Dienstag, 2. September 2025

"Wir bleiben die Alten": Die letzten Tage des Sozialismus

Auch die DDR-Führung war von der Unabänderlichkeit ihrer Macht überzeugt.

Fast 30 Jahre leitete der westdeutsche Historiker Hubertus Knabe die Stasi-Gedenkstäte Hohenschönhausen. Dann geriet der unerbittliche Ankläger des Despotismus der DDR in eine Intrige, mittels der es Linkspartei, SPD und CDU schafften, ihn aus dem Amt zu drängen. Knabe musste gehen, er nahm den Eindruck mit, dass es bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit um die DDR, die SED, die Stasi und die Unterdrückung der Ostdeutschen gegangen sein könnte. Historie war vielmehr von Anfang an Machtinstrument, genutzt, um über die Denunziation des Anderen das Eigene zu polieren.

Abgehörte Spitzengenossen

 
Dabei muss Geschichte eigentlich nicht beurteilt werden. Es reichte, sie zu kennen. Knabe selbst, über lange Zeit mit einem privilegierten Zugang zu den Stasi-Archiven, zeigt es an einem Beispiel: Ein von der Stasi abgehörtes Gespräch zweier Spitzenfunktionäre der alleinherrschenden Partei zeigt, wie tief das Gift des Zweifels am sozialistischen System Ende der 80er Jahre bereits in den SED-Apparat eingedrungen war.

Im Sommer 1988 trafen im Internationalen Pressezentrum (IPZ) der DDR zwei erfahrene Spitzenagenten aufeinander: Heinz Felfe, einst Topquelle des KGB im Bundesnachrichtendienst. Nach achtjähriger Haft hatte man ihn ausgetauscht und zum Professor an der Sektion Kriminalistik der Berliner Humboldt-Universität gemacht. Der andere war Fred Müller, Direktor des Pressezentrums und Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit, angesetzt auf den „Klassenfeind“. Beide waren im Apparat von SED und Stasi bestens vernetzt.

Enttäuschter Rückkehrer

 
Felfe kam gerade aus Moskau zurück, wo er unter anderem den Vizechef des KGB getroffen hat. Im Gespräch mit seinem Genossen Müller geht es um das, was den Sozialismus im Innersten zusammenhält - oder auch nicht. Getreu dem Leninschen Leitsatzes „Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser“ hörte die Stasi das Gespräch ab und zeichnete es auf. Ein Auswerter schrieb den Inhalt nieder und fasste ihn dabei streckenweise zusammen. Entstanden ist, was Hubertus Knabe "ein Sittengemälde aus den letzten Tagen des Sozialismus" nennt.

Felfe berichtet über Aufenthalt in UdSSR. Müller animiert Felfe mit der Frage:

Müller: Nun ist die große Debatte, wie geht es dort drüben weiter? Hast Du mit den Strecken (gemeint sind Arbeitsbereiche des KGB; Anm. HK), mit denen Du da so gearbeitet hast…?

Felfe: Natürlich, mit dem Hauptquartier.

M.: Ich habe den Eindruck, die machen gar nichts. Die lassen den Scheißdreck laufen, oder ist der Eindruck verkehrt?

F.: Es sollte am Tage vor der Abreise eine Zusammenkunft mit Tschebrikow geben. Der konnte nicht, musste ins ZK oder Politbüro. Also war ich beim Stellvertreter, Armeegeneral. Hauptquartier, außerhalb, wo keiner rein kommt. Meine ganzen Genossen mussten draußen bleiben. Nur der Abteilungschef, der General für die politischen Sachen, und der Dolmetscher waren mit drin. Es wagte keiner von denen, einen Piep zu sagen.

Der Armeegeneral gab so eine „Tour de horizon“: Wir haben viele Fehler gemacht, wir sehen das ein. Unsere Politik gegenüber Jugoslawien, China. Wir haben eingesehen, dass wir nicht die Nummer 1 sind und alle sich nach uns zu richten haben, sondern jeder seinen eigenen Weg suchen muss. Fragte mich, welche Meinung wir dazu haben. Ich sagte, wir sind auch dafür. Er meinte, auch der Mann auf der Straße ist für eine Änderung, aber es nützt ihm nichts, wenn es keinen Kaffee und Zucker gibt.

Mein Partner war bei seinem Schwager in Kuibyschew gewesen. Der hatte nicht mal Tee. Stell Dir das mal vor: Es gibt keinen Tee! Die sind nun der Meinung, dass in den Zwischenetagen Leute sitzen, die sabotieren jetzt, weil sie um ihre Posten fürchten. Auffallend in Moskau sind jetzt die vielen Kioske. Dort gibt es alles. Die Toiletten sind privatisiert, dort ist jetzt Musik und alles sauber.

M.: Siehst Du…

F.: Was ich immer sagte: Der private Ehrgeiz ist die große Triebkraft.

M.: Absolut.


F.: Unser ganzes Gerede von Wettbewerb und sozialistischer Hilfe ist alles Scheiße, weil jeder nur denkt: Wie kann ich mich vor der Arbeit drücken?

M.: Wo Geld fließt, muss Leistung sein. Dann haste die Leute hinter Dir.

M.: Das erlebe ich jetzt rechts und links von mir mit schärfsten Kontrasten. Das Patentamt baut seit anderthalb Jahren am Fundament. Das Dom-Hotel hat vor zwei Monaten angefangen – die gießen schon aus. Das baut eine Westberliner Firma mit unserem Tiefbau.

F.: Sie ist beim Talsperrenbau und so. Sie sitzt schon um sieben Uhr am Schreibtisch, ihre Ingenieure kommen um acht. Wenn sie das in der Parteiversammlung anspricht, wird nach oben alles glatt gemacht. Also, sagt sie, wir lügen. Sie hat die Schnauze so voll, dass sie aus der Partei austreten will.

F.: Wenn Du die Zeitung aufschlägst, wirst Du doch belogen. Heute steht: „400 000 Trockenrasierer für die Bevölkerung“. Ich brauche keinen Trockenrasierer. Ich brauche was anderes. Kauf doch mal Zement in Bautzen – nichts da, der geht nach Frankreich zum Kanalbau. Meine Verwandtschaft war jetzt da und erzählt, sie waren an der Ostsee im Urlaub. Dort ist die Versorgung noch mieser als in Bautzen. Ist denn das nur in der ganzen DDR so schlimm?

M.: Meine Masseuse war in Reichenbach im Vogtland. Es gibt dort keine Zwiebeln und Senf. Da sitzen bestimmt ein Haufen Leute im Handel, die denken, die Leute sollen sich doch ihre Zwiebeln anbauen.

F.: Ich war in der Lausitz und bekomme kein Sauerkraut. Die Leute sagen, erst mal wird nach Berlin und in die Bezirksstädte geliefert, der Rest ist für uns. Geh doch mal in Westberlin einkaufen: Alle Geschäfte sind voll! Apfelsinen, Bananen, Pfirsiche. Meine Frau, die jetzt auch rüber darf, sagt: „Man wird verrückt, was es da alles gibt. Wie machen die denn das mit dem Zeug, was sie am Tag nicht verkauft haben…?“

M.: Ich sag das schon laufend. Ich fahre nun ja schon 20 Jahre rüber… Ich hab mit vielen Rentnern diskutiert, die fahren und das selbst sehen. Wenn Du auf den Markt einer kleinen oder mittleren Stadt gehst – dort ist alles da.

F.: Meine Frau hat jetzt Früchte gesehen, da hatte sie nie was von gehört: Nektarinen, Avocatos…

M.: Das fressen dort sogar die Arbeitslosen.

F.: Der Verkehr auf dem Kudamm, ein starker Verkehr: Das läuft und rauscht, kein Lärm, keine Zweitakter, keine kaputten Auspuffanlagen, alles freundlich, man bekommt gleich Stapel bunter Prospekte.

M.: Der reiche Kapitalismus…

F.: Dann kommst Du an die Grenze zurück: Miese Verhältnisse, ein Tisch, ein Stuhl, musst halb im Sitzen den Zettel ausfüllen und wirst dumm angeredet. Vor meiner Frau wurde eine Rentnerin angemiest, weil die den Zöllner nicht gesehen hatte – genau so, wie die Leute in der DDR von der Obrigkeit behandelt werden. In Westberlin dagegen: Alles freundlich, vom Busfahrer über den Zeitungsverkäufer – alle. Dieses Graue, Triste an der Grenze. Warum können wir unsere Eingangstür nicht besser machen?

M.: Es geht nicht nur um die Eingangstür. Ich war im Grenzort Wendehausen, mit einem französischen Schriftsteller, der dort als Kind zeitweise lebte. Ein erzkatholisches Nest. Der Schützenverein und die Feuerwehr haben alles in der Hand. Saubere Häuser und Straßen, die Kirche – alles neu gemacht. Gaststätten – sehr sauber, private und Genossenschaft. Ich hatte auch mit der Sicherheit gesprochen, damit bei Einfahrt in das Grenzgebiet alles in Ordnung geht (das DDR-Grenzgebiet durfte nur mit besonderer Genehmigung betreten werden; Anm. HK). Die haben das gleich anders überdreht: Schlagbaum oben, keine Kontrolle. Habe dann später gemerkt: Die hatten alle umgekleidet, die entsprechenden Leute als Förster verkleidet (gemeint sind Stasi-Observationskräfte; Anm. HK). Kam eine auf dem Moped als Förster – die guckte schon so komisch. Dann einer mit der Waffe, oben am Wald, als wenn er zur Jagd geht. So haben sie dort gemacht.

F.: In unseren Dienstleistungsbereichen – Gaststätten zum Beispiel – hätte schon früher alles in Privathand gehört.

M.: Die Leute müssen aber nicht so hoch besteuert werden.

F.: Habe bei mir in Weißensee einen Malermeister, der sein Gewerbe in Pankow hat. Wurde der doch vor kurzem mit 400 Mark Strafe belangt, weil er außerhalb von Pankow gemalert hat.

M.: Gibt es denn so was! Das sind die Dinger, wo die Leute auf die Barrikaden gehen, wo uns die Optik versaut wird. Der hätte ein Dankschreiben kriegen müssen.

M.: Ich habe gelesen: 18 Millionen Bürokraten, 15 Millionen Parteiarbeiter. Das sind die Schräubchen, Ämterchen, Pöstchen, wo sich was dreht oder nicht. Ich habe durch die Westpresse die ganzen Reden und so gelesen – diese Korruptionsfälle und alles...

F.: Und gibt es das nicht auch bei uns? Wo mal aufgeräumt werden müsste? Wir decken doch alles zu… Auch die Probleme mit den Skinheads, mit der Zunahme von Kriminalität.
 
F.: Die sind doch alle durch die Pioniere, FDJ, Arbeit und NVA gegangen – und entwickeln sich so? Die Skinheads von der Zionskirche (gemeint ist ein Überfall von Skinheads auf die Ost-Berliner Zionskirche im Oktober 1987; Anm. HK) haben Karate in der GST (Gesellschaft für Sport und Technik; Anm. HK) gelernt. So ist das.

M.: Wir haben es uns oft zu einfach gemacht und alles auf die Westmedien geschoben. Die Ursachen sind auch bei uns selbst. Da wird formal gelehrt, und da berauscht man sich, wenn die richtigen Antworten für die Zensuren gegeben werden. Emotional ist überhaupt nichts da. Nur auswendig gelernt. Einige kriegen im Elternhaus schlimme Sachen vorgelebt…

F.: Sie sind mit der Doppelzüngigkeit aufgewachsen: Zu Hause wird in die West-Röhre geguckt – in der Schule anders geredet. Diese Scheuklappenpolitik hat nochmal schlimme Konsequenzen…

M.: Bedauerlich, dass wir das nicht offen ansprechen.

F.: Wenn ich unsere Zeitung aufschlage, da wird mit Zahlen mir etwas vorgemacht, oder ich muss zwischen den Zeilen lesen. Wir sind nicht in der Lage zu sagen, das und das ist Sache. (…)
 
M.: Heinz, ich hoffe, wir lernen es noch.

F.: Ich werde immer sarkastischer. Mir nimmt es keiner übel, ich habe Kredit. Ich werde immer vorgeschickt, wenn es brenzlig ist. Wir wollten einen Staat bauen, in dem es gerecht zugeht, wo es allen gut geht, wo alles seine Ordnung hat. Was haben wir erreicht? Unsere Hoffnungen sind alle enttäuscht worden.

M.: Der ganze Sozialismus zeigt Schwächen, die ich so nicht für möglich gehalten hätte. Wir sind in der DDR noch am weitesten vorangekommen, aber – da wir es allein nicht schaffen – müssten wir unseren Standpunkt neu formulieren. Wir produzieren für den BRD-Markt, aber niemand traut sich das zu sagen. So niveaulos sind wir!

