Mittwoch, 6. November 2024

Am Abgrund: Schon einen Schritt weiter

Kurz vor Schluss sollten es Drohungen richten: Dennoch verlor "Spiegel"-Kandidatin Kamala Harris am Ende deutlich.
Feige schlich sie von der Bühne, ungesehen und ohne ein Wort. Die kurze Karriere der Kamala Harris als Hoffnungsträgerin aller guten Menschen endete ohne Abschiedsgruß. Eben noch da, bereit, den mächtigsten Job der Welt zu übernehmen. Dann beim Abendessen mit der Familie, das enden würden, wenn ausreichend Wahlmänner zusammen sind und es Zeit wird, den Amerikanerinnen und Amerikaner für ihre Liebe und ihr Vertrauen zu danken. Und stattdessen auf einmal fort, unsichtbar wie die vergangenen vier Jahre schon.

Mediales Kurzzeitphänomen


Kamala Harris erzählt als Figur viel über den Zustand, in dem sich die USA und viel mehr noch in dem sich Deutschland befindet. Die demokratische Kandidatin für den US-Präsidentschaftswahlkampf war ein Kurzzeitphänomen, von dem sich kommende Historikergenerationen vor allem fragen werden, wie es dazu hatte kommen konnte. Die Vizepräsidentin tauchte auf, als selbst die Wohlmeinendsten nicht mehr leugnen konnten, dass Joe Biden womöglich noch am Leben, aber offenbar nicht mehr amtsfähig war. 

Weil der Präsident, der gerade noch als bester Mann für nochmals vier Jahre mindestens gerühmt worden war, aber mitten im Galopp vom Pferd fiel, brauchte es schneller Ersatz. Harris musste sich keiner parteiinternen Vorwahl stellen, es reichte das Wort ihres müden, überforderten Vorgängers im Kandidaten.

Anschließend liefen die Parteiprominenten auf und verwandelten die graue Vizepräsidenten-Maus in ihre Wunschkandidatin: war Biden der Ersatz für Obama, war Harris der Ersatz des Ersatzes. Aber gelobt und gefeiert wurde sie, als hätten nie Zweifel daran bestanden, dass sie die weitaus bessere Wahl ist als der alte, weiße Mann.

Amerikanischer als die Amerikaner


In ihrem Eifer, amerikanischer zu sein als die Amerikaner, überschlugen sich vor allem die deutschen Medien mit Lobeshymnen. Harris würde Amerika einen, den Westen stärken, China bezwingen und Russland die Grenzen zeigen. Bruce Springsteen und Taylor Swift und allerlei andere Kunst- und Kulturschaffende standen hinter ihr. Im Weltbild der einer fürsorglichen Linken, die "normalen" Menschen keine eigenen Überlegungen zutraut, war das ein sicheres Indiz: Alle Fans würden wählen wie ihr Idol und Kamala Harris würde siegen.

Eine Frau, die Interviews mied und auf den großen Bühnen mehr lachte als sprach. Sie hatte kein Programm außer dem Versprechen, irgendetwas machen zu wollen, um den Bundesstaaten die Zuständigkeit für die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch wieder wegzunehmen. Sie beantwortet keine Fragen, wirkte dabei aber nie, habe sie keine. Sondern als wüsste sie gar nicht, wonach gefragt worden war.

Beim Stolpern bejubelt


Ihren Erfolgen tat das keinen Abbruch, sie wurde je lauter bejubelt, je mehr Harris stolperte. Aus dem dynamischen Sprung von einem Amt ins andere wurde ein stolpernder Hürdenlauf, bei dem nur gnädige Umfrageinstitute und begeisterte Anti-Trump-Medien den Eindruck erwecken konnten, dass Harris allerbeste Chancen habe, den Ex-Präsidenten zu schlagen. Die blaue Wand würde stehen. Frauen, Latinos, Schwarze, Non-Binäre, Polen, Studenten und alles, was im Gedankenkosmos der identitären Linken noch als fortschrittliche Gruppe gilt, würden dafür sorgen.

Harris hat Amerika dann prompt gegen die berühmte blaue Wand gefahren. Selbst dort, wo ihr aus Tradition große Chancen ausgerechnet worden waren, fiel sie beim Souverän durch. Donald Trump, der 45. US-Präsident, wird auch der 47. sein - im Gegensatz zu den Orten, an denen Menschen sitzen, die fürs Zweifeln bezahlt werden, hatten die Leute in Tulsa, Conway und Springfield am Ende trotz des ermunternden Zuspruchs aus dem demokratischen Lager nicht das Gefühl, einer Frau ins Präsidentenamt verhelfen zu müssen, weil sie trotz ihrer elitären Herkunft zumindest "nicht weiß" (ZDF) aussieht.

Ein flotter Wechsel


Der flotte Wechsel von einem Superkandidaten zu einer noch supereren Kandidatin kam vielen wohl nicht koscher vor. Dass diese Frau aus der Kiste ein wunderbares Morgen herbeizaubern würde, wo sie doch als Vizepräsidentin nicht einmal ein halbwegs brauchbares Grenzregime hatte organisieren können - selbst vor die Alternative gestellt, statt ihr einen "Irren", "Lügner" und "verurteilten Verbrecher" zu wählen, hüteten sich die Menschen, Kamala Harris zu lieben.

Die große Frage danach ist, wie es dazu kommen konnte. Wie konnte die Führung der Demokraten glauben, mit dieser leeren Hülle einer Kandidatin durchzukommen? Wie viel Vertrauen ist zerstört worden, indem den als Betreuungspflichtigen betrachteten Bürgerinnen und Bürgern quasi mitgeteilt wurde, dass sich das ganze demokratische Brimborium mit Kandidatenkür und Vorwahlen kurzerhand wegsparen lässt, weil Diedaoben ohnehin am besten wissen, wer geeignet und willig ist? Und wie konnten Medien mit so viel Hingabe  und Begeisterung auf einen solchen Coup hereinfallen? 

Der Fehler der Eliten


Die Wählerinnen und Wähler taten es nicht. Sie korrigierten den Fehler der Eliten, geleitet von einem untrüglichen Sinn für lauernde Gefahren. Und wählten Trump, dessen Wahlergebnis ein verblüffend einiges Amerika zeigt: Fünf von sieben Swing States holt sich der Ex-Präsident. Geschlossener haben sich die Amerikaner schon lange nicht mehr gezeigt.

Dass sie dazu dem Mann auf den Leim gehen mussten, vor dem die seit acht Jahren gewarnt werden wie vor keiner anderen Gefahr, ist kaum wunderlich. Was gegen Trump ins Feld geführt wurde, ist das, was seine Wähler als seinen unique selling point sehen: Trump lügt und er betrügt, er ist bereit, zum eigenen Vorteil Gesetze zu übertreten, und er würde nie behaupten, dass irgendeine seiner Ansichten in Stein gemeißelt ist. 

Alles kann sich ändern, wenn der Deal stimmt. Wählerinnen und Wähler mögen das, denn sie vertrauen darauf, dass Trump Deals nun ihrem Namen und auf ihre Rechnung abschließt. Dass er dabei lügen wird, stört niemanden, denn nach Überzeugung der Menschen ist Politik ohnehin ein durch und durch verlogenes Geschäft. Jemanden zu haben, der seine Lügen  voller Überzeugung vertritt, ohne selbst daran zu glauben, ist das Beste, was man haben kann. Zumal, wenn auf der anderen Seite Scholz, Baerbock, Habeck, Lindner, Klingbeil, Esken und die anderen übriggebliebenen letzten Führer der freien Welt sitzen.

The Day after: Eiszeit in Amerika

Gespalten und ohne Zukunft. Amerika.

Der Clown gegen die Lady. Der Irre gegen die Dame. Die, die alle wollen, Und der, den keiner mag. Der Election Day hielt Deutschland tagelang so sehr im Bann, dass Messerverbot, Wirtschaftskrise, Koalitionskrach und Brandmauerfall zur Nebensache wurden. Dann war es so weit. 

Die ARD hatte den Schauspieler Hannes Jaenicke und den Moderator Cherno Jobatey als Experten aufgeboten, dazu Beatrix von Storch und Karl-Theodor zu Guttenberg. In Brüssel, notierte die Financial Times, hat sich Kommissionspräsidentin von der Leyen mit ihren Getreuen im 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes im "War Room" eingeschlossen, um das Schlimmste abzuwarten.

Trump ist nun auch Höcke


Von draußen drangen dieselben Geräusche herein wie seit Wochen schon. Trump log. Er rottete sich selbst ganz zuletzt noch mit seinem Gefolge zusammen. Kamala Harris war bereit, ihre Niederlage einzugestehen. Der Verlierer aber wetterte schon wieder über "Wahlbetrug", wegen einer Softwarepanne beim Auszählen, die überall passieren kann, wo Handauszählung verboten ist. Jetzt erst gelang es, die ganze Wahrheit herauszubekommen: Trump ist nicht nur Hitler. Er ist Höcke.

Müll überall. Demokraten im deutschen Fernsehen. Alte Männer. Ältere Frauen, die noch einmal als "jünger" (Sandra Maischberger) bezeichnet werden dürfen. Eine "unfassbar kompetente Frau" (Constance Chucholowski). Ein Lügner. Und beide verblüffend lange gleichauf in der Beliebtheit beim Volk. 

Möglicherweise folgenreich


"Die USA begehen eine der möglicherweise folgenreichsten Wahlen der vergangenen Jahrzehnte" (Die Welt). Der "Spiegel" hat eine Kompanie nach Übersee geschickt, wo Luisa Neubauer bis zuletzt Klinken geputzt hat. Jörg Schönenborn ist wie immer mit seinen Zahlen und Karten und Erläuterungen gekommen. Die Angst ist groß in Deutschland, dass schwere Zeiten kommen, und das sogar, wenn die Richtige gewinnt. Die Kandidatin, die anfangs fliegen zu können schien, musste kämpfen.

