Donnerstag, 4. Dezember 2025

Enttäuschte Erwartungen: Die Organe der Niedertracht

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Jedes Mittel, aber auch jedes ist recht, wenn es gilt, den Todfeind zu bekämpfen und Klicks einzusammeln.

Er hätte längst tot sein sollen, tot und vergessen, ein vorübergehender Alpdruck nur, verjagt von vielen mutigen, unbeugsamen Menschen, die sich ihm beherzt entgegenstellen. Doch Donald Trump ist immer noch da, er schimpft und scherzt und ledert los, wann und wie es ihm gefällt. Seine eingeschworenen Gegner sind seit einem Jahrzehnt überzeugt, dass der als Orange Man verspottete New Yorker sich den Untergang der Welt als politisches Hauptziel vorgenommen hat.  

Der Herr der Zerstörung 

Was immer Trump tat oder tut, dient allein dieser Zerstörungsvision. Daraus ergