebensmitteln. Doch die Behauptung der Uno-Sitzungsleiterin, das liege an "wachsender Nahrungsmittelknappheit" ist vollkommen irreführend. Basierend auf Daten des globalen Food Production Index und den aktuellen Zahlen der Vereinten Nationen zur Bevölkerungsentwicklung hat sich die Produktion von Getreide, Fleisch, Milch und anderen Lebensmitteln seit 1945 etwa verfünffacht. Die Weltbevölkerung hingegen stieg im gleichen Zeitraum nur von 2,3 Milliarden auf 8,2 Milliarden. Das ist nur eine Verdreifachung.

Keine Spur von Nahrungsmittelknappheit

Einem Wachstum der weltweiten Lebensmittelproduktion von rund 400 Prozent stehe nur ein Bevölkerungswachstum von 260 Prozent gegenüber. Pro Kopf stiegen die Produktionsmengen in den zurückliegenden 80 Jahren um etwa 30 Prozent. Global gesehen gibt es nicht einmal eine Spur der von Annalena Baerbock behaupteten "wachsenden Nahrungsmittelknappheit". Von der konnte in den zurückliegenden acht Jahrzehnten nie weniger die Rede sein als heute.

Es sind Fake News, Falschbehauptungen, alternative Fakten und gefühlte Wahrheiten, die die ehemals so erfolgreiche Politikerin aus Niedersachsen verbreitet. Doch in Deutschland gilt bis heute eine bindende Verabredung aus den Zeiten der Ampel, an die sich die deutschen Medien kollektiv gebunden fühlen: Wenn Baerbock etwas sagt, und sei auch noch so absurd und ausgedacht, soll es richtig sein.

Vertrauen in Geschwätz


In den Leitmedien weiß jeder, dass es richtig bleibt, solange niemand das Gegenteil nachweist. Ungeachtet ihrer geheimnisumwitterten Bildungslaufbahn und Baerbocks peinlichen Versuchs, sich von fremden Federn zur Buchautorin machen zu lassen, stehen die Unterstützer treu zu ihrem einstigen Idol. Auch in großen Teilen der Bevölkerung ist Baerbock bis heute unumstritten. Sie ist die Frau, von der viele auch einen ungedeckten Scheck annehmen würden. Sie hat Millionen mit in eine Wohnung aus Illusion genommen, die sie selbst als Teenager bezogen und später mit ihren eigenen Vorstellungen vom Lauf der Welt tapeziert hat. 

In diesem Baerbock-Biotop steht die Menschheit unentwegt vor irgendwelchen Kipppunkten, in diesem Biotop ist eine Frau ist Hannover gefordert, den großen Rutsch zu verhindern, deren herausragende historische Leistung darin bestand, lange vor Heidi Reichninnek das heute als "Reichinnekken" bekannte Power-Plappern erfunden zu haben.  Das "legal alien" mit Wohnort New York nimmt die widerstandslose Weiterverbreitung ihrer kruden Thesen als Zustimmung: Baerbock hält sich für am besten geeignet, die Grünen spätestens 2029 zurückzuführen zu alter Größe und neuer, diesmal absoluter Macht.

Die Medien, enttäuscht von den verzweifelt um Aufmerksamkeit pöbelnden Nachfolger Dröge, Banaszak, Audretsch und Haßelmann, warten. Die grüne Basis hat ihr die Flucht nach Übersee längst verziehen. Zu öde erscheint der brutale linke Populismus, mit dem die neue Parteiführung versucht, im Wettbewerb mit der Linken im schrumpfenden Ökomilieu zu punkten. Erfolglos bisher, denn wie die Reichinnek-Partei steht auch die frühere Fast-Volkspartei wie festgenagelt bei um die elf Prozent. 

Schutz von Minderheiten: Ostdeutsche als Rasse anerkannt

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Die kollektive Abwertung der Ostdeutschen durch Westdeutsche war bisher straffrei. Eine neue Rassismusdefintion der Bundesregierung soll das jetzt ändern.

Sie sind eine Gruppe mit Millionen Mitgliedern, daheim in ihren Siedlungsgebieten dominant und kulturprägend. Sie sprechen verschiedene Sprachen, die meisten aber mit deutliche hörbarem Dialekt. Sie haben ihrer eigenen politischen Vorlieben, sie folgen ihren eigenen vermeintlichen Erfahrungen und sträuben sich bis heute trotzig, bestimmte Lehren anzunehmen, die ihnen das Leben leichter machen würde.

Sonderschüler der Einheit 

Ostdeutsche - abfällig auch "Ossis" genannt - gelten als die Sonderschüler der deutschen Einheit, weniger klug als andere, weniger gebildet, ärmer und betreuungsbedürftiger, zugleich aber wegen einer erblich bedingt mangelnden Einsichtsfähigkeit auch schwieriger zu leiten und zu führen. Störrisch, zu Unrecht stolz und zu Recht benachteiligt – so werden Ostdeutsche laut einer Erhebung oft in Medien beschrieben. Aus den bereits länger demokratisierten Gebieten heraus betrachtet wirken sie wie Wilde, die letzten indigenen Stämme Germaniens, ungepflegt, unmodisch gekleidet, schlecht frisiert und Fremden gegenüber grundlos argwöhnisch.

Selbst der Bundespräsident sah sich schon vor Jahren gezwungen, die Situation in einem Interview anzusprechen.  Anlässlich des "Tages der Deutschen Einheit" vertraute Walter Steinmeier den ARD-"Tagesthemen" seine Sorgen an. Viele Ostdeutsche hätten "das Gefühl, dass sie nicht gehört und nicht gesehen werden, dass ihre Geschichten nicht Teil einer gemeinsamen deutschen Geschichte geworden sind", sagte der Sozialdemokrat. Er habe zudem den Eindruck, dass die Ostdeutschen mutmaßten, "dass es im Westen auch nicht wirklich Interesse an ihren Biografien gegeben hat". 

Die Reden des Kolonialbeamten 

Sätze, die jeder Kolonialbeamter des British Raj Ende des 19. Jahrhundert unterschrieben hätte. Tja, der Inder und seine Gefühle. Glaubt, dass sie im Vereinigten Königreich eigentlich niemanden scheren. Dabei spricht heutzutage sogar der erste Mann im Staate jeweils einmal im Jahr zum 3. Oktober voller Empathie darüber, dass die hiesigen Indigenen, verwurzelt in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, immer noch und weiterhin jede Chance haben sollen, sich vollkommen in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Sie müssen eben nur ihre Eigenheiten aufgeben und ihre Art zu leben ändern. 

Ein Angebot, dass nach der aktuell geltenden Rassismusdefinition des "Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus" (NAR) legitim und fair ist. Doch länger schon gilt der NAR als verbesserungsbedürftig, weil er das Erkennen weiter Teile von gruppenbezogener Diskriminierung verhindert. Zwar steigen die Zahlen aufgedeckter Hassverbrechen seit Jahren zuverlässig. Das Dunkelfeld aber, davon sind Experten überzeugt, ist sehr viel größer, weil zahlreiche marginalisierte, strukturell benachteiligte und kollektiv abgewertete Gruppen von der zur Klage über die eigene Verfolgung berechtigenden Definition nicht erfasst werden. 

Was genau ist Rassismus? 

Über Jahre hinweg und mehrere Regierungskoalitionen tüftelten Expertenrunden deshalb schon an einer neuen Antwort auf eine zentrale Frage der demokratischen Mitte: Was genau ist Rassismus? Wie unterscheidet sich die - nach wie vor gestattete - subjektive Abneigung Einzelner von der gruppenbezogenen Aversion einiger gegen mehrere? Welche Gruppe darf auf Anerkennung als diskriminierte Gemeinschaft hoffen? Und welche muss damit leben, dass ihr diese Anerkennung versagt bleibt?

Als Grundlage für einen neuen Aktionsplan gegen Rassismus, Hass und Diskriminierung, der bereits in zwei Jahren vorliegen soll, ist es unumgänglich, dass genau definiert wird, was künftig genau unter Rassismus verstanden werden soll. Das Grundgesetz legt in Artikel 3 zwar fest, dass niemand "wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen" benachteiligt oder bevorzugt werden darf und es ebenso verboten ist, Menschen wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen. 

Die Rasse wird geschützt 

Doch die Statistiken über rassistische Straftaten und mutmaßliche Hassverbrechen zeigen, dass die Politik im Definitionsbereich dringend nachschärfen muss. Artikel 3 GG versagt bei der umfassenden Beschreibung von Verfolgungsgründen, indem er nur ganze zehn Tatbestände nennt.  Mit "Rasse" ist zudem ein Schutztatbestand darunter, dessen Verwendung in der Praxis mangels nachweisbarer menschlicher "Rassen" ins Leere läuft. Der Gesetzgeber weiß das seit Jahren. Doch im Bundestag findet sich ebenso lange keine Mehrheit, die die rassistische Grundlage des Kampfes gegen den Rassismus beherzt streicht. 

Eine Vielzahl anderer, sehr viel realerer Benachteiligungsgründe aber werden nicht erwähnt. Weder die Verfolgung von Menschen wegen bestimmter Hobbys, wegen der Berufstätigkeit in bestimmten Branchen, wegen einer Vorliebe für Fern- und Flugreisen, wegen höherer oder hoher Einkommen finden in den staatlichen Schutzvorschriften Erwähnung. Und schlimmer noch: Auch und vor allem die erblich und durch Erziehung geprägte Zugehörigkeit zu einer Kultur, die an den anachronistischen Werten einer längst vergangenen Zeit festhält, wurde bisher störrisch ignoriert. 

Eine uralte Vorschrift 

Nun stammt das aktuelle Konzept zur Bestimmung von Rassismus noch aus dem Jahr 2017, weit vor dem Aufkommen von Querdenkerbewegung, der Popularisierung von Zweifeln durch Schwurblern und einem Aufgreifen der pauschalen Kritik an ganzen Bevölkerungsgruppen durch seriöse Medien. Seinerzeit lag Deutschlands größtes Sicherheitsproblem im Auftauchen der sogenannten Horror-Clowns, die wichtigsten Umfragen zeigten ein großes Desinteresse Jugendlicher an Pornofilmen und die Gemeinsinnsender ARD und ZDF wehrten sich gegen den unbegründeten Vorwurf,  in der "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" kümmerten sich von der Politik handverlesene ARD- und ZDF-Lobbyisten um die Interessen eines faktischen Staatsfunks.

Seitdem hat sich die Lage verschärft und der gefühlte Rassismus ist bis in die Mitte der Gesellschaft geschwappt. Links gehören das sogenannte Pro-Palästinensertum und Antisemitismus zu guten Ton. Rechts sind Islamophobie und die Abneigung gegen Wettannahmestellen, Nagelstudios, Dönerbuden und Spätis notorisch. Einigen können sich alle Seiten nur noch auf eine Mitte: Ex oriente obscuritas! Der Osten ist unser Unglück.  

Die westliche Dominanz 

Die westliche Dominanz über diesen rätselhaften, wilden Raum hätte längst hergestellt sein müssen, doch weil das versäumt worden sei, habe sich dort eine Gesellschaft verkrustet, die kaum mehr zu erretten sei. Verdient habe sie es deshalb, als größte soziale Gruppe im Land ihrer Machtchancen beraubt zu werden, indem ihr pauschal eine Vielzahl unangenehmer Eigenschaften zugeschrieben werde. Dumpfheit, Stumpfheit, Uneinsichtigkeit, Selbstverliebtheit, Armut und Neid - die Charakterzüge des Ostens, die der Westen als wesentlich erkannt hat, begründen moralisch und rational, warum die indigenen Neubürger beaufsichtigt, bemuttert und belehrt werden müssen. Allein wären sie nicht lebensfähig. Ihr großes Glück war es, dass der demokratische Teil der Gesellschaft sie dennoch aufgenommen hat und sie seitdem durchfüttert.

Die innere Einheit aber, das ist für Kenner der ostdeutschen Stimmungslagen schon länger klar, ist so nicht zu erreichen. Kein Mensch im Osten hört sich Steinmeiers salbadernde Predigten noch an. Kein Mensch im Westen ist nicht entsetzt darüber, wie die eben erst befreiten Gebiete freiwillig zurückfallen in Despotie, Diktatur und Faschismus. Die einen halten die anderen für verlogen. Die anderen die einen für dumm.

Wissenschaftsbasierte Rassismus-Definition 

Eine beunruhigende Tendenz, der CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag Rechnung getragen haben. Schriftlich haben die drei Parteien verabredet, dass sie den Kampf gegen Rassismus auf eine neue Grundlage stellen wollen. "Wir werden den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus aufbauend auf einer wissenschaftsbasierten Rassismus-Definition neu auflegen, um Rassismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu bekämpfen", heißt es im Grundlagenpapier der Koalition. 

Es geht um Möglichkeiten, weitere und größere Gruppen zu schützen, umfassendere Minderheiten vor Verfolgung zu bewahren und dem Staat besseres Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen, am besten gegen den sich ausbreitenden Rassismus vorzugehen. Den Auftakt zum Überarbeitungsprozess der Rassismusdefinition hat jetzt mit einer Auftaktsitzung von Vertretern der verschiedenen Ministerien begonnen, wie das Büro der Integrations-Staatsministerin und Beauftragten für Antirassismus, Natalie Pawlik, mitteilte. 

Der Ossi wird mitgebündelt  

Ziel sei es, laufende Maßnahmen gegen Rassismus zu "bündeln und gezielt weiterentwickeln." Grundlage der gemeinsamen Überlegungen, die bis 2027 in eine neue Rassismusdefinition gegossen werden sollen, ist eine sogenannte Arbeitsdefinition aus der Zeit der Ampel-Koalition. Damals hatte die Sozialdemokratin Reem Alabali-Radovan noch aus ihrem Amt als Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus heraus für alle öffentlichen Verwaltungen eine Arbeitsdefinition von Rassismus herausgegeben, die sich erstmals an einen gesetzlichen Schutz von Ostdeutschen heranwagt. Auch sie, bisher pauschal als "Weiße" eingeordnet, gegen die es naturgemäß keinen Rassismus geben kann, haben nach der neuen Rassismusdefinition erstmals das Recht, sich rassistisch verfolgt, beleidigt und diskriminiert zu fühlen.

Denn die von Expertinnen und Experten in einem mehr als eineinhalb Jahre dauernden Prozess formulierte Definition geht weit über die Vorgaben des Grundgesetzes hinaus. Obwohl die Festlegung noch nicht verbindlich ist, sondern lediglich "ein Angebot, das Beamtinnen und Beamten im Alltag mehr Klarheit verschaffen" (Alabali-Radovan) soll, ist es für den Osten und seine Millionen Einwohner ein Hoffnungsschimmer. Statt nur bei Geschlecht, Abstammung, der fragwürdigen "Rasse", der Sprache, Heimat, Herkunft, dem Glauben und den Anschauungen zu verharren, deren Abwertung bisher als Rassismus gelten konnte, geht die Arbeitsthese weit darüber hinaus.

Die größte Opfergruppe 

"Rassismus wird hier erstmals als Erscheinung beschrieben, die "auf einer historisch gewachsenen Einteilung und Kategorisierung von Menschen anhand bestimmter äußerlicher Merkmale oder aufgrund einer tatsächlichen oder vermeintlichen Kultur, Abstammung, ethnischen oder nationalen Herkunft oder Religion" beruhe. Den danach bestimmten Gruppen würde "bestimmte Merkmale zugeschrieben, die sie und die ihnen zugeordneten Personen als höher- oder minderwertig charakterisierten". Die als minderwertig kategorisierten Gruppen würden sodann "herabgewürdigt und auf der Grundlage von negativen Stereotypen und Vorurteilen abgewertet".

Einerseits muss nun niemand mehr wirklich Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben oder Anschauungen haben, um durch Eingeteilund und Kategorisierungvon außen unzulässig abgewertet zu werden. Andererseits erlaubt es die Nennung der "tatsächlichen oder vermeintlichen Kultur, Abstammung, ethnischen oder nationalen Herkunft" gerade den Ostdeutschen, sich ab sofort wirksam gegen jede Herabwürdigung zu wehren. 

Millionen profitieren 

Mit der neuen Rassismusdefinition werden Ostdeutsche faktisch als Rasse anerkannt, der von außen "bestimmte Merkmale zugeschrieben" werden, um sie "auf der Grundlage von negativen Stereotypen und Vorurteilen" marginalisieren und entrechten zu können. Für die größte Gruppe rassistischer Verfolgung im Land, bisher zu stiller Duldung gezwungen, ist das ein Quantensprung. Millionen Minderwertigen müssen nun nicht mehr hinnehmen, dass ihnen der Verstand abgesprochen wird und ihre Wahlentscheidungen als selbstmörderisch kritisiert werden. Sie können sich wehren, gegen Medien, gegen übelmeinende Politiker, durch Hinweise an Hassaufsichtsbehörden, durch Strafanzeigen und eigene selbstbewusste Lobbyarbeit.  

Sonntag, 16. November 2025

Ruprecht Polenz: Der Poltergeist

Ruprecht Polent Kümram Poltergeist
Das Gesicht des Grünen Flügels in der CDU: Ruprecht Polenz. Abb: Kümram, Bleistiftskizze, koloriert

Es ist ein Bild, das viel über die deutschen Verhältnisse erzählt. Der Mann darauf ist alt, er ist seiner politischen Verantwortung längst ledig, er hat keine Zukunft mehr in seiner Partei, im Land, in Europa. Obgleich erst 79, ein Alter, in dem andere noch große Taten vollbringen, hat sich Ruprecht Polenz eingerichtet in der Rolle der Jette Nietzard der CDU. Er ist mittendrin, aber nie dabei. Und trotzdem der lauteste Quengler auf dem Platz, ein menschlicher Daueralarmton, der durch die sozialen Netzwerke schallt wie Donnerhall.

Grünwerdung und Sozialdemokratisierung 

Polenz ist das Gesicht der CDU in den Jahren ihrer Grünwerdung und Sozialdemokratisierung. Für alle die Christdemokraten, die vor 20, 15 und zehn Jahren dachten, die Zukunft werde ein Ort der fortwährenden Freudenfeiern, bei denen Wolf und Lamm fröhlich miteinander singen, spricht der Mann  aus Denkwitz bei Großpostwitz, der seine sächsische Herkunft stets sorgsam verborgen hat. 

Ruprecht Polenz ist heute seine eigene Partei. Mit seiner Plattform "Compass Merkel" aber hat er deutlich gemacht, dass es dabei nicht blieben soll. Angesichts der hilflosen Versuche seines Parteigenossen und Bundeskanzlers Friedrich Merz, den alten Dampfer CDU zurück aus den Untiefen der Merkel-Jahre zu rudern, hat Polenz seine Nische im Netz verlassen. Und wie einst Sahra Wagenknecht mit ihrer "Aufstehn"-Kampagne begonnen, Gleichgesinnte und gleichermaßen Unzufriedene um sich zu scharen. Polenz, nach der Flucht seiner Familie aus der DDR heimisch geworden in der großbürgerlichen Krimihauptstadt Münster, will eine andere CDU, noch linker, noch freiheitsskeptischer und staatsgläubiger. 

Der Staatsgläubige 

Selbst Angela Merkel, die den Katholiken Anfang 2000 zu ihrem Generalsekretär gemacht hatte, schreckte letztlich vor dem Ausmaß der Naivität des studierten Juristen zurück, der als  einer von nur einer Handvoll Menschen in der EU dafür warb, die Türkei lieber heute als morgen in die Gemeinschaft aufzunehmen.

Das Verblüffende an Polenz allerdings ist, dass der Leutnant der Reserve tief drinnen in seinem Herzen einem zutiefst rassistischen Menschenbild anhängt, wie seine aktuellen Einträge im Netz verraten. Für Ruprecht Polenz ist jeder Mensch ein Deutscher, wenn er einen deutschen Pass hat. Er verliert dann das Recht, etwa als Fußballer achtungsvoll "Deutsch-Kameruner" genannt zu werden, ein deutsch-libanesischer Wissenschaftler zu sein oder ein deutsch-ghanaischer Sprinter. 

Bei Polenz ist Deutsch  deutsch und nur deutsch. Würde der greise Anführer der Opposition gegen Merz  beispielsweise nach Nigeria auswandern und dort die Staatsbürgerschaft annehmen, wäre er sofort kein Deutsch-Nigerianer  und kein Nigeria-Deutscher, sondern einer von 230 bis 239 Millionen Nigerianer. Genau weiß es niemand.

Es zählt nur der Pass 

Deutsche oder Deutscher ist, wer einen deutschen Pass hat, Punkt. Es seien nur Rechtsextreme, die "völkisch-nationalistisch in Blut-und-Boden-Kategorien" dächten, hat Ruprecht Polenz seine fortschrittliche Position verteidigt. Der CDU-Mann verweist dabei auf das vor 25 Jahren mit dem Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zusätzlich zum bis dahin allein geltenden Abstammungsprinzip (ius sanguinis) eingeführte Geburtsortprinzip (ius soli).

Seitdem kann Deutscher werden, wer keine deutschen Eltern hat, wenn er auf deutschem Boden geboren wurde. Allerdings war als Bedingung vorgesehen, dass der Bewerber sich mit seinem 18. Lebensjahr entscheiden müsse, welcher Staatsbürger er blieben wolle - ein deutscher oder der der Nation, dessen Staatsbürgerschaft ihm ein oder beide Elternteile vererbt hatten.

Erniedrigter Staat 

Das war kompliziert. Erniedrigend für den Staat, dem viele Betroffene erklärten, das Land von Mutter und Vater gestattete ihnen gar nicht, ihre angeborene Staatsbürgerschaft abzulegen. Andere wollten sie behalten, doppelt hält besser. Die Ampel schließlich machte kurzen Prozess mit komplizierten Fragen, die sich aus den "nicht einheitlichen Regelungen in den einzelnen Staaten" ergaben. Das Prinzip, dass bei der Vergaben der deutschen Staatsbürgerschaft eine Mehrstaatigkeit vermieden werden soll, wurde aufgegeben. Heute ist es möglich, sich zwei, drei oder auch sieben Staatsbürgerschaften zuzulegen.

Für den unbedachten Betrachter wirft das neue Fragen auf. Wenn ein Däne Deutscher wird, ist er nach Lesart der Polenz-Schule kein Däne mehr. Nach Lesart der Polenz-Schule ist er jedoch gleichzeitig, wenn er seine dänische Staatsbürgerschaft behalten hat, weiterhin Däne. Zugleich aber wären Deutsche, deren sogenannte Volkszugehörigkeit im bis heute geltenden Bundesvertriebenengesetz  (BVFG) danach bestimmt wird, dass sie "sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat" und "dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird", keine Deutschen im Polenzschen Sinne. 

Weg vom Blut, hin zum Boden 

Wenn allein der Pass über die Zugehörigkeit entscheidet, kann Möchtegern-Deutscher in Russland, Kasachstan oder Polen echt sein wie ein. Ein Gesetz, das eine Volkszugehörigkeit durch "Bekenntnis, Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur" behauptet, wäre rassistisch, grundgesetzwidrig und auch mit Europarecht nicht in Einklang zu bringen.

Polenz Fortschritt weg vom Blut, hin zum Boden, teilt die Deutschen in zwei Gruppen unterschiedlicher Qualität. Hier sind die Doppelstaatler der Vergangenheit, die das neue Deutschland bunt und vielfältig gemacht haben, jetzt aber falsche Zeichen setzen. Dieser neue Staat, an dem Ruprecht Polenz mitgebaut hat, will nicht mehr "Bekenntnis, Abstammung, Sprache, Erziehung und Kultur", sondern bestenfalls Nützlichkeit. Er verlangt auch keine ungeteilte Loyalität mehr - mehr mag, dar in fremden Heeren dienen, wer möchte, seine Steuern auswärts zahlen. 

Wer kann, darf, muss aber nicht 

Deutsch-syrische Ärzte können dorthin zurückkehren, wo sie einst zu Hause waren. Sie können damit aber getrost warten, bis es in Deutschland wegen der hohen Klimabetroffenheit und des permanenten Rechtsrucks schlechter läuft als dort. Deutsch-namibische Kicker dürfen aussuchen, welche Nationalmannschaft die besseren Titelchancen hat. Griffe Russland an, dürften die Doppelstaatler sich entscheiden, ob sie hier mitkämpfen, dort oder gar nicht. Die deutsch-chinesischen Erfinder, deren Mühen Deutschland immer noch auf einem der vorderen Plätze im Wettbewerb um Patente halten, wären keine mehr.

Die Logik der Welt des Ruprecht Polenz ist vielgestaltig und von der Tagesaufgabe abhängig. Wichtig ist dem greisen Vordenker der innerparteilichen Opposition in der Union, dass etwas los ist, wo immer er auftaucht. Heute sind es Deutsche, die keine mehr sein sollen. Morgen Mitbürger, die alle "nicht als Demokratin oder als Demokrat geboren" wurden und deshalb Nachbeschulung von Polenz brauchen. Übermorgen verhöhnt der erfolgreichste Lautsprecher der Union in den sozialen Netzwerken Merz als "Der Konservative" und den Außenminister Johann Wadephul als einen "Liberaler", der der "CDU guttut".

Spiel über Bande 

Polenz' Methode ist perfide. Mit seinem Aufruf zu mehr gesellschaftlicher Geschlossenheit – ja, zur faktischen Homogenisierung verbalisierter Zustände – demonstriert er vermeintlich großzügige deutsche Weltbürgerschaft. Gemeint aber ist kleinliche Aneignung. der deutsch-chinesische Forscher darf keine Wurzeln mehr haben, der deutsch-polnische Speerwerfer keine Zuneigung mehr zum Herkunftsort seiner Familie spüren. Mit dem Versuch, jedermann mit deutschem Pass als Deutschen einzugemeinden, der sich in nichts von anderen unterscheidet, deren Urahnen seit Jahrhunderten in Sachsen; Hessen oder dem Münsterland leben, erregt Ruprecht Polenz das gewünschte Aufsehen, auf das jede antirassistische Inszenierung hoffen kann. Praktisch aber zerstört er die Grundlage, auf der Menschen friedlich miteinander leben können. 

Es ist das übliche Spiel über Bande, mit dem Populisten aller Colour Unsicherheit schüren wollen. wenn nichts mehr gewiss ist,wenn eine Regel der andreen widerspricht und der gesunde Menschenverstand noch etwas ganz anderes sagt, dann haben Populisten wie Polenz ihr Ziel erreicht. Mit der Gründung der Oppositionsbewegung "Compass Merkel" mitten in der CDU - der Name spielt direkt auf Friedrich Merz’ Vorliebe für die Formulierung vom "klaren Kompass" an - hat Ruprecht Polenz jetzt gezeigt, dass er mehr will als von der Seitenlinie schlechte Ratschläge geben. 

Keine Mehrheit mit den Falschen 

Er will spalten, vereinzeln und Grüppchen bilden, um die CDU von einer Expedition hinter die Brandmauer abzuhalten. Keine Mehrheit mit den Falschen, lieber soll niemand regieren als jemand, der mit dem Feind der Mitte paktiert. Polenz' Kalkül ist nicht uneigennützig, denn trotz seines hohen Alters sieht sich der geschickte Stratege löngst nicht im Ruhestand. Polenz weiß genau: Je stärker die Union nach links rückt, umso näher kommt der Tag eines Kurswechsels. Die Mitte verliert die Mehrheit, sie wird in Gönze in die Opposition gezwungen. Dann, so glaubt er, könne sein Zukunftstraum einer neuen Union wahr werden: Die CDU als Mischung aus grüner Volksdemokratie, sozialdemorkatisch lackiert und überzuckert mit ein paar christlichen Plattitüden.

Dass Polenz selbst, inzwischen 79, noch eine große Rolle beim Neuaufbau dieser neuen Mitte-Partei spielen wird, ist fast ausgeschlossen. Doch als Spiritus Rector im Hintergrund könnte er Fäden ziehen, um die Partei mit seinen Vorstellungen zu besetzen. Es wäre der späte Triumph eines ewig unterschätzten Mannes, den ein grausames Schicksal schon als jungen Mann in eine Partei verschlagen hatte, mit der er nie etwas anfangen konnte. Trotzdem blieb er die treue Seele – in der Hoffnung, eines Tages dafür sorgen zu können, sie neu zu erschaffen. Trotz aller Rückschläge auf seinem langen Weg hat der Mann aus Münster niemals aufgegeben. Hartnäckig blieb er dran. Außerhalb der Partei baute er sich eine treue Gefolgschaft auf.

Ein Ego geht spazieren 

Die schaut ihm fasziniert zu, wie er Tag für Tag sein beträchtliches Ego spazieren führt. Polenz Haupteinträge entbehren zwar meist einer faktischen Basis, sie sind aber meist fehler- und beleidigungsfrei formuliert. Erst die Gesamtschau aller Polenz-Kommentare lässt das Bild eines älteren weißen Mannes entstehen, der viel meint, wenig weiß und selbst dort noch belehrt, wo er lernen könnte.

In seiner Doppelgesichtigkeit erinnert der frühere CDU-Generalsekretär an den bekannten Wettermann Jörg Kachelmann: Bei Auftritten im öffentlichen Rundfunk ist der ein durchaus zivilisierter Gastgeber, dem niemand einen gewissen allumarmenden Charme absprechen würde. Die dunkle Seite des in Baden-Würrtemberg geborenen Schweizers offenbart sich jedoch im Internet. Dort pöbelt und schimpft Kachelmann auf Holzofenbesitzer, Ostdeutsche, einfache Leute - sie alle sind für ihn Nazis, unbesehen der Person. Er muss sie nicht kennen, um sie mit aller Inbrunst zu hassen. 

Die rigorose Ablehnung anderer Ansichten teilen beide. Und die Wut auf Verhältnisse, die sie daran hindern, ihre Vorstellungen von einer Gesellschaft, wie sie sein sollte, per Dekret durchzusetzen.

Luftverkehrssteuer: Nur Fliegen ist teurer

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Die Lufthansa hat seit 2019 bereits 24 innerdeutsche Strecken eingestellt, im kommenden Jahr werden weitere 100 innerdeutsche Flüge pro Woche nicht mehr stattfinden.


Befreiungsschlag. Herbst der Reformen! Aufschwung jetzt, gerade noch im letzten Moment. Friedrich Merz und Lars Klingbeil haben viel versprochen, als sie vor vielen Monaten antraten, den eingeschlafenen Riesen Deutschland wiederzuerwecken. Doch mit dem neuen Wirtschaftsstärkungspaket gelang Schwarz-Rot ein überraschend großer Coup. Deutschland, schallt es aus Berlin, ist zurück. Die Jahre der Depression sind beendet. Mit der früheren Wirtschaftsgroßmacht muss wieder gerechnet werden.  

Habecks Klimakilleridee 

Nur vier Monate nach der Ankündigung, man wolle jetzt "schnell die Wirtschaft stärken", geht es auch schon in die ersten Vorbereitungen. Ab Januar, pünktlich, wenn die CO₂-Steuer das nächste Mal steigt, wird endlich ein sogenannter "Industriestrompreis" eingeführt. Dabei handelt es sich um eine alte Klimakilleridee, die der damalige Klimawirtschaftsminister Robert Habeck schon 2023 vorgeschlagen hatte. 

Aus Angst vor einem Zusammenbruch der fossilen Industrien, die damals stark davon zu profitieren begann, dass mit im Ukrainekrieg kein teurer Atomstrom mehr die Netze verstopfte, hatte der grüne Visionär eine solidarische Lösung ins Spiel gebracht: Private Verbraucher und kleine Unternehmer würden mit ihren Steuern und einer klaglosen Begleichung ihrer hohen Energierechnungen genügend Geld zusammenbekommen, um den alten Fossilriesen BASF, Bayer, Salzgitter und Evonik das weiterwirtschaften zu ermöglichen. 

Dadurch, so hatten Habecks Experten durchgerechnet, blieben Arbeitsplätze erhalten, Steuereinnahmen flössen weiter, Familien könnten ihre hohen Energierechnungen begleichen und der Standort werden dauerhaft gesichert.

verschobenes Experiment 

Wegen des Widerstandes der damals noch existierenden FDP, die demonstrativ nach einer "marktwirtschaftlichen Lösung" im Interesse ihrer Sponsoren rief, konnte das Modell von der Ampel allerdings nicht mehr ausprobiert werden. Umgesetzt wird der Vorschlag erst jetzt von einer Koalition, die in ihrem Eifer, grundlegende Reformen durchzuführen, nicht bei einem von den privaten Haushalten subventionierten Industriestrompreis stehenbleibt.

Friedrich Merz, viel gescholten wegen der zahllosen Versprechen, die er schon in den ersten Wochen und Monaten seiner Amtszeit brechen konnte, geht im achten Monat seiner Kanzlerschaft aufs Ganze: Auf die faktische Streichung der Schuldenbremse, den Investitionsbooster und den Industriestrompreis lässt er mit einer Rücknahme der zuletzt beschlossenen Erhöhungsstufe der Ticketsteuer für den Luftverkehr ein weiteres Stück Ampelerbe abwickeln. Zum 1. Mai 2024 hatte die Vorgängerregierung die sogenannte "Luftverkehrsabgabe" für alle Abflüge von deutschen Flughäfen auf – je nach Entfernung – 15, 40 und 70 Euro angehoben. 

Doppelt so hohe Nebenkosten 

Nach Angaben des Flughafenverbandes ADV liegen die staatlich verordneten Nebenkosten für einen Mittelstreckenflug mit einem Airbus A320 in Deutschland rund 3.545 Euro – in Nachbarländern wie Österreich, Frankreich oder den Niederlanden betragen sie nur durchschnittlich 1.298 Euro. 

Das sollte so sein. Ziel war es einerseits, zusätzliche Einnahmen für die Staatskasse zu generieren. Andererseits aber auch, den als klimaschädlich und unnütz begriffenen Luftverkehr im Zuge der Klimawende zurückzudrängen. Statt zu fliegen, sollten Bürgerinnen und Bürger den Zug nehmen. Da der oft nicht oder doch nie zuverlässig verkehrt, steckte darin die Botschaft, dann eben gleich daheim zu bleiben. Man kann auch mit dem Lastenrad im Stadtwald schöne Stunden erleben.

Bus- statt Us-Tourismus 

Balkonien statt Spanien, Bus- statt US-Tourismus, das sollte die Zukunft sein. Die Maßnahme zeigte schnell große Erfolge: Im Unterschied zu sämtliche Nachbarstaaten hat sich der Luftverkehr in Deutschland bis heute nicht vom Corona-Tief erholt. Ein Flugticket in die Vereinigten Staaten kostet hierzulande zwar eigentlich auch heute nur um die 350 Euro. Doch über ein ganzes Dutzend unterschiedlicher Gebühren, Steuern, Abgaben, Umweltkosten- und Ausgleichszuschläge liegt der vom Fluggast zu zahlende Gesamtpreis letztlich bei über 800 Euro. 

Das ist so teuer, dass zur diesjährigen Klimakonferenz COP30 im brasilianischen Belém nicht einmal mehr der Kern der deutschen Klimaschutzklasse anreisen konnte. Ein letztes Alarmzeichen für Schwarz-Rot. Zwar spielt die 2011 von Angela Merkel eingeführte Luftverkehrssteuer Jahr für Jahr mehr als 1,5 Milliarden Euro ein. Nach der Erhöhung waren sogar zwei Milliarden eingeplant - mehr als genug, um die 1,5 Milliarden einzuspielen, die das Deutschland-Ticket an Zuschüssen braucht.

Beliebte Bremsspuren 

Doch die Bremsspuren der wegen der hohen Koste ausbleibenden Passagiere richten noch deutlich mehr Schaden an. Weit im Westen der Republik weichen Fluggäste nach Frankreich aus, im Norden nach Amsterdam, im Süden in die Schweiz und Österreich. Immer mehr Sachsen fliegen von Prag aus und Mecklenburger haben den kleinen Flughafen in Swinemünde entdeckt. 

Überall verzeichnen die Betreiber teils zweistellige Wachstumsraten. In Deutschland hingegen ist selbst der Berliner Vorzeigeflughafen "Willy Brandt" bis heute noch nicht wieder bei den Passagierzahlen angelangt, die der frühere Berliner Hauptstadtairport Tegel hatte. Ryanair hat sich vielerorts komplett zurückgezogen, Wettbewerber wie Wizz dünnen ihr Netz aus, selbst die Lufthansa hat Dutzende Verbindungen gestrichen. 

Luisas langer Kampf 

Der Kampf gegen Inlandsflüge, den Langstreckenluisa, die Grünem, die SPD, die - inzwischen  verstorbene - Klimabewegung "Letzte Generation" und große Teile der Frequent-Flyer-Medien ausgerufen hatten, trug reiche Früchte. Bürgerinnen und Bürger, von der Inflation ohnehin hart getroffen, verzichteten massenhaft darauf, sich noch Flugreisen zu leisten, wie sie für die politische und aktivistische Klasse zum Kern des eigenen Lebensmodells gehören.

Die Lufthansa allein hat mittlerweile 24 innerdeutsche Strecken komplett eingestellt, im kommenden Jahr werden weitere 100 innerdeutsche Flüge pro Woche nicht mehr stattfinden. Das Angebot an Flügen in Deutschland insgesamt ist im Vergleich zu 2019 um rund 20 Prozent geschrumpft. Ganze Regionen sind vollkommen vom Luftverkehr abgehängt. Der nächste Weg hinaus in die Welt beginnt mit einer stundenlangen Autofahrt zu einem der wenigen Flughäfen, die noch eine globale Anbindung haben.

2,5 Prozent  Preissenkung

Das ist der Bundesregierung nun aber auch wieder nicht recht - und so dreht sie die Preisschraube ein Stück zurück:  Rein rechnerisch sinkt die Ticketsteuer auf der Kurzstrecke von 15,53 Euro pro Person auf etwa 13 Euro, bei Flügen bis 6.000 Kilometer werden nicht mehr knapp 40, sondern nur noch 33 Euro fällig. Und Fernreisende zahlen 80 Euro pro Person und Reise wieder nur um die 60. 

Insgesamt werden die Mindereinnahmen des Finanzministers auf 350 Millionen Euro geschätzt. Eine Summe, die ein deutsches Bundesland problemlos als "Paket für Natur- und Artenschutz auch für kommende Generationen" spendiert. Dass die Spitzen von CDU, CSU und SPD das als Rettungsring für eine Branche sehen, die wie viele andere kurz vor dem Zusammenklappen steht, ist selbst mit Blick auf die personelle Besetzung des Kabinettstisches nicht wirklich zu vermuten. 

Eine traurige Dimension 

Die Dimension der "Erleichterungen" zeigt vielmehr deutlich, wie verzweifelt die Lage wirklich ist: Statt durchgreifender Veränderungen gelingt es Schwarz-Rot allenfalls, nach monatelangen Verhandlungen kosmetische Pinselstriche zu setzen, die kaum mehr in der Lage sind, die Solidarmedien zum pflichtschuldigen Applaus zu veranlassen. Die Steuer-, Gebühren- und Abgabenaufschläge auf ein Langstreckenticket sinken von 450 Euro auf 430. Eine Verminderung um 2,5 Prozent des Gesamtflugpreises. Zweifel, ob das die Branche rettet, sind angebracht. Bei kürzeren Flügen ist es etwas weniger.

Der Berg kreise und er gebahr die nächste Maus.

Symbolische Bedeutung 

Auch der nach fast dreijährigem Ringen angekündigte Industriestrompreis hat eher symbolisch Bedeutung als durchschlagende Wucht. Einerseits bleibt der Kreis der Unternehmen, die überhaupt drauf hoffen dürfen, von den privaten Stromkunden subventioniert zu werden, auf einige wenige große Firmen beschränkt, denen die Bundesregierung überragende Bedeutung zumisst, weil die krisenhaften Erscheinungen hier schon so weit fortgeschritten sind, dass Produktionsanlagen heruntergefahren und ganze Unternehmesnbereiche geschlossen werden. 

Auch die Glücklichen, die von der auf zwei Jahre begrenzten Zuschussregelung profitieren, bekommen nur ihren halben Verbrauch für fünf Cent je Kilowattstunde. Die Hälfte der dadurch erzielten Einsparungen müssen sie im Gegenzug in Klimaschutzmaßnahmen und neue, ernergieeffizientere Anlagen investieren - unabhängig davon, ob sich das wirtschaftlich rechnet. Der Rest des Energiebedarfes muss weiterhin voll bezahlt werden. 

Im Tausch gegen zusätzliche Bürokratie 

Bei einem durchschnittlichen Strompreis von 17 bis 18 Cent, wie ihn deutsche Industrieunternehmen derzeit tragen müssen, beläuft sich die Senkung durch den Industriestrompreis also nicht auf zwölf bis 13 Cent pro Kilowattstunde. Sondern bestenfalls auf sechs bis sieben, erkauft mit zusätzlicher Bürokratie, denn die Großverbraucher werden das alles abrechnen und ihre Klimainvestitionen nachweisen müssen. Beim Staat entstehen im Gegenzug neue Kontrollorgane, die nachrechnen, prüfen und den Finger auf jeden Posten legen. 

Für die wacklige Koalition in Berlin ist dieses kleine Karo eine ganz große Nummer. Bärbel Bas sagte stolz, man habe damit "gezeigt, dass die demokratische Mitte auch zu Entscheidungen komme". Das Signal sei klar. Nun sei es an den Unternehmen, "diese Entscheidungen dafür zu nutzen, Standortsicherheit und Beschäftigungssicherheit" zu geben. Auch CSU-Chef Markus Söder sieht in den lauwarmen Schrittchen, Deutschland nicht noch schneller zu deindustrialisieren, ein "Ankurbeln der Konjunktur".

Bundeskanzler Friedrich Merz, der inzwischen schon seit sechs Wochen die vielen, vielen Investitionsangebote, ordnet, die sich im Kanzleramt stapeln, ist sicher, dass die EU auch zustimmen werde. Die Tragödie wäre ja auch perfekt, täte sie das nicht. 

Samstag, 15. November 2025

Zitate zur Zeit: Sooooo langsam


Hier bewegen sich alle so langsam. Ich dachte, das liegt an der Hitze, aber es ist mehr als das.

Sun Park, Troppo, ABC Australia, 2022 

Doch nur zwei: Sie glauben, sie würden im Ernstfall gefragt

In vielen Familien und unter den meisten jungen Menschen ist der Glaube groß, dass der Staat im Ernstfall Bittbriefe schicken würde, um sie an die Front zu flehen.

Im Grundsatz ist es jetzt entschieden, endlich. Nach nahezu endlosem Streit hat das Bundeskabinett mit der großen Geschlechterfrage kurzen Prozess gemacht. Überraschung! Ja, es sind doch nur zwei. Die Frage, die in den Wochen der leidenschaftlichen Diskussion um das "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag" (SBGG) zu gesellschaftlichem Zwist, Zerwürfnissen zwischen Demokraten und harten Bestrafungen geführt hatte, wurde mit dem Beschluss über das geplante Gesetz für den neuen Wehrdienst nebenbei mitgelöst.

Doch nur zwei Geschlechter 

Zwar sollen in Zukunft alle 18-Jährigen Fragebögen zugeschickt bekommen, um Auskunft darüber zu geben, ob sie Lust und Zeit haben, einen Wehrdienst anzutreten und ob sie sich selbst auch dafür für geeignet sehen. Für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren worden sind, werden das Ausfüllen und die anschließende Musterung Pflicht. Frauen hingegen können sich der entwürdigenden Begutachtungsprozedur freiwillig unterziehen. Von Amts wegen vorgeladen aber werden sie nicht.

So schnell und  einfach geht das, wenn alle mitziehen und niemand querschießt. Keine Frage mehr, wer sich wie definiert. Keine Zweifel mehr daran, wie viele Geschlechter eigentlich existieren. Eine Regelung für Transpersonen hat das Bundeskabinett gar nicht erst getroffen. Der Gesetzgeber geht zuversichtlich davon aus, dass unter den künftigen Musterungskandidaten ausschließlich Männer und Frauen zu finden sein werden. Kritik an dieser transfeindlichen Einheitspolitik ist nirgendwo aufgekommen. Medien überschlagen sich vielmehr in ihren Lobeshymnen für den "Kompromiss".

Auslosung über die Auslosung erst später 

Der hatte die zwischen SPD, CDU und CSU strittige Frage der Auslosung der Wehrfähigen, die im Ernstfall wirklich werden dienen müssen, auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Statt eines sofortigen Beschlusses hat die Koalition einen "Monitoringprozess" vorgeschaltet. Fortlaufend soll geprüft werden, wie es um die Wehrwilligkeit der Zielgruppe steht

Die soll befördert werden durch ein höheres Grundgehalt für Grundwehrdienstleistende. Bis zu 2.600 Euro brutto, netto etwa 2.000 Euro, will Verteidigungsminister Boris Pistorius einfachen Rekruten künftig zahlen. Wer sich davon nicht überzeugen lässt, bekommt für seine Bereitschaft, für Vaterland zu sterben, nach dem Vorbild der DDR eine kostenlose Führerscheinausbildung spendiert.

Sie möchten gern gefragt werden

Pistorius ist optimistisch, dass diese Argumente auch in einer Generation ziehen, die bisher nie damit rechnen musste, zu irgendetwas herangezogen zu werden. Allerdings trifft der 65-jährige Sozialdemokrat mit seinen Anwerbeversuchen auf eine Jugend, deren Kampfbereitschaft deutlich geringer ausgeprägt ist als ihre Überzeugung, dass sie im Ernstfall natürlich gefragt werden würden. Wo und unter welchen Voraussetzungen wären Sie denn bereit, Deutschland, die europäische Friedensgemeinschaft und den Westen samt seiner Werte gegen die entmenschten Schlächterhorden des Kremlherren Wladimir Putin zu verteidigen?

Unter der Schlagzeile "fragt uns nicht, ob wir für Euch kämpfen würden" fasst die Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" das Dilemma einer Altersgruppe zusammen, die ihre Leben lang gepredigt bekommen hat, wie wichtig und bedeutsam jeder einzelne ist, der ihr angehört. Die freie Entscheidung liege immer beim Individuum, haben ihnen ihre Lehrer erzählt.

"Malte, wenn Du das nicht willst, dann sag einfach ab", haben Mutter und Vater sie im Glauben bestärkt, letztlich ginge es nach ihnen. Herausgekommen ist eine Generation, die an allem zweifelt, aber nicht an sich selbst. "Ich sehe es nicht ein, für dieses Land zu sterben", sagt einer in der "Zeit"-Tochter "Tagesspiegel", bei "Bild" lässt sich ein anderer so weit herab, dass er großzügig zugesteht: "Ich würde mir den Musterungsbrief mal anschauen".

Wenn die Summe gut ist 

Es könnte gut ausgehen für Boris Pistorius, der schon 2029 mit einem Angriff der Russen rechnet und die Bundeswehr deshalb schon bis 2035 auf volle Kampfstärke bringen will. Mancher unter den jungen Leuten "will kein Kanonenfutter werden", andere halten es für "eine Überlegung wert", ob sie sich den Panzer- und Drohnenarmeen der Russen entgegenstellen würden. Schön sei ja an dem Angebot, "dass die jüngeren Leute dadurch auch etwas fitter werden und mehr Disziplin bekommen". Ob er selbst dann aber dabeisein werde, sagt ein 17-jähriger Realschüler skeptisch, hänge "davon ab, was bezahlt wird - wenn die Summe gut ist, wäre ich dabei."

So sprechen Bürger, die es durchaus zu schätzen wissen, im "reichsten Land der Welt" (ZDF, 2018) aufgewachsen zu sein. Jetzt aber ein wenig enttäuscht sind, dass auch die Heerführer Unsererdemokratie sich bei der Vorbereitung eines Waffengangs nicht anders verhalten als die Gesetzgeber im Kaiserreich, unter Hitler und in der DDR: Wieder werden die Betroffenen, die das Ehrenkleid anziehen und das Land verteidigen sollen, nicht gefragt, ob sie darauf eigentlich Lust haben, wie sie sich einen gelingenden Wehrdienst vorstellen und warum sich die Bundesregierung noch vor dem ersten Schuss "stärker ihrer mentalen Gesundheit widmen" müsste.

Die Pazifisten-Generation 

Dieser Weg, so viel lässt sich heute schon sagen, wird kein leichter sein, nicht für den Verteidigungsminister, aber auch nicht für seine künftigen Soldaten. Boris Pistorius bekommt es mit  Rekruten zu tun, deren Eltern die wahrscheinlich pazifistischste Generation stellen, die jemals auf deutschem Boden gelebt hat. 

Die Mütter und Väter der demnächst Musterungspflichtigen sind um das Jahr 1990 herum geboren. Sie wurden damals ins Ende der Geschichte (Francis Fukuyama) hineingeboren. Für sie war "Schwerter zu Pflugscharen" kein Wagnis mehr und gegen Waffen zu sein,  war ein Gebot des gesunden Menschenverstandes. So lange sie zur Schule gingen, wurde ringsum abgerüstet. Der Wolf legte sich zum Schaf. Die Nato war "tot" und das war gut so. Niemand würde mehr jemanden angreifen. "Uneingeschränkte Solidarität" (Gerhard Schröder) ließ sich auch mit Geld und guten Worten unter Beweis stellen. Kämpfen ließ man besser die anderen. Die waren es auch zufrieden, denn, das hatte sich herumgesprochen, wer mit die Deutschen an seiner Seite hat, gewinnt ohnehin nie.

Überforderte Friedenskinder 

Die aktuelle Situation überfordert die Friedenskinder, die heute sicher sind: "Nie im Leben werden unsere Söhne zum Militär gehen". Nicht weniger als ihre Sprösslinge glauben sie fest daran, dass im Falle des schlimmsten Falles Bittbriefe aus Berlin eingehen werden, in denen Pistorius höflich fragen wird, ob nicht vielleicht jemand Lust und Laune habe, mit der Bundeswehr, dieser insgesamt überbeleumdeten Trachtentruppe, an die Ostfront zu ziehen. 

Wer nicht will, der wird nicht müssen, diese Überzeugung einst Väter und Mütter und Söhne. Aus ihrer Sicht, geprägt von der Erfahrung eines Lebens in "75 Jahren Frieden", ist ausschlaggebend, ob junge Leute "nicht in den Krieg ziehen wollen", wie Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz der Frankfurter Rundschau gesagt hat. Sehen sie "die Notwendigkeit nicht" (Gärtner), gibt es keinen Krieg, weil es keine Soldaten gibt. 

Mag die Wahl nach der Wiedereinführung des Wehrdienstes, die nach den ursprünglichen Plänen eine Automatismus hätte sein sollen, im Ernstfall dann aber eine Formsache sein wird, die der Bundestag im Vorübergehend durchwinkt, auch wegfallen - heute schon gibt es eine "Handreichung fürs Ausmustern", mit der die ersten Medien versuchen, Russlands Chancen auf einen erneute Sieg über Deutschland zu mehren.

Unter den "Tipps und Tricks, wie man ausgemustert wird" (Taz) finden sich das Simulieren psychischer Labilität, ein offenes Bekenntnis, unverbesserlicher Nazi-Anhänger zu sein, oder sich freiwillig  ein Bein abnehmen zu lassen. Die sicherste, bequemste und von einer Vielzahl junger Menschen ohnehin bereits angewandte Methode wird nicht erwähnt: Frühestmöglich ein Leben voller Genuss zu führen, unter Vermeidung von Sport und Bewegung überhaupt, getreu dem Rat von Winston Churchill: "Sport ist Mord". 

Für seine Truppe will Boris Pistorius nur die "fittesten, geeignetsten und motiviertesten" Männer, knackige, kernige Kerle, die endlos marschieren, in Gräben leben und die im Kriegsfall mutmaßlich wie immer etwa 4.000 Kilometer lange Ostfront aufopferungsvoll verteidigen. Fehlende Fitness erspart den Heldentod: 60, 70 Kilo Speck auf den Hüften, Herzprobleme und Muskelschwund durch Bewegungsmangel sind gesünder als das Leben unterm Feuer der 2S35 Koalizija-SW und 2S3 Akazija.

Nie wieder ist jetzt 

So einfach ist das.  Und so schwer wird es werden, wenn es ernst wird. Natürlich betonen derzeit noch alle Experten, dass auch weiterhin "grundsätzlich alle den Kriegsdienst verweigern" könnten. Denn schließlich dürfe "niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Aber wie lange Grundsätze halten, hat die Geschichte immer wieder gezeigt: Zehn Jahre nur dauerte es vom "Nie wieder" nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg bis zur Wiederbewaffnung. Auch nur etwas mehr als 83, bis das andere "Nie wieder" von demonstrierenden Antisemiten auf deutschen Straßen ad absurdum geführt wurde. Und zwischen den letzten Strafen für die Behauptung, es gebe nur zwei Geschlechter, und dem Kabinettsbeschluss, dass es denn doch nur genau diese zwei sind, waren es nicht einmal zwei.

Freitag, 14. November 2025

Schwarz-Rot-Gold-Ekel: Die Ruchlosen gegen den Regenbogen

Brutal bemalt mit den Nationalfarben, die bis in die Regierungsspitze hinein wieder hoffähig sind: Die betroffene Bank steht direkt am Rhein, dem deutschen Fluss.

Ausgelöscht. Übermalt. Mit Gewalt vom Zeichen der Aufklärung, Toleranz und Vielfalt zu einem nationalistischen Symbol degradiert. Unbemerkt von der Öffentlichkeit ist eine  Regenbogenbank im Düsseldorfer Rheinpark mit den sogenannten "Deutschlandfarben" beschmiert worden. Nach ersten Ermittlungsergebnissen der Polizei soll die Tat zudem in der Nacht zum 9. November stattgefunden haben.

Das Entsetzen in der Region ist groß. Trauer, Wut und Scham halten viele Betroffene fest im Griff. Bestürzung beherrscht die Szene vor Ort, wo viele einfache Menschen, Nachbarn und auch Zugereiste einen Moment in stillem Gedenken verharren, Blumen niederlegen oder auf mitgebrachten kleinen Zetteln Ablehnung und Protest formulieren.

Keine Spur von Tätern

Von den feigen Tätern fehlt bislang jede Spur, es soll sich allerdings um Unbekannte handeln, wie das Nachrichtenportal T-Online berichtet. Die Täter hatten sich offenbar in der Nacht, in der ganz Deutschland dem auch von der Rockgruppe Sportfreunde Stiller schon besungenen nationalen Vierklang "1918", "1923", 1938" und "1989" gedachte, an die Regenbogenbank im linksrheinischen Rheinpark in Heerdt geschlichen. Und sie mit mitgebrachter schwarzer, roter und gelber Farbe überschmiert. 

Das im Zuge einer Regenbogenbank-Offensive im Rheinland eingeweihte Sitzmöbel wurde so ohne Genehmigung in eine "Deutschlandbank" verwandelt, die für die Schuld an zwei Weltkriegen, mindestens einem Völkermord und einen Großteil der von den führenden Industrienationen angehäuften Verantwortung für die Klimakatastrophe steht. Zerstört wurde zudem ein Symbol für Vielfalt, Liebe und Akzeptanz – mutmaßlich mit voller Absicht.

Besorgnis und Trauer 

In einer ersten Reaktion haben die Fraktionen von SPD und Grünen in der Bezirksvertretung 4, die sich gemeinsam für die Aufstellung der beliebten Bank eingesetzt hatten, sind sich besorgt und traurig, zugleich aber auch wütend geäußert. Die Grünen ordneten die ruchlose Tat historisch in die nahezu endlose Kette an Verbrechen ein, die am 9. November geschehen sind.

Von der Hinrichtung Robert Blums bei Wien, einem der führenden Köpfe der Demokraten in der Frankfurter Nationalversammlung, über die Ausrufung der Republik, den Hitler-Ludendorff-Putsch in München, die Novemberpogrome, den Bombenanschlag der Terrororganisation Tupamaros 1969 in Berlin bis zum Tod des RAF-Kämpfers Holger Meins führt eine Linie zur Schande am Rheinufer. Es sei "umso bitterer, wenn an diesem Tag eine Tat geschieht, die genau diese Werte mit Füßen tritt", schreiben die Grünen, die dennoch weiter einstehen wollen "für ein Düsseldorf, das bunt, offen und solidarisch ist". 

Aktive Demonstrativhandlung 

Den Tätern droht ein kurzer Prozess. 

Die Polizei Düsseldorf ermittelt bisher nur wegen Sachbeschädigung, doch eine ganze Reihe ähnlicher Vorfälle überall in der Republik lässt vermuten, dass es sich bei der Demonstrativhandlung gegen die Regenbogenbank am Rhein nicht um einen Zufall oder die Aktion einiger übermütiger Ewiggestriger handelt. Seit Wochen schon ziehen Täter*nnen eine schwarz-rot-goldene Spur der Vernichtung durchs Land. 

Der Fall am Rhein ist nicht der erste, in dem der Staatsschutz nicht ermitteln muss, nachdem eine Deutschlandfahnenaktion eskalierte. Erst gab es entsprechende Vorfälle in Nordrhein-Westfalen, dann im thüringischen Saale-Holzland-Kreis, auch in Schwaben wurde eine ganze Ortsdurchfahrt illegal schwarz-rot-gold geflaggt. Selbst in Hagen und Düsseldorf und Ostfriesland tauchten zahlreiche Deutschlandfahnen im öffentlichen Raum auf. In Stuttgart stiegen "Aktivisten", wie sie die "Stuttgarter Nachrichten" verharmlosend nennen, bewaffnet mit Deutschlandfahnen auf den Königsbau. Sie mussten von der Polizei gestoppt werden, wegen des Vorfalls, bei dem unter anderem behauptet wurde "Stuttgart bleibt deutsch", ermittelt seitdem der  Staatsschutz.

Fehlende Bekennerschreiben 

Bekennerschreiben fehlen indes meist, so dass Behörden und Medien über die verbreitete Botschaft nur rätseln konnten. Klar scheint zu sein, dass die Verursacher der Flaggenschwemme mit ihren Nacht- und Nebelaktionen völkisches Gedankengut verbreiten wollen. Vorbild sind hier wohl Aufmärsche von Demokratiefeinden in Leipzig und Dresden, bei denen Demonstranten schon vor Jahren Deutschlandfahnen geschwenkt hatten. 

Unvergessen ist auch der Pegida-Mann mit dem Deutschland-Hütchen, dem im Jahr 2018  nach einer Schimpftirade gegenüber Journalisten eines ZDF-Kamerateams der mediale Prozess hatte gemacht werden müssen. Da der Mitarbeiter des Landeskriminalamtes in Sachsen damals Reue zeigte, wurde von einer Kündigung abgesehen. Ihm wurde jedoch eine andere adäquate Tätigkeit außerhalb der Polizei Sachsen zugewiesen.

Im Schutz der Dunkelheit 

Nationalisten verüben ihre Demonstrativhandlungen seitdem am liebsten versteckt. Sie wissen, dass der von ihnen beschworene Patriotismus im Namen eines Täterstaates von einer großen Mehrheit der im Lande Lebenden abgelehnt wird. "Deutscher Nationalstolz ist immer gefährlich", das ist gesellschaftlicher Konsens von ganz links außen bis in die Union. Ein gesunder "Schwarz-Rot-Gold-Ekel" (Taz) schützt am verlässlichsten vor einem regressiven Rückfall in ein kollektives Deutschlandgefühl, das zwischen Stolz, Freude, Glück und Euphorie keinen Platz mehr für Unwohlsein angesichts der eigenen Schuld und die vielen, vielen anderen Farben des Regenbogens lässt. 

Das bunte, vielfältige Deutschland der 2020er Jahre lässt sich seine Art zu leben nicht nehmen. Es zeigt seine Symbole selbstbewusst und lässt sich von den Angriffen seiner Feinde nicht beirren. Schleichend aber verzeichnen die mit ihren Attacken doch Erfolge: In Ostdeutschland mussten erste Stadtverwaltungen zum eigenen Schutz dazu übergehen, vorsorglich selbst zu flaggen.  Zudem haben viele Städte und Gemeinden die Einweihung von Regenbogenbänken als dauerhaftes Symbol für Vielfalt, Solidarität und Wertschätzung queerer Lebensweisen und queere Sichtbarkeit gestoppt. Zu groß ist die Angst vor Übergriffen, zu hoch sind vielerorts die Kosten für die fortwährend notwendige Nachlackierung der Symbolmöbel im Stadtbild. 

Bundesweite Empörung 

Die jüngste Beschädigung der Regenbogenbank im Rheinpark löse nicht nur im Linksrheinischen große Empörung aus, sondern bundesweit. Die Regenbogenfarben mit schwarzer, roter und gelber Farbe zu übersprühen ist ein direkter Angriff auf Vielfalt, Liebe und Akzeptanz, offenbar, so glauben die Demokraten in Düsseldorf, "mutwillig" ausgeführt. 

Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Täter*innen zu ihrer ruchlosen Tat ermuntert fühlten durch entsprechende Signale aus dem politischen Berlin. Dort hatte die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner der Vielfaltsflagge die Rote Karte gezeigt und ein Hissen Christopher-Street-Day rigoros verboten - ausgerechnet an einem Tag, der in der deutschen Geschichte für so vieles steht: für Hoffnung und Freiheit, aber auch für Hass, Ausgrenzung und Zerstörung.

Schadenfreude über Hass 

Die Saat geht auf, auch im traditionell toleranten Rheinland werden Offenheit und Respekt mit Füßen getreten und Regenbögen ausgelöscht. Es gebe sogar "Menschen, die sich über die Sachbeschädigung freuen – als wäre Zerstörung ein Sieg", beklagen die Grünen eine unverkennbare "Schadenfreude über Hass", der "vor allem seine eigene Engstirnigkeit" entlarve. Für die Kräfte von Mitte, Demokratie und Fortschritt ist klar: "Wer eine Regenbogenbank überschmiert, zeigt keine Liebe zu unserem Land, sondern eine Haltung, die das Gegenteil unserer demokratischen Werte verkörpert."

Immerhin hat die Stadt Düsseldorf nach der Attacke schnell reagiert. Nur zwei Tage, nachdem die Regenbogenbank mit den Farben der Deutschland-Fahne beschmiert worden war, sorgte die Verwaltung für Ersatz. Nun steht in dem Park wieder eine Bank in Regenbogenfarben, das Symbol der Vielfalt und Akzeptanz zeigt, dass es stärker ist als der Hass.