Kann das Deutschland auch? Wird es Europa können, wenn der faschistische Diktator wieder ins Weiße Haus einzieht? Oder Kamala Harris, die bisher nicht erkennen lassen hat, wie ihre Befehle Erwartungen an die EU aussehen werden? Die Ungewissheit ist groß und im Fernsehen geht es um die "hohen Spritpreise", die in den USA etwa ein Drittel so hoch sind wie in Deutschland, am Ende aber alles entscheiden könnten, wenn sich nicht ausreichend Amerikaner dazu bekennen, gern ein wenig mehr zu zahlen, wenn es dem Klima hilft.

Grausen im Kanzleramt


Olaf Scholz, von dem nicht bekannt gemacht wurde, ob er mit Robert Habeck und Christian Lindner gemeinsam mit bibbern wird, muss es grausen bei der Aussicht, dass es auf die Wirtschaft und den Wohlstand ankommt, den die Bürgerinnen und Bürger fühlen. Obgleich der Kanzler meist wirkt, als habe er schon lange mit seinem Amt abgeschlossen, nach außen hin beharren er und seine Partei darauf, dass es nach der nächsten Wahl weitergehen wird mit dem ganzen Fortschritt und der großen Transformation. Besonders traurig: Aufgrund der Gesetzeslage in Deutschland wird Scholz nicht einmal die Abtreibungsgesetze als Trumpf ziehen können.

Deutschland schläft den Schlaf der Sorglosen, während in Übersee die Fundamente der westlichen Wertegemeinschaft abgerissen werden. Die Menschen in Georgia machen den Eindruck, als wollten sie einen Riesenfehler begehen. In vielen anderen der Bundesstaaten, die zuerst ausgezählt werden, war nichts anderes zu erwarten. Wer gewinnt? Harris oder Trump? Umfrageinstitute oder Wahlwettbörsen?  Demokratie oder Chaos? Eichhörnchen oder Katzen? Pest oder Cholera? Putin oder wir?

Keine richtige Demokratie


Die Nacht ist lange jung, weil Amerika so groß ist und das Wahlsystem sehr antiquiert. In einer richtigen Demokratie wie der deutschen wäre schon um zehn nach Sendeschluss der ganze Spaß vorbei und der strahlende Sieger würde für die Runde mit den anderen Elefant:innen geschminkt. So bleibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Ungeliebten mit dem Ungeheuer. 

"Ein Traumpaar der rechten Propaganda", hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach analysiert, der definitiv nicht zur Wahlparty ins Kanzleramt geladen ist. Der Sozialdemokrat meint natürlich Trump und Musk, denen "eine unvergessliche Nacht zusammen" wünscht, "in der eine erfolgreiche, intelligente und sympathische farbige Frau auf die Bühne der Weltpolitik steigt".

Selbst Hilfe aus Berlin


Dort wird sie jede Hilfe brauchen, selbst die aus Berlin, einer Stadt, in der man sich selbst kaum mehr helfen kann. Außenministerin Annalena Baerbock hat ihre Konsequenzen gezogen: "In dem Moment, in dem die Welt gebannt auf die USA blickt, gibt es keinen besseren Ort, als hier bei Euch in der Ukraine zu sein", hat sie noch vor Schließung der Wahllokale gekabelt. "Wir", schreibt sie, "bleiben an Eurer Seite". Ob aber die Amerikaner zum Wir gehören, weiß auch sie noch nicht.

Ist auch egal, sagt Gregor Gysi. "Unabhängig davon, wer 2025 ins Weiße Haus einziehen wird, muss sich Deutschland endlich von seiner Vasallen-Haltung gegenüber den USA lösen und eine eigenständige Rolle als Vermittler in den internationalen Beziehungen finden", sagt der letzte SED-Chef. Dazu brauche es "keine gigantische Aufrüstung", sondern "diplomatisches Geschick". Putin um den Bart gehen. Keine Angst vor Hunden. Auf den langen Tisch hauen, aber leise.

Keine Flinte ins Korn


So einfach, so leicht. Geht es aber schief in den Vereinigten Staaten, stehen Europas vereinige Staaten allein, nach Gysi "Vasallen" ohne Herr und in Kürze vielleicht auch ohne Regierung, was Deutschland anbelangt. Im politischen Berlin steht die Brandmauer insoweit, als keine Koalition die Flinte ins Korn werfen darf, wenn der größte Verbündete um den Erhalt seiner demokratischen Verfasstheit ringt. Es muss weitergehen, wenigstens in Berlin, wo "Sparkurs" mit "Schuldenbremse" kämpft und "Kaputtsparen" mit "Investitionsbremse" und "Rekordeinnahmen". 

Trump sammelt Stimmen, Harris Sympathien. Im Verlauf der Nacht zieht der Bitcoin nach einem Dip wieder an und die Leichenbittermienen der Ansager im deutschen Fernsehen werden länger und länger. By an inch steht es Spitz' auf Knopf und der Fehler, den die Amerikaner gegen guten deutschen Rat gemacht haben, wird immer historischer und die Zeichen an der Wand flüstern nicht mehr, sie schreien. Der Neue wird der Alte sein, we the people, der verhasste, gefürchtete Richter, hat gesprochen und nicht einmal leise.

Wasser auf die Mühlen


Das wird Wasser auf die Mühlen der Feinde von Wasauchimmer. Die Frauen, auf die das Gute seine Hoffnungen gesetzt hat, haben die Gefolgschaft versagt. Die Latinos, die Schwarzen, die LGBTQ-Gemeinschaft auch, alle diese kleinen Gruppen, die dem Wunsch und der Vorstellung der deutschen Beobachter und Ratgeber zufolge für Harris hätten votieren sollen.

Rettet sich das Gute nun in ein Gerangel? Muss man anerkennen, was einem nicht gefällt? Noch ist am Morgen nicht aller Tage Abend, nicht einmal in Deutschland, wo sich die Zuschauenden der Gemeinsinnmedien die Augen reiben werden, weil das ja nun nie hätte passieren können.

Dienstag, 5. November 2024

Bange Stunden: Das leise Wimmern der Demokraten

Auch zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechungen gibt es im Augenblick nur eine korrekte Ansicht.

Er war damals noch kaum zwei Wochen dabei, da hatte Jakob Augstein schon gesehen, weshalb er gekommen war. "Donald Trump hat damit begonnen, die amerikanische Demokratie in eine Diktatur zu verwandeln", stellte der millionenschwere Verleger des Wochenblattes "Freitag" fest. Nun dürfe man gespannt sein: "Wann ist der Punkt ohne Wiederkehr erreicht?"

Abschaffung der Demokratie

Das war vor sieben Jahren und vielleicht ist es morgen endlich so weit. Langsam, ganz langsam drohen selbst den größten Untergangspropheten die Drohungen aus zugehen, was alles passieren wird, wenn es zum Schlimmsten kommt. Faschismus, Diktatur, Abschaffung der Demokratie, eine Pflicht für Frauen, ein Kind pro Jahr zu bekommen, und Käfigkämpfe mit Migranten, gegen Eichhörnchen, gesponsert von Putin und Xi. Hätte er "Babys essen" gesagt, wäre die Botschaft klar gewesen: Bestenfalls eine Ankündigung seiner nächsten Mahlzeit. Schlimmstenfalls eine neue Pflicht für alle Bürger, die während der nächsten vier Jahre beschlossen werden soll.

Alles wurde in den zurückliegenden Wochen an die Meinungsfront geworfen, was sich irgend ausdenken ließ. Wer immer sich für einen Demokraten ansah, ließ es alle wissen: Wahl ist, wenn ein anständiger Mensch mit anständigen Auffassungen keine Wahl hat, weil einer der Kandidaten wegen falscher und gefährlicher Absichten überhaupt nicht infrage kommt. 

Diese Art Demokratie, die hier gemeint ist, geht von der Überzeugung aus, dass Meinungsstreit schädlich ist. Als ideal wird ein Zustand angesehen, in der jedermann und jede Frau einer Meinung sind, und selbstverständlich der richtigen. Zuweilen gestanden die Meinungsführer zwar ein, dass die Alternative ein Rätselbuch sei - Abtreibungen würde Amerika mit ihr bekommen, vom Rest wisse leider noch niemand etwas, vielleicht nicht einmal sie selbst. Aber wer Demokrat ist, muss nehmen, was gerade angeboten wird.

Leute von SPD bis CSU

Ein Deutschland sind das die Parteien des demokratischen Blocks, wobei noch nicht ganz fest steht, ob das neue Bündnis Wagenknecht nun wirklich dabeisein darf. In den USA, der Name sagt es, sind es die Demokraten, eine Partei, die nach Auffassung des früheren SPD-Chefs Sigmar Gabriel "Leute von SPD bis CSU" vereint und nicht nur Träume vom Ausbau der Kernkraft, einem anhaltenden Ölboom und gewaltigen staatlichen Förderprogrammen träumt. Sondern auch vorhat, wie bisher eine protektionistische Handelspolitik zu verfolgen, um die vom internationalen Wettbewerb verwirrte und aufgrund ihrer langen Befehlsketten reaktionsgehemmte EU als Konkurrenz endgültig auszumanövrieren.

In Berlin und Brüssel liebt jeder anständige Mensch die Demokraten, auch in den großen Medienstädten Hamburg, München, Köln und Frankfurt besteht Konsens darüber, dass es nur Eine geben kann. Der gute Demokrat hat all die Warnungen gelesen: Trump will Diktator werden. Wenn er verliert, gibt es Bürgerkrieg. Wer ihn wählt, unterstützt einen Nazi. Er ist alt, krank. Ein Hypochonder, Verschwörungstheoretiker, Frauenfeind, Kriegstreiber, steht auf Putins Gehaltsliste. Plant einen Atomkrieg mit dem Iran. Die Wiedereinführung der Sklaverei. Eine Außengrenze, fast so fest wie die, die die EU bald haben wird. 