F.: Doppelte Moral, doppelte Buchführung. Die Sektion Kriminalistik an der Humboldt-Universität kriegte einen Bauplatz am Reichstagsufer. Die gesamte Sektion in einem Neubau. Projektierung fertig, Baukapazität. alles klar, es kann losgehen. Plötzlich ist das Projekt gestorben. Kommt der Außenhandelsbetrieb Polygraph und sagt: Wir brauchen einen repräsentativen Bau in Berlin. Wir bringen Devisen. Hier sind sieben Millionen DM und 30 Millionen Mark – da flog die Sektion als Gesellschaftsbau raus. Was sagst Du dazu?

M.: Alles ist auf den Kopf gestellt. Mir hat mein Schwager erzählt: Wenn ein Staat seine Rohstoffe so verpulvert, muss man die Leiter an die Wand stellen. Das macht niemand in der Welt, außer die Sowjets. Wenn man in Westeuropa in der Chemieindustrie als Arbeiter ausgebeutet wird und abends ausgepowert nach Hause kommt, hat man aber Geld in der Tasche und weiß, dass man was dafür kriegt.

F.: Warum soll bei uns jemand Überstunden machen? Er kann sich doch nichts kaufen!

M.: Wenn man wüsste, für 1000 Mark kann ich einen Videorecorder kaufen. Aber kein Auspuff in ganz Berlin ist zu kriegen. Wir brauchen ein neues System, eine völlig neue Preisgestaltung – umfassend: von Tarifen, Renten, Industriepreisen, Löhnen, Infrastruktur. Seit drei bis vier Jahren müssten bei uns Spezialisten sitzen, die das durchgerechnet und dann vorgelegt haben – wenn wir ein richtiger demokratischer Staat wären. Dann zwei Jahre öffentliche Debatte. Die Leute würden in die Versammlungen kommen, wenn es um ihr Geld geht. Grundprinzipien durchsetzen: Jeder nach seinen Leistungen. Aber da geht ja keiner ran, die Subventionen bleiben. Um uns herum wird es gemacht: Verdoppelte Preise, Lohnausgleich – bei uns findet nichts statt.

M.: Heinz, wir bleiben die Alten.

F.: Wir bleiben die Alten.

Strom aus dem Asphalt: Billionen für rollende Ladeschalen

Electreon empowert deutsche Autobahnen. das projekt soll die Klimawende retten helfen.

Es hat lange gedauert, ewig lange. Und es war zu klein gedacht. Fünf Jahre dauerte es, um die Mammutanlage zu errichten: Ein Dach, beinahe frei schwebend. Obendrauf hochmoderne Solarpaneele, gehalten von nachhaltig geernteten Stahlstreben, die auf Trägern ruhen, die deutsche Ingenieurskunst einbetoniert hat in den Grünstreifen an einer typisch deutschen Autobahn. Volle 14 Meter lang zieht sich die kühne Konstruktion, die mehrere Meter hoch aufragt, um auch größere Lieferfahrzeuge wie Lkws problemlos passieren zu lassen, über eine Straße an der Rastanlage Hegau-Ost an der A 81.  

Der stolze Demonstrator 

Sie nennen sie den "Demonstrator", um das alles auf die Beine zustellen, holten sich die besten Forscher Deutschlands Hilfe aus Österreich und der Schweiz. Es war noch der später standhaft in seinem Amt verbliebene Verkehrsminister Volker Wissing, der herbeieilen konnte, um die Anlage freizugeben: Das erste Solardach nicht nur über einem Stück deutscher Autobahn, sondern womöglich das erste der Welt. Deutschland, das sich selbst oft kleiner macht, als es seit den Gebietsabtretungen im Osten ist, war damit Vorreiter bei Solaranlagen über der Autobahn. 

Die Forschungsanlage, von Wissenschaftler als das "Jülich der Autobahnenergie" bezeichnet, bewies: Bei ausreichender Witterung kann die mit einer einer Millionen Euro finanzierte Fläche bis zu 40.000 kWh Strom im Jahr liefern - das entspricht der Leistung von mehr als sogenannten 130 Balkonkraftwerken, die beim Einkauf durch private Besitzer etwa 80.000 Euro gekostet hätten. Ein starker Beitrag zur Erreichung des Zieles der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. 

Verkehr mit Bringeschuld 

Der Verkehrssektor hat hier eine Bringeschuld, bisher erreicht er seinen geplanten substantiellen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen nicht. Private Pkw-Fahrer weigern sich, auf Elektromobilität umzusteigen. Die EU hat günstige chinesische Elektrofahrzeuge durch hohe Zölle drastisch verteuert und das bereits beschlossenen eigene Verbrennerverbot aufgehoben. Die Logistikbranche beklagt, dass auch der geforderte Umstieg auf Elektro-Trucks daran scheitert, dass deren Kosten doppelt so hoch sind wie die gewöhnlicher Lastkraftwagen. Bis zum Zielzeitraum müssen noch fünf von sechs Diesel-Lastkraftwagen ausgetauscht werden. Bei Bussen sind es drei von vier. 

Es wird Fördermittelbillionen brauchen, um die Motivation hochzuhalten und die Preise für Endverbraucher so tief, dass denen nach getaner Arbeit wenigstens genug Geld übrig bleibt, die höheren CO2-Abgaben stemmen zu können. Und es braucht weitere Innovationen, um den Umbau der Verkehrsinfrastruktur so zu gestalten, dass sie selbst zukünftig energieeffizienter wird, verstärkt erneuerbare Energien nutzt und sie möglichst direkt vor Ort zur Verfügung stellt. 

Zurück in die Vergessenheit 

Nach dem Pilotprojekt an der A 81, das nach seiner feierlichen Einweihung schnell wieder allgemeiner Vergessenheit anheimfiel, war klar, dass Deutschland größer denken und sich bei der Prüfung der sogenannten "Potenzialabschätzung zur Treibhausgasemissionsminderung" nicht mit der Überdachung von Straßen, insbesondere von Autobahnen mit sehr schnellfließendem Verkehr, begnügen kann. 

Hier sind dem Gesetzgeber durch den Gesetzgeber enge Fesseln angelegt. Es gibt vergleichsweise hohe Sicherheitsanforderungen, die beachtet werden müssen. So unterliegen Überdachungen von Autobahnen mit Photovoltaikanlagen denselben Vorgaben bezüglich Stand- und Verkehrssicherheit wie alle Bauwerke an Bundesfernstraßen, zum Beispiel Brücken und Tunnelbauwerke.

Ab einer Länge von 80 Metern ist jedes Dach im Sinne des geltenden Baurechts als Tunnelbauwerk anzusehen - umgehend sind Aspekte der Belichtung, der Fluchtwege, des Brandschutzes und der vorgeschriebenen permanenten Überwachung unter Berücksichtigung der entsprechenden Regelwerke des Tunnelbaus nachzuweisen. Das gilt auch, wenn wenn die Seitenwände des solaren Tunnels offen sind. 

Sieben Jahre Aufbauarbeit 

Dieser Weg, das ist nach sieben Jahren Aufbauarbeit und knapp einem Jahr mutmaßlichem Wirkbetrieb klar, lässt sich nich tin großem Maßstab weitergehen. Die letzten Meldungen aus Heglau-Ost stammen zwar aus dem Dezember 2023. Möglich wäre es, dass dort unerkannt ein Solarwunder stattfunden hat.  Doch die Kostenprojektion spricht dagegen: Würden die übrigen knapp 500.000.000 Quadratmeter über den 13.500 Kilometern Autobahn im Land mit entsprechenden Solardächern versehen, kostete das den Steuerzahler etwa drei Billionen Euro. Geld, das trotz aller Dringlichkeit des klimaneutralen Umbaus im Verkehrssektor im Rüstungsbereich dringender gebraucht wird, weil es ohnehin an allen Ecken und Enden fehlt.

Bayern setzt deshalb auf eine andere, noch deutlich innovativere Methode, den rollenden Verkehr zukunftsfähig zu machen. Auf einer Teststrecke auf der A6 in Bayern testen Autobahn GmbH und Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg seit einigen Monaten erfolgreich das Laden von E-Autos während der Fahrt. Diese teuerste und zugleich ineffizienteste Methode, Elektrofahrzeuge zu laden, gilt als besonders herausfordernd, weil in Deutschland derzeit nicht einmal ausreichend Parkplätze zur Verfügung stehen, damit LKW-Fahrer nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Lenkzeiten ihre gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten einhalten können. 

Endlose Fahrten statt Parkplatzpausen 

Gebraucht würden rund 120.000 Stellplätze, vorhanden sind nur 80.000. Die Beantragung des Baus neuer Parkplätze gilt jedoch als schwierig, der Bau als teuer, die neue Bundesautobahn GmbH als nicht ausreichend durchfinanziert als dass sie neben den hohen Vorstandgehältern auch noch solche Sperenzchen aus ihrem Etat pressen könnte. 

Könnten die Lkw während der Fahrt geladen werden, müssten sie nicht mehr anhalten, dieser Gedanke steckt hinter der Bayrischen Vision für die Elektromobilität, die das Reichweitenproblem von Elektroautos lösen soll: Autos, die auf der einen Kilometer langen Teststrecke fahren, werden während der Fahrt kontaktlos geladen wie ein auf die Ladeschale gelegtes chinesisches Handy. 

Dafür sorgen Ladespulen, die unsichtbar im Straßenbelag verborgen sind. Sie übertragen den Strom, der beispielsweise auch aus einer innovativen Solarüberdachung stammen könnte, an das darüberfahrende Fahrzeug – eine Idee, die wie Science-Fiction klingt, aber tatsächlich funktioniert. Das Auto muss entsprechend ausgestattet sein. Es darf nicht zu schnell fahren. Und der Fahrer darf nicht nach  der Effizienz der Technologie fragen, die vom Start-up Electreon stammt.

Kupferspulen unterm Asphalt 

Das israelische Unternehmen leistet weltweit Pionierarbeit dabei, Kupferspulen in den Asphalt einzulassen, die ein magnetisches Feld erzeugen, das von einer Empfängerspule am Fahrzeugboden aufgenommen wird. Der Strom fließt induktiv, ohne Kabel, ohne Stecker – direkt in die Batterie. Auf einer ein Kilometer langen Teststrecke können unter Idelabedingungen 0,37 Kilowattstunden an das Fahrzeug übertragen werden. Auf zehn Kilometer Länge wären das 3,7 Kilowattstunden - allemal ausreichend, umd as Auto immer weiter und weiter faren zu lassen.

Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume hat den  auch begeistert von einem Wirkungsgrad "über 90 Prozent" und "völlig ungeahnten Möglichkeiten" gesprochen. E-Auto-Fahrer müssten nie mehr anhalten. Ihre Batterie füllt sich wie von Zauberhand oder sie wird zumindest nie leerer. Perspektivisch, wenn erst alle Straßen so ausgestattet sind, könnten E-Autos sogar auf eine Batterei verzichten und wie Straßenbahnen betrieben werden, nur eben nicht mit Ober-, sondern mit Unterleitung. Sparen würde auch die Natur: Weniger Lithium, weniger Kobalt, weniger Gewicht – ein Gewinn für Umwelt und Geldbeutel. 

Ein  revolutionäres Konzept 

Ein revolutionären Konzept, das überzeugt. Um einem Mittelklasse-Elektroauto wie einem VW ID.4, das 20 kWh pro 100 Kilometer verbraucht, zusätzliche zehn Kilometer Reichweite zu schenken, braucht es derzeit nach Angaben von Electreon nur etwa 5,38 Kilometer Ladestrecke. In diesen 5,38 Kilometern fließen bei 80 km/h und 35 kW Ladeleistung etwa zwei kWh in die Batterie – genug, um die Batterie voller sattt leeren zu machen.

Doch Innovation hat ihren Preis. Allein die Teststrecke kostete stolze acht Millionen Euro – für gerade einmal einen Kilometer. Die zur Aufladung für zusätzliche zehn Kilometer notwendigen 5,38 Kilometer Strecke schlügen mit rund 43 Millionen Euro zu Buche. Und bei einer flächendeckenden Umsetzung im gesamten Autobahnnetz lägen die Kosten ohne Komplettneubau aller Strecken bei mehr als 100 Milliarden. 

Der Preis des Fortschritts

Etwa genauso viel würde der notwendige Umbau der Fahrzeuge kosten: Eine Empfängerspule kostet etwa 2.500 Euro pro Auto. Für den deutschen Gesamtbestand wären Kosten von mehr als 100 Milliarden Euro zu stemmen. Geld, das trotz aller Dringlichkeit des klimaneutralen Umbaus im Verkehrssektor im Rüstungsbereich dringender gebraucht wird, weil es ohnehin an allen Ecken und Enden fehlt, um eine flächendeckende Ladeinfrastruktur aufzubauen.

Diese Details aber vermögen die bayrische Initiative nicht zu stoppen. Ja, die Technologie kämpft mit Hürden. Ja, der Luftspalt zwischen Straße und Auto macht das Laden weniger effizient als in der Garage, wo Spulen nur Millimeter trennen. Ja, es muss langsam gefahren werden, um das Magnetfeld exakt unter dem fahrenden Auto zu halten. Doch das alles ist technisch machbar. 

Gespannt sind die Initiatoren darauf, welche Wartungskosten noch nachkommen: Werden Regen, Schnee und Straßenschäden die Spulen angreifen? Wie lange hält ein Stück Autobahn, das elektrifiziert wurde? Länger als die in Deutschland üblichen sechs Monate? Und wie könnten darübergelegte Solardächer nach dem Vorbild von Hegau-Ost Umwelteinwirkungen von der empfindlichen Elektronik fernhalten?

Wie viel Steuergeld muss verschwendet werden? 

Spannend wird sein, zu sehen, wie viel Steuergeldverschwendung notwendig sein wird, um herauszufinden, dass einfachere Alternativen wie Schnellladesäulen oder Batteriewechselstationen zu günstigeren Preisen helfen können, Elektromobilität voranzubringen. Für den Nahverkehr oder Logistikflotten, die täglich dieselben kurzen Strecken fahren und zwischendurch ausreichend Zeit zum Nachladen haben, ist induktives Laden ebenso überflüssig wie für private Fahrzeugführer, denen eine Schnellladesäule in zehn Minuten mehr Strom liefert als eine Ladestrecke in einer Stunde schafft. 

Die A6-Teststrecke ist so gesehen kein Experiment, sondern eine Show, die über die Ratlosigkeit hinwegtäuschen soll, mit der die Politik dem Umstand gegenübersteht, der Gesellschaft sogenannte Klimaziele verordnet zu haben, ohne zu berücksichtigen, dass zu Zielen immer Wege führen müssen, damit sie erreichbar werden.

Montag, 1. September 2025

Großer WindbEUtel: Strategie der permanenten Versprechen

Die Verbraucherschutzorganisation "Friends of Subsidiarity" aus Dresden hofft, dass EU-Chefin Ursula von der Leyen den Preis "Großer WindbEUtel" persönlich entgegennehmen wird.

Sie schauen genau hin, die legen den Finger auf jeden Posten, schauen in jede dunkle Ecke und prüfen auch die Führungskräfte auf Herz und Nieren. Die sächsische Verbraucherschutzorganisation "Friends of Subsidiarity" (FoS) hat sich seit Jahren der kritischen Beobachtung und Analyse staatsübergreifender Institutionen verschrieben.

Anfangs an "Pegida für Bürokraten" verhöhnt, ist die ausschließlich aus privaten Spenden finanziert NGO längst anerkannt. Und wenn FoS Mitte August zur Festveranstaltung zur Verleihung des "Großen Windbeutels" ins historische Grüne Gewölbe lädt, schaut die Republik in großer Erwartung nach Dresden. Der "Windbeutel" gilt als einer der renommiertesten Preise im Bereich "Bad Government" weltweit. Potenzielle Preisträger fürchten, den Wettbewerb zu gewinnen und dadurch öffentlichem Hohn und Spott preisgegeben zu werden. 

Alles muss stimmen, des Urteil gut begründet sein, da es von den Medien meist als Verurteilung begriffen wird. Mit besonderem Augenmerk hat die FoS deshalb in diesem Jahr einen ausgedehnten Praxistest der Europäischen Union vorgenommen: Hält die Staatengemeinschaft ihre Versprechen? Hat sie sich die passenden Ziele ausgesucht? Nimmt sie die Menschen auf ihrem Weg in die Zukunft mit? 

Nicht erst nach den ernüchternden Ergebnissen der Zollverhandlungen mit den USA, in denen es Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen in mehr 100 Tagen harten Pokerns gelungen war, dieselben Zollsätze wie Afghanistan zugestanden zu bekommen, sind die Zweifel groß. Und auch die Ergebnisse der Prüfung der EU durch die FoS sprechen eine deutliche Sprache: Zwischen den glänzenden Versprechen im Verkaufsprospekt der EU und der tatsächlichen Lebensrealität der EU-Insassen klafft laut FoS eine immer größere Lücke. Die EU sie eine "Versprechensmaschine", nennt es FoS-Chefin Sabrina Kabur. Allerdings vergesse sie zuverlässig, ihre Zusagen einzuhalten. 

Viel versprochen, nichts gehalten

Als Paradebeispiel dieser Entwicklung nennt FoS die Lissabon-Strategie, einen ambitionierten Reformplan, den sich die Europäische Union Anfang des Jahrtausends auferlegte. Ziel war es, Europa innerhalb von zehn Jahren – also bis 2010 – zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaft der Welt zu machen. Dabei wollte man ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, bessere Arbeitsplätze, mehr soziale Integration und einen deutlichen Schritt hin zu Umweltfreundlichkeit und Innovation schaffen. 

Nie weniger als alles erreichen zu wollen, so Kabur, sei für die EU vollkommen normal. Sie agiere stets am liebsten, indem sie fantastische Ziele ausrufe, die zu erreichen ihr sämtlich Mittel fehlen. Geradezu kontraproduktiv sei eine zweites, überlagerndes Muster, das die FoS-Prüfer entdeckten: Mit Hilfe gewaltiger Mengen bürokratischen und verwaltungstechnischen Vorgaben, den Angaben zufolge deutlich umfangreicher als jemals irgendwo anders im Verlauf der Menschheitsgeschichte, torpediere die Kommission ihre eigenen Vorhaben, indem sie jede Dynamik und alle Kreativität unter Papiergebirgen ersticke.

Ziele sind alles 

Ungeachtet der Tatsache, dass die EU drei Jahrzehnte nach ihrer Konstituierung durch die Maastrichter Verträge in sämtlichen Belangen zum Mündel Amerikas geworden ist, pflegt sie weiter das Auftreten eines Gutsherren. Aus der Phase, ihre eigenen Unternehmen zu bevormunden und in die Fesseln von zahllosen Richtlinien, Maßnahmepaketen und Erlassen zu legen, ist die EU herausgeschrumpft. Heute erhebt sie den Anspruch, dass ihre Vorgaben weltweit beachtet werden müssen. 

So sollen sich US-Firmen der speziellen Überwachungsvorschriften unterliegenden EU-Interpretation von Meinungsfreiheit verpflichten. Energie- und Warenlieferanten, ohne die Wirtschaft und Gesellschaft in der Gemeinschaft der 27 binnen weniger Tage zusammenbrechen würden, müssen sich auf Lieferkettengesetze, Digitale Serviceregeln und Schutzrichtlinien gegen den Einsatz moderner KI-Systeme verpflichten.

Immerhin können sie ausweichen, andere wandern ab. Die Unternehmen, die dazu verurteilt sind, am alten Standort weiterzuwirtschaften, quälen sich mit haltlosen Vorgaben zur Erhöhung der Beschäftigungsquote über Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben bis hin zur Verbesserung in Bildung und Digitalisierung, der Gewährleistung eines "Rechts auf Reparatur" und detaillierten Anweisungen, wie sich Aufsichtsräte getreu der - längst verworfenen - Lehre von den angeblich nur zwei Geschlechtern besetzen lassen. 

Erreichen auf halber Strecke 

Wie die FoS nach Abschluss ihrer Prüfung betont, blieb die Erreichung eines Großteils aller Ziele, die die EU-Kommission in den zurückliegenden 25 Jahren verkündet hat, "allenfalls auf halber Strecke stehen". Sabrina Kabur, die den Subsidiarity-Tüv selbst begleitet hat, nennt diese Interpretation betont "die freundliche". Schaue man auf Details, sei das Bild deutlich erschreckender: "Zwar wurden politische Papiere en gros produziert und die europäische Kommunikation in beispielloser Weise mit Innovationsbegriffen angereichert; jedoch zeigt unser Evaluationsbericht, dass die Europäische Union im Testzeitraum deutlich hinter die USA und China zurückgefallen ist."

Auch gegenüber kleineren, unabhängig agierenden Einheiten wie Norwegen, Kanada oder der Schweiz habe die Gemeinschaft Boden verloren. "Die wirtschaftliche Leistung pro Einwohner lag im Jahr 2017 in den USA bei 53.100 US-Dollar, in den EU-Mitgliedstaaten waten es 36.800 US-Dollar", rechnet Kabur vor. 2024 kamen die Vereinigten Staaten auf mehr als 85.812 US-Dollar, die EU kam auf knapp 44.000 Dollar. "Einem Anstieg von 60 Prozent in den USA steht einer von nur 18 Prozent in der EU gegenüber." Dabei hätten weder die Beschäftigungsquoten noch die Innovationsraten das gewünschte Level erreichte, die Arbeitslosigkeit sei nicht gesunken, die Armut ebenso wenig.

Der Lack ist ab 

"Der Lack der Hochglanzstrategie der EU ist schnell ab, wenn man ehrlich Bilanz zieht", fasst Sabrina Kabur zusammen. Hier sei natürlich der Grund zu finden, warum die EU-Kommission es stets vermeide, selbst über ihre Leistungen Rechenschaft abzulegen. "Das wäre in allen Zeitebenen, in allen Branchen, in der Wirtschaft wie in der Gesellschaft einfach nur blamabel." Statt technologischer Weltmarktführerschaft habe die EU deutlich unterdurchschnittlichem Wachstum, eine anhaltende Jugendarbeitslosigkeit und eine von den aktuellen Entwicklungen abgehängte Wirtschaft herbei reglementiert."

Versprechungen im Dauerbetrieb

Alles wird immer größer, wenn es die EU verspricht, und nichts trifft jemals ein. Das Urteil der Tester ist eindeutig: "KI Act, Chips Act und Green Deal sind nur die Spitze eines in der Hitze der Wirklichkeit schmelzenden EU-Eisberges", urteilt Sabrina Katur. Ihre Strategie der permanenten Versprechens setze die EU laut Friends of Subsidiarity bis heute fort – auf gescheiterte Mega-Projekten folgt jeweils die Ankündigung neuer Megaprojekte. Das Strickmuster sei immer das Gleiche: "Auch im Artificial Intelligence Act ("KI Act"), dem Chips Act und anderen aktuellen großspurigen Ankündigungen, die als  als weltweites Musterbeispiel für intelligente Regulierung angekündigt sind, ist das Scheitern von Anfang an eingeschrieben." 

Die EU ist weder Vorreiter noch wenigstens Nachtrab, doch sie erklärt sich fortwährend zum Sieger der Geschichte. Unter dem Vorwand, Grundrechte schützen zu wollen, beschränkt sie derzeit den Einsatz von Algorithmen, sie bremst den Trend zur Automatisierung und erhöht ihre Eigenansprüche an finanzielle Mittel, die sie vorgeblich benötigt, um ihre Ziele erreichen zu können. Bei den Verbrauchern, die konkret niemals gefragt werden, was sie von bestimmten Regulierungsvorhaben halten, kommen am Ende festgetackerte Flaschenverschlüsse, fehlende Funktionen in US-Apps und Anzeigen wegen freimütig geäußerter Kritik an.

 

Informationen in Fremdsprache 

Millionen Zeilen Verwaltungsenglisch, das sei es, was die EU für  200 Milliarden Euro im Jahr liefere – obwohl die meisten ihrer Bürger kein Englisch sprechen. Im Augenblick arbeitet der monströse Apparat an neuen Vorschriften zum Altersnachweis im Internet. Dieser Digital Service Act 2.0 werden weifellos als erneute Belästigungsmasche enden wie schon die berühmte "Cookie-Richtlinie", an der die Kommission angesichts der großen Kritik mittlerweile selbst Zweifel hat. "Da es Europa an eigenen Anbietern fehlt, bleibt die tatsächliche Kontrolle digitaler Big Player immer symbolhaft." 

Ähnliches gilt beim Chips Act der EU, der im Angesicht der Lieferengpässen während der Corona-Pandemie in heller Panik als Resilienzmaßnahme propagiert wurde. Europa sollte steuerfinanziert zu einem unabhängigen Hersteller von Halbleitern werden, um geopolitische Risiken abzufedern. Doch wie die Prüfer von FoS feststellen, fließt bisher der allergrößte Teil der Gelder entweder in langatmige Studien oder direkt zu internationalen Großkonzernen, die sich ohnehin bereits auf dem Kontinent angesiedelt haben. Dessen Standortnachteile seien zudem so groß, dass nicht einmal Angebote, bis zur Hälfe der Investitionskosten für neue Fabriken den Steuernzahlern überzuhelfen, ausreichen, Unternehmensführungen zu tragfähigen Investitionsentscheidungen zu überreden.

Dauerrückgang seit Maastricht 

Seit dem Abschluss der Maastricht-Verträge sind die Weltmarktanteile europäischer Firmen beständig gesunken. Mit ihnen sanken Wohlstand und Zufriedenheit in Europa. Das ursprüngliche zentrale Versprechen der EU, nur viele Staaten gemeinsam könnten dem alten Kontinent seinen Platz in der Welt sichern, hat sich längst als haltlose Parole entlarvt. Sowohl Norwegen als auch die Schweiz florieren deutlich besser. Die EU-Öffentlichkeit aber akzeptiere diesen Zustand inzwischen schicksalsergeben. 

"Am Ende entsteht daraus der Eindruck, dass ein großer Dampfer wie die EU sich zu schwer steuern lässt, der Wendekreis ist zu groß, das Schiff fährt zu langsam", sagt FoS-Analyst Felix Both. Nicht zuletzt trügen Fehleinschätzungen der eigenen Möglichkeiten dazu bei, immer weiter in die flasche Richtng zu laufen. "Mit dem Green Deal, der als das ehrgeizigste Klima-Großvorhaben des Jahrhunderts verkauft wurde, hat sich die EU vielleicht am schlimmsten vergaloppiert", sagt der Experte. 

Statt sich darauf zu konzentrieren, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sei für fernliegende Visionen von vollständigen Klimaneutralität bis 2050 Milliarden ausgegeben worde, die benötigt worden wären, um Ersatzinvestitionen in die alternde Infrastrukturund und die traditionelle Industrielandschaft zu tätigen. 

"Man verkündete eine ökologische Modernisierung sämtlicher Lebensbereiche, ohne auf die Kosten zu schauen, die selbst bei einer florierenden Wirtschaft nicht bezahlbar gewesen wären." Im Alltag vieler Verbraucher komme die Fehlallokation von Billionen Euro als Preissteigerung für Energie und Mobilität, Lebensmittel, Wohnen und gesellschafttlichen Umgang an." reagiert werde darauf mit umständlichen Förderprogramme und immer neuen Verordnungspakete, die selbstverursachte Schäden reparieren sollen. "Und schaut man genau hin, sieht man, dass die tatsächliche Emissionsreduktion, die ja als Hauptziel ausgegeben worden ist, nur noch aufgrund wirtschaftlicher Schwäche ereicht wird - und die zentralen Zielvorgaben trotzdem in weite Ferne rücken."

Verwaltung als Selbstzweck

Die Verwaltung von Not und Elend und Niedergang ist zum Selbstzweck geworden. Die FoS verweist in ihrer Analyse auf die hohen Kosten der EU-Bürokratie, die keinerlei Gewinn abwirft. Nach offiziellen Angaben der EU-Kommission verschlingt der Verwaltungsapparat etwa sechs des Gesamthaushalts. Das klinge bescheiden, ergebe aber eine Summe von astronomischen 17 Milliarden Euro im Jahr - 38 Euro pro EU-Bürger, fast 100 pro EU-Steuerzahler. FoS bezweifelt, dass diese Aufwendungen in einem angemessenen Verhältnis zum Schaden steht, den die Kommission mit ihrem Apparat anrichtet. "Dasselbe absurde Ausmaß an zentraleuropäischer Selbstbeschäftigung in Brüssel, die Innovationen ausbremst, könnte auch eine nationale Regierung liefern", so das Fazit. 

Im Zeichen fester Flaschendeckel

Beispiele, wie dieses Brüsseler Missverhältnis zwischen Aufwand und praktischem Nutzen aussieht, lassen sich laut Friends of Subsidiarity im EU-Alltag reichlich finden. Die vielleicht größte Innovation der letzten Jahre sei die Vorschrift über feste Flaschendeckel – ein Detail, das laut offizieller Mitteilung  Plastikmüll vermeiden soll.

"In Wahrheit sind die fest angeschraubten Deckel in erster Linie ein Alltagsärgernis für viele Bürger – und für die Hersteller ein Kostenfaktor, ohne dass wissenschaftlich belastbar nachgewiesen wäre, dass dadurch tatsächlich nennenswert weniger Plastik verloren geht", kritisiert FoS. Angesichts der Millionen Tonne  von Plastik, die in der EU Jahr für Jahr genutzt und entsorgt werden, würde selbst ein optimales Einsparergebnis durch die - offiziell natürlich auf Englsich - "tethered caps" genannte Deckellösung allenfalls Einsparungen im Promillebereich bringen. 

 

Nur noch schöner Schein

Friends of Subsidiarity resümiert: Die EU sei selbst eine wahre "Verpackungskünstlerin", die mit immer neuen, ambitionierten Ankündigungen, Aktionspaketen und Regelungsvorhaben den Eindruck zielgerichteter Bewegung zu erwecken versuche. Der tatsächliche Mehrwert der überbordenden Überverwaltung zeige sich jedoch nicht als Verbesserungen für den Alltag der Menschen. 

"Die Kosten des Apparats stehen aus Sicht unserer Prüfer in keinem angemessenen Verhältnis zum spürbaren Nutzen", fasst Sabrina Kabur zusammen. Für die historisch einmalige Mixtur aus Symbolpolitik, Regelungsirrsinn und mutwilliger Gängelung, die zu einem ebenso historisch einmaligen Vertrauensverlust in die Institutionen geführt habe, werde der Europäischen Kommission im Herbst bei einem feierlichen Festakt im Foyer des Straßburger Parlaments der "Große WindbEUtel" verliehen, ein eigens geschaffener nachhaltiger Preis, von dem man hoffe, dass Ursula von der Leyen ihn persönlich entgegennehmen werde.

"Es könnte eine Gelegenheit sein", hofft Sabrina Katur, "zusammen in sich zu gehen und eine Rückkehr zum Subsidiaritätsprinzips zu beschließen." Entscheidungen könnetn dann wieder dort getroffen werden, wo sie praktisch wirken – und nicht im fernen Brüssel. 


Weltfriedenstag: Wie der Pazifismus zur Bedrohung wurde

Die Friedenstaube galt im kalten Krieg aus Ausweis einer verantwortlichen Haltung. Heute ist sie Merkmal von Menschen, die unsere Demokratie verraten wollen. Abb: Kümram: EU-Blau auf Rasengrün

Nicht einmal ein Hauch von Pazifismus ist übrig. Am 1. September 2025, seit 1918 der traditionelle Weltfriedenstag der Deutschen, ist die Losung "Nie wieder Krieg" verstummt. Die normative Kraft des Faktischen hat den Pazifismus zu einer Bedrohung gemacht, die sich auch nicht mehr mit Parolen schminken lässt. Mehr als hundert Jahre nach Bertha von Suttners Idee, mit einem Antikriegstag neue Schlachten zu verhindern, sind die deutschen Gedenklandschaften erfüllt von Friedenssehnsucht und zugleich von Angst der Menschen, als friedenssüchtige Kapitulanten abgestempelt zu werden.

Mahnung gegen die Gräuel 

Einst ein kraftvoller Mahnruf gegen eine Wiederholung der Gräuel des Zweiten Weltkrieges, ist der Tag heute nur noch eine Fußnote in der Geschichte. Wo alle kriegstüchtig werden wollen, ist kein Platz mehr für Relikte aus einer Vergangenheit, in der geopolitische Spannungen ausschließlich mit dem Ruf beantwortet wurden, es sei gerade jetzt Zeit zur Entspannung. Die Strategien, die in Zeiten galten, als die Weltmächte in Südamerika, Asien und Afrika Stellvertreterkriege ausfechten ließen, die dann und wann auch ihr eigenes Eingreifen erforderten, sind nicht kompatibel mit der Gegenwart. 

Heute gelten Wladimir Putin und Donald Trump als definitiv schlimmere Ungeheuer als Stalin, Mao, Lenin oder Ho Chi Minh, mit einiger Wahrscheinlichkeit, sagen berufe Instanzen, stehen auf einer Stufe mit Hitler. Die Konsequenzen dieser Lageeinschätzung sind ernst und allumfassend: Als der Kalte Krieg die Welt in Ost und West teilte und hier und da an heißen Fronten gekämpft wurde, wurden die Gesprächsfäden nie endgültig zerrissen. Washington sprach mit Moskau, Bonn mit Ostberlin und der Weltfriedenstag war ein Symbol für die Sehnsucht nach einer Welt ohne Konflikte, in der Verhandlungen die Wünsche der einen Seite so lange geduldig mit denen der anderen abgleichen, bis beide bekommen haben, was sie wollen. 

Ein Konflikt um den Friedenstag 

Schon im Ansatz ein Konzept, das auf Schwierigkeiten traf. Denn der Weltfriedenstag selbst war Auslöser eines Weltfriedenstag-Konfliktes: In der DDR wurde der Frieden am 1. September staatlich gefeiert. In der damals noch häufig als "BRD" bezeichneten Bundesrepublik feierte die - in den 80er Jahren freigiebig aus Ostberlin finanzierte - Friedensbewegung mit. Staatsnähere Organisationen wie der DGB aber begingen das Datum als "Antikriegstag", denn zusammen mit dem Feind wollte niemand gesehen werden. Schon gar nicht die Bundesregierung, die am Mitfeiern gehindert war, weil sie die  NATO-Nachrüstung betrieb, gegen die die Friedensbewegten protestierten.

Auch nicht einfach, für die Medien seinerzeit aber leicht nacherzählt. Auf der einen Seite standen die Menschen, bedrückt, besorgt und engagiert mit ihren Friedenstauben. Auf der anderen die Weltmächte, atombesoffen, berauscht von einer globalen Aufrüstungswelle, der sich der gesunde Menschenverstand beim Ostermarsch oder eben am Weltfriedenstag entgegenstellte. Von "Taz" bis "Tagesschau" gab es an der Rollenverteilung keine Zweifel. Gut war, wer für seine Hoffnung auf eine friedlichere Welt auf die Straße ging. Ein Teufel in Menschengestalt hingegen, wer Waffenlieferungen, Raketenstationierungen, Sanktionen und militärische Manöver für das richtige Mittel hielt, den Weltfrieden zu bewahren.

Kein Aufstand des Gewissens 

Verrückte Zeiten. 40 Jahre nach dem Höhepunkt des Aufstands des Gewissens gegen den Nato-Doppelbeschluss ist der Weltfriedenstag,  in Erinnerung an den 1. September 1939, als das nationalsozialistische Deutschland Polen überfiel, ist die Parole "Nie wieder Krieg" aus der Mode geraten. Nicht mehr Pazifismus und Antimilitarismus, nicht mehr Wehrdienstverweigerung und Proteste gegen die Hochrüstung gelten als probate Mittel zur Friedenserhaltung. Sondern der Ausbau der Rüstungsindustrie, die Verwandlung der Bundeswehr in eine kriegstüchtige Truppe und die Stärkung des Wehrwillens der jungen Generation.

Reden ist Silber, Schießen ist Gold. Längst ist es unvorstellbar geworden, dass diplomatische Kanäle die Frontlinien überbrücken. Jeder Versuch, vorzufühlen und an der Konfrontation vorbei Wege aus dem Jammertal des Todes zu suchen, finden sich als Verrat gebrandmarkt. Wer mit Putin spricht, ist sein Freund. Wem danach verlangt, wie vor 50, 60 oder 70 Jahren erst recht zu reden, wo die Positionen unvereinbar sind, dem wird schnell bescheinigt, dass es sich zum Idioten machen lasse.

Eingraben in der Stellung 

Die harte Kante, das tiefe Eingraben in der eigenen Stellung, sie sind alles, was derzeit als friedensschaffende Maßnahme Anerkennung findet. Russlands Angriffskrieg, begleitet von nuklearen Drohungen, hat die westlichen Staaten zu massiven Waffenlieferungen und Sanktionen veranlasst. Die Ukraine wird als Bollwerk der euro-atlantischen Welt gefeiert, ein trotziges Völkchen, dessen Deserteure man aufnimmt, während man denen, die es verpasst haben, abzuhauen, zu ihrem Mut gratuliert. 

Die Medien haben die Seiten gewechselt: In den 80er Jahren galt alle Sympathie den Friedensbewegten, die am Weltfriedenstag gegen eine globale Ordnung aufstanden, die von militär-strategischen Überlegungen geprägt war. Heute ist die vierte Gewalt zuverlässig dort zu finden, wo sich erste, zweite und dritte versammelt haben: Die ersehnte friedliche Weltordnung brauche Schutz und Trutz, die frommen Wünsche der Friedfertigen ließen Gewalt und Konflikte nun mal nicht aus der Welt verschwinden, der russische Angriff auf die Ukraine zeige, dass Europa aufrüsten, abschrecken und auf eine militärische Auseinandersetzung vorbereitet sein müsse.

Wiederbewaffnung statt Diplomatie 

Die Wiederbewaffnung einer Bundeswehr, die über Jahrzehnte als eine Trachtentruppe gehalten wurde, hat nicht nur Vorrang vor Diplomatie, sie ersetzt jedes Bemühen, trotz aller Konflikte im Gespräch zu bleiben. Mit Sätzen wie Putin wolle doch nicht und Putin habe doch gar kein Interesse wird die Frage abmoderiert, warum im Unterschied zum kalten Krieg heute gar nicht mehr miteinander geredet wird, während man hier und da aufeinander schießt. Wenn doch mal jemand einen Versuch unternimmt, wird er umgehend zum Paria erklärt.

Strafe einen, erziehe hundert. Medial und politisch findet der Weltfriedenstag kaum mehr statt, weil er der Erziehung zur Kriegstüchtigkeit entgegensteht. In deutschen Medien dominieren Berichte über Waffenlieferungen, Sanktionen und geopolitische Strategien, während Friedensinitiativen wie Chinas 12-Punkte-Plan für die Ukraine marginalisiert und Donald Trumps Versuche, zu irgendeinem Ende zu kommen, verhöhnt werden. Tagesschau und ZDF sprechen dann von einem "sogenannten Friedensplan", der im Westen auf Skepsis stoße. Trump wird immer wieder eine Parteinahme für Russland unterstellt und ein Verrat an der Ukraine. 

180-Grad-Wende 

Diese Art Berichterstattung ist das komplette Gegenteil der wohlwollenden Begleitung der Dialogpolitik der 70er Jahre und der Friedensproteste der 80er Jahre. Die Abkehr vom Glauben, eine Friedenskultur, wie sie der Weltfriedenstag einst herbeiprotestieren wollte, könne den Frieden retten, ist nirgendwo deutlicher zu sehen als in der neuen Schkagseite der Schlagzeilen: Nicht Ab-, sondern Aufrüstung wird als notwendige Antwort auf globale Bedrohungen dargestellt, während der Pazifismus als naive reaktion der Furchtsamen abgetan wird. Die politische Landschaft zeigt ein ähnliches Bild. Parteien quer durch das Spektrum unterstützen die militärische Aufrüstung. Nur am Rand existieren Kleinstparteien, die stoisch Abrüstung und Entspannung verlangen. Dafür aber als "umstritten" eingeordnet werden.

Der Konsens, dass Frieden durch nur durch militärische Stärke, Aufrüstung, Druck, Sanktionen und beharrliches Schweigen erreicht werden kann, hat sich nach dem Februar 2022 recht kurzfristig eingestellt, bisher aber dreieinhalb Jahre fortwährenden Scheitern der zugrundeliegenden Strategie schadlos überstanden. Der Friede muss bewaffnet sein, allein Abschreckung mit einer überlegenen militärischen Kraft hat ihren Preis: Nur eine Weltordnung, in der militärische Macht und zumindest die Androhung von Gewalt die Regeln bestimmen, ist eine, die Stabilität verspricht.

Deutschlands Wandel 

Deutschland, einst dermaßen Vorreiter des Pazifismus, dass die Entsendung von 15 Bundeswehr-Sanitätern "out of area" ins ferne Kambodscha eine wochenlange Diskussion bis in den Bundestag auslöste, diskutiert inzwischen sogar die Teheraner LösungBraucht das Land von Otto Hahn und Fritz Straßmann endlich eine eigene Atombombe? Wer sich der neuen, bellizistischen Logik nicht anschließen mag, dem wird vorgeworfen, er ignoriere die Realität einer Welt, in der das Böse nun mal keine Rücksicht nehme auf pazifistische Träume. Entspannung, Diplomatie, Abrüstung, alles gut und schön, aber nicht hilfreich.

Der unauffällig verpuffende Weltfriedenstag ist so auch im Jahr 2025 wieder ein Mahnmal für eine verblasste Idee, deren Zeit abgelaufen ist. In einer Welt, die von Kriegen, Aufrüstung und geopolitischen Rivalitäten geprägt ist, hat er seine Anziehungskraft selbst bei der jüngeren Generation  verloren, deren idealistischer Geist ihn in einer lange vergangenen Ära der Illusionen zu einer friedfertigen Kraft gemacht hatte. 

Die Medien haben sich von der Idee verabschiedet, nie wieder Kireg sei durch demonstrative Wehrlosigkeit  am besten zu erreichen. Die politischen Parteien haben erkannt, dass das Versprechen der Wiederherstellung militärischer Stärke nicht weniger anziehend auf Wählerinnen und Wähler wirkt als die Zusage, auf Diplomatie und Vermittlung zu setzen.

Ewiggestrig ist heute nicht der Mann in den Knobelbechern, der zum Vergnügen auf den Schießplatz pilgert, sondern der, der keine Stiefel und keine Uniform tragen will. Die Zeitenwende, die Olaf Scholz ausrief, als Wladimir Putin seine Truppen in die Ukraine hatte einmarschieren lassen, sie hat eine Weile gbraucht, ist aber jetzt manifeste Realität, zu sehen unter dem Brennglas der verschwundenen Beachtung des Weltfriedenstages.

Sonntag, 31. August 2025

Neues Robertinum: Gegangen, um zu bleiben

Im Neuen Robertinum in Bad Walterberg im Erzgebirge wird Robert Habeck bald für alle Ewigkeit sitzen - halb Barbarossa, halb Marx und Lenin. Modell: Jan Laurenz Dippelberg

Billig sollte es sein, groß und symbolträchtig. Als der Künstler Wilhelm Koch die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Abschied ehren wollte, fiel ihm als passendes Material für das monumentale Werk als erstes Leichtbeton ein und als Pose die einer Reiterin. 

Koch spielte auf alten Spruch an, dass der, der vor der Wahrheit fliehen will, ein schnelles Pferd braucht. Da das Monument nicht für die Ewigkeit gedacht war, reichte Beton. Koch ahnte schon, dass Hymnen auf die Rekordkanzlerin in Bälde enden und ihre Beurteilung durch die Geschichte schon bald gänzlich anders ausfallen wird.  

Ende einer Reiterin

Eine kluge Entscheidung. Nach nur zwei Jahren Standzeit brach die goldene Reiterin auseinander. Die Oberpfalz war um eines ihrer bedeutsamsten Kunstwerke, längst auch ein touristischer Hotspot, ärmer.

 Und das politische Berlin um eine Lehre reicher: Wer wie die Bildhauer der Vergangenheit über Jahrhunderte hinweg an die großen Taten seiner Obrigkeit erinnern will, darf nicht auf den Euro schauen, nicht nur Kleingeld in die Hand nehmen und die wegweisenden Werke nicht in der Provinz verstecken.

Für das Neue Robertinum, das der sächsische Bildhauer Jan Laurenz Dippelberg vor seinem inneren Auge sieht, wenn er an den früheren grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck denkt, kam deshalb auch nur "die gute alte Bronze" (Dippelberg) als Werkstoff infrage. 

Dippelberg, der im brandenburgischen Karlsgrafensee Bildhauen und Holzstechen studiert hat, begann mit seinem bisher größten Projekt als Einzelkämpfer. "Ich bin Überzeugungstäter", sagt der selbsternannte "größte Fan vom Robert" über sich selbst. 

Monumentale 15 Meter 

Doch die Planung, Finanzierung und der Bau des auf eine Gesamthöhe von 150 Metern konzipierten Bronze-Monuments stellte sich schnell als komplizierter heraus als anfangs gedacht. "Ich wollte ja ein wirklich ambitioniertes und symbolträchtiges Projekt, das Nachgeborene auch noch an unseren letzten deutschen Denker erinnert, wenn niemand mehr etwas von ihm weiß."

Dippelberg hat den eben erst mit großer Geste angetretenen Grünen-Schwarm spürbar ins Herz geschlossen. "Ich würde es auch gern sehen, wenn er zur Einweihung käme", gesteht er. Um sich nicht im Klein-Klein provinzieller Kunstgewerblerei zu verlieren, plante Jan Laurenz Dippelberg von Anfang an nicht nur ein schlichtes Monument wie es das berühmte Marx-Engels-Denkmal in Berlin-Mitte ist. "Ich wollte einen ganzen Gedenkpark, in dessen Mitte das Monument das Herz der Erinnerungskultur bilden soll."

Absage an Küchenwahlkampf

Das "Neue Robertinum" lehnt sich in seinem Stil bewusst an die Werke der sozialistischen Realistik an, es zeigt Robert Habeck in seiner berühmten Denkerpose, das Gesicht entspannt, die Hände wie in einem Gegenentwurf zur Merkel-Raute locker im Schoß liegend. 

"Er sitzt aber nicht an einem Küchentisch", sagt Dippelberg über seinen Entwurf. Die Überlegung, das Monument so zu gestalten, habe es gegeben. "Aber ich wollte etwas Bleibendes und beim Küchenwahlkampf handelte es sich ja letztlich nur um einen Fliegenschiß in der deutschen Geschichte." 

Das kleine Modell, das der Bildhauer aus Gips formte und bei einem befreundeten Metallbauer gießen ließ, überzeugte ihn dann sofort. "Auch Freunde sagten, ich hätte Robert gut eingefangen."  Auch ein  Standort für das "Neue Robertinum" war schnell gefunden. "Bei den Stadtvätern von Bad Walterberg im Erzgebirge habe ich offene Türen eingerannt." 

Seine Argumentation, dass der neue Park nicht nur das Denkmal beherbergen, sondern auch eine grüne Oase im urbanen Stadtgebiet darstellen werde, habe Bürgermeister und Stadtrat schnell überzeugt. "Als problematisch stellte sich dann nur die Umsetzung heraus."

Hindernislauf zur Finanzierung

Obwohl das fertige Werk allen Werten der Grünen und Habecks politischem Engagement "zu 100 Prozent entspricht", wie Dippelberg betont, wurde die Finanzierung zum Hindernislauf. "Die Gestaltung des Parks umfasst Wanderwege, Gärten, die nachhaltige Landwirtschaft demonstrieren, und eine Plattform für öffentliche Diskussionen und Veranstaltungen", beschreibt Künstler Dippelberg, der bekannt geworden ist mit kontroversen Werken, die oft politische und soziale Themen in Beziehung zur Natur und zu Klimafragen setzen. Dafür gebe es eigentlich immer irgendwo Fördermittel, so seine Erfahrung.

Mit Habeck, dargestellt als freundlicher Visionär und Förderer einer nachhaltigen Zukunft, hätten aber offenbar alle Förderstellen im Land und in der EU Probleme gehabt. "Mein Entwurf zeigt Habeck in einer stillen, aber dynamischen Pose, die Entschlossenheit und Fortschritt symbolisiert, ähnlich der Haltung von Marx und Engels am Alex", zweifelt Dippelberg an den Beurteilungskriterien in Brüssel und Berlin. 

Höchstens fünf Millionen

Über die geschätzten Kosten von höchstens fünf Millionen Euro habe es dennoch vielfach Streit gegeben: "Mir schien es fast, als überschatte der Neid vieler auf die piratige Wahlkampfaktion der Grünen vom Januar mit der Habeck-Projektion auf das Münchner Siegestor die Tatsache, dass wir hier nicht vorhaben, ein bisschen Licht auf ein historisches Denkmal zu werfen, sondern selbst ein historisches Denkmal bauen werden".

Jan Laurenz Dippelberg will trotz der Hindernisse, die ihm vor allem konservative Kreise in den Weg werfen, nicht aufgeben. "Ich will meinen Traum realisieren, so wie viele Fans von Robert Habeck davon träumen, dass er wahr wird."

 Mit einer intensiven Fundraising-Strategie will Dippelberg Druck auf die Fördermittelgeber mit ihren Kultur- und Denkmalförderprogrammen machen. "Wir haben auch eine Spendenkampagne initiiert, die sich an Einzelpersonen und Unternehmen wendet, die Habecks Visionen teilen."

Hilfe vom Kampagnenarm

Im #teamhabeck, dem starken Kampagnenarm des grünen Spitzenkandidaten, fand Dippelberg Menschen, die sein Vorhaben auf den Social-Media-Plattformen unterstützen. "So gelingt es uns, ein breites Publikum zu erreichen." 

Dazu komme das Sponsoring durch grüne und nachhaltige Unternehmen, die sich für Umwelt- und Klimaschutz engagieren. "Bisher hat jeder, den ich angesprochen habe, die langfristigen Vorteile des Denkmalparks für die Öffentlichkeit und das Andenken an Robert Habeck gesehen."

Sofort wenn die Finanzierung steht, Dippelberg hofft ein wenig auf schnelle Hilfe der künftigen Bundesregierung, werde der Bau des Denkmals starten. "Wir reden hier von einem technisch anspruchsvollen Unterfangen, beinahe vergleichbar mit dem Bau des Brandenburger Tores, das auch nur elf Meter höher ist." 

Präzises Maßwerk im Park

Die Herstellung der Bronze-Skulptur erfordere spezialisierte Fertigkeiten und Materialien, Fachkräfte für Denkmalbau und trotz gerissener Lieferketten müsse Bronze in der benötigten Qualität und Menge beschafft werden. "Ich bin aber optimistisch, dass wir das bewältigen können." 

Die Skulptur werde dann in Teilen gegossen und dann vor Ort zusammengefügt. "Das erfordert präzises Maßwerk, um die Stabilität und den ästhetischen Eindruck zu gewährleisten, der für die Tiefenwirkung wichtig ist."

Wie es mit der Baugenehmigung aussehe, sei ein anderes Thema. "Der Lieferung der Antragsunterlagen wird eine sorgfältige Logistik und Lagerung erfordern", ist Dippelberg sicher. Parallel zur "Erektion" genannten Errichtung der Statue werde der "Platz der Hoffnung" rund um das "Neuen Robertinum" vorbereitet werden, einschließlich der Errichtung einer stabilen Fundamentstruktur, die das Gewicht des Denkmals tragen werde.

 "Ich rechne mit einer Bauzeit von etwa zwei bis drei Jahren, denn nach der Installation folgen noch Feinarbeiten, wie das Polieren der Oberfläche mit Silberpolitur und die Anzucht der Busch- und Rasenflächen mit den Blühwiesen und Insektenhotels."

Klimaanlagen: Kein Sterbenswort im Hitzeplan

In vielen hitzegeplagten Staaten sind Klimaanlagen erste Wahl zur Herstellung lebenserhaltender Bedingungen. In Deutschland aber wird schon ihre Erwähnung strikt gemieden.


Deutschland heizt sich stärker auf als alle anderen Weltregionen. Deutschland ist älter und bei Hitze vulnerabler. Deutschlands Wetterkarten sind bei 25 Grad blutrot, bei 33 glühen sie violett. Deutschland ist europaweit das einzige Land, das über eine ausgeklügelte Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DASK) verfügt. Die zeigt unumwunden, wie wichtig eine vorsorgende Politik und eine frühzeitige und effektive Warnung der Bevölkerung sind.

Die tödliche Gefahr 

Hinter jeder Sommeridylle lauert eine tödliche Gefahr, die mit jedem Jahr bedrohlicher wird. Laut Robert-Koch-Institut starben 2023 in Deutschland etwa 4.500 Menschen an den Folgen extremer Hitze,  2024 waren es nur 3.000, aber jeder Tote ist einer zu viel. Und während die Erde auf eine Zukunft zusteuert, in der Milliarden Menschen außerhalb der habitablen Klimazone leben müssen, jenem Bereich, in dem der menschliche Körper dauerhaft überleben kann, wird Vorbereitung großgeschrieben.  

Der zweite Aktionsplan Anpassung zur Umsetzung der Deutschen Anpassungsstrategie nennt die zwingende Notwendigkeit, Hitzeaktionspläne (HAP) zu erstellen. Die  Bund/Länder-Arbeits-
gruppe "Gesundheitliche Anpassung an den Klimawandel" (GAK) hat dazu "Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit" (BMU 2017) erstellt. In diesem Kontext steht auch das ReFoPlan-Forschungsprojekt „Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS), das über Wirksamkeitsanalysen von gesundheitlichen Anpassungsmaßnahmen im Rahmen von Hitzeaktionsplänen sowie Klimaanpassungsdiensten herausfinden will, wie Deutschland am besten überleben kann. 

Die Welt setzt auf Klimaanlagen 

Doch das wäre zu einfach, weil dort sehr viel falsch gemacht wird. In Brasilien etwa besitzen etwa 20 Prozent der Haushalte Klimaanlagen. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) könnten sich diese Zahlen bis 2050 vervierfachen, denn 2023 wurden in Brasilien im ersten Halbjahr 1,48 Millionen Klimageräte verkauft. In den Südstaaten der USA, in Mexiko, Thailand, Indien und auf den Philippinen, überall steht die Klimaanlage  im Waffenschrank der Hitzebekämpfung. Rund 90 Prozent der amerikanischen Haushalte verfügen über ein Klimagerät, auch in Südeuropa, wo Hitzewellen schon lange grassieren, besitzen etwa 60 Prozent der Haushalte Klimaanlagen.

In Deutschland, das bisher ein gemäßigtes Klima genoss, ist der Umgang mit den Anlagen Neuland. Und er soll es auch bleiben. Schon der inzwischen ausgeschiedene Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der den ersten bundesweiten Hitzeschutzplan hatte erarbeiten lassen, verzichtet in dem Papier auf jeden Hinweis auf die Existenz einer ausgereiften Technologie, die in wärmeren und heißen Regionen die Waffe der Wahl zum Erhalt von Bedingungen ist, die Menschen das Überleben ermöglichen.

Dämmung und Sonnenschirme 

Lauterbachs Entscheidung steht bis heute. Deutschland setzt auf Dämmung und Sonnenschirme, auf Fächer für Alte und hitzefrei für Kinder. Brunnen und Trinkanlagen sollen gebaut werden, Kirchen ihre Türen öffnen, um als Zuflucht für Hitzeopfer zu dienen. 

Die einzige Technologie, die wirklich hilft, bleibt jedoch erstaunlich unsichtbar: die Klimaanlage. Allenfalls als ergänzende Maßnahme werden sie betrachtet, insbesondere in kritischen Bereichen wie Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder öffentlichen Gebäuden, um vulnerable Gruppen vor Hitzewellen zu schützen. Im Alltag sollen kühlende Grünflächen, Sonnencreme, bessere Isolierung und begrünte Fassaden die von den Gemeinden zu erarbeitenden Klimaanpassungskonzepte zum Erfolg führen.

Dem liegt eine Abwägung zugrunde, die zwei Werte aneinander messen musste. Extreme Hitze bringt erhöhte Sterblichkeit und sinkende Arbeitsproduktivität, Menschen leiden und die Aggressivität steigt. Doch Klimaanlagen, einst ein Luxus, heute ein schnell an jede Fassade geschraubter Kasten aus chinesischer Produktion, gelten als energieintensiv. 

Klimaanlagen als Klimakiller  

Sie sind damit nur kurzfristig ein Schutz vor Hitzeschlägen. Langfristig aber, so argumentiert die Bundesregierung hinter verschlossenen Türen, erhöhen sie die Klimalast, führen zu noch mehr Erwärmung und die müsste dann mit noch mehr und noch leistungsfähigeren Klimaanlagen bekämpft werden. Die Geräte heizen die Städte schon heute zusätzlich auf, da die warme Abluft die Umgebungstemperatur erhöht. Die innovative Kaltluftpumpe, 1902 von Willis Carrier erfunden, kann Räume effizient um 10 bis 15 Grad abkühlen, während Placebo-Maßnahmen wie Begrünung oder Rollläden laut Studien maximal auf 3,2 Grad kommen. Doch die Wärme aus der Kliamanlage muss irgendwohin. Und so landet sie im öffentlichen Raum.

Kein Weg, den Deutschland gehen will. Eine Rolle spielt dabei auch die Angst vor gesellschaftlicher Spaltung. In einem Land, das mit die höchsten Strompreise der Welt hat, wären von einer offiziellen Empfehlung zur Einführung von Klimaanlagen vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten betroffen. Sie können sich die Anschaffung einer privaten Klimaanlage nicht leisten. Schon gar nicht aber deren  Betrieb. 

Siesta, Leinenkleidung und Sportverbote 

Folglich setzt die Regierung auf Verhaltensanpassungen: Siesta, Leinenkleidung und Sportverbote zur Mittagszeit, nicht grillen, kein Alkohol. Feuchte Tücher, die Wasser auf natürliche Weise verdampfen, könne helfen, aber auch amtliche Warnungen, das Haus nicht zu verlassen. Ein  wenig ist es auch ein Opfer, das Deutschland bringt. Weltweit verbrauchen Klimaanlagen heute schon etwa zehn des Stroms. Machte sich auch Deutschland abhängig von der Technologie, die nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie zum Symbol des amerikanischen Traums wurde, wäre das Weltklima in noch größerer Gefahr als ohnehin schon. 

Die Bundesregierung kann für ihre Empfehlungen, lieber Dachbegrünung, Entsiegelung, Trinkbrunnen und Verhaltenshinweise zu nutzen, auf eine breite Mehrheit setzen. Fast ein Viertel der Deutschen lehnt Klimaanlagen Umfragen zufolge wegen ihres CO₂-Fußabdrucks ab. Zudem gehen die Kosten für die Geräte in den Bereich von 5.000 Euro oder mehr – für viele Haushalte unerschwinglich, obwohl der Absatz 2023 um zwölf Prozent stieg, ohne dass es staatliche Zuschüsse gab.

Umweltgefahr Kältemittel 

Die Zahl der Hitzetoten wird als kleines Problem gesehen, auch verglichen mit den Umweltgefahren, die die meist verwendeten Kältemittel Propan oder Isobutan mit sich bringen. Beide nehmen Wärme im Innenraum auf, die wird durch einen Kompressor verdichtet und anschließend über einen Kondensator nach außen abgegeben. In Deutschland gilt das als wenig solidarisch, auch aus historischen Gründen, wie der Klimatologe Herbert Haase mutmaßt. Deutsche hätten ihre Häuser stets so gebaut, dass  auf Wärmeerhalt ausgelegt seien - mit dicken Wänden, kleinen Fenster, Doppelverglasung. 

Das, so hofften viele, sagt der Chef des Climate Watch Institutes im sächsischen Grimma, müsse auch umgekehrt helfen. Klimaanlagen hingegen gülten vielen als unnatürlich oder als Symbol eines verschwenderischen Lebensstils nach amerikanischem Vorbild. "Das stößt in einer umweltbewussten Gesellschaft auf Skepsis und viele sehen sie auch immer noch als überflüssigen Luxus an, obwohl sie unter den zunehmenden Hitzewellen essenziell leiden." Die Kosten aber schrecken ab: Mobile Klimageräte verbrauchen etwa 500 Kilowattstunden pro Jahr, ein Kostenposten von rund 200 Euro jährlich. "Da sagt sich mancher, dafür fahren wir lieber im Urlaub in den Süden." 

Klimaethiker raten ab 

Bis ins politische Berlin ist natürlich bekannt, was Klimaethiker raten. 2023 starben in Deutschland 3.000 Menschen an Hitze, eine Zahl, die durch Kühlung hätte reduziert werden können. Die Klimaanlagen weder im Nationalen Hitzeschutzplan noch in den Handlungsempfehlungen des angesehenen Robert-Koch-Instituts zu erwähnen, war denn auch keine einfache Entscheidung. Müssen Ältere oder Kranke früher sterben, weil Krankenhäuser und Pflegeheime auf Beschluss der Regierung auch künftig auf elektrische Helfer zur Absenkung der mörderischen Sommertemperaturen verzichten sollen?

Einige sicher, sagt Herbert Haase. Doch seit dem wegweisenden Verfassungsgerichtsurteil, das die Politik verpflichtet, beim Klimaschutz auch kommende Generationen im Blick zu behalten, sei die Entscheidung alternativlos. Das Opfer der Hitzetoten von heute, die sterben, weil mögliche, aber klimaschädliche Maßnahmen  vermeiden werde, könne längerfristig womöglich mehr Leben retten. 

Die Debatte als Gefahr 

Vor diesem Hintergrund scheint es angebracht, keine Debatte über Klimaanlagen zu führen. So lange die Geräte als Klimakiller wahrgenommen würden, obwohl moderne Anlagen durchaus auch problemlos mit erneuerbaren Energien oder Überschussstrom betrieben werden können, werde eine Diskussion darüber vermieden, ob die aktuellen gesundheitlichen Kosten der Hitze – etwa 4.500 Tote im Rekordjahr 2023 – die Umweltbelastung durch Klimaanlagen überwögen. 

Hitze ist so trotzdem noch nicht sozial gerecht. Beispielsweise, sagt der Forscher, profitieren in Spanien vor allem wohlhabende Haushalte von Klimaanlagen, während sozial Schwache unter der Hitze leiden. Eine Spaltung, die ganz Europa träfe, würde etwa die EU-Kommission die Ampeln für Klimaanlagen auf Grün stellen. Haase mahnt zwar, dass "jeder Euro für Hitzeanpassung zehn Euro Folgekosten" spare und er bezieht in diese Rechnung ausdrücklich energieeffiziente Kühlsysteme ein. Doch auf  Klimaanlagen zu setzen, schaffe eben auch neue Probleme.  

Leben außerhalb der Klimanische 

"Die Welt steuert auf eine Zukunft zu, in der Millionen außerhalb der Klimanische leben, also der Zone, in der der menschliche Körper dauerhaft funktionieren kann", sagt der Wissenschaftler. Deutschland sei auf diese Herausforderung bislang nur unzureichend vorbereitet, bislang aber gelinge es, Bürgerinnen und Bürger zureichend vor der zunehmenden Hitze zu schützen, indem Hilfe durch kommunale Klimaanpassungsstrategien versprochen werde. Dass mehr Stadtgrün und Sonnenschutz, die Entsiegelung von Flächen ein Verbot für Schottergärten und Kunstrasen nicht ausreichen werde, zeichne sich ab. "Sonst würden früher wärmere Länder es dabei belassen haben."

Die Frage danach, was hätte gemacht werden müssen, werde sich aber erst in einigen Jahren stellen.  "Dann wird viel von Versäumnissen und Gedankenlosikeit geredet werden", sagt Herbert Haase. Viele der noch von Karl Lauterbach geplanten kostenlosen Trinkwasserstationen seien dann aber sicherlich ohnehin noch nicht installiert. "Und zu den praktischen Tipps für heiße Tage wird dann aben gehören, sich eine Klimaanlage zuzulegen."

Samstag, 30. August 2025

Zitate zur Zeit: Die frühere Vielfalt der Meinungen und Ideen


Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind in unserer Verfassung als elementare Menschenrechte anerkannt.

Für uns ist die Vielfalt der Meinungen und Ideen, ebenso wie ein kontinuierlicher intellektueller Dialog, sowohl in unseren Reihen als auch mit Anhängern abweichender Vorstellungen, unbedingt erforderlich.

 Erich Honecker, Vorsitzender des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik, 13. Oktober 1987

Doku Deutschland: Unsere Angst vor der Klimaneutralität

Klimaneutral leben ist für Klaus und Gunhilde Fahljäger selbstverständlich.

Es wird schmerzhaft für viele, aber es ist eben alternativlos. Während andere Staaten aus dem weltweiten Klimakonsens aussteigen, eifersüchtig darauf bedacht, ihre Bürger und ihre Industrie vor den hohen Kosten der einst in Paris vereinbarten Klimamaßnahmen zu schützen, geht Europa entschlossen voran. Zwar reiften nicht alle Blütenträume. Doch im Februar 2024 hat die EU-Kommission ein neues Etappenziel vorgeschlagen: Bis 2040 sollen die Emissionen der Mitgliedsländer um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Hart, aber herzlich. Drastisch, aber unumgänglich.

Noch keine genauen Pläne 

Das genaue Klimaziel für die EU festzulegen, ist eine Aufgabe, die das Europäische Parlament noch erledigen muss. Im ersten Jahr nach der Ankündigung sind noch keine genauen Pläne nach außen gedrungen. Noch sortiert sich Europa, um nach dem Scheitern des Green Deal und dem Umschwenken auf Aufrüstung als erste Priorität weiter ein Bemühen um eine nachhaltige und weltweit wettbewerbsfähige Wirtschaft betonen zu können. In deren Mittelpunkt soll eine flexible, saubere Industrie stehen, die für dauerhaften Wohlstand, stabile Arbeitsplätze und eine größere wirtschaftliche Sicherheit in der EU sorgt, ohne dabei das Weltklima zu belasten. 

Für die größte Staatengemeinschaft der Welt ist das ein einfacher Gang. Die Kommission betrachtet die Führungsrolle der Industrie und den gerechten Übergang als zwei Seiten einer Medaille. Da sie sich selbst immer noch als starken globaler Akteur auf dem Gebiet der Netto-Null-Technologien sieht, gilt das ganze Bemühen der EU auch weiterhin dem Festhalten "an Fairness und Solidarität als wesentlichen Elementen des europäischen Green Deal", obgleich dieses größte Klimavorhaben der Menschheitsgeschichte bereits gescheitert ist. 

Zeit und Verzögerung 

Die Politik setzt auf Zeit und Verzögerung. Die Bürgerinnen und Bürger hoffen, das Unausbleibliche werde zu guter Letzt, ganz kurz vor Ultimo,  doch noch abgewendet werden. Aus Angst vor dem Zorn der Menschen, glauben viele, würden die Parteien der demokratischen  Mitte schließlich kurz vor der nächsten EU-Wahl einlenken und einen Kompromiss verkünden: Die Klimaneutralität könnte dann erst 2050 oder 2060 kommen, dafür aber noch neutraler. Die Gemeinschaft bliebe dann, so spekuliert mancher, aufgrund ihrer einzigartigen Rolle als einzige Staatengemeinschaft, die überhaupt unterwegs zu vollständiger Nachhaltigkeit ist, weiter Vorreiter. Sie habe aber die Chance, 440 Millionen Europäer dorthin mitzunehmen.

Von ganz unten aus betrachtet, dort, wo die Betroffenen heute schon bangen und flehen und vergebens rechnen, was aus ihnen werden könnte, wenn das doch nicht klappt, ist die Lage dennoch beunruhigend. Gerade die heute Jüngeren, vor allem aber  die, die schon älter sind, kommen beim Versuch, die Neutralität für sich durchzurechnen, auf keinen grünen Zweig. Mit jedem Monat wächst die Angst, nach einem arbeitsreichen Leben das zu verlieren, was man sich aufgebaut hat. Fatalismus macht sich mancherorts breit. Achselzuckend werden Zumutungen abgeheftet. Eine Familie aus Thüringen plaudert aus dem Nähkästchen...

"Wir sind raus" 

Ich sag’s mal so: Wir sind raus. Klimaneutralität hin, Klimaneutralität her. Wir, das sind Klaus und Gunhilde Fahljäger, seit 25 Jahren verheiratet, seit einem Jahr in Rente und, ehrlich gesagt, ziemlich zufrieden mit unserem Leben. Wir haben 45 Jahre malocht – Klaus im Handwerk, ich in der Kita. Wir waren kaum mal krank, immer einsatzbereit. Kinder? Nein, die sind bei uns nie gekommen. Wir hatten uns, das hat uns gereicht. 

Dafür haben wir unser Häuschen am Stadtrand von Schmölln, einen soliden Skoda Octavia, sechs Jahre alt, und ein monatliches Einkommen, das uns gerade so reicht, um die Rechnungen zu bezahlen. Gucken Sie mal: Wir sind jetzt 67, das Haus ist von 1996, Gasheizung, Dämmung nach dem Stand der 90er. Nicht top, aber auch kein Schandfleck. Zusammen kommen wir auf etwa 3100 Euro Rente brutto, netto bleibt nach Abzug von Steuern und Krankenversicherung vielleicht noch 2.000 Euro übrig. Dazu ein bisschen was auf dem Sparbuch, private Rentenversicherung, aber sicher keine Schätze, die wir im Garten verbuddelt hätten. 

Gehobene Mittelschicht 

Wir sind, wie man so schön sagt, gehobene Mittelschicht. Zumindest für den Osten. Also: Wir sehen uns so. Und wir sind damit schon fast Exoten, wenn man sich die Zahlen anschaut: Klaus hat gelesen, das die Hälfte aller Rentner mit weniger als 10.000 Euro Sparguthaben in den  Ruhestand geht. Zehn Prozent aller Eigenheimbesitzer schleppen sogar noch eine Restschuld mit, wenn sie endlich daheim bleiben können. Wir stehen also ganz gut da. Keine Schulden. Wir müssen nicht sparen oder beim Einkaufen knappsen. Aber jetzt stellen Sie sich mal vor, wie wir beide klimaneutral werden sollen. Bis 2045? Das ist ja das Ziel. Da kommen wir, sage ich immer zu Klaus, auch nicht drumherum. 

Aber ich sage ihm auch: Das wird an der Realität scheitern. Und zwar nicht, weil wir das nicht wollen. Sondern weil wir es schlicht nicht können. Nehmen wir mal unser Haus: Abbezahlt, gut in Schuss. Kein Luxusbau, aber grundsolide. Wir haben es uns schön gemacht, denn ein eigenes Haus wollten wir immer. Aber das ist eben fast 30 Jahre her! Stand der Technik ist hier Ende des letzten Jahrtausends. Ganz ehrlich, wir haben kein Problem damit. Aber natürlich bekommen wir eins.

Rein und raus 

Gasheizung raus, Wärmepumpe rein. Die Heizkörper müssten getauscht werden, vielleicht sogar Fußbodenheizung. Die Dämmung müsste auf den neuesten Stand, das Dach vielleicht gleich mit. Kosten? Mindestens 50.000, vielleicht auch 150.000 Euro. Fernwärme? Gibt’s hier am Stadtrand von Schmölln nicht, und wird’s wohl auch in den nächsten zehn Jahren nicht geben. Und selbst wenn, wer weiß, was das dann kostet. Jeder Fernwärmeunde ist ja einem Monopolisten ausgeliefert, habe ich gelesen. die machen die Preise, wie sie wollen.

Das Auto ist die nächste Frage. Unser Skoda läuft noch, aber der nächste Gebrauchte müsste dann wohl ein E-Auto sein. Meinetwegen. Aber: Ladesäule im Ort? Fehlanzeige. Also Wallbox in die Garage, Stromanschluss aufrüsten, Elektriker bestellen. Noch mal ein paar Tausender. 

Und das alles nur, damit wir weiter zum Supermarkt kommen – denn ohne Auto geht hier gar nichts. Rechnen wir mal nach: Statistisch gesehen, sagt der Arzt, haben wir noch 10 bis 25 Jahre. Wenn es optimal läuft also bis 2050. Um bis klimaneutral zu werden, was wir ja dann sein müssten, bräuchten wir locker 75.000 bis 200.000 Euro. Geld, das wir nicht haben. Da rede ich nicht drumherum. Wir haben das nicht mal annähernd. Auf der Bank liegen 20.000 Tagesgeld und dann haben wir noch ein Girokonto mit 3.000. Ende Allende! Glauben Sie, dass uns für den Rest eine Bank einen Kredit gibt? Wir sind 67, da lacht jeder Bankberater. "Tut uns leid, Herr Fahljäger, aber bei Ihrem Alter…"

Aber das Alter 

Wir könnten natürlich unser Haus verkaufen. Aber an wen? Wer kauft denn heute noch ein 30 Jahre altes Haus mit Gasheizung und Sanierungsstau? Junge Familien? Die kriegen ja nicht mal mehr einen Kredit, und wenn, dann wollen sie was Modernes, Energiesparendes. Die wollen auch nicht nach Schmölln! Also bleibt uns nur: Augen zu und durch. Hoffen. Bangen. Beten. 

Und wir sind ja nicht allein. Leute wie uns gibt es zu Millionen in Deutschland. Alle sitzen sie in ihren Häusern, verdrängen, was auf sie zukommt, hoffen, dass es schon nicht so schlimm wird. Und wenn doch, dann sind wir vielleicht schon nicht mehr da. Sozialverträgliches Frühableben. Soll doch die Gemeinde die Bude dann klimaangepasst sanieren.

Zynisch in die Zukunft 

Klingt zynisch? Ist aber so. Wobei ich ehrlich gesagt nicht vom Schlimmsten ausgehen. Sehe Sie, unsere Generation wird in den nächsten 20 Jahren die größte Wählergruppe sein. Wenn die Politik so weitermacht, läuft das auf ein Verbot für diese ganze Generation hinaus: Heizen und Autofahren wird für uns zu einem Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können. Was dann? Sollen wir im Winter frieren und im Sommer zu Fuß gehen? 

Wir haben uns das mal durchgerechnet. Unsere laufenden Kosten liegen bei etwa 3.000 Euro im Monat. Da bleibt am Ende des Monats nichts übrig, um große Sprünge zu machen. Wenn die EU die Co2-Preise anzihet, dann wird es sowieso eng. Aber verschafft uns das die Luft, irgendwas bauen zu lassen, das uns entlastet? Ja, wie denn bitte?

Ruiniert, aber neutral 

Die Preise steigen, die Energie wird teurer, Lebensmittel sowieso. Und jetzt sollen wir noch zehntausende Euro in die Hand nehmen, um klimaneutral zu werden? Das ist doch kompletter Quatsch. Wir verstehen ja, dass der Klimawandel ein Problem ist. Wir haben schließlich auch Enkel – also, nicht direkt, aber die Kinder unserer Nachbarn. Die sollen auch noch was von der Welt haben. Aber was bringt es, wenn wir uns finanziell ruinieren, nur damit Deutschland als Musterknabe dasteht, während andere Länder weiter fröhlich CO₂ ausstoßen? 

Die Politiker in Berlin und Brüssel reden sich den Mund fusselig. Klimaneutralität hier, CO₂-Bepreisung da. Aber keiner fragt, wie das in der Praxis aussehen soll. Für uns heißt das: Wir sollen investieren, was wir nicht haben, und verzichten, worauf wir unser Leben lang hingearbeitet haben. Wir haben das Gefühl, dass die da oben keine Ahnung haben, wie das Leben hier unten aussieht. Die denken, jeder kann mal eben 100.000 Euro locker machen, das Haus sanieren, das Auto tauschen, und alles ist gut. Aber so läuft das nicht. Nicht in Schmölln, und bestimmt auch nicht in Buxtehude oder Hintertupfingen. 

Das große Verdrängen 

Was machen wir also? Wir verdrängen. Wir hoffen, dass die Politik irgendwann merkt, dass das alles für uns nicht zu stemmen ist. Dass die Ziele zurückgenommen werden, weil sie an der Realität scheitern. Und bis dahin machen wir weiter wie bisher: Wir heizen mit Gas, fahren unseren Skoda, und genießen unseren Ruhestand, so gut es eben geht und so lange es noch möglich ist. Vielleicht kommt ja noch mal eine Förderung, ein Zuschuss, irgendwas. Aber ehrlich gesagt, glauben wir da nicht mehr dran. Die letzten Jahre haben wir genug erlebt: Versprechungen gab’s viele, gehalten wurde wenig. Und genug gegeben, dass es uns hilft, hätte es sowieso nie.

Was wäre, wenn? Manchmal stellen wir uns vor, wie das wäre, wenn wirklich alles verboten wird: Kein Gas mehr, kein Auto mehr. Dann sitzen wir im Winter mit der Wolldecke auf dem Sofa, essen kalte Suppe und träumen von den guten alten Zeiten, als Heizen noch bezahlbar war. Oder wir verkaufen das Haus, ziehen in eine kleine Wohnung in der Stadt – aber auch da wird’s nicht billiger. Vielleicht machen wir es wie die Italiener: Einfach weiterleben, wie es immer war, und hoffen, dass keiner nachfragt. Oder wie die Griechen: Ein bisschen tricksen, ein bisschen schummeln, und am Ende wird’s schon irgendwie gehen.  Wir sind nicht gegen Klimaschutz. Aber wir sind gegen Illusionen. 

Der neue Weihnachtsmannglaube 

Wer glaubt, dass Millionen Rentner wie wir in den nächsten zehn Jahren klimaneutral werden, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Die Politik wird das irgendwann merken – spätestens, wenn die Wähler rebellieren. Bis dahin sagen wir: Viel Spaß beim Träumen, liebe Politiker. Wir machen das, was wir immer gemacht haben: Wir leben unser Leben, so gut es eben geht. Und wenn’s nicht mehr geht, dann geht’s eben nicht mehr. 

Freitag, 29. August 2025

Verdacht auf Vorrat: Das Leben der Anderen

Alexander Dobrindt will die Vorratsdatenspeicherung
Der neue Innenminister Alexander Dobrindt unternimmt den üblichen neuen Anlauf, die vollständige Überwachung aller immer endlich rechtssicher zu machen. 

Es ist Pflicht und Leidenschaft, Ritual und Machtprobe. Wann immer in den zurückliegenden Jahren eine neue Bundesregierung ins Amt kam, betrachtete sie es als eine ihrer ersten und wichtigsten Aufgaben, die vom höchsten europäischen Gericht verbotene Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Große Namen wie Thomas de Maiziere, Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen und Heiko Maas taten alles, um die strengen Vorgaben der Straßburger Richter zu umgehen und neue Überwachungsbefugnisse für die Sicherheitsbehörden so zurechtzuschneidern, dass sie nicht mit den Auflagen kollidieren, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat.   

Immer wieder gekippt 

Immer wieder versuchten sie es. Immer wieder wurde die Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt. Das Grundrecht der Bürger, unkontrolliert kommunizieren zu dürfen, wiege höher als das Bedürfnis des Staates, alles zu wissen. Auch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt. Später schränkte das Gericht auch die Möglichkeit, IP-Adressen auf Vorrat zu speichern, auf Fälle schwerer Kriminalität ein, so dass eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung nur zum Schutz der nationalen Sicherheit zulässig ist.

Das Bedürfnis der Politik aber, mehr wissen zu dürfen als das Grundgesetz erlaubt, ist unstillbar wie das eines Alkoholsüchtigen nach dem nächsten Glas oder der Heißhunger eines adipösen Genießers auf die nächste Wurst, das nächste Steak, das nächste Stück Torte. Schon in ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, dass Kommunikationsanbieter künftig wieder IP-Adressen für drei Monate auf Vorrat  speichern müssen, um sie für die Zwecke von "Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden" bereit zu halten. 

Erweiterte Befugnisse 

Dieser als "Erweiterung der Befugnisse im Kampf gegen Straftaten" bezeichnete Angriff auf die Grundrechte, vor Monaten geplant und in den Koalitionsverhandlungen beschlossen, wird auch diesmal im Nachhinein mit besonders schlimmen und akuten Fällen begründet. Wie immer geben sich Medienhäuser gern dafür her, an der Legende mitzustricken, dass Politiker von Union und SPD "nach der Festnahme von White Tiger" (Tagesspiegel) "auf eine rasche Einführung von Vorratsdatenspeicherung drängen". 

Vor zehn Jahren hatte Thomas de Maiziere die Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung mit einer ähnlichen Begründung in einem "Digitale Agenda" genannten Fortschrittspaket versteckt. Später kam Heiko Maas, der ohne viel Umstände und Rücksichten auf irgendwelche Gerichtsurteile gleich eine Datenspeicherung einführte, die so anlasslos und massenhaft war, dass nur er überrascht wurde, als sie für grundgesetzwidrig durchfiel.

Hartnäckiger Verfassungsbruch  

Doch das weiche Wasser bricht den Stein, Hartnäckigkeit führt am Ende schließlich doch immer zu dem Ergebnis, das im Falle der Vorratsdatenspeicherung so oft als "nicht verfassungsgemäß" aufgehoben wurde. Dass eine "sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten für qualifizierte Verwendungen im Rahmen der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrichtendienste mit Art. 10 GG" bei einer "Ausgestaltung, die dem besonderen Gewicht des hierin liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung trägt", gar "nicht schlechthin unvereinbar" ist, macht Hoffnung. 

Gut designt, "unterfällt eine anlasslose Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht schon als solche dem strikten Verbot einer Speicherung von Daten auf Vorrat im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts", wie das Bundesverfassungsgericht schon vor 15 Jahren feststellte. 

Die wolkigen Formulierungen wecken seitdem den Einfallsreichtum der Politik. Wenn nicht sechs Monate, dann vielleicht drei? Und wenn nicht anlasslos, dann vielleicht mit irgendeiner an den Haaren herbeigezogenen Begründung? Auch die beiden neuen und alten Regierungsparteien, die sich schon mehrfach daran versucht haben, die Grundrechte in diesem Bereich weiter auszuhöhlen, haben nicht viel Zeit verstreichen lassen. Keine zwei Monate nach Dienstantritt steht der "besonders schwere Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt" (Bundesverfassungsgericht) wieder auf der Tagesordnung. 

Wir müssen alles wissen 

Alexander Dobrindt, laut kritisiert, weil er vermeintlich Gerichtsurteile zur Pflicht der Offenhaltung der deutschen Grenzen ignoriere, kündigte bereit Ende Mai die massenhafte Speicherung aller IP-Adressen und Portnummern ohne neue Rechtsgrundlage an. Anlauf Nummer endlos zum großen Ziel: Genossen, wir müssen alles wissen.

Es folgte kein lauter Aufschrei von zivilgesellschaftlichen Organisationen, NGOs und aus der Oppostion. Stattdessen Applaus für den Versuch,  jeden Internetnutzer unter Generalverdacht zu stellen: "Her mit der Vorratsdatenspeicherung!", fordert die Illustrierte "Stern". Die ehemals linksliberale Süddeutsche Zeitung stößt mit  "Die Ermittler brauchen mehr Befugnisse" ins gleiche Hiorn. Und FAZ bangt mit den Frauen und Männern im politischen Berlin, die so verwegen einen erneuten Angriff auf die Grundrechte planen:  "Gelingt die Vorratsdatenspeicherung im dritten Anlauf?

Alle Jahre wieder 

Alles Jahre wieder wird das Stück aufgeführt. Doch im Gegensatz zu den seligen Zeiten, als die heutige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wegen ihrer Bemühungen zur Einschränkung der Kommunikationsfreiheit von einer lagerübergreifenden  Koalition aus linken, liberalen und konservativen Kritikern als "Zensursula" geschmäht wurde, bleibt der Widerspruch diesmal aus. Die Vorratsdatenspeicherung, wie die Netzsperren einst als einzige wirksame Waffe gegen Kinderpornografie ausgegeben, hat immer noch nichts mit dem Umgang eines Rechtsstaates mit seinen Bürgern zu tun. 

Doch wenn die Überwachung aller Leben retten könne, dann hallt die Zeit der Pandemie mit ihren grundrechtsaufhebenden Richtlinien nach: Unveräußerlich ist nur, was nicht den Amtsbetrieb stört. Der Einzelne hat mit seinen Grundrechten zurückzutreten, wo immer sie theoretisch der Bekämpfung ernsthafter Bedrohungen im Wege stehen.

Neu austariertes Spannungsverhältnis 

"Das Spannungsverhältnis zwischen sicherheitspolitischen Erfordernissen und datenschutzrechtlichen Vorgaben muss neu austariert werden", fabelten SPD und Union im Koalitionsvertrag. Und wie genau das aussehen wird, formulierten sie auch schon aus, ohne im Wahlkampf damit geworben zu haben: "Wir führen eine verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern ein." 

Aktuell ist die Vorratsdatenspeicherung wie die Wehrpflicht: Ausgesetzt. Die Befürworter halten sie für ein dringend notwendiges Instrument zur Bekämpfung schwerer Straftaten. Die Gegner sehen einen  Eingriff des Staates in die Grundrechte - Bürgerinnen und Bürger werden permanent unter Verdacht gestellt, ihre Daten gespeichert, ihre Kommunikation wird gläsern, ihr Leben steht unter Prüfungsvorbehalt. Rückwirkend lässt sich ermitteln, wer wann wo war, mit wem er gesprochen hat und wie lange. 

Im Staat des Volkszählungsurteils 

Unvorstellbar, dass das Geschehen im selben Staat spielt, in dem 1983 noch Verfassungsrichter urteilten, dass der Schutz des Einzelnen "unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung" vom "allgemeinen Persönlichkeitsrecht des GG Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit GG Art 1 Abs. 1 umfaßt" werde, so dass jeder "grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen" habe. Die Weitergabe der Volkszählungsdaten "unter Bedingungen der modernen Datenverarbeitung" verstieß damals gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die geplante anlasslose Speicherung sogenannter "Verbindungsdaten" soll es nicht tun.

Der Staat ist fein raus. Nicht er vermerkt, wer wann mit wem wie lange telefoniert hat und von welchem Ort aus; wer wem eine E-Mail geschrieben und von welcher IP-Adresse aus wie lange im Internet unterwegs war. Damit werden die privaten Telekommunikationsunternehmen beauftragt, dieselben übrigens, denen der Staat mit dem Telekommunikationsgesetz (TKG) die Speicherung aller  Verkehrsdaten verboten hat, die nicht direkt für die Abrechnung benötigt werden.

Mehr Überwachungsgerechtigkeit 

Die eine Firma hob sie länger auf, die andere nie, weil Flatrates keine Einzelabrechnung mehr erfordern. Vor vier Jahren erklärte das Bundesverfassungsgericht dann auch noch die Regelungen zur Bestandsdatenauskunft verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber glatt vergessen hatte, für zugriffsberechtigte Behörden jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen zu schaffen. Der Senat stellte klar, dass Befugnisse zum Abruf solcher Daten "grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts bedürfen".

Das Speichern auf Vorrat schafft mehr Gerechtigkeit, weil alles von allen gespeichert wird. Im Widerspruch zur Vorgabe des EuGH, der die flächendeckende Speicherung von Verbindungsdaten ohne Anlass zuletzt 2022 abgelehnt hatte. Ausnahmen seien möglich, etwa vorübergehend bei einer real bestehenden Gefahr für die nationale Sicherheit, oder räumlich und zeitlich begrenzt auf bestimmte Personen und Orte. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass aus der Gesamtheit der Daten "auch schon bei kurzer Speicherdauer" genaue Schlüsse auf das Privatleben fast aller Menschen gezogen werden - das aber sei europarechtswidrig.

"Pakt für den Rechtsstaat"

Durch das kleine Türchen, das der EuGH offenließ, weil den Richtern das Prinzip der IP-Adresse offenbar nicht ausreichend erklärt worden war, wollen Innenminister Alexander Dobrindt und Justizministerin Stefanie Hubig mit ihrem neuen "Pakt für den Rechtsstaat" marschieren. In der Annahme, dass es sich bei IP-Adressen nicht um persönliche Daten handelt, hatte der EuGH erlaubt, sie flächendeckend und anlasslos zu speichern. Versteckt zwischen Regelungen zur Digitalisierung, der personellen Verstärkung der Justiz und der Verkürzung von Gerichtsverfahren taucht die Vorratsdatenspeicherung hier wieder auf. Vorerst grundrechtekonform und unter vollständigen Wahrung der Persönlichkeitsrechte.