Donnerstag, 17. Oktober 2024

Gasförmiges Quantenphänomen: Billigeres Teuer

Erdgas wird im kommenden Jahr teurer und billiger zugleich.

Sie fallen, aber sie steigen zugleich auch. Es wird günstiger, aber im selben Moment teurer. Die Gastarife sinken, "doch Heizen könnte teurer werden". Einerseits kostet alles mehr, wie es die Bundesregierung langfristig geplant hat, um Zögerliche zum Umstieg auf teure Wärmepumpen zu bewegen. Andererseits kommt von überallher Trost: Die kommende Heizperiode wird "günstiger" (Tagesschau), denn "bereits in der vergangenen Heizsaison seien die Gaspreise schon deutlich von ihren Rekordständen im Jahr 2022 entfernt gewesen und "diese Entwicklung setzt sich nun offenbar fort".

Bereits schon

Nun deutet die Kombination von "bereits" und "schon" in einem Satz bereits schon immer auf eine gewisse Formulierungsunschärfe hin. Während im Hamburg noch gefeiert wird, klagt München schon, dass die Gaspreise deutlich steigen könnten. Mit "25 Prozent mehr" müssten Verbraucher rechnen, die den Startschuss zum Ausstieg aus den Fossilen immer noch nicht gehört haben. Eine "Preisklatsche" hört der "Focus" knallen und auch die "Tagesschau" hält sich nicht zurück. Die Gaskosten seien um vier Prozent gestiegen, auch wenn sie jetzt bald fallen, würden sie steigen, denn ab Januar erhöht sich die neue Steuer auf Kohlendioxid um zehn Euro auf 55 Euro pro Tonne.

Da es weiterhin so heftige Auszahlungsschwierigkeiten beim Klimageld gibt, dass im politischen Berlin  nicht einmal mehr darüber geredet wird, müssen die Bürgerinnen und Bürger die Belastung selbst schultern. Doch das fällt vielen leicht: Durch die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung, die die Netzentgelte beim Strom ab kommendem Jahr gerechter verteilt, bleibt bei vielen Menschen genug in der Kasse, um die steigenden Netzentgelte bei Erdgas aufbringen zu können.  

Gasförmiges Quantenphänomen

Es ist ein gasförmiges Quantenphänomen, das sich vor aller Augen abspielt. Hier und doch nicht da, höher und doch niedriger, vielleicht, wobei, man weiß es nicht und währenddessen ist vollkommen klar: Die Preise sinken, die Verbraucher werden entlastet und die Stimmung vor der anstehenden Bundestagswahl kann steigen. 

Vor allem "Verbraucher im ländlichen Raum", dort also, wo die Plakatkleber der demokratischen Parteien nie hinkommen, "dürften von der neuen Kostenverteilung des Stromnetzausbaus profitieren" (Der Spiegel). Andere dagegen müssen sich wohl tiefer in die Tasche greifen, weil die Stromkosten für Haushalte steigen werden, wie die vier großen Netzbetreiber bekanntgegeben haben. Fest steht, dass es billiger wird oder teurer, auf jeden Fall aber je mehr, desto und umso deutlicher weil.

Alles zugleich

Selten war so viel zugleich, selbst in kleinsten Einheiten. In Bayern etwa "wird Strom teurer, aber gleichzeitig wird er auch "günstiger". Im Osten, der im Moment einen Solizuschlag auf jede Kilowattstunde bezahlt, um den Westen mit gesundem Windstrom zu versorgen, seien dagegen "günstige Preise gerechtfertigt", die mit knapp über 27 Cent pro Kilowattstunde nur noch leicht über dem Niveau von 2019 liegen. Wer jetzt nicht wechselt, baut kein Haus mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. Und sich fragen: Bin nicht selber schuld?

Der Abräumer: Banaszak und die grünen Lebenslügen

Die Hosen kurz, der Blick ins Ungewisse gerichtet: Der neue Grünen-Chef Felix Banaszak hat politische Inszenierung über zehn Jahre direkt im parteieigenen Funktionärsinkubator studiert. Abb: Kümram, Kreide auf Acryl

Er trägt diese bübischen kurzen Hosen, die vor Jahren von "Sportschau"-Moderatoren populär gemacht wurden. Dazu die Altentasche als Insigne größerer Pläne, ein Augenzwinkern Richtung Olaf Scholz, der ein solches Stück Tierleder zum Reichsapfel seiner Kanzlerschaft erklärt hatte. Daneben der Zug, das korrekte Mittel der Wahl, wenn es um Mobilität geht. Hinten symbolisch zwei große "A" wie Anfang".

Ein Künstler aus dem Parteiapparat

Felix Banaszak, studierter Künstler und nach allen geltenden Vorschriften für die Ausbildung von Nachwuchskadern über Jahre im Parteiapparat geschult und aufgezogen, ist ein Mann, der nicht nur nie außerhalb grüner Organisationen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Er hat auf seinen Ausbildungsstationen als Politiker auch gelernt, wie politische Inszenierung geht. Von der Pike auf ging Banaszak in die grüne Lehre - erst bei einem Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, dann bei den Europaabgeordneten Terry Reintke und Sven Giegold

Er bekam beigebracht, wie gefloskelt wird, er weiß zu interpretieren, ohne dass es direkt gelogen ist. Er kann einen Auftritt vor der Kamera hinlegen fast wie Robert Habeck. Bubenhaft das Lächeln. Verwuschelt die Frisur, weil anderes wichtiger ist als sich morgens zu kämmen. Ein Bild, das der junge Maler Kümram von ihm auf Acrylfarben gemalt hat, zeigt den Hoffnungsträger einer ganzen Parteigeneration: Ein Fuß ist leicht vorgestellt und sagt "Jetzt geht es los". Der Blick ist ins Ferne, Ungewisse gerichtet und verspricht dem Wählenden: Ich sehe was, was Du nicht siehst. Und ich führe Dich dorthin, denn es ist das gelobte Land.

Paukenschlag zur Produkteinführung

Zuerst einmal aber muss sich ein neuer Spieler auf jeder Bühne Beachtung verschaffen, am besten mit einem Paukenschlag. Felix Banaszak gehört zum letzten Aufgebot der Grünen, er sprang auf Wunsch von Robert Habeck wie Kai aus der Kiste, nachdem Omid Nouripour und Ricarda Lang stellvertretend für grüne Minister, Fraktionschefs und Lautsprecher als Schuldige für die Serie an Wahlniederlagen ausgemacht und ausgewechselt worden waren. 

Doch unbeschriebene Blätter wie Banaszak und seine designierte Co-Vorsitzende Franziska Brantner sind der einzige Trumpf, den der aufs Kanzleramt schielende Bundesklimawirtschaftsminister noch ziehen kann. Die komplette aktuelle erste Reihe der Partei ist auserzählt. Und die, die wie die früheren Parteichefs  Cem Özdemir und Anton Hofreiter ausdauernd eine Art Nebenpolitik in eigener Sache betreiben, verdienen es aus Sicht der Habecker natürlich nicht, dafür nun auch noch belohnt zu werden.

Unschuldiger Neuanfang

Den Neuanfang kann nur ein Unschuldiger verkörpern. Und diesem Prinzip folgend hat die Parteispitze auch das Drehbuch zur Produkteinführung schreiben lassen. Felix Banaszak, eben noch für den Schauspieler Christian Ulmen gehalten, etablierte sich nahezu binnen Stunden, nachdem die informelle grüne Führung hatte erkennen lassen, dass der anstehende Parteitag keine andere Wahl haben werde als ihn und Brandtner zu wählen. 

Und der 35-Jährige, ein Jahrgangsgenosse des gerade erst von fast allen Ämtern zurückgetretenen SPD-Vordenkers Kevin Kühnert, führt sich auch gleich mit einem Paukenschlag ein. "Eine Politik, die nur in Glaubenssätzen und in Programmen, die man mal aufgeschrieben hat, denkt und nicht sieht, wie sich die Welt verändert hat, die ist nicht in der Lage auf diese Welt zu reagieren", hat Banaszak gleich bei einem seiner ersten Auftritte mit mindestens zehn Jahren grüner Illusionsbeschwörung aufgeräumt.

Die Partei als Legostein

Ohne die "feministische Außenpolitik", die desaströs verlaufene Heizungswende oder fantastische Ideen wie das "Wasserstoffbeschleunigungsgesetz" beim Namen zu nennen, verschafft sich Banaszak damit auf Anhieb Beinfreiheit. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Und wer sich nicht klarmacht, was wann möglich und was wann nicht ist, den bestraft der Wähler. Das soll Felix Banaszak verhindern, mit allen Mitteln der politischen Heuristik: Die Grünen sollen konservativer wirken, sie wollen eine Partei sein, die wie ein Legostein überall Anschluss finden kann. 

Macht statt Ideologie, eine Merkelisierung, die mit dem Wind geht, statt sich ihm stur entgegenzustellen. Die Namensgeberin dieser Strategie hatte ihren Start als starke Frau der CDU einst ähnlich smart zelebriert. "Vielleicht ist es nach einem so langen politischen Leben, wie Helmut Kohl es geführt hat, wirklich zu viel verlangt, von heute auf morgen alle Ämter niederzulegen, sich völlig aus der Politik zurückzuziehen und den Nachfolgern, den Jüngeren, das Feld schnell ganz zu überlassen", schrieb sie in ihrem berühmt gewordenen Bewerbungsschreiben mit dem zentralen Satz" "Wir kommen nicht umhin, unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen."

Abrechnung mit grüner Geschichte 

25 Jahre später schlüpft Felix Banaszak in dieselben Schuhe, bereit zum Marsch durch die grünen Institutionen und ebenso bereit, unterwegs mit den Lebenslügen einer Partei aufzuräumen, die sich eingerichtet hat im selbstverliehenen Nimbus, alles immer besser zu wissen, nie zu irren und durch festen Glauben an das Gute selbst Naturgesetze bezwingen zu können. Banaszaks Abrechnung mit den grünen Träumen von der Weltenrettung durch ein deutsches Tempolimit und der Vorstellung, man müsse Menschen nur zu ihrem Glück zwingen, dann würden sie einen auch lieben lernen, ist von den deutschen Medien weitgehend achselzuckend aufgenommen worden.

Gut für den neuen Mann, denn "ein solcher Prozess geht nicht ohne Wunden, ohne Verletzungen", hatte Angela Merkel vor 25 Jahren beschrieben, wie schwer es ihr fiel, ihren Ziehvater Helmut Kohl, das Tafelsilber der CDU, auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Wie Merkel weiß auch Banaszak: "Wie wir in der Partei aber damit umgehen, ob wir dieses scheinbar Undenkbare als Treuebruch verteufeln oder als notwendige, fließende Weiterentwicklung, das wird über unsere Chancen bei den nächsten Wahlen entscheiden".

Mittwoch, 16. Oktober 2024

EU-Plan gegen Flüchtlinge: Re-Migration nach Punkten

In Hemdsärmeln besuchte Ursula von der Leyen vor einem Jahr Lampedusa, um ihren damaligen Zehn-Punkte-Plan in angemessenem Ambiente vorzustellen.

Nur ganz knapp länger als ein Jahr hat der letzte Zehn-Punkte-Plan gehalten, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September 2023 bei ihrem legendären Hemdsärmel-Besuch auf Lampedusa vorgelegt hatte. Damals ging es der um ihre Wiederwahl kämpfenden CDU-Politikerin darum, "den hohen Zustrom von Migranten zu bewältigen". Von der Leyen hatte den entscheidenden Punkt mit sicherem Gespür ausgemacht: "Die irreguläre Migration ist eine europäische Herausforderung und sie braucht eine europäische Antwort."

Siebtes Mal 10-Punkte-Plan

Worte wie Donnerhall. Leyens Zehn-Punkte-Plan, es war der insgesamt siebte seit dem 2018 von der EU bei der "Mutter aller Gipfel" in Sachen Migration beschlossenen, der den Zehn-Punkte-Plan zur Migration von 2015 abgelöst hatte, enthielt die Absicht, verstärkt gegen Schleuser vorzugehen. Dazu sollten Migranten aber auch "echte Alternativen" angeboten werden, damit sie sicher nach Europa kommen können. Im Oktober 2023 einigten sich die EU-Staaten auf einen Durchbruch zu einer gemeinsamen Position zur Krisenverordnung. Nur Monate später stimmte auch das EU-Parlament der "humanen Begrenzung von irregulärer Migration" zu. 

Ein "Durchbruch" (Die Zeit), den sogar die italienischen "Postfaschisten" (Der Spiegel) feierten, was wiederum für große Zufriedenheit bei den deutschen Medien sorgte. Seit 2015 nervte das Thema. So sehr es auch gemieden wurde, so sehr drängte es sich selbst immer wieder in die Schlagzeilen. Selbst die abenteuerlichen Konstruktionen, die die Wertegemeinschaft EU plant, um "schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen" mit Hilfe einer "legal fiction of non-entry" durchführen zu können, bekamen Beifall.

So sehr die Briten für ihre Idee der Ruanda-Lösung verbal verprügelt worden waren, so laut klatschten die Schläger angesichts der Ankündigung, dass die Gemeinschaft künftig Lager an den Außengrenzen unterhalten werde, um Flüchtlinge abzuschrecken.

Verpuffte Reform

Seitdem ist viel passiert und nichts geschehen. Außer dass ganz EU-Europa nach rechts gerückt ist, als wollte es sich von den Vertröstungen der Kommission und der hinhaltend abwartenden Regierungen distanzieren. Die "Asylreform" ist verpufft, ein Papiertiger, der nicht springen musste, um als genau der bürokratische Bettvorleger zu landen, der er vom ersten Tag an gewesen war. 

Den Ankündigungsdurst der Ursula von der Leyen kann das freilich nicht bremsen: In einem Brief an die 27 Staats- und Regierungschefs hat sie den nächsten Zehn-Punkte-Plan vorgestellt, diesmal ausdrücklich mit "innovativen Ideen" angeüllt. Auch er soll wieder helfen, "die Zahl der in Europa ankommenden Migranten zu vermindern und abgelehnte Asylbewerber schneller zur Ausreise zu zwingen".

Auch er enthält wieder den Vorschlag, "Abschiebezentren außerhalb der EU" zu bauen. Auch er ist in etwa so ernst gemeint wie Nancy Faesers Versprechen, die britische "Ruanda-Lösung" zu prüfen. Das gab die Bundesinnenministerin vor acht Monaten. Die Prüfung erfolgt offenbar sehr, sehr gründlich, denn seitdem war nie mehr etwas davon zu hören.

Vorübergehend für immer


Das gemeinsame Asylrecht, das es nie gegeben hat, weil sich niemand daran hielt, fliegt seit Wochen  wie min Zeitlupe auseinander. Die Grenzkontrollen sind zurück, in Deutschland, das teilweise seit 2015 kontrolliert, als "vorübergehend" bezeichnet. Polen ist aus dem gemeinsamen System ausgestiegen, Ungarn ohnehin, auch die Niederlande. Italien lagert Asylverfahren nach Albanien aus, auf eigene Faust und ohne auf die EU zu warten. 

Von der Leyen versucht nun mit ihrem neuen "Zehn-Punkte-Plan", die Davoneilenden einzuholen. Das Konzept "sicherer Drittstaaten", eine teure Idee, die Staaten dafür bezahlt, keine Flüchtlinge durchzulassen, soll "rechtlich neu geregelt" werden, im kommenden Jahr. Auch die "Abschiebezentren", bisher von der EU-Kommission strikt abgelehnt, werden als Zückerchen ausgelegt. 

Postfaschistin als Vorbild

Die "Postfaschistin" Giorgia Meloni ist inzwischen Vorbild, nicht mehr der neue Mussolini. Afrikanische Staaten sollen die Ankommenden umgehend übernehmen. Das Thema wäre aus den Augen, aus dem Sinn, aus der Wahlkabine. Ursula von der Leyen, noch im EU-Wahlkampf hatte sie sich als Verteidiger der ewigen europäischen Werte inszeniert und die heute so beliebten "schärferen Regeln" für Zuströmende zurückgewiesen, stört sich neuerdings daran, dass "nur 20 Prozent der abgelehnten Asylbewerber Europa wirklich verlassen" müssen. Von der Leyen will mehr Re-Migration und schneller soll sie gehen.

Den Betroffenen will von der Leyen mit Blick auf die seit neun Jahren anhaltende Kritik am fortwährend hilflos versagenden EU-Asylsystem deshalb "strengere Pflichten" auferlegen. Ein Zeichen gegen den bedrohlichen Rechtsruck, das ergänzt werden soll durch einen "sofortigen Start" der mit der großen "Asylreform" vom Frühjahr geplanten "umfassende Registrierung und Sicherheitsüberprüfung von Flüchtlingen". Verantwortlich für das Asylverfahren wäre dann wie bisher auch der Staat, in der ein Flüchtling europäischen Boden erreicht hat. Damit sich alle daran halten, sollen die Grenzstaaten überzählige Asylbewerber dann aber an Länder wie Deutschland, Polen und Dänemark offiziell weiterreichen dürfen. 


Die Abgestumpften: Müde Medien im heiligen Krieg

Selten nur erreichen die Warnungen vor Trump noch die existenzielle Dringlichkeit, mit der Medienkonsumenten in Deutschland früher vor dem Präsidentschaftskandidaten bewahrt werden sollten.

Es ist ein Bild aus der Umsturzhölle, eine Grafik, die alle aufrechten Demokraten aufrütteln müsste. Zu sehen ist ein Prozess der Abstumpfung, eine über Jahre anhaltende Gewöhnung, die droht, Bürgerinnen und Bürger über die Gefahren hinwegzutäuschen, die dem demokratischen Westen drohen, sollte es dem früheren US-Präsidenten Donald Trump gelingen, zum zweiten Mal in Weiße Haus einzuziehen.

Vergeblicher Kampf

Im Kampf gegen Trump fehlt die Leidenschaft.

Das erste Mal war eine Überraschung, begünstigt durch ein gerüttelt' Maß an Unachtsamkeit. Zwar waren die deutschen Medien früh auf die Bedrohung aufmerksam geworden. Doch alle Warnungen in "Spiegel", "SZ", Taz und den öffentlich-rechtlichen Abspielanstalten fruchteten nicht. Die Amerikaner wählten den Demiurgen, der aufgrund seiner extremen Positionen hierzulande Mühe hätte, ein Parteiausschlussverfahren aus der AfD zu vermeiden. 

Dass die Ruder der medialen Dickschiffe doch noch bis ins Wasser reichen, zeigte sich bei Trumps Versuch, sich nach dem Ende seiner allgemein als desaströs eingeschätzten ersten Amtszeit zum zweiten Mal zum Präsidenten machen zu lassen. Dank der Anstrengungen aller gelang es, das Vorhaben zu torpedieren: Trump, deutschen Medienkonsumenten als Weltenfresser, Kriegstreiber und enger Freund der schlimmsten Diktaturen bekannt, scheiterte. Statt seiner zog Joe Biden ins Weiße Haus ein. Einer von uns, sagten sie im politischen Berlin.

Biden war kein Heiland

Nicht alle Wünsche erfüllte der neue Mann in Washington. Joe Biden hatte viel mit sich selbst zu tun, seine Popularität erreichte nie die seines früheren Chefs Barack Obama, der in Deutschland als eine Art Heiland verehrt worden war. Aber besser als nichts. Mit dem Wechsel im weißen Haus schwand das deutsche Medieninteresse an den Vereinigten Staaten

Trump hatte zwar kein Amt mehr, aber wenn doch noch mal ein ARD-Korrespondent oder ein "Spiegel"-Reporter aus der "gespaltenen Nation" (Spiegel) berichtete, dann ging es in der Regel um einen Prozess gegen den Ex. Und nicht um Biden oder irgendein anderes Thema.

Sicher schien allerdings, dass der Kampf gegen das Böse zu gegebener Zeit wieder aufgenommen würde. Legende sind die Tage, als das Magazin "Der Spiegel" Wählerinnen und Wähler mit einem täglichen Trump-Newsletter über die Schweinereien des Kartoffelmannes (Karl Doemens) informiert und "Tagesschau" wie "Heute" sich mehrfach in der Woche im Brustton der Empörung über halbe Sätze Trumps hermachten.

Die Machtergreifung des Milliardärs

Ziel war es erst, vor einer Machtergreifung des "Milliardärs" (Taz) zu warnen, denn die würde die amerikanische Demokratie zerstören. Vier Jahre später galt dann als ausgemacht, dass eine Fortsetzung der Präsidentschaft Trump die Demokratie zerstören würde. Diesmal kam es nicht dazu, weil alle demokratischen Kräfte zusammenstanden, auch die Briefwähler. Aktuell nun droht ein Comeback des Mannes, den sie den "Irren" (FR) nannten und als "Hassprediger" (Steinmeier) brandmarkten.

Doch es kommt kein Schaum mehr aus dem Spülwasser. Seltsam lau verläuft die Mobilisierung gegen die "Angstmaschine" (Die Zeit), die in ihren fürchterlichsten Tagen kurz davor stand, den Hitlervergleich zu gewinnen. Es mangelt an Warnungen, es mangelt an Enthüllungen. 

Der "Spiegel", der Donald Trump in der Ära Brinkbäumer in kürzester Zeit zum Menschen mit den meisten Coverbildern gemacht hatte, spart auffallend. Erst dreimal zierte der "Diktator" (Spiegel) in diesem Jahr das Titelbild. Das letzte Mal im Juli, als stünde nicht das Schicksal des Westens auf dem Spiel. 

Abgestumpftes Pflichtprogramm

Abgestumpft wird nurmehr ein Pflichtprogramm abgespult. Natürlich, die Hetze ist weiter da, die Unterstellungen, aus denen ganze "Tagesschau"-Beiträge gestrickt sind. Niemals würde sich ein deutsches Medium dazu herablassen, den deutschen Lesern und Zuschauern auch nur Auszüge aus Trumps Wahlprogramm mitzuteilen. Zu groß ist die Furcht, dass Versprechen wie "die Grenze abriegeln und die Migranteninvasion stoppen", "die größte Abschiebeaktion der amerikanischen Geschichte durchführen" und "die Inflation beenden und Amerika wieder erschwinglich machen" auf Zustimmung stoßen könnten.

Die Leidenschaft ist weg, die großen Kämpfer der Trump-Kriege sind müde geworden. Ähnlich lau und lasch wie sie den überaus gebrechlichen Amtsinhaber Joe Biden gegen den Vorwurf in Schutz nahmen, überaus gebrechlich zu sein und keine weiteren vier Jahre amtsfähig, schießen sie gegen Trump. Er solle mit Putin telefoniert haben.

Er habe Musik abgespielt. Er habe dies gesagt und jenes gemeint und er werde bald alle einsperren. Der Tonfall der Vorträge über Richtig und Falsch ist noch Originalsound. Entsetzt. Erbost. Warnend. Doch nicht einmal die bevorstehende "totale Zerstörung des Staates" und der Traum von "Trumps Milliardäre" von einer "rechten Tech-Diktatur" vermag noch richtige Angst zu schüren.

Keine heiligen Kriege

Doch die emotionsgetriebene Emphase, die die frühen Feldzüge gegen eine falsche Wahlentscheidung der Amerikaner zu Heiligen Kriegen machte, sie tauchte nur kurz auf. Als Biden von seiner Partei gezwungen wurde, Kamala Harris zu seiner Nachfolgerin zu erklären, war es Liebe auf den ersten Blick: Schwarz, indisch, Frau, Demokratin und Trumps Gegenkandidatin. Besser konnte es nicht kommen.

Der Honeymoon aber dauert nur wenige Wochen, dann stellte sich heraus, dass Harris' große Kompetenz wirklich unter denen war, die das ZDF gleich bei ihrer Inthronisierung gefeiert hatte. "Nicht weiß", aber sehr schweigsam. Bis heute weiß niemand, welche Politik die 59-Jährige betreiben wird, sollte sie die Wahl gewinnen. Vorsichtshalber fragt aber auch niemand, denn die Gefahr ist groß, dass auch Harris keine SPD-Positionen beziehen wird und ihre Interpretation von grüner Wirtschaftswende sich fundamental von der der deutschen Grünen unterscheidet.

Amerikanisches Rot

Was wäre dann? Dürfte man die Kandidatin Europas dann noch gut finden? Eine Frau, die nach langem Zuschauen beim Zustrom an der Grenze im Wahlkampf für "strenge Regeln" eintritt, womit sie nicht meint, das "kaputte Einwanderungssystem"(Harris) nach europäischem Vorbild zu humanisieren. Sondern das Asylrecht einzuschränken und die Schotten dichter zu machen.

Für wen könnte Deutschland sein, wenn sich herausstellte, dass Kamala Harris' Partei nach hiesigen Maßstäben nicht den Grünen und nicht der SPD, ja, nicht der CDU als derzeit größter linker Kraft entspricht. Sondern einer Kraft aus dem Narrensaum des rechten Randes, der sich wie ein Möbiusband so weit nach links erstreckt, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht kein Problem hätte, die nach deutschen Maßstäben Superreiche aufzunehmen.

Dienstag, 15. Oktober 2024

EU-Engpass: Das Salz der Erde

Glückliche Apotheker: Sie sind aufgefordert, dem Mangel an Kochsalzlösungen i´mit emsiger Handarbeit abzuhelfen.

Es war wie immer richtig gut gemeint. Nichts Besseres gibt als das, was sich noch mehr verbessern lässt! Als erste Adresse auf Erden für Vorschriften, die das Leben leichter machen, gilt seit Jahren die EU-Bürokratie, deren lange Schaffensgeschichte Höhepunkte der menschlichen Kulturentwicklungen im Dutzend zählt.  

Die Cookie-Richtlinie und das Gesundheitsprojekt "Hera", die fest an den Hals getackerten Flaschenverschlüsse und die KI-Richtlinie, der Digital Service Act und die Katar-Regeln, das programmierte Verbrenner-Aus und das Gewalt-Verbot, sie stehen für moderne europäische Schöpferkraft, die es mit jeder Nichtigkeit aufnimmt.

Arbeitsauftrag Medikamentenmangel

Auch den Medikamentenmangel haben sich die Kommission und das größte halbdemokratisch zusammengestellte Parlament in Straßburg längst als Arbeitsauftrag gesichert. Eine Legislaturperiode ist lang, jeder sucht nach Arbeit und Betätigungsnachweis. Mit dem - wie stets zu Ehren der fünf Millionen englischen Muttersprachler in der Gemeinschaft auf Englisch getauften "Good Manufacturing Practice"-Leitfaden der EU (GMP) gaben Parlamentarier und Kommissare den bis dahin nahezu regellos vor sich hinwurstelnden pharmazeutischen Unternehmen Nachhilfe. 

Zwar gab es kaum Vorfälle mit verseuchten, verschmutzten und gesundheitsbedrohenden Plasmen und Lösungen. Doch so gut die in Europa hergestellten und aus dem Ausland hierher gelieferten sterilen und aseptischen Produkte auch zu sein schienen -  seit dem Inkrafttreten des GMP am 25. August vergangenen Jahres sind sie nicht mehr gut genug. Die neuen Vorschriften nehmen die Hersteller strenger an die Hand, sie erfordern mehr Filter, mehr Nachweise, mehr Sterilität. 

Beeindruckende Ergebnisse

Die Ergebnisse sind beeindruckend. Nach Fiebersaft und Antibiotika, deren Fehlen deutsche Krankheitsfälle seit mehr als drei Jahren beklagen, sind nun auch simple Kochsalzlösungen Mangelware. Schon müssen Operationen verschoben werden, weil sogenannte Ringer-Lösungen fehlen, die als Infusionsflüssigkeit und zur Reinigung von Wunden benötigt werden. Eigentlich handelt es sich dabei nur um eine Mischung aus Natriumchlorid und Wasser, doch die EU hat es im Handumdrehen geschafft, den einfachen Blutersatz zur Bückware zu machen. 

Neue Vorschriften haben die alten Lieferanten, die zumeist im Ausland produzieren, erfolgreich aus dem Markt gedrängt. Aus Kostengründen hätten die Unternehmen darauf verzichtet, ihre Produktionsverfahren EU-gerecht umzustellen. Andere haben es getan, aber feststellen müssen, dass der höhere Aufwand die Kosten in die Höhe treiben. Eine "Kochsalz-Krise", wie es die "Welt" nennt, die zu Europas fehlenden Raketen, fehlenden Künstlichen Intelligenzen und fehlenden Internetkonzernen nun auch noch fehlenden Kochsalzkocher addiert. Nur zwei deutsche Firmen produzieren noch Salzwasser für medizinische Zwecke. Sie beliefern allerdings nur ihre Stammkunden.

Schnelle Ergebnisse

Selten hat eine EU-Richtlinie schneller greifbare Ergebnisse gebracht. Noch warten Patienten auf die segensreichen Folgen des im vergangenen Jahr verabschiedeten "Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes". Und schon zeigt die EU, wie es richtig geht: Es kann nicht nur immer alles teurer werden. Es kann auch einfach weg sein.

Ausländische Lieferanten, die bisher bemüht worden waren, die fehlenden inländischen Kapazitäten zu ersetzen, haben sich in Windeseile aus dem EU-Markt verabschiedet. Da sie sich weigerten, die verschärften Anforderungen zu erfüllen, stünden nicht mehr genügend Anbieter zur Verfügung, heißt es beim Bundesverband der Pharmazeutischen Unternehmen.  Kurzfristig sollen jetzt Apotheken einspringen und die Lösungen in Handarbeit herstellen. Manufakturwirtschaft, die das von der SPD ausgerufenen Motte "Made in Germany" aufnimmt und es umsetzt. 

Plattformarbeit plattmachen

Die EU ist mittlerweile schon weitergeeilt. Mit der Richtlinie zur digitalen Plattformarbeit will sie versuchen, als erster Gesetzgeber weltweit gegen das Geschäftsmodell von digitale Unternehmen wie Bolt, Deliveroo Lyft oder Uber vorzugehen. Wenn zwei von fünf "Kontroll- oder Lenkungsindikatoren" (EU-Kommission) darauf hindeuten, dass ein vermeintlich selbständiger Mitarbeiter arbeitnehmerähnlich beschäftigt wird, soll er künftig fest angestellt werden müssen, sofern er nicht nachweisen kann, dass es sich bei der Vertragsbeziehung nicht um ein Beschäftigungsverhältnis handelt.

Absehbar werden die Folgen einschneidend sein. Und in ihrer Ausprägung vermutlich ähnlich überraschend wie die der "Good Manufacturing Practice"-Richtlinie.

Werbung für den Siegesplan: Krieg und Frieden

Immer lauter wird das Geschrei der Friedensfreunde.

Diesmal würde Russland dabeisein dürfen, wenn über den weiteren Gang der Dinge beraten wird. Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj einig. Die Zeit sei reif, wenn schon nicht gleich mit Putin, so doch mit seinen Leuten zu reden. Ein Signal nach Moskau, das die Ankündigung eines Anrufs aus Berlin kurz zuvor noch barsch abgebügelt hatte. Auf die vorsichtig in den Raum gestellte Einladung kam gar nichts.

Verpuffte Sanktionen

Die Hoffnung, Russland könne mit hartem Widerstand mit westlichen Waffen und den härtesten Sanktionen aller Zeiten zum Einlenken bewegt werden, war zuvor schonen einen stillen Tod gestorben. Ursula von der Leyen ist nie wieder auf ihre Prophezeiung aus dem Jahr 2022 zurückgekommen, dass Russland in Kürze pleite sein werden. Die deutschen Medien haben nach und nach aufgehört, Putin alle nur denkbaren tödlichen Krankheiten anzudichten. Nicht einmal mehr der lange Zeit zuversichtlich reportierte Mangel an Soldaten, Panzern, Benzin und Granaten spielt noch eine Rolle.

Der Westen hat die Ukraine faktisch aufgegeben, aber noch nicht die Hoffnung, dass sie trotzdem weiterkämpfen wird. US-Präsident Joe Biden fand es zuletzt wichtiger, Termine in den Hurrikane-Gebieten Floridas zu absolvieren als bei einer geplanten Unterstützer-Konferenz für Kiew aufzutauchen. Aufgeschoben sei der Termin nur, hieß es tröstend. Bis er dann abgesagt und durch ein informelles Treffen mit Olaf Scholz ersetzt wurde.

Verfahrene Situation

Reden die beiden über schwere Waffen? Oder über einen Ausweg aus der verfahrenen Situation, die eingetreten ist, weil die westlichen Geheimdienste die Kampfkraft und das Durchhaltevermögen der russischen Aggressoren ebenso falsch eingeschätzt haben wie zuvor die russischen Dienste die Bereitschaft der Ukrainer, ihr Land zu verteidigen? Unübersehbar ist, dass weder Washington noch Berlin noch großes Interesse daran haben, den Abnutzungskampf fortzusetzen. Es fehlt der Nato an Geld und es fehlt ihr an der Möglichkeit, ihre Waffenhilfe anderweitig auszuweiten, ohne den Konflikt eskalieren zu lassen. 

Den Bürgerinnen und Bürgern, die anfangs mehrheitlich hinter der Idee standen, dem angegriffenen Land nach Kräften zu helfen, fehlt es überdies inzwischen an Geduld. Nach zweieinhalb Jahren ist der Krieg weit weg. Die Gasrechnung wird als schlimmer empfunden als der Verlust von Gebieten fast 2.000 Kilometer entfernt, in denen niemand jemals war und in die keiner je reisen wird.

Die beiden Kriege an der Peripherie der EU - der Verteidigungskrieg der Ukrainer gegen Russland und der Verteidigungskrieg der Israelis gegen den militanten Islam - sie ähneln sich darin beide. Zugleich aber finden sich bei der Behandlung der Konflikte deutliche Unterschiede: Aus Sicht der federführenden deutschen Parteien sollen die Ukrainer weiterkämpfen, bis Putin die Waffen streckt. Alles andere werde den Diktator nur "ermutigen", als nächstes Warschau, Prag und Berlin anzugreifen.

Nun ist genug

Der Judenstaat hingegen wird aller paar Stunden aufgefordert, es genug langsam mal sein zu lassen. Die armen Angreifer hätten doch auch Familie. Man müsse auch mal an die Geiseln denken. Nicht jeder Hamas-Terrorist sei ein schlechter Mensch. Wer jetzt nachgebe, sei der Klügere. Wer aber weiterkämpfe, obwohl der Gaza-Streifen nun schon so kaputt sei, müsse sich mit Sicherheit eines Tages selbst als Kriegsverbrecher vor einem internationalen Gericht verantworten.

Bei allem bleibt die Treue Deutschlands unverbrüchlich. Sechs Monate wurden keine Waffen an Israel geliefert, weil die Regierung Netanyahu sich weigerte, schriftlich zuzusichern, dass sie deutsche Bomben und Granaten nicht zum Völkermorden zu verwenden gedenke. Kiew blieb von solchen Garantieschwüren unbehelligt, denn im Unterschied zu Israel, das wegen des Friedens aufhören soll, Krieg zu führen, soll die Ukraine bis zu einem Siegfrieden kämpfen.

Tingeltour statt Konferenz

Die Ukraine darf nicht aufgeben, weil niemand mit einem verrückten Diktator wie Wladimir Putin verhandeln kann. Und wenn doch, dann sei ja kein Verlass auf die geschlossenen Verträge. Israel hingegen soll schnellstmöglich aufgeben und mit den Terrorbanden verhandeln, damit die schnellstmöglich einen eigenen Staat bekommen, aus dem sie dann korrekt nach Völkerrecht und mit einer richtigen Armee angreifen könnten.

Bei einer Tingeltour durch die Regierungszentralen hat Volodymyr Selenskyj den Verbündeten in den letzten Tagen eine Strategie vorgestellt, die schon mit ihrem diplomatischen Namen "Siegesplan" Richtung Moskau signalisiert, wer hier am Ende geschlagen abziehen wird. Der ukrainische Präsident war in Paris, er war in London und Rom, vorher schon hatte er Biden in den USA besucht. Über Einzelheiten des Planes ist dennoch nichts nach außen gedrungen.

Nur, dass er Putin "kalt" lasse.

Montag, 14. Oktober 2024

Hass auf Hassjäger: Verbot tut not

Das Netz zeigt sich oft als Abgrund aus Gehässigkeit und fehlendem Anstand.

Es war allen klar, dass es Gegenwind geben würde. Zu gut organisiert sind die Netztrolle, die russischen Einflussagenten und die Sockenpuppen ausländischer wie sächsischer Antidemokraten, als dass im politischen Brüssel, in Straßburg und in Berlin nicht schon früh allen klar war, was geschehen würde. Erst die lauhalsen Klagen über die Einführung des in jahrelangen Hinterzimmerverhandlungen vereinbarten Digital Service Act. Nun das empörte Geschrei über den praktischen Vollzug der Meinungsschutzmaßnahme.

Verleumdet als Zensurbehörde

Die Bundesnetzagentur muss sich als "Zensurbehörde" verleumden lassen. Das federführende Bundeswirtschaftsministerium, das eine von einer grünen Politikerin geführte Meldestelle zum ersten amtlich lizenzierten Hinweisgeben ernannt hatte, sieht sich Vorwürfen der Vetternwirtschaft ausgesetzt. Ein Islamwissenschaftler, der alles mitbrachte, um Hetze und antimuslimischen Hass zu erkennen, sah sich gezwungen, seinen X-Account zu löschen, als seine Rolle öffentlich bekannt wurde.

Unübersehbar, dass interessierte Kreise die Axt an die Regeln legen, nach denen Ansichten, Meinungen und Äußerungen künftig kontrolliert, beaufsichtigt und - in notwendigen Fällen unter der Strafbarkeitsschwelle - auch unbürokratisch gelöscht werden sollen. Aus einer "normalen rechtsstaatlichen Aufgabe" (Taz), die daraus besteht, eben nicht eine anonyme Stasi mit der Aufsicht über die Meinungsfreiheit zu betrauen, sondern dazu in einem transparenten Verfahren verlässliche Gewährsträger auszuwählen, wird ein Skandal gemacht.

Neue Meinungsaufsicht

Dabei zeigt das, was sich tagtäglich im Netz abspielt, wie wichtig die neue Aufgabe der Bundesnetzagentur ist, die ursprünglich einmal für die Beaufsichtigung des fairen Wettbewerbs bei Strom, Gas und Telekommunikation zuständig war. Dass Meinungsaufsicht nun auch in den Verantwortungsbereich der Bonner Behörde fällt, verdankt sich einem Zufall: "Netz" steckt auch in "Netzwerke", dem Namen, mit dem die großen Internetkonzerne oft bezeichnet werden.

Denen gefällt es seit Jahren, zu tun und zu lassen, was sie wollen. Während Facebook in der Corona-Zeit auf Anforderung der Behörden sogenannte Fake News löschte und Twitter sogar bereit war, ganze Medien nach einem Hinweis aus der US-Regierung dauerhaft zu sperren, tanzen die Großen Europa, der EU und Deutschland frech auf dem Kopf herum. Geldstrafen schrecken nicht. Alternativen gibt es nicht. Mahnungen verpuffen oder gehen sogar nach hinten los: Thierry Breton, ein mutiger Franzose mit langer Erfahrung in Verantwortung, hatte kürzlich erst versucht, den enigmatischen Milliardär Elon Musk in die Schranken zu weisen. Wenig später verlor er seinen Job.

Verbreiteter Hass

Selbstbewusst verbreiten die, die derzeit noch kein Eingreifen von Regulierungsbehörden fürchten müssen, Hass und Menschenverachtung. Als "krank", "von Hass und Dummheit zerfressen" und "Abschaum" werden Andersdenkende bezeichnet. Fake News über Hitze als Ursache von Hass machen die Runde. Selbsternannte Influencer imaginieren eine Traumwelt, in der es Deutschen versagt ist, über ihre eigenen Angelegenheiten überhaupt noch mitzureden. KI-generierte Inhalte verwirren zusätzlich: Grüne Politikerinnen werden vorgeführt.

Obwohl die Sachlage ein Eingreifen unumgänglich macht und EU-Auflagen Deutschland die Umsetzung vorschreiben, wird die Regulierung der Meinungsvielfalt vom Start weg diskreditiert. Die staatlich lizenzierten und finanzierten Trusted Flagger stünden im offenen Widerspruch zum Rechtsstaat, die Bundesregierung leiste sich Söldner, die nicht strafbare Äußerungen aufspüren und beseitigen lassen sollen. Tatsache ist, dass "Zensur" gerade nicht zu den direkten Aufgaben der Bundesnetzagentur gehört. Die Suche nach Hetze, Hass, Zweifeln und Hohn ist ausgelagert, nach einer Meldung findet die Löschung von Inhalten nach den Hausregeln der Plattformbetreiber statt, nicht nach den Vorgaben des Grundgesetzes.

Gegner des sauberen Internets

Doch die Gegner eines sauberen Internets stört das wenig. Sie nennen das schrankenlose Kommentieren, das Posten bei X und Facebook-Gruppen, die ungestört unterhalb der Strafbarkeitsschwelle miteinander diskutieren, eine Freiheit, die ihnen angeblich niemand nehmen dürfe.

Aber sie fördern das Chaos, das regelmäßig dort entsteht, wo der Staat nicht regulierend eingreift. Beispiele für Entgleisungen, die Deutschland in der Vergangenheit gespalten haben, künftig aber als "illegale Inhalte" keine Chance mehr bekommen werden, sich zu verbreiten, sprechen eine andere Sprache: Bis heute stehen Sätze wie "Bald besteht Deutschland nur noch aus Flüchtlinge, weil die Deutschen auswandern!!!!" und "Habe gedacht, dass Deutschland erst in 10 Jahren untergeht, das Ziel ist erreicht" ungestört im Netz. Manches davon ist so subtil formuliert, dass es die Grenze der Strafbarkeit nicht überschreitet, anderes arbeitet mit Andeutungen oder tarnt sich als "Humor".

Im Dienst der offenen Gesellschaft

Gesetze, Staatsanwaltschaften, Polizei, Gerichte, sie alle kommen da nicht mehr hinterher. Wenn Menschen als "Pack" bezeichnet werden oder als "lispelnde Menschenkarikatur", sich als "Kartoffel" vorgeführt finden oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sich zeigt, indem Gruppen nach sekundären Merkmalen wie ihrem Geburtsort zusammengestellt werden, ist es ein völlig normaler rechtsstaatlicher Vorgang, dass der Staat Vorfeldorganisationen aufruft, mit Methoden Zusammenhalt und Solidarität zu stärken, die ihm selbst versagt sind. 

Eine offene Gesellschaft kommt nicht ohne Kontrolle aus, zumindest nicht im Inneren. Trusted Flagger sind die Garanten einer freiheitlichen Ordnung, die von oben nach unten organisiert und strukturiert ist. Die Regeln, die die EU vorgesehen hat, um irregulären Widerspruch gegen das Unabdingbare einzuhegen, sind da und sie sind einzuhalten. Das sollten die Kritiker schnell akzeptieren, denn ihre Hetze gegen den Meinungsfreiheitsschutz führt nur zu Irritationen und Verunsicherung.

Sozial und national: Mit dem Füllhorn zum Wahlwunder

Lars Klingbeil ist der neue starke Mann in der SPD. Er setzt im anlaufenden Bundestagswahlkampf auf neue Versprechen.

Etwas für alle und ein bisschen weniger für wenige: Nur eine Woche nach dem Tiefschlag durch den Rückzug ihres gescheiterten Generalsekretärs Kevin Kühnert hat die deutsche Sozialdemokratie sich kampfeslustig neu aufgestellt. Unter der Regie von Lars Klingbeil, dem starken Mann in der Rest-SPD, schnürten die Genossen ein Paket aus Versprechungen, das die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr wieder auf die richtige Seite ziehen soll.  

Zurück zu den Wurzeln

Schluss mit den vier Jahren in der Opposition, in denen die SPD nichts durchsetzen konnte. Schluss mit Wolkenkuckucksheimen, in denen die vom Staat als "CO₂-Abgabe" eingesammelten Milliarden als "Klimageld" an die Bürger zurückfließen.

Für die Zeit ab September 2025, wenn die SPD daran geht, das 27. Jahr ihrer Regierungsbeteiligungen seit 1998 komplett zu machen, hat die Partei der Brandt, Wehner und Schmidt sich Großes vorgenommen. Geplant ist ein ganzes Bündel aus Zusagen, die an das vor der letzten Wahl gegebene Klimageldversprechen erinnern: Die meisten Einkommensteuerzahler würden entlastet. Unternehmen, die sich standortpatriotisch im Sinne des von Donald Trump entlehnten Mottos "Germany first" zeigen, belohnt, Überreiche zur Kasse gebeten und der harte Kern des immer noch wohlhabenden inländischen Bionade-Adels mit Steuergeldern bei der Anschaffung von sparsamen Elektrofahrzeugen unterstützt werden. 

Geheimplan Finanzierung

Den kompletten Plan zur Finanzierung der Maßnahmen hat die SPD noch nicht offengelegt. Klar ist aber, dass die von der hart arbeitenden Mitte und den ärmeren Schichten weniger gezahlten Steuern dazu dienen sollen, der Wirtschaft wieder auf die Füße zu helfen. Klingbeil, unter Genossen liebevoll "die Axt" genannt, ist fest entschlossen, 2025 ein zweites Wahlwunder zu bewirken. Mit einer "Körperhaltung des Siegeswillens" möchte der Parteichef im Lande verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, indem er den Menschen zumindest das Gefühl gibt, die SPD strebe nicht nur nach der Macht um der Macht willen. Sondern weil sie einen Zweck und ein Ziel verfolge und dazu einen Plan habe.

Das Füllhorn staatlicher Güte

Seit Jahren Gerhard Schröder, heute innerhalb seiner Partei verhasster als außerhalb, seine Stelle vor der Zeit aufgeben musste, ist dieser Plan geheim geblieben, aber immer wieder geändert worden. Die SPD versicherte, immer mehr Gerechtigkeit schaffen zu wollen. Dazu strebte sie an, aus staatlicher Fürsorge staatliche Rundumbetreuung zu machen. Die hart arbeitende Mitte war aufgefordert, folgsam zu sein. Versprochen wurden ihr dafür soziale Wohltaten aus dem übervollen Füllhorn der staatlichen Güte.

Das bekommt, wenn alles klappt, einen kräftigen nationalen Zungenschlag, mit dem die SPD an die egoistischen Gefühle der Wähler appellieren will. Ein neuer "Made-in-Germany-Bonus" aus "umfassenden Superabschreibungen und Steuerprämien für Unternehmen", die hierzulande in Zukunftsbranchen investieren und "gute Arbeitsplätze am Standort Deutschland" schaffen, soll noch höher besteuerte Reiche vom Bleiben überzeugen. 

Eine neue Kaufprämie, mit der die SPD Wohlhabenden mit dem Geld von Geringverdienern die Anschaffung von Elektroautos erleichtern und die heimische Automobilindustrieretten will, wird ergänzt von einer gesetzlich vorgeschriebenen E-Auto-Quoten für Leasinganbieter und Steuernachlässe für E-Autos, allerdings nur, wenn sie als Dienstwagen gefahren werden.

Auf Kurs am Kern vorbei

In Auswertung der Vielzahl an Wahlniederlagen, die die deutsche Sozialdemokratie in den vergangenen Monaten hatte einstecken müssen, bleibt die SPD auf Kurs. Ungeachtet einer auch vom parteinahen RND ventilierten Studie, nach der Inflation, Migration und Sicherheit die Themen sind, die die Menschen vor allem gelöst sehen wollen, nimmt die Partei Kurs auf einen Wahlkampf, der genau diese Themen meidet.

Für die SPD ist klar: Würde die Partei erst regieren, kämen viele Dinge, die heute im Argen liegen, schnell wieder in Schuss. Neue Schulden würde es geben, bewährterweise als "Sondervermögen" bezeichnet. Eine große Steuerreform werde dann 95 Prozent der Bürger entlasten, die Einnahmeausfälle würde allein das eine Prozent der Höchsteinkommenshaushalte tragen, das ohnehin niemand leiden kann. "Diese Reform wird den Menschen mehr finanziellen Spielraum geben und die Kaufkraft stärken. Damit kurbeln wir die Wirtschaft von unten und aus der Mitte der Gesellschaft an", heißt es in der sechsseitigen Beschlussvorlage mit dem Titel "Wir kämpfen für Deutschlands Zukunft: Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze sichern, Beschäftigte entlasten".

Das Gesicht des Wumms

"Wumms", "Doppel-Wumms" und grünes Wirtschaftswunder "wie in den 50er Jahren" (Olaf Scholz) bekommen damit ein Gesicht. Ohne die lästige Mindestlohnkommission, einst eingeführt, damit der Mindestlohn nicht in jedem Wahlkampf in einem Überbietungswettbewerb hochgetrieben wird, soll diesmal nach Parteibeschluss um weitere 20 Prozent auf dann 15 Euro steigen. Damit will die frühere Arbeiterpartei dem Fachkräftemangel entgegenkommen und die zuletzt exorbitant gestiegenen Preise in Bau und Handwerk einfangen. Gerade der Mittelstand werde profitieren. All die Bäcker, die nicht mehr backen, die Dachdecker, die nicht decken, und die Maler, die nicht mehr malen.

"Aktive Wirtschaftspolitik" nennt es Arbeitsminister Hubertus Heil, der darauf vertraut, dass die Besser- und Überverdienenden in den inhabergeführten mittelständischen Betrieben und Großkonzernen nicht so schnell aus Deutschland wegkommen, wie ihnen das Geld aus der Tasche gezogen werden kann. 

FDP-Chef Christian Lindner, in seiner letzten Saison als Spitzenpolitiker, wittert, dass "die SPD  mittelständische Betriebe stärker besteuern" will und vorhabe "mit Schulden Subventionen für geplante Investitionen an die Wirtschaft zu zahlen". Schön für die um Überleben kämpfenden Liberalen: "Die nächste Wahl entscheidet über gelenkte Verwaltungswirtschaft oder Soziale Marktwirtschaft", glaubt Lindner, unter dessen Ägide die Steuer- und Abgabenquote neue Höhen erreicht hat.

Sonntag, 13. Oktober 2024

Tugendgesetz: Die Lizenz zum Löschen

Die amtliche Liste der verbotenen Verbalgegenstände.

Die EU hat den Weg geebnet, die Bundesregierung ist ihn entschlossen gegangen. Mit dem neuen Tugendgesetz (BundTG) hat die Ampelregierung die Grundlagen für ein gedeihliches Miteinander im Internet geschaffen. Vielfalt und Freiheit ergänzen sich unter der Aufsicht der neuen Tugendwächter - von der zuständigen Bundesnetzagentur als "Trusted Flagger" bezeichnet - und schaffen einen Gesprächsraum, der niemanden ausschließt, der guten Willen ist und bereit, auf die Äußerungen von illegalen Inhalten zu verzichten.

Verbotene Verbalgegenstände

Darunter fallen neben "unzulässigen Inhalten" und der "Verletzung biometrischer Daten" eine ganze Reihe von verbotenen Verbalgegenständen, die eine "Untergruppe der Koordinatoren für digitale Dienste in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission erstellt" hat, "um die Entwicklung harmonisierter Ansätze zur Umsetzung des Digital Service Acts zu unterstützen". Das große Gesetzeswerk der EU war ursprünglich geschaffen worden, um die Macht der ausländischen Digitalkonzerne einzuhegen. Wie bei der legendären Cookie-Richtlinie geschieht das nun durch die kontrollierte Verengung der Freiheitsgrade im Netz.

Kaum ein Betätigungsbereich von Hetzern, Hassern und Zweiflern im Netz wurde vergessen. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und hat nur hinweisenden Charakter, spiegelt aber "potenzielle Bereiche illegaler Inhalte in den Mitgliedstaaten wider". Von Tierschutzverstöße über nicht näher erläuterte "Verstöße gegen den Datenschutz und die Privatsphäre" und "Verstöße gegen das Recht auf vergessen werden" (im Original) reichen die Regulierungsvorschriften bis zu "anderen Datenschutzverstöße gegen die DSGVO" und darüber hinaus bis zu "Anderen" ganz allgemein.

Die Lizenz zum Löschen

Kaum etwas, was nicht unter "unerlaubte Rede" fallen könnte und sollte. Angefangen von strafrechtlich bereits geregelten Sachverhalten wie "Verleumdung", "Holocaust-Leugnung" und "Diskriminierung" sieht die informelle Durchführungsverordnung für "Trusted Flagger" auch "Hassrede unabhängig von Medium und Inhalt (d. h. Bilder, Videos, Texte, öffentliche Ansprachen usw.) und wiederum "andere" als Grund für ein beherztes Eingreifen der lizenzierten Beobachtungs- und Meldestellen vor.

"Unerlaubt" sind weiterhin Verletzungen des Urheberrechts, Verstöße gegen das geistige Eigentum und andere gewerbliche Rechte, die Verletzung eines Geschmacksmusters und Rechtsverletzungen bei Sportveranstaltungen sowie "Verstöße gegen geografische Angaben" und die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. Dazu aber kommen neben "anderen" Äußerungen und Kommentaren" auch
Einträge oder öffentlich geäußerte Ansichten, die die zuständigen Stellen "negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs oder Wahlen" befürchten lassen. 

"Oder ähnliche Technologien"

Vor allem "ausländische Informationsmanipulation" und "Einmischung", die "Informationsmanipulation mit dem Ziel, die Integrität / den Ausgang von Wahlen zu beeinflussen" und "Andere" stehen auf dem Index. Dazu kommen "nicht einvernehmliche Inhalte, die Deep-fake- oder ähnliche Technologien
enthalten" und die Veröffentlichung von persönlich identifizierbaren Informationen über eine Person". Dabei kann es sich laut der offiziellen Liste auch um "Andere" handeln.

Eine Regelung, die alles umfasst und nichts vergisst. Das Tugendgesetz soll niemanden in Versuchung führen, womöglich nicht gesamtgesellschaftlich einhellig geteilte Meinungen zu verbreiten oder zu teilen. Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, inzwischen einflussreicher grüner Influencer, hat die Zielrichtung des Tugendgesetzes umrissen: Es gehe "darum, durchzusetzen, dass die Plattformbetreiber ihre eigenen Standards einhalten, die sie dem Gesetzgeber gegenüber versprochen haben", schrieb der langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages: "Das betrifft nicht nur Strafrecht."

Die richtigen Ansichten

Auch guter Geschmack, die richtigen Ansichten, moralische Werte und die Herkunft von Meinungsäußerer spielen eine Rolle. Ausländer dürfen Inhalte, die nicht strafbar sind, nicht mehr in Deutschland tätigen. Art 5 GG gilt für sie nicht mehr. Allerdings gewährt der Rechtsstaat ihnen großzügig die Möglichkeit, bei umgekehrter Beweislast vor Gericht zu ziehen und nachzuweisen, dass ihre Aussagen nicht unter Tatbestände der Verbotsliste inkusive "Andere" fallen.

Polenz, obwohl selbst nicht direkt an der Formulierung der von der Bundesnetzagentur verantworteten Giftliste beteiligt, ist zufrieden mit den ersten Schritten zur Einschränkung des Wildwuchses bei der Meinungsfreiheit. Die verschärften Verhaltensregeln seien nicht darauf ausgelegt, Menschen zu kriminalisieren, argumentiert er. Ziel ist vielmehr eine Disziplinierung: Niemand wird angeklagt oder von einem ordentlichen Strafgericht verurteilt, nur weil Trusted Flagger eine oder mehrere seiner Interneteinträge als "illegal" oder rechtswidrig melden mussten. 

Auch legale Inhalte

Nur wer gegen eine Löschung oder Sperrung vorgeht und versucht die Sittenpolizei des Tugendministeriums vorzuführen, riskiert Geld und Nerven. Das allein, so die Hoffnung, schreckt  Nachahmer ab und verhindert, dass die mit dem Aufsichtssystem eingeführte schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte (Antonio Guterres) auf Protest stößt. Schon bei der Einführung des NetzDG durch den damaligen Justizminister Heiko Maas hatte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit vergeblich gewarnt, dass das Gesetz Meinungsfreiheit und Privatsphäre bedrohe, weil Internetfirmen vorsichtshalber auch legale Inhalte löschen würden.

Das nach dem Vorbild des NetzDG entworfene EU-Recht verlangt das nicht, verbietet es aber auch nicht. "Overblocking"gilt als hinnehmbares Risiko angesichts der Gefahr, dass die Meinungsvielfalt aus dem Ruder laufen könnte, würde sie nicht von einer vom Staat beliehenen Aufsichtsbehörde auf zivilgesellschaftlicher Basis eingehegt. Als Werkzeug dazu dienen die Hausregeln der ausländischen  Plattformbetreiber, die bei deren Formulierung nicht mehr nur zur Einhaltung des Rechts verpflichtet sind, sondern weit darüber hinaus Einschränkungen veranlassen können.

Der Missionar: Unschuld vom Lande

Als "Missionar" lobt die angesehene Wochenschrift "Die Zeit" den vor aller Augen scheiternden Bundesklimawirtschaftsminister, dessen Kampagne mit #habeck4kanzler überschrieben ist.

Er hat das Ruder herumgerissen, und das nun schon mehrfach. Als stärkste Kraft in der Ampelkoalition zieht Robert Habeck Aufmerksamkeit an wie ein Magnet, er ordnete und straffte die Wirtschaft nach dem russischen Angriff neu, stellte weite Bereiche auf Kriegswirtschaft um, ließ Flüssiggasterminals an der Küste ankern und schaffte es sogar, das in der Bevölkerung so harsch kritisierte Heizungsgesetz ohne große Änderungen durchzubringen, indem er den Zeitplan nach hinten verschob.

Neue Kampagne

Längst wird Robert Habeck für diese Konsequenz gefeiert, seit seiner Übernahme der Grünen ist auch eine neue Werbekampagne für den 55-Jährigen angelaufen. Was vorher unter der Überschrift "#habeck4kanzler" eher beiläufig betrieben wurde, hat professionelles Format bekommen. Aus der Parteizentrale kommen Kommunikationskacheln, die Habeck als den "Problemlöser" rühmen. Die Erfolgsbilanz des früheren Parteivorsitzenden sei einzigartig, denn er habe quasi im Alleingang Energiemangel, Inflation und Depression besiegt. Bots und Sockenpuppen verbreiten die frohe Botschaft. Nicht alles ist schon perfekt. Aber nicht mehr weit weg davon.

Nur oberflächlich betrachtet sprechen die Konjunkturzahlen gegen die unvergleichlichen Erfolge des Bundesklimawirtschaftsministers. Die Wirtschaft schrumpft zwar seit nunmehr zwei Jahren, Deutschland stolpert mit großen Schritten in die erste länger als zwei Jahre andauernde Rezession seiner Geschichte. Doch die Wirtschaftsflaute der Ampel zur Last legen, wie es Medienarbeiter, Experten, Politiker konkurrierender Parteien und Teile einer Öffentlichkeit tun, die sich immer weiter von demokratischen Werten abwendet, greift zu kurz.

Nur der Nagel zum Sarg

Denn es sind nicht die Pläne der Grünen zum klimagerechten Umbau der Wirtschaft, die vielen neuen bürokratischen Auflagen durch den Bund und die EU, der beständige Streit zwischen den drei Ampelparteien oder der Ausstieg aus dem fossilen Energiegebrauch, die der Industrie schaden. All diese, später von Historikern womöglich als Wagnis eingeordneten Maßnahmen, waren eventuell Fehler, begangen zur falschen Zeit, begründet durch Fehleinschätzungen und Unkenntnis.

Doch sie für den atemberaubenden Abschwung verantwortlich zu machen, den Deutschland seit Jahren erlebt, greift zu kurz. Die Basis für das in Zeitlupe ablaufenden Zusammenbruch wurde in den bleiernen Merkel-Jahren gelegt, als sich Politik, Zivilgesellschaft und Medien stillschweigend darauf geeinigt hatten, dass das Land nun fertig sei. Es müsse nie mehr nichts geändert oder erneuert werden. Das Ende der Geschichte sei erreicht und damit Zeit genug, sich um dies und das und die ganze übrige Welt zu kümmern.

Ein einzigartiges Staatswesen

Es gelang, aus Deutschland ein einzigartiges Staatswesen zu machen, in dem eine überbordende Bürokratie sich unter den Augen der regierenden Parteien und der kritischen Medien immer weitere Bereiche der Gesellschaft untertan machte. Das Land hatte keine Grenzen mehr und seine Güte kannte keine. Wer mühsam und beladen war, von Sehnsucht getrieben oder unzufrieden, der konnte kommen und er wurde mit offenen Armen aufgenommen.

Zugleich mussten die rasant wachsenden Kosten für Klimaschutz, alternde Gesellschaft, europäische Träume und in regelmäßigen Abständen zu rettende Partnerstaaten, Banken und Industriezweige von immer weniger produktiv arbeitenden Bürgerinnen und Bürgern getragen werden. 

Widerspruch war feindlich

Widerspruch gab es nicht und wo er doch aufkam, bügelte ihn eine feste Front aus Demokraten, Parteisoldaten und der guten Sache verpflichteten Berichterstatter ab. Was auch immer entschieden wurde, es war richtig. Was auch liegen blieb, es lag da gut. Keine Alternativlosigkeit wurde infrage gestellt. So lästig und teuer die Meta-Bürokratie in Brüssel auch war, taugte sie doch dazu, die wirklich unbeliebten Maßnahmen zu verantworten. Wir möchten das nicht, wir müssen aber, hoben die, die zuvor in den berühmten EU-Gremien alle Entscheidungen mitgetroffen hatten, hilflos die Hände.

Hohe Steuern und umfassende Berichts- und Kontrollauflagen erstickten die Reste früherer Innovationskraft so im Vorbeigehen. Eine absurde Abgabenlast erforderte es, beständig größere Teile der Bevölkerung zu finanziell zu fördern. Wo der Staat nicht investierte, tat es schon lange niemand mehr.

Je mehr sich dieser Trend verselbständigte, desto energischer verstärkte ihn die Politik mit immer absurderen Ideen. Im Kleinen wie im Großen zog sie sich alles auf den Tisch. Aus vorgeschriebenen zwei Toiletten für die über Jahrtausende als Normmaß betrachtete Anzahl von zwei Geschlechtern wurde die Forderung, drei vorzuhalten. Während in anderen Staaten, die wie Schweden, Norwegen oder Portugal durchaus als zivilisiert gelten, stets eine Toilette für alle ausreichte. Der Applaus der veröffentlichten Meinung war ihr gewiss. 

Teuer und gemütlich

Es sind diese langfristigen Trends, die nach der Rückabwicklung von Gerhard Schröders "Agenda 2010" durch die Nach-Schröder-Generation in der SPD darüber bestimmen, wie sich das ehemals stärkste Land der EU entwickelt. Bei allen aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen hat die deutsche Wirtschaft den Anschluss verpasst. Für die traditionellen Branchen mit ihren geringen Ertragsraten hingegen sind die Standortbedingungen durch teure Energie, hohe Löhne, bescheidene Bildungserfolge der nachwachsenden Generationen und die langsam wegbröckelnde Infrastruktur nicht mehr lukrativ.

Robert Habeck hat das alles geerbt. Und vom ersten Tag seiner Amtszeit dafür gesorgt, dass es immer schneller noch schlimmer wurde. Aus der Fehleinschätzung der Grünen, dass es sich bei Deutschland um einen der führenden Wirtschaftsstandorte der Welt handele und sich an dieser Tatsache niemals etwas ändern werde, erwuchs der Anspruch, mit noch mehr Bürokratie, noch mehr staatlichem Eingreifen und noch mehr politischen Auflagen eine "Transformation" von Wirtschaft und Gesellschaft Richtung Klimaneutralität und Gerechtigkeit durchzuführen.

Der gepeitschte Sattel

Das Pferd, auf dem die "Fortschrittskoalition" in die Zukunft zu reiten glaubte, ist längst fortgaloppiert. Doch unbeirrt peitschen die drei Koalitionäre den Sattel. Mindestlohn und Bürgergeld, neue CO₂-Steuern und großzügige Zustromregeln, Ticketsteuern und Trinkhalmverbot, höhere Klimakosten für die Industrie und zugleich von den Bürgern zu tragende Kosten für die Entlastung der Industrie vor zu hohen Klimakosten - mit Robert Habeck, der die Politik der Ampel in diesem, ihrem wichtigsten ideologischen Bereich verantwortet - steht die gesamte Koalition vor einem unauflöslichen Dilemma. 

Je weniger die Kommandowirtschaft bewirkt, die den Umbau bewirken sollte, desto mehr Kommandowirtschaft wird gebraucht, um zumindest zu einigen vorweisbaren Erfolgen zu kommen.  Plan und Kommando aber führen automatisch zu Ausweichbewegungen. Und mindern damit die Erfolge. Ein Malefiz-Spiel, aus dem der "Missionar" (Die Zeit) Habeck bisher keinen Ausweg gefunden hat, abgesehen von dem, abwechselnd die schlimme Lage zu beklagen, die Verantwortung auf frühere Regierungen zu schieben und baldige Besserung durch gute Laune zu versprechen.

Verloschene Lichter

In Zeiten, in denen die Lichter des kritischen Journalismus wie die der Vernunft nicht einmal mehr flackern, reicht das aus. Nicht dafür, den ehemals so herbeigesehnten "Ruck" (Roman Herzog) heraufzubeschwören oder auch nur einen kleinen "Wumms" (Olaf Scholz) hören zu lassen. Stimmen im politischen Berlin raunen, der Minister habe das Problem noch nicht einmal erkannt, aber immerhin sind sich Klimaminister und Kanzler zuletzt darüber einig gewesen, dass "kollektive Übellaunigkeit" (Scholz) wenig bringe, "fröhlicher Pragmatismus" es dagegen erleichtere, sich ins Unabwendbare zu fügen.

Was kann ein kleines Land mit einer Regierung, die nicht einmal mehr ein Drittel der Wähler hinter sich hat, schon tun? Robert Habeck hat sich zuletzt mehrfach als der Mann zu erkennen gegeben, ohne den es viel schlimmer stände. Er habe das Land "mehr in Fahrt gebracht als jeder andere Wirtschaftsminister vor ihm", hat er gesagt. Und darauf verwiesen, dass unter seiner Ägide noch viel mehr neue Verordnungen, Maßnahmen, Anweisungen, Gesetze und Regeln erlassen wurden als in der Vergangenheit.

Weigerung der Bürger

Dass es nicht läuft und schon gar nicht gut, liegt an Russland und Putin, an China, dem Wetter, der Opposition in der Regierung und im Parlament, an der Schuldenbremse, den USA, Israel, der in Teilen nachgewiesen rechtsextremistischen Ostpartei, an Sahra Wagenknecht und der Weigerung der Bürgerinnen und Bürger, Billionen in den klimagerechten Umbau ihrer Lebensgewohnheiten zu stecken.

"Die Ampel kann nichts für die Wirtschaftsflaute" (FR), sie selbst leidet vielmehr am meisten darunter. Ließe man sie die Schuldenbremse lockern und einfach mal sechs, sieben oder acht Prozent mehr Geld ausgeben, würde es nirgendwo mehr an nichts mangeln und keinem würde es schlechter gehen, vielen aber besser. Robert Habeck ist allem Anschein nach fest entschlossen, den Kampf ums Kanzleramt nicht aufzugeben, so lange noch eine theoretische Chance besteht, durch einen glücklichen Zufall oder ein gnädiges Schicksal auf ähnliche Weise ganz überraschend in die Funktion zu scheitern wie Olaf Scholz vor ihm.

Alles andere ist wichtiger

Dafür ist der 55-Jährige bereit, die wenigen Reste von Glaubwürdigkeit, die der Berliner Politik noch verblieben sind, zu verfeuern und seinen eigenen Ruf als verlässlicher Erklärer schwierigster Sachverhalte zu opfern. Robert Habeck hat keinen Plan, aber der ist gut: Im Wettrennen mit der SPD um den Platz an der Seite des künftigen Kanzlers Friedrich Merz zeigt der so oft als verbohrter Öko-Ideologe verkannte Ex-Grünenchef, dass ihm selbst alles wichtiger ist als das, was er als seinen politischen Auftrag vor sich herträgt. 

Das Umfallen der Grünen bei der Braunkole, beim Heizungsgesetz, bei den Rüstungsexporten und bei der Zustimmung zu EU-Zuschüssen zum Bau von neuen Kernkraftwerken war nicht Ausnahme von der Regel, dass ideologiegeleitete Parteien unter allen Umständen an ihren zenralen Glaubenssätzen festhalten. Sondern das regelrechte Eingeständnis, dass auch in der ehemaligen Alternativ-Partei abseits des Strebens nach Macht und nach ihrem Erhalt keine Regel zählt.


Samstag, 12. Oktober 2024

Zitate zur Zeit: Verbrannte Erde


Wir bekämpfen nicht nur feindliche Armeen, sondern ein feindliches Volk, und müssen deshalb dafür sorgen, dass Alt und Jung, Reich und Arm die harte Hand des Kriegs ebenso zu spüren bekommen wie deren Armeen.

Generalmajor Philip Henry Sheridan, Befehlshaber der Shenandoah-Armee und Erfinder der Taktik von der verbrannten Erde, 1864

Zurück zur Volkspartei: Das grüne Chamäleon

Auf den ersten Blick zu erkennen: Christian Ulmen (l.) in seiner bisher größten Rolle als künftiger Grünen-Chef "Felix Banaczak".

Er ist offiziell ein Stubenhocker aus Leidenschaft, aber bekannt für seine großen Rollen in Film und Fernsehen. Christian Ulmen verbringt seine Freizeit gern in den eigenen vier Wänden, er ist keiner, der unentwegt in Talkshows auftaucht oder mit Hobbys, sportlichen Leistungen oder prominenten Freunden hausieren geht. Im "Tatort" gab er einen zauseligen Kommissar, in "Herr Lehmann" einen typischen westdeutschen Aussteiger und für seinen Auftritt in "Mein neuer Freund" heimste er den bayrischen Filmpreis ein. Ein Sympath, eher still und unaufgeregt, aber immer an Experimenten interessiert.

Sein größtes Abenteuer

Sein größtes Abenteuer bereitet Ulmen offenbar in diesen Tagen vor. Nach der Neuordnung der Grünen-Spitze durch den Bundesklimawirtschaftsminister, der die bisherige Parteiführung suspendierte und sich anschickt, die einstige Öko-Partei kampagnenfähig für die kommende Bundestagswahl zu machen, tauchte mit Felix Banaszak ein bis dato weitgehend unbekannter Kandidat für die Nachfolge der beliebten Doppelspitze aus Omid Nouripour und Ricarda Lang auf. Ansatzlos verkündete der neue Mann ein neues Mantra: "Wir Grüne haben uns viel zu lange von anderen definieren lassen. Ich will dabei helfen, dass diese Zeiten enden - und die Grünen zu alter Stärke zurückfinden." 

Banaszak definiert die nach dem plötzlichen Umbesetzungsmanöver schon als "Bewegung Robert Habeck" kritisierte frühere Volkspartei als Problemlösungskraft, die weiß "wie man arbeitet". Er strahlt Tatkraft aus, Charisma und Entschlossenheit, verweist auf eine Biografie, die Jahre an der Spitze der grünen Jugend und die für Nomenklatura-Kader übliche lange, harte Schule im Parteiapparat und in den Abgeordnetenbüros mehrerer grüner Parlamentarier zeigt. 

Kein "typischer Grüner"

Der Mann, offiziell aus dem "Ruhrpott", wolle kein "typischer Grüner" sein, belegt ein Porträt in der "Zeit", das sich liest, als habe es eine KI nach der Vorlage früherer Greta-Thunberg-Porträts geschrieben. Er sei weder verbiestert noch zeigt er die typischen Allüren spätgrüner Dekadenz.  "Als der 34-Jährige im Bundestag wie aus dem Nichts im Erdgeschoss des Jakob-Kaiser-Hauses auftaucht, grinst er bubenhaft und wie oft etwas schelmisch", schildert Jana Hensel ihre Begegnung mit dem Kandidaten aus den grünen Hinterbänken, der das Abrutschen der Grünen in die Bedeutungslosigkeit aufhalten soll. Was für ein Mann. Was für ein Hoffnungsträger.

Kinobesucher und Fernsehfans allerdings stutzten sofort. Aber den kennt man doch? Ist das nicht? Endlich sieht man den mal wieder, raunte es in Foren von Filmkunstfreunden und Kinofans. Der Augenschein vermag in der Tat kaum zu täuschen: Dieses verschmitzte Lächeln. Der Dreitagebart. Die Windfrisur mit den bescheidenen Locken. Christian Ulmen, 2020 zuletzt im Kino zu sehen und 2021 damit seinem letzten Fernsehauftritt, ist offenbar wieder da, bereit zu seiner bislang größten Rolle als "Felix Banaszak".

Der Glückliche

Der Name ist Programm. "Felix" heißt "der Glückliche", "Banaszak" steht im Polnischen für "mir wesentlich" oder auch "mir wichtig". Literaturkennern fallen natürlich sofort die berühmten "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" ein, den Thomas Mann zwar nur in Notizen fertigstellte, der aber dennoch Millionen bewegt hat.

Hanskenvin Jamosch, der hinter der Entwicklung der ersten aus echten Spielszenen echter Schauspieler in echten Parteigremien und Parlamenten stehenden Streaming-Doku "Am grünen Tisch" (Arbeitstitel) steht, lächelt. "In Manns ,Der Memoiren erster Teil' erfährt man nur etwas über die Jugend des Titelhelden", sagt der Literariker und Exposeexperte, der schon für Amazon und Paramount gearbeitet hat. Die Fortsetzung mit Christian Ulmen solle nun, angesiedelt in einer gänzlich anders gearteten Zeit, "den nach dem Vorbild des prominenten Hoteldiebes Georges Manolescu modellierten Helden aus der Tradition des Abenteuer- als auch des Schelmenromans herausführen".

Im bürgerlichen Heldenleben

 Ziel sei es, ihm einen Platz im "bürgerlichen Heldenleben" (Carl Sternheim) zu sichern, wie der studierte Kinderbuchautor Jamosch sagt. Die Chancen für das am Vorbild des großen Günter Wallraff orientierten Vorhabens stehen gut. Christian Ulmen gilt als wahres Chamäleon, der allen seine Rollen seinen ganz persönlichen Stempel aufzudrücken weiß. Egal, in welche Rolle er schlüpft, am Ende steht immer Christian Ulmen vor der Kamera, ein sympathischer Kerl, dem keiner böse sein kann. 

"Wir gehen davon aus, dass seine Bekanntheit auch die Sympathiewerte für die Grünen wieder nach oben schnellen lässt, sobald die Ausstrahlung der ersten Staffel beginnt", sagt Hanskevin Jamosch. In vergleichbaren Fällen hätten Dokumentationen stets nicht nur die Bekanntheit ihrer Protagonisten gesteigert, sondern immer auch deren Beliebtheit. "Das war auch der Grund, weshalb sich die Grünen auf unser Angebot eingelassen haben, nach all den Jahren mit Amateuren ohne höhere Abschlüsse und Qualifizierung einen Profi aus der Schauspielbranche an der Parteispitze zu platzieren."

Sympathiepunkte sammeln

Jamosch, der "House of Cards" und "Borgen" als zwei seiner Lieblingsserien nennt, gibt zu, selbst gespannt zu sein, "inwieweit es uns gelingt, mit Christian in der Hauptrolle so viel Sympathiepunkte zu sammeln, dass die politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre und die Skandale bei der Bundestagswahl keine Rolle mehr spielen". Dem bisherigen grünen Vorstand aus Omid Nouripour und Ricarda Lang habe er bei der Vorstellung des Projektes versprochen, dass es gelingen werde, das Ruder herumzureißen und auf den Weg zur Volkspartei zurückzukehren. "Beide sind Ulmen-Fans, beide haben sofort gesagt, okay, für dieses Vorhaben opfern wir uns sehr gerne."