Siedelnde Sippen

"Demos", das Volk, entstanden aus dem Begriff für das gemeinsame Siedeln verschiedener Sippen, ist nach dieser Glaubensschule fast schon verpflichtet, in allen Belangen einer Ansicht zu sein. Die von Angela Merkel erstmals offensiv im politischen Geschäft verkaufte "Alternativlosigkeit" ist der Treibsatz einer Definition von Demokratie, nach der es nur einen Weg gibt, einen Plan und eine Rettung vor den Herausforderungen, die vor der Nase auftauchen. 

Das kann ein rascher Energieausstieg durch die massenhafte Abschaltung vorhandener Energiequellen sein, ebenso aber das unumgängliche Bemühen, Energie möglichst billig zu machen, weil - das war kaum weniger alternativlos - sie zuvor gezielt verteuert worden war, um dem Klima unnötige Schäden zu ersparen.

Im gelenkig denkenden Gehirn eines wohlerzogenen Demokraten ergibt das immer Sinn. Es anders zu sehen, ist verdächtig, das zu sagen, beinahe ein Fall für die staatlichen Erziehungsbehörden und deren private Vorfeldorganisationen.

In einer bipolaren Welt gibt es kein Grau mehr, alles ist zwingend Weiß oder Schwarz. Auf Fragen wie Schwangerschaftsabbruch, Kernenergie, Klimaschutz und Mobilität gibt das Parteiprogramm der Grünen Antwort, bei Migration, Kriminalität und Europa kann die SPD helfen, für Krieg, Waffen und unverzagte Vorneverteidigung hat die FDP eines im Regal.

Das Wer entscheidet

Kamala Harris, auch wenn am Tag ihrer Wahl nichts Genaues bekannt ist, steht mit ihrer gesamten Lebensgeschichte für diese Alternativlosigkeit. Wie Scholz, Klingbeil, Özdemir, Wagenknecht oder Lindner ist sie ein Kind des Apparates, ausgerüstet, über Details hinwegregieren zu können. Eine Wendigkeit, die Notwendigkeit aufhebt, vorher zu sagen, was nachher kommt. Vom Gefühl her wird es das Richtige sein, weil richtig nicht ist, was, sondern wer es macht.

Zahltag: Menschen, die falsch wählen

Fast niemand mag ihn, seine Schandtaten beschäftigen die Medien seit einem Jahrzehnt. Doch trotz aller Warnungen ist Donald Trump noch immer nicht aus dem Rennen.

Fast die Hälfte der Amerikaner hat kein Einsehen. Auch acht Jahre nach dem kollektiven Kardinalfehler, der den Milliardär und Egomanen Donald Trump ins Weiße Haus gespült hatte, sind sie immer noch oder noch besser wieder entschlossen, den 78-Jährigen noch einmal, zu wählen. Seit Wochen schon sind deutsche Journalisten unterwegs, um herauszufinden, was dort falsch läuft mit den Menschen, was sie bewegt, gegen alles zu stimmen, was gut für sie ist, und warum sie nicht auf diejenigen hören, die es wirklich gut mit ihnen meinen.

Der Amerikaner bleibt ein Rätsel - wie der Sachse


Es ist ein weitgehend aussichtsloses Unterfangen. Ganz egal, ob ausgewiesene Anhänger der Biden-Administration oder vielfach verschwägerte und verschwiegerte Reporter ausgesagt wurden. Im Ergebnis blieb der Amerikaner dem deutschen Fernsehpublikum und den wenigen verbliebenen Leser*innen der Titelgeschichten der Magazine ein Rätsel. Ähnlich wieder Sachse oder der Thüringer scheint er durch Vernunftgründe kaum erreichbar. Nicht einmal in Aussicht gestellte großzügige Geschenke vermögen die Betroffenen  umzustimmen.

Zu verhärtet sind die Fronten. Hier die da oben, dort die dort untern. Hier die Eliten, dort die, die sich stolz als abgehängt und ungehört fühlen. Viele in den USA fühlen sich chronisch benachteiligt, Washington, so sagen sie, sei von Pagosa Springs in Colorado noch weiter weg als Berlin von Pirna. 

So weit weg


Hier draußen auf dem flachen Land, wo es an Opfern der Opioid-Krise noch weitgehend fehlt und Obdachlosigkeit kein brennendes Problem ist,  macht sich so mancher Sorgen, dass das noch kommen könnte. Während Menschen in den großen Städten gelernt haben, sich mit jeder gesellschaftlichen Veränderung zu arrangieren, sträuben sich Alt und Jung hier oft gegen das, was sie als unerwünschte Verwerfung empfinden.

Dass es Amerika besser geht als Europa, die Wirtschaft wächst, es ist kein Krieg direkt vor der Tür, die Energiepreise sind niedrig und amerikanische Firmen beherrschen sämtlich Zukunftsmärkte quasi heute schon als Monopolisten, tröstet die, die in traditionellen Branchen ackern, kaum. Fragt man im Diner von Monroe, wie die Leute wählen wollen, dann fallen die Antworten schmerzhaft aus: "Den alten Mann", sagt einer. Ein anderer ergänzt: "Jedenfalls nicht sie".

Kamala könnte jeden haben


Die demokratische Ersatzkandidatin Kamala Harris, in Deutschland parteiübergreifend so beliebt, dass sie leicht jeden Posten im Staate haben könnte, den der EU-Kommissionspräsidentin eingeschlossen, genießt hier wenig Respekt. Sie sei "eine Unbekannte", sagt einer. "Ein Rätsel", nennt sie ein zweiter. Und ein dritter wertet sie komplett ab mit "Nicht meine Tasse Kaffee".

Halbehalbe steht es vor dem Urnengang zwischen denen, die einsehen, dass um Harris dennoch kein Weg herumführt. Und denen, die Trump zynisch benutzen wie die Ostdeutschen die Schwefelpartei AfD: Nach Jahren, in denen die Schere zwischen den Versprechen der Politik und deren Umsetzung und zwischen von Medien angestrengt verbreiteter Stimmung und tatsächlicher Lage immer weiter auseinanderklaffte, wünschen sich viele nur noch ein Ende, und sei es eins mit Schrecken. 

Tabula Rasa statt Weiterso


Tabula Rasa statt Weiterso, Rückbau des Überbaus, der alles aufsaugt, was die schrumpfende Anzahl der gewerblich Tätigen noch an Mehrwert zu produzieren vermag. "Alles", sagt einer im Diner, "ist besser als sich so weiter quälen zu lassen."

Die Stimmung, sie ist geprägt von Unsicherheit, Ängsten vor sozialem Abstieg und Misstrauen gegenüber einer politischen Elite, die sich in Talk Shows von befreundeten Stichwortgebern vernehmen lässt und alle Fragen mit Worthülsen beantwortet. Zum inneren Kreis, der alle naselang auftaucht, gehören nur wenige Aktive, die Gesichter kennt jeder, sie alle werden als weit entfernt und unverständlich empfunden. 

Eigentlich nur Ruhe haben


Die Amerikaner haben sich das mehrheitlich lange bieten lassen, viele hier wollen eigentlich nur in Frieden ihr eigenes Leben führen und gar nicht mit den großen Angelegenheiten befasst werden. Einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen, das kommt in Deutschland einer offenen Rebellion gleich: Wer seine Heizung nicht ausbaut und weiter Verbrenner fährt, der lebt nicht nur selbst verkehrt, er verhindert auch das Genesen am deutschen Wesen weltweit. In den USA ist die Lage nicht ganz so ernst, aber ähnlich hoffnungslos. 

Wer die Realität ausblenden will, den blendet die Realität. Wie in Deutschland ist alles teuer geworden, wie in Deutschland ist die Zahl der gebrochenen Versprechen Legion. Alles wird überwölbt von der Erinnerung an Zeiten, in denen sich ein einfacher Mann ein Haus bauen konnte, seine Frau daheim blieb, um die Kinder zu erziehen, und dennoch genug Geld übrig war, um aller paar Jahre ein neues Auto zu kaufen. 

Es läuft was schief


Der Eindruck, dass etwas schiefläuft, wenn heute beide arbeiten müssen, möglichst sogar in zwei Jobs, das Haus aber trotzdem nicht bezahlen können ist, lässt sich schwer widerlegen. Die daraus entstehende schlechte Laune als staatsfeindliche Regung zu werten, wie es in Deutschland lange versucht worden ist, hat in den USA noch nie funktioniert. Amerikaner halten sich stur selbst für den Staat, ihre Regierung hingegen nur für eine Art zeitweise beauftragten Serviceanbieter.

Tut der nicht, was er soll, kommt es nicht mehr darauf an, ob er nicht wollte oder aus objektiven Gründen nicht konnte. Frust, der sich aufgestaut hat, sucht nach einem Ventil. Wie ein Fußballklub, der seinen Trainer entlässt, weil die Mannschaft nicht die erhofften Ergebnisse einspielt, wechselt das Volk sein Führungspersonal aus. 

Mit großer Mühe lässt sich dieser Prozess natürlich verzögern. In Deutschland etwas haben öffentlich-rechtliche Medienhäuser und die großen Leitmedien und Zentralorganstrukturen es vermocht, das allgemeine Unwohlsein großer Teile der Bevölkerung und die daraus resultierenden Wahlergebnisse monate- und jahrelang als Rückfall in die Finsternis des Faschismus zu denunzieren, angestiftet von Hetzern, Hasser und Zweiflern im Dienst fremder Mächte.

Die Neidkarte sticht nicht


Eine Methode, die in den Vereinigten Staaten nur bedingt funktioniert. Wer Wählern hier einreden will, dass ihre wirtschaftliche und soziale Situation ja so schlecht nicht sei, verglichen mir anderswo, weshalb man doch einfach so weitermachen könne wie bisher, der verrät das, was früher den "amerikanische Traum" war - Glück und Wohlstand, für jeden erreichbar. 

Die Neidkarte, die in Deutschland ersatzhalber gespielt werden kann und mit schöner Regelmäßigkeit gespielt wird  - Du wirst nicht mehr ganz so arm sein, wenn der Staat diesen oder jenen ärmer macht - sie sticht weder in Utah noch in Arizona oder Michigan, wo jeder sich danach sehnt, zumindest so reich zu werden, dass es für Häuschen, Auto und privates Glück reicht. 

Man kann den Menschen erzählen, dass die Einwanderung in ein Sozialsystem, so rigide es auch sein mag, keine Auswirkung auf sie habe. Man kann ihnen weiß machen, dass soziale Netzwerke nicht mangels medialer Vielfalt die Räume bieten, in denen der Meinungsstreit stattfindet, sondern dass sie selbst Ursache verschiedener Auffassungen seien. Diese Auffassungen wiederum sind dann schuld an allem anderen. Radikalisierung ist dann keine Folge von fortgesetzter Ignoranz mehr, sondern allein eine von "Algorithmen", ein Wort, unter dem ein Großteil der Menschen dies- und jenseits des Atlantik so viel versteht wie unter Spina Bifida oder Genu valgum.

Was nach Sieger aussieht


Nur glaubt das eben eines Tages niemand mehr. Ob dieser Tag nun heute gekommen ist oder ob er morgen kommt, in vier Jahren oder in acht, nicht einmal die Versender irreführender Wahlumfragen und daraus verfertigter "Jetzt liegt sie"- oder "Jetzt liegt er aber vorn"-Artikel können es sagen. Sie wissen bis heute nicht einmal, ob sich Wähler eher von Umfragen motivieren lassen, die ihren Kandidaten hinten sehen, oder dem alten Instinkt der Masse folgen und wählen, was nach Sieger aussieht.

Es kommt auch nicht darauf an. Von  "Spiegel" bis SZ, von ARD bis ZDF werden die Nachrichten immer kürzer, "knackiger" nennen sie das, die Videos immer hochkantiger, die Quellen immer schwerer erkennbar. Die Inhaltsverdünnung im politischen Streit ist nicht nur auf den Bühnen, auf denen die beiden Kandidaten sich wie Kinder im Fernduell balgen, die höchste Form der politischen Kommunikation. Sondern auch die einzige. 

Montag, 4. November 2024

Fremdbestimmungsgesetz: Der Kanonenfutter

Niemand will Frauen an die Front zwingen - und damit verweigert der Gesetzgeber Frauen das fundamentale Recht, immer und überall genauso behandelt zu werden wie Männer. 

Sie nennen das Selbstbestimmungsgesetz und es soll die große Revolution bringen. Männer und Frauen endgültig auf Augenhöhe und das immer. Entscheidend ist nicht mehr, was eine Hebamme oder ein Geburtshelfer Jahre oder auch oder Jahrzehnte zuvor zu sehen geglaubt zu haben hat, sondern wie sich der dabei Betrachtete heute fühlt. Ein Gang zum Amt. Ein wenig warten. Fertig ist die Gerechtigkeit.

Unbürokratische Regelung


Doch die unbürokratische Regelung, sie stolpert durch allerlei Fallstricke und sie krankt an einem Geburtsfehler. Eines der wenigen von der Ampelregierung durchbuchstabierten Gesetze beruft sich im Grunde auf die Ideen einer Gruppe von "Nur zwei"-Fundamentalisten, die vor 85 Jahren das Grundgesetz zusammenschrieben. Und es muss deshalb Sonderregeln schaffen, die die "Selbstbestimmung" zu einer nur zeitweise gewährten staatlichen Gnade schrumpfen lassen. 

Selbstbestimmung, das heißt hier Selbstbestimmung nur bis zu dem Tag, an dem ein Krisen- oder Kriegsfall akut wird und die Bundesregierung sich gezwungen, sieht, die Wehrpflicht wieder einzusetzen. Kein Mann kann dann noch tiefer in sich hineinhören und feststellen, dass seine weibliche Seite sein Leben doch stärker prägt. "Für den Dienst an der Waffe bleibt vorübergehend die rechtliche Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen, wenn eine Änderung des Geschlechtseintrags in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Spannungs- oder Verteidigungsfall erfolgt", heißt es da.

Fremdbestimmungsregelung


Das Selbstbestimmungsgesetz als Fremdbestimmungsregelung. Mag der Körper auch nicht passen, nicht jedermann kann sich zu jeder Zeit entscheiden, sein richtiges Geschlecht eintragen zu lassen. Die Möglichkeit zum Wechsel gilt nur, solange damit nicht der Versuch verbunden sein könnte, sich der allgemeinen Wehrpflicht zu entziehen.

Als Grundlage dafür führt der Gesetzgeber ausgerechnet das Grundgesetz an, in dem es bis heute heißt, "Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden". Interpretiert wird das von Verfassungsrichtern und Politik als Passus, der verbietet, Frauen  zum Wehrdienst einzuziehen. 

Eine Überinterpretation, denn wäre ein solches Verbot beabsichtigt gewesen, hätten Mütter und Väter des Grundgesetzes den Platz für diesen einen Satz sicherlich noch gefunden, hätten sie die Wehrunwürdigkeit der Frauen dauerhaft festschreiben wollen.

Altbackene Überinterpretation


Doch niemand der direkt damit Befassten lebt mehr, keiner kann Auskunft geben. Womöglich wollte die verfassungsgebende Versammlung nur betonen, dass die Möglichkeit besteht, Männer zum Wehrdienst einzuberufen, dass das für Frauen ebenso gilt, hielten sie vielleicht für völlig selbstverständlich, denn seinerzeit wurde noch nicht gegendert. Männliche Bezeichnungen meinten im Bedarfsfall vielmehr Frauen einfach mit.

Inzwischen ist aus dem Passus jedoch Verbot des Frauenwehrdienstes geworden, der beim Gesetz über die "Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag" (SBGG)  umfangreiche Begradigungsregeln erfordert. Bei diversen Angehörigen des dritten Geschlechts etwa ist es nicht klar, in welchem Maße sie unter die grundgesetzliche Formel "Männer" fallen. 

Der Kanonenfutter


Bei Frauen hingegen, die sich selbst als Mann sehen, steht aufgrund fehlender Erfahrungen noch nicht fest, wie sehr eine mit der Änderung des Geschlechtseintrages plötzlich entstehende Wehrpflichtigkeit auf die Bereitschaft Betroffener einwirken, sich zum selbstempfundenen Geschlecht zu bekennen.

Es heißt zwar "das Kanonenfutter", doch die Politik liest "Kanonenfutter" immer noch ausschließlich männlich. Niemand hat die Absicht, Frauen an die Front zwingen - und auch die Fortschrittskoalition orientiert sich in ihrem "Selbstbestimmungsgesetz" an einer in der Finsternis einer längst vergangenen Vergangenheit definierten Formel, die Frauen ein fundamentales Recht verweigert: Nämlich immer und überall genauso behandelt zu werden wie Männer.

Trumpophobie: Die Angst, dass er Recht hat

Auf den letzten Metern eines Wahlkampfes, der an Tiefen reich war, missbraucht  die Kampagne von Ex-Präsident Donald Trump das Schicksal des New Yorker Eichhörnchen "Peanut" als Wahlkampfmunition.

Der Ex-Präsident will wieder an die Macht. Nach vier Jahren, in denen sein Nachfolger die Beziehungen zu Deutschland endlich wieder verbessert hatte, so dass Europa meist bereit schien, Washington widerspruchslos zu folgen, taucht er wieder auf. Der Hitler in Milliardärsgestalt, dem eine erste Amtszeit nicht gereicht hat, die mehr als 200 Jahre alte amerikanische Demokratie zu zerstören und an ihre Stelle ein despotisches System mit sich selbst an der Spitze zu setzen.

Gedeih und Verderb


Es gibt niemanden neben und niemanden nach Donald Trump. Der 78-Jährige hat die republikanische Partei entkernt und entmannt, sie ist seine Wahlkampfmaschine, seinen diktatorischen Ideen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Trump, ein mehrfach vorbestrafter "Krimineller" (DPA), hat in seinen ersten vier Jahren im Weißen Haus alles falsch gemacht. 

Er hat sämtliche Berater verloren, die noch einigermaßen bei Verstand waren. Er hat beleidigt, geschimpft, gelogen und mit seiner menschenverachtenden Politik so viel Amerikaner außer Landes getrieben, dass Nachfolger Joe Biden am Tag seiner Vereidigung Präsident von rund 20 Millionen mehr Amerikanern wurde als es Trump mangel Masse je hatte sein können. Trump will trotzdem noch einmal Präsident werden. 

Mit juristischer Schlinge


Obwohl sich die juristische Schlinge immer enger um seinen Hals zieht. Obwohl er seine Fans gegen Ermittler aufhetzte, die ihm schwerwiegende Rechtsbrüche vorwarfen. Obwohl er vor Gericht erscheinen musste. Obwohl er verurteilt wurde. Und obwohl Prominente, Europäer, Großstädter und Frauen mehrheitlich gegen ihn sind.

Bei ihm ist es Trotz, gespeist von Sendungsbewusstsein. Donald Trump wähnt seine Mission noch nicht beendet, konnte der "Spiegel" in einer Reisereportage zu den Gegnern Trumps schon lange vor dem Beginn des Wahlkampfes zeigen, "wie radikal er das Land schon verändert hat". Ist das erlaubt? Darf jemand das? 
Und käme es in einer zweiten Amtszeit nicht zum letzten Akt: Das "gespaltene Land" (Spiegel, SZ, FAZ, ARD, ZDF) würde "zerrissen"? Und "Amerika" in einen "Abgrund" (Spiegel) stürzen? 

Sound der Alarmsirenen


Der Sound der Alarmsirenen ist der von 2016, als Deutschlands demokratische Medien die Angst vor Donald Trump zu einer eigenen Kunstform entwickelt hatten. Über Monate blies damals ein Sturm der Entrüstung übers Land, der den Präsidentschaftskandidaten der US-Republikanerin die Grube pusten sollte. Trump hatte nichts, was ihn wählbar machte. 

Er war beschreibbar nur mit Verbalinjurien und schrillen klinischen Befunden: Von "Wahnvorstellungen" bis zu "bizarren Vorstellungen" reichte sein "Irrsinn" (FR), er war "ignorant" "wütend" und "schlimmer als im Fernsehen", ein "König der Wutbürger", ein "großsprecherischer Immobilienmilliardär", Frauenhasser, Missbraucher, ein "Pöbler" und "windiger Geschäftsmann", der "die Unwahrheit sagt", ein Demagoge zudem und ein Putin-Freund, der 2.000 Jahre westlicher Zivilisation im Handumdrehen zerstören würde.

Trotzdem oder deshalb


Trump wurde gewählt, trotzdem oder vielleicht auch genau deshalb. Nichts von dem, was prophezeit worden war, geschah. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten lavierte sein Land durch unsichere Zeiten wie andere vor ihm. Objektiv betrachtet führte er weniger Kriege als andere, er ließ die Wirtschaft machen und erhöhte die Zahl der Angestellten der Bundesbehörden, wenn auch nur gemächlich. 

Der angekündigte Faschismus wurde nicht eingeführt. Trumps Nationalismus war eklig und unangemessen, sein Verlangen nach höheren Rüstungsausgaben Europas frech und falsch und friedensgefährdend. Doch als Joe Biden dem Spuk ein Ende machte, war es Trump nicht einmal gelungen, am Kernbestand der Werte der westlichen Gemeinschaft zu kratzen.

Trumpismus der demokratischen Mitte


Acht Jahre später ist der Trumpismus vielmehr bis in die demokratische Mitte selbst in Deutschland eingesickert. Die SPD entwirft Programme mit der Überschrift "Deutschland zuerst". Die Grünen haben sich von leidenschaftlichen Wehrkraftzersetzern in echte Vorwärtsverteidiger verwandelt.

Die Globalisten wollen eigene Scholle, die Europäer eigene Heere. Da und dort träumen führende Vertreter des internationalistischen Sozialismus von einer Atombombe zur eigenen Verfügung. Alle aber haben konkrete Vorstellungen von geschlossenen Grenzen, neuen Mauern, entzogenen Grundrechten und konsequenter Re-Migration von Illegalen.

Trumpophobie auf allen Kanälen


Die Trumpophobie, die als  Dauerton aus allen Kanälen  kreischt, kann nur mühsam überdecken, dass das mit so viel Einfallsreichtum vorgeführte Gespenst des 4. Reiches, erstmals auf amerikanischem Boden, kaum erschreckender aussieht als der Trump aus der Wirklichkeit, der ungelenk auf einer Bühne tanzt oder beim Versuch, einen Müllwagen dynamisch zu besteigen, zweimal nach der Türklinke greifen muss. Ist der begnadete Populist, der zuweilen selbst nicht weiß, was er will oder meint, tief drinnen ein Hitler? Gegen den jedes Mittel eingesetzt werden darf, auch Lügen, Pathologisierungen und penibel designte Missverständnisse?

Nein, es ist nicht die Angst, dass Donald Trump in einer zweiten Amtszeit all das  umsetzen könnte, was ihm seine Gegner im Stil der Verschwörungstheorie vom "großen Austausch" als Agenda unterschieben. Sondern das ganze Gegenteil: Niemand glaubt ernsthaft, dass es Trump im zweiten Anlauf doch noch gelingen könnte, eine 235 Jahre alte Demokratie zu schleifen, ihre Institutionen zu zerstören  und ihre Grundlagen zu vernichten. 

Es gibt nicht einmal jemanden, der begründen könnte, zu welchem Zweck er das anstreben sollte, wo es keinen Nachfolger gibt und selbst der von Kraft strotzendste alte Mann absehen kann, dass seine Zeit wohl in vier, sechs oder acht Jahren abgelaufen sein wird.

Popanz Faschismus


Nein, der Popanz der drohenden Gründung eines Vierten Reiches amerikanischer Nation, das sich einerseits isolationistisch abwenden wird von der Welt und seinen Verbündeten, andererseits aber die gesamte Erde diktatorisch beherrschen, er dient allein der Krisenvorsorge. 

Die allgegenwärtige Furcht gilt nicht Trump, sondern dem Umstand, dass er Recht haben könnte mit seinem Geschimpfe über den immer mächtigeren Staatsapparat, dem es gleichzeitig gelingt, immer mehr Geld einzunehmen, immer noch mehr Geld auszugeben und dabei immer mehr die Kontrolle zu verlieren, während er unermüdlich daran arbeitet, sich immer mehr Planungs-, Überwachungs- und Kontrollzuständigkeiten zu verschaffen.

Der Sumpf hat Angst


Ausgerechnet das lustig klingende "dry the swamp" ist Trumps bedrohlichste Parole. Wie der Argentinier Javier Milei, der mit der Kettensäge kam, um es mit dem Staatssozialismus aufzunehmen, muss auch Trump scheitern, um Schlimmeres zu verhüten. Geschieht das nicht, droht ein böses Beispiel gerade für das kostbar durchbürokratisierte Europa, das wirtschaftlich an einem schweren Sowjet-Syndrom leidet und politisch ahnt, dass es auf diese Weise nur noch begrenzte Zeit weitermachen kann. Dem aber auch schwant, dass die Operation am toten Herzen der Kommission keine angenehme Erfahrung sein wird.

Besser wäre es, es käme nicht zum Schlimmsten. Besser wäre es, es gäbe noch einmal ein Weiterso mit Kamala Harris, in Deutschland gefolgt von einer neuen  ziemlich kleinen großen Koalition aus Union und SPD, die gemächlich an ein paar Rädchen dreht, ein paar Zeitpläne verschiebt und den Wohlstandsabbau in neuen Verlautbarungstüten als Evolutionssprung verkauft. 

Sonntag, 3. November 2024

Not kennt ein Gebot: Die Prepper von Brüssel

Einst Zielscheibe vieler Kritiker, nach dem Wille der EU bald Vorbild für Millionen: Prepper.

Was sind sie verlacht worden. In ihrem Hang, sich vorzubereiten, den Ernstfall zu planen, Vorräte anzulegen und bereit zu sein, wenn alles zusammenbricht. Sie hatten Nudeln, Reis und Wasser gehortet, um prepared zu sein, wenn es zum Äußersten kommt. Der Blackout, das Ende der gewohnten Welt. Die Zombieapokalypse. Der Russe.  

Angst vor der Zukunft

Prepper pflegten den unerschütterlichen Glauben, hinter der sichtbaren Wirklichkeit verbürgen sich geheime Kräfte, dunkle Schattenwelten, allmächtige Herrscher, die das Leben der einfachen Menschen mehr bestimmten als Olaf Scholz, die Uno und Donald Trump zusammen. Das Internet war ihr Treffpunkt, hier tauschten sie ihre Codes, hier verabredeten sie ihre gemeingefährlichen Aktivitäten mit dem selbstsüchtigen Ziel, eine kommende große Krise ohne Rücksicht auf andere überleben zu wollen.

Bundesregierung, EU-Kommission und demokratische Leitmedien konnten immer nur wieder davor warnen, den Einflüsterungen zu folgen. Nudeln, Reis, Bier und Löschkalk für den Tag X bevorraten? Wer das tat, drückte damit mangelndes Vertrauen in den Staat aus. Der anständige Bürger verließ sich selbstverständlich darauf, dass die Behörden im Fall der Falle alles zu besten wenden würden. 

Preppern heißt Zweifeln

Wer prepperte, den trieb der "tiefe Wunsch nach dem Zusammenbruch" (Spiegel), der war "gefährlich für den Rechtsstaat" und zumeist dort weit rechts außen unterwegs, wo der "Hass am Grill" steht (Die Zeit). Verdammenswerter Egoismus. Lebensrettung auf Kosten anderer. Rücksichtslos auf das eigene Wohl bedacht, so lauteten die Urteile der medialen Mehrheitsgesellschaft über die, die sich mühten, auf Naturkatastrophen, biblische Seuchen und "den unweigerlich bevorstehenden Endkampf" (Zeit) mit dem Russen gerüstet zu sein. 

In Brüssel und Straßburg, wo die Uhren bekanntlich langsamer gehen, brauchte es vier Jahre, um der hässlichen Verschwörungstheorie von der Notwendigkeit privater Krisenvorsorge den amtlichen Segen der Kommission zu geben. Die aber hat nun gesprochen und einen Krisenplan der EU verkündet: Jeder Haushalt müsse Reserven für 72 Stunden anlegen, weil die EU-Staaten nicht in der Lage seien, das Überleben ihrer Bürger im Krisenfall für mindestens drei Tage sicherzustellen. Gefragt sei "mehr Selbstverantwortung der Bürger", Vorratshaltung, Selbstversorgung, Wasser, Verbandszeug, Brot.

Der gute Europäer preppert

Der gute Europäer, der in der Vergangenheit gezielt darauf verzichten sollte, mehr an Lebensmitteln daheim zu haben als es sich gehörte, um ein Zeichen der Solidarität in Zeiten des Mangels zu senden, soll zum Hamster werden, der für sich selbst sorgt und damit allen hilft. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mag 66 Jahre alt sein, doch die CDU-Politikerin ist gelenkig genug, einen Salto aus dem Stand vorzuführen: Der Hamster, das Wesen, das zuletzt in der Pandemie auf der Jagdliste stand, wird nach der Vorlage des Niinistö-Berichtes zur Krisenresilienz der weltgrößten Staatengemeinschaft zum Wappentier der EU. 

Um die Bereitschaft der Bürger zu stärken, an kommende existenzielle Krisen zu glauben, sollen Menschen zudem "für die Gefahren sensibilisiert und ihre psychologische Widerstandsfähigkeit gefördert werden". Angst gilt als bester Ratgeber: "Ohne in Panik zu verfallen, sollten sich die Menschen auf Krisenszenarien vorbereiten", fasst der zum SPD-Medienimperium zählende RND zusammen.Von der geplanten Beobachtung der Prepper durch die Geheimdienste soll offenbar dauerhaft abgesehen werden.


Angstblüte: Rette sich, wer kann

Mit großer Kaltblütigkeit hat Christian Lindner dem Niedergang seiner Partei über Jahre hinweg zugeschaut.

Was für ein Eklat. Ein ganzes langes Jahr hatte die ehemalige liberale Partei Deutschlands ihrem eigenen Untergang mit der gelassenen Ruhe eines Pokerspielers zugeschaut. Ihre Wähler wanderten ab, ihre Sympathisanten wandten sich anderen Hobbys zu. Parteileiter Christian Lindner stimmte allem zu, was Grün und Rot auf die politische Agenda haben, stets gelang es ihm, noch schlimmeres zu verhüten. Und nie bekam er Applaus dafür, nicht für seine Punkte-Pläne und nicht für seine Kaltblütigkeit.

Glaube an ein besseres Morgen

Das Land verkam. Die Wirtschaft verfiel. Wahlen gingen in Serie verloren. Der 45-jährige Youngster im Vizekanzleramt aber verlor den Glauben nicht an ein besseres Morgen. Eines Tages würde der Befreiungsschlag kommen. Die FDP würde die Fesseln des Sozialstaatsfundamentalismus abschütteln. Und auferstehen aus der Asche des Verrats an nahezu allen freiheitlichen Werten. Von einem Volk, das sich nach neuen Führern sehnt, begeistert gefeiert.

Ganz so weit ist es noch nicht. Aber ein Jahr vor der Bundestagswahl hat die erste Angstblüte im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ein "Positionspapier" sprießen lassen: "Wirtschaftswende Deutschland - Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit" führt auf 18 Seiten aus, wie aus "unverändert großen Stärken" wie "Innovationskraft und geistiges Eigentum, qualifizierte Beschäftigte, ein kapitalstarker Mittelstand und eine industrielle Basis, die ihre Anpassungsfähigkeit schon oft bewiesen" hat ein Staatswesen werden konnte, das jammert, sich am Alten festklammert, nicht auf die Strümpfe kommt und schon gar nicht mehr auf die Beine.

Zu viel Mühe

Lindner hat sich Mühe gegeben mit seiner Antwort auf Robert Habecks vielbeachtetes und noch häufiger gelobtes Grundsatzpapier zur Umgehung der Schuldenbremse durch ein weiteres prächtiges Sondervermögen und dem Ausbau des Staatseinflusses auf die Wirtschaft durch Bundesprämien auf Investitionen. 

Aber das hätte er sich auch sparen können. Kaum war sein "Konzept" ruchbar geworden - ein Leak, den Verschwörungstheoretiker dem FDP-Parteichef sofort selbst andichteten - ging es nicht mehr um den Inhalt. Sondern darum, dass das ja wohl die Scheidungsurkunde der Ampel sei. 

Von der "neoliberalen Phrasendrescherei" über "Papiere, die nicht helfen" bis zu "nicht zu verwirklichen" oszillierten die Reaktionen. Das auch noch "gerade jetzt", wo Hitler vor der Tür steht. "Als würde man einem Auffahrunfall zuschauen, nannte es die grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge, die die Säuberungswelle in ihrer Partei glücklich überstanden hat, im Falle einer Neuwahl vor der Zeit aber wie so viele Grüne um ihren Platz im Bundestag bangen müsste.

Hoffen auf ein Wahlwunder

Für SPD und Grüne ist Lindner zu früh dran. In den Zentralen der beiden größeren Regierungsparteien lebt die Hoffnung noch, dass ein gnädiges Schicksal die Wirtschaft von ganz allein wenden wird, dazu Harris im Weißen Haus und gute Gaben aus Amerika, ein bisschen von der üblichen Vergesslichkeit der einfachen Leute und ein paar schöne Wahlplakate mit ganz viel "neu" und "sozial" und "gerecht" drauf. 

Und schon ist ein Wahlwunder wie 2021 nicht mehr vollkommen ausgeschlossen. Bis dahin wird es schon noch gehen, davon sind sie im politischen Berlin überzeugt. Vielen anderen Ländern gehe es doch nach wie vor viel schlechter. Das müsse man draußen im Land nur besser erklären.

Lindner hielt sein Pulver trocken. Der gewiefte Taktiker, der die FDP nach ihrem letzten Scheintod nahezu im Alleingang wiedererweckt hatte, wusste, dass er nur diese eine Patrone hat: Den Abschied aus der Fortschrittskoalition, die das Land nach Ansicht vieler in drei Jahren mindestens so weit zurückgeworfen hat wie Merkel in 16.

Besser als die Lage

Dass ihn jetzt die Nerven im Stich gelassen haben, kann nur bedeuten, dass die miserable Stimmung besser ist als die Lage: Die Regierung kommt vor lauter Gipfeln nicht mehr zum Regieren. Der mystische "Wachstumspakt" vom Frühjahr ist immer noch nicht mehr als ein Versprechen. Alles, was die drei Regierungsparteien noch zusammenhält, ist das Spekulieren darauf, dass der eigene Abschied eines Tages so inszeniert werden kann, dass die anderen beiden an allem schuld sind.

Christian Lindner hält den Moment nun wohl für gekommen. Ausdrücklich zitiert er schon im Titel den Begriff "Wende" aus dem Lambsdorff-Papier von 1982, das damals das Ende der sozial-liberalen Ehe einläutete. Und neben dem "geringen Produktivitätswachstum" und dem "geringen Arbeitsvolumen" prangert er auch den "deutschen Sonderweg beim Klimaschutz" an - einen bisher als Kraftkern der Koalition geltender Kurs, der Europas größter Industrienation eine "politisch forcierte Dekarbonisierung des Kapitalstocks" auferlegt, der "zu stark steigenden Energiekosten" führe und "langlebige und weiterhin nutzbare Güter privater Haushalte (wie etwa Heizungen oder PKW) an Wert" verlieren lasse.

Eben noch überzeugt

Das war bis vor ein paar Tagen durch die Überzeugung legitimiert, dass es sein muss. Führt nun aber zu "hoher ökonomische Unsicherheit, verschlechterten Standortbedingungen in der Energieversorgung, zur Bindung von Finanzmitteln des Staates für Subventionen und soziale Ausgleichsmaßnahmen und zur Zurückhaltung von Haushalten und Unternehmen bei Investitionsentscheidungen". Jetzt reicht es. Rette sich, wer kann! 

Die "Wirtschaftswende", die Lindner bereits im Sommer leise flüsternd ausgerufen hatte - keiner der anderen Koalitionäre sah eine Notwendigkeit, mitten in den Ferien darauf zu antworten - ist die Pistole, die der FDP-Chef seinen Kollegen Scholz und Habeck auf die Stirn setzt. Lindner will das Soziale kürzen, bei der Verweigerung noch höherer Schulden beruft er sich auf die EU-Schuldenregeln, er will die "Marktwirtschaft als Treiber der Erneuerung" und er meint damit nicht den Ausbau der staatlichen Technologieselektion und der immer und aufwendiger planwirtschaftlichen Lenkung des Ressourceneinsatzes durch Verbote und Subventionen. 

Den Menschen vor sich selbst retten

Nicht einmal Olaf Scholz würde in einer solchen Welt regieren wollen, geschweige denn Saskia Esken, Lars Klingbeil oder die Grünen, für die nur der strenge, obrigkeitliche Staat den Menschen vor sich selbst retten kann. Wie das Ganze ausgehen wird, hängt nun ganz von Amerika ab. Je nach Ausgang der Wahlen in den USA werden sich die drei Ampel-Parteien ab Mittwoch neu positionieren: Weiter nach links oder noch weiter? Für die "wirtschaftspolitische Neuausrichtung" des Landes wird in keinem Fall Platz bleiben. 

Und die FDP steht in den letzten Monaten oder nur Wochen ihrer Existenz als politisch bedeutsame Kraft vor der interessanten Wahl, mit den beiden anderen unterzugehen. Oder ohne sie.

Samstag, 2. November 2024

Zitate zur Zeit: Defekte Wirklichkeit

Im Gegensatz zu deutschen Erkenntnissen, wonach Vertrauen zuletzt nur verschoben wurde, behauptet Amazon-Besitzer Jeff Bezos, es sei geschwunden.

Wer mit der Realität kämpft, verliert. 

Der US-Multimilliardär Jeff Bezos verteidigt seinen Umgang mit der Pressefreiheit

Turbanpropaganda: Selbst das Klima zählt nicht mehr

Von wegen "nur ein Stück Stoff" - ein ordentlicher Turban benötigt gewaltige Stoffmengen und belastet das Klima deutlich mehr als eine gestrickte Pudelmütze.


Eng eingebunden, eindrucksvoll aus, ein Stück Stoff, "das sich auf kunstvolle Weise windet". Die Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" hat eine Eloge auf den Turban verfasst, die Hoffnungen weckt, dass der nahöstliche Kopfputz "diesen Herbst endlich die schlumpfigen Wollmützen ablöst". 

Der Turban, heißt es ehrfurchtsvoll, sei "zurück in der Mode", aus der er anderenorts nie verschwunden war. Sogar bei Prada gebe es Mützen für Männer mit einer turbanartigen Stoffumwicklung, "Max Mara" habe "einen Turban für die Dame im Programm" und damit finde endlich Guccis Versuch von vor Jahren, mit blauen Turbanen ein wenig Islamfeeling ins Abendland zu bringen, seine Fortsetzung.

Verstörende Sehnsucht

Eine Sehnsucht, die verstörend wirkt in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit, Materialsparsamkeit und Verzicht im Sinne des Klimaschutzes auch bei der Wahl der Bekleidung dominieren sollten. Sogenannte Kapuzenjacken gelten nicht von ungefähr als so akute Bedrohung, dass die EU seit Jahren ein Verbot erwägt: Einer Studie zufolge existieren allein in Europa mehr als fünf Milliarden Jacken mit Kapuzen.

Die Baumwollmenge, die allein für die Kopfbedeckungen, die zu 99,5 Prozent der Zeit nicht benutzt werden, bringt ein Gewicht von zwischen 250.000 und 500.000 Tonnen auf die Waage. Ausgebreitet würde die Stoffmenge fast 1000 Saarländer oder aber 350 Millionen Fußballfelder bedecken. 

Populär bei Predigern

Ähnlich problematisch ist der Turban, ein "religiös konnotiertes Kleidungsstück" (Die Zeit), das Religionsstiftern, Imamen und anderen Predigern popularisiert wurde. Im Westen umgibt das aus einer langen Stoffbahn zusammengewickelte Tuch, dem die Träger ihren liebevollen Spitznamen "Wickelköpfe" verdanken, weiterhin eine Aura des Fremden. 

Aus Angst vor dem Vorwurf der sogenannten kulturellen Aneignung, aber auch aus Respekt vor den begrenzten Ressourcen, die die Erde bietet, nahmen die Gesellschaften nördlich des Mittelmeeres überwiegen jahrhundertelang Anstand vom Brauch, sich öffentlich ausschließlich mit umwickeltem Kopf zu zeigen.

Dem Turban eine Chance

Ausgerechnet die "Zeit" aber, eigentlich in solchen Dingen ja recht wach und jederzeit alarmbereit - wirft sich nun für das "exotisierende" (Zeit) Stoffstück in die Bresche. Wie Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring", das als  Zitat der "morgenländischen Kultur" einen blauen Turban und ein gelbes Tuch trägt, sollen Fashion Victims ihre bequemen Wollbeanies, ihre Tschapkas und Pudelmützen im Schrank lassen und dem Turban eine Chance geben. 

"Das lockende Fremde" könne so eine neue Heimat in den urbanen Zentren Deutschlands und draußen auf dem Land finden und die Erinnerung daran hochhalten, dass der Turban im Mittelalter ein Turban Symbol des Feindes war, heute aber symbolisiert, dass alles eins ist, Freund, Feind und Geliebter und Geliebte.

Mangelnder Respekt

Problematisch daran ist weniger die Aneignungsfunktion, die von mangelndem Respekt einem in bestimmten Landstrichen als heilig betrachteten Accessoire erzählt. Sondern der drohende erhöhte Ressourcenverbrauch, den eine Turbanwende samt Mützenausstieg und deutschlandweiter Tuchtransformation mit sich bringen würde. So wiegt eine Branded Knitted Beanie Mütze nach Herstellerangaben ganze 50 Gramm, ein Turban kann je nach Länge und Breite des verwendeten Stoffstreifens auf das drei- bis 70-fache kommen.

Denn klar ist: Für Turbane werden in aller Regel verschwenderisch große Stoffmenge verwendet. Ein Meter mal ein Meter gelten als vollkommen normal, drei Meter mal 80 Zentimeter als nicht besonders groß, auch vier mal ein Meter sind häufig anzutreffen. Der Turban bedeckt dennoch nur einen relativ kleinen Bereich des Körpers, allerdings so dick, dass die ARD schon vor vielen Jahren besorgt fragte "Wie heiß wird's unterm Turban".

Hitze und Hass 

Eine berechtigte, aber auch besorgte Frage, hat die Wissenschaft hat den Zusammenhang zwischen Hitze und Gewalt doch längst eindeutig nachgewiesen.Untersuchungen wiesen einen Verlust bis zu 40 IQ-Punkten durch Hitze nach,  Der jungen Mathematikerin Annika Stechemesser gelang es sogar, durch die Analyse von mehr als vier Millionen Hass- und Hetznachrichten beim damaligen Hassportal Twitter einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und einer wachsenden Zahl von wütenden und häufig regierungsfeindlichen Notaten zu belegen. Unter Turbanen ist es zwar nur heiß, wenn es warm ist. Aber da Mützen den Wärmeverlust am Kopf verhindern, verhindern Turbane ihn auch. 

Klimaschädliches Kleidungsstück

Der aktuelle Versuch, das für weniger resiliente Gruppen potenziell gefährliche, in dem Fall aber äußerst klimaschädliche Kleidungsstück zu popularisieren, spricht so weniger für verantwortungsvollen Verzichtsjournalismus, sondern mehr für eine gedankenlose Verleitung vieler Menschen zu einer Modeerscheinung, die schnellstens weltweit gebannt gehört. 

Aus dem Material eines einzigen Turbans lassen sich bis zu 16 gewöhnliche Wintermützen machen - die Turbanpropaganda in der "Zeit", die darauf mit keinem Wort eingeht, verstört umso mehr, als auf das Blatt normalerweise Verlass ist, wenn um Maßnahmen zum Stopp des vorindustriellen Zeitalter bei 1,2 Grad Celsius oder Hinweise auf eine aufmerksamkeitssensible Wahrnehmungsgeschichte der Klimakrise als täglich Warnung im Alltag geht. 

Doch der Rechtsruck zeigt auch hier Spuren: Wenn es um Mode geht, den letzten Großstadtchic und neue Absatzmärkte für die großen Turbanhersteller, zählen Klimagesichtspunkte nicht mehr.


Freitag, 1. November 2024

Udo und die Audianer: Das A-Wort

Vor drei Jahren war Audi mit der Genderbezeichnung "Audianer_innen" noch ganz vorn, jetzt liegt das Unternehmen im Bedeutungskampf ganz hinten.


Kinder, wie die Zeit vergeht. Noch vor drei Jahren war die Volkswagentochter Audi ganz vorn, als sie ihre Mitarbeiter wissen ließ, dass der in der Belegschaft beliebte Begriff des "Audianers" als liebevolle Umschreibung aller bei Audi Festangestellten künftig gerecht gegendert werden müsse. "Statt "Audianer" heiße es ab sofort "Audianer_innen", hieß es in der entsprechenden internen Richtlinie. Angesichts der damals noch grassierenden Corona-Pandemie ein entschiedener Schritt, um den besonderen Herausforderungen der Zeit mit klaren Signalen zu begegnen.

Audi weit vorn

Nie wieder war Audi so weit vorn, so nahe am Zeitgeist und so beispielgebend für eine ganze Generation von Unternehmenslenkern, die das Hauptaugenmerk ihrer Tätigkeit auf die entscheidenden Nebenaspekte der Wirtschaftstätigkeit legten. 

Doch wie so oft: Je schneller einer läuft, desto früher stürzt er hin. Volkswagen, der Staatskonzern Niedersachsens, stolperte über die eigenen Füße, aber auch über die Entscheidung, gefragte Fahrzeuge nicht mehr herzustellen und stattdessen lieber Autos zu entwickeln, die niemand haben will. Porsche wird die Rechnung für die EU-Entscheidung zahlen, China mit Strafzöllen zu überziehen. Und Audi steht infolge der Verschärfung der Sprachregeln mit seiner "Audianer_innen"-Richtlinie am Pranger: Wie kann eine Begriff, der unverhohlen auf das diskriminierende "I-Wort" anspielt, im offiziellen Sprachgebrauch eines großen deutschen Konzerns weiterhin vorgeschrieben sein?

Der Marsch der Kulturkompanien

Die Kulturkompanien machen vor, wie sich ordentlich im Takt der Zeit marschieren lässt. Udo Lindenbergs "Sonderzug nach Pankow", im Kalten Krieg ein schelmischer Hit, mit dem der Sänger aus dem VW-Land den DDR-Oberindianer Erich Honecker um ein Date anging, fällt 40 Jahre später unter Rassismusverdacht: Der "Oberindianer" könne "diskriminierend wahrgenommen werden". Deshalb soll der offiziell als "I-Wort" umschriebene Begriff beim Liedertreffen im Berliner „Humboldt Forum“ nicht ausgesungen, sondern durch ein lange gehaltenes "i" nach "Ober" ersetzt werden.

Eine Andeutung nur, die vollumfänglich für eine neue Epoche steht. Nach N-Wort und Z-Wort nun I-Wort, nach der Entfernung sexistischer Gedichte nun die Reinigung rassistischer Lieder. Lindenberg, als schnoddriger "Panikpräsident" selbst Erfinder der "Bunten Republik Deutschland", steht unter Diskriminierungsverdacht. Lindenberg, 78 Jahre alt, steht damit vor einem deutsche, Europa- und Weltrekord: Er ist der einzige lebende Künstler, der sowohl in der kommunistischen DDR-Diktatur als auch in der freiheitlichen Meinungslenkungsgesellschaft der offenen Vielfaltsrepublik zensiert wurde.

Nach Karl May und ostdeutschen Küchenchefs, Astrid Lindgren und  J.K. Rowling ist der Mann dran, der sich selbst als "kleinen Bruder von Hermann Hesse" sieht, einen Dicherkollegen, über den Alfons Pillach reimte: "Mein größter Star war Winnetou, das hat mich umgetrieben; sah alle Filme stets dazu, bin lang sein Fan geblieben. Das Leben hat mich abgeklärt, da gab's was auf die Fresse, der Winnetou ist jetzt verjährt, ich lese Hermann Hesse."

Der fesselnde Weltgeist

Einer schlimmer als der andere. "Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen / Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten", hatte Hesse vermutet, Lindi war "Gegen die Strömung " unterwegs, er mischte Blut mit Indianerversprechen und erfreute sich am Anblick der "Spießer" ringsherum.

Jetzt ist er selbst einer, überholt vom Lauf der Zeit wie die eifrigen Genderer bei Audi, deren betriebsamtliche Anspielung auf das "I-Wort" einer dringenden Revision bedarf. Mitten in der größten Krise des VW-Konzerns assoziiert das "A-Wort" Erinnerungen an die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen - eine offene Diskussion der Audi-Sprachbeauftragten mit Mitarbeitern, Betriebsrat und Management ist dringend nötig. 

Auch der Zeithorizont - das A-Wort lässt sich über Jahrzehnte zurückverfolgen - kann keine Entschuldigung sein. Der Wortstamm "dians" verdankt sich einen Irrtum Christoph Kolumbus’, der sich in Indien wähnte und die amerikanischen Indigenen mit dieser herabsetzenden Bezeichnung versah. 

Politisch korrekte Ersatzbegriffe stehen auch für Audi ausreichend zur Verfügung: Denkbar wären Audigene, Audinwohner, Native Audicans oder - nach Gründer August Horch - First Augusts.

Beeinflussungsbann: Die gestohlene Wahl

Donald Trump wiederholt bis heute die Lüge von der "gestohlenen Wahl". Jetzt könnte er selbst zum Dieb werden und Kamala Harris den verdienten Wahlsieg rauben. Abb: Kümram, Fingerfarben auf Spanplatte

Sie wettern in den sozialen Netzwerken, pflastern das Land mit Wahlplakaten zu und geben Milliarden für Fernsehwerbung aus. Mit seinem Hintermann Elon Musk, dem reichsten Milliardär der Welt, hat der frühere US-amerikanische Präsident einen Gehilfen gefunden, der alles daran setzt, ihm noch einmal ins Amt zu verhelfen.  

Deutschland steht zwar treu zu Kamala Harris, der von Joe Biden persönlich ausgewählten demokratischen Nachfolgerin. Europas Demokraten setzen auf einen Sieg der beliebten Vizepräsidentin. Die Hoffnung ist, dass sich viele Amerikaner ein Beispiel nehmen, weil sie auch künftig nicht auf die enge Zusammenarbeit mit der EU, Deutschland, der SPD und den Grünen verzichten wollen.

Fürchterliche Tendenz

Doch die Tendenz, die sich in Umfragen abbildet, ist mittlerweile so deutlich, dass sie selbst deutsche Schlagzeilen bestimmt: Was, wenn der erwartete Erdrutschsieg der schwarzen, farbigen, asiatischen, modernen Frau gegen den alten weißen Mann mit den schrecklichen Umgangsformen ausbleibt? Was, wenn das Schlimmste eintritt und Trump erneut ins Weiße Haus einzieht? 

Es geht weniger um Folgeabschätzung als um Ursachenforschung. Wie bei der Ampelkoalition, deren gute Politik sich vor der der Biden-Administration nicht verstecken muss, halten die Beliebtheitswerte der Verantwortlichen nicht mit den sichtbaren Erfolgen schritt. Die Gründe aber liegen keineswegs nur allein darin, dass es weder in Berlin noch in Washington schon ausreichend gelingt, die erreichten Fortschritte und Planziele transparent genug darzustellen. 

Digitale Angriffe

Nein, die wichtigste Einflussgröße bilden digitale Angriffe aus dem Hinterhalt der sozialen Netzwerke, Versuche der Beeinflussung durch Elon Musk, den Kreml und republikanische pressure groups, die Milliarden für Trump spenden. Diese Kreise sitzen diesmal nicht in Mazedonien und sie trommeln nicht für ein paar hundert Dollar für Trump. Nein, sie versprechen sich Vorteile von einer zweiten Skandalpräsidentschaft des ausschließlich um sein privates Vermögen bedachten Immobilientycoons.

Deshalb lancieren sie Videos, die Muslimen und Juden widersprüchliche Inhalte zu der Demokratin zeigen, deshalb mäkeln sie an Auftritten der First Lady herum, deshalb schreitet niemand ein, obwohl Elon Musk seinen privaten Account bei X verwendet, um zur Wahl von Trump aufzurufen. Nach dem Honeymoon im August, als Kamala Harris bereits als sichere Siegerin feststand, sieht nun alles nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem "angeschlagenen, fragilen, tattrigen" (Elmar Theveßen) Mann und der jungen, modernen Frau aus. 

Unwägbarkeiten im Wahlkampf

Ende ungewiss, Konsequenzen aber sicher: Eine große, fest im Volk verankerte Demokratie darf ihre Zukunft niemals den Unwägbarkeiten von Wahlkämpfen überlassen, bei denen umstrittene Kandidaten wie Donald Trump zwar mit deutlich weniger Geld auskommen müssen wie die in Deutschland favorisierte Kandidatin. Bei denen es ihnen aber gelingt, diesen Nachteil mit Tricks und Kniffen  auszugleichen, etwa, indem sie Kamala Harris zu ihrer Interviewoffensive in der letzten Wahlkampfphase verleiteten.

Die 60-Jährige ging in die Falle, die ihre Gegner mit der ständig wiederholten Behauptung aufgestellt hatten, niemand wisse, was sie eigentlich wolle, sie sei als Präsidentschaftskandidatin nicht greifbarer als in den drei Jahren ihrer Vizepräsidentschaft, in denen sie sich den Ruf einer Unsichtbaren eroberte. Harris fiel auf den Trick herein. Statt ein ungewisses Versprechen zu bleiben, in das jeder Trump-Gegner seine Träume und Wünsche hätte projizieren können, ging sie vor die Kameras, in den Nahkampf und auf Details ihrer Pläne ein.

Das eigene Grab

Ein Desaster. Mit jedem weiteren Interview gingen die Umfragezahlen weiter zurück. Aus dem Vorsprung wurde ein Gleichstand. Inzwischen raten Wahlkampfstrategen dringend, "Kamala Harris sollte aufhören, Interviews zu geben". Und als Konsequenz aus der Tatsache, dass die Gegner der Vizepräsidentin jeden einzelnen Auftritt in den sozialen Netzwerken auswalzen und höhnisch kommentieren, hat der nicht nur für Klima und Wirtschaft, sondern auch für die Bundesnetzagentur als Online-Überwachungsbehörde zuständige Robert Habeck bereits angekündigt, dass Deutschland Maßnahmen treffen werde, um die "verlorene Diskurshoheit des grünen Milieus" (Die Welt) zurückzuerobern.

Längst schon geht es in Wahlkämpfen nicht mehr um Inhalte, sondern um Gefühle, um Vertrauen und die Botschaft der Politik an den Wähler, dass man sich um alles kümmern werde, wenn erst richtig gewählt worden sei. Niemand muss mehr wissen, als zur Erfüllung seiner Aufgabe - hier: Die Stimmabgabe - unbedingt nötig ist. 

Bloß keine Inhalte

Der EU-Wahlkampf im Frühjahr, der letztlich auf einen Mittwochvormittag fiel, zeigte das beispielhaft: Alle Parteien vermieden es, auf Wahlplakaten oder in Wahlveranstaltungen Hinweise darauf zu geben, welchen Kurs sie bei Themen wie Migration, Wirtschaft oder Ukrainekrieg einzuschlagen gedenken. Stattdessen gab es Schlagworte wie "Wirtschaft liebt Freiheit", "Einigkeit gegen rechts für Freiheit" und "In Freiheit. In Sicherheit. In Europa" zu lesen.

Für die AfD reichte das, seitdem ist klar, dass es mit einer Themenvermeidung im Wahlkampf nicht getan ist, sondern mit Blick auf die Bundestagswahl wohl ein umfassendes Beeinflussungsverbot gesetzlich verankert werden muss. Das Beispiel des US-Milliardärs Jeff Bezos mahnt: Der Eigentümer der Washington Post  verhinderte mitten in der heißen Phase des US-Wahlkampfes, dass seine Zeitung ihren Lesern Kamala Harris als neue US-Präsidentin empfiehlt. 

Ein "Tabubruch" (Der Spiegel) und ein tiefer Eingriff in die Freiheit der Wahl, der in Deutschland ebenso drohen könnte, mit nicht weniger schrecklichen Folgen. Es ist unerträglich und ein Anschlag auf die Demokratie, wenn sich Milliardäre in Wahlkämpfe einmischen wie Elon Musk. Und tun sie es nicht dann ist das unerträglich und ein Anschlag auf die Demokratie.

Auf den letzten Metern

Auf den letzten Metern bieten alle alles auf. Kamala Harris hat sich von der Starfotografin Annie Leibovitz für die "Vogue" fotografieren lassen, um unentschlossene Arbeiter und kleine Angestellte im umkämpften rust belt anzusprechen. Die Vizepräsidentin der USA trägt demonstrativ auch diesmal wieder Braun, um Trump-Wähler zu überzeugen, dazu eine brombeerfarbene Seidenbluse und einen Sticker mit US-Fahne. Ob dieser elegante Hochglanz-Angriff auf die hart arbeitende Mitte Erfolg haben wird, steht noch aus, denn Donald Trump ließ sich gleichzeitig von den Gästen einer McDonald’s-Filiale in Feasterville (Pennsylvania) fotografieren, angetan mit Firmenschürze und McDonald's-Kappe. 

Unredlich, weil inszeniert, ein Fall für den Beeinflussungsbann, der die Bundestagswahl im kommenden Jahr vor genau solchen Attacken schützen muss. Die Hoffnung bleibt, dass die ansonsten ja kaum her zu einer Einigung fähige Ampelkoalition wenigstens in diesem Bereich noch einmal über ihren Schatten zu springen vermag. Und straffe, strenge Regeln erlässt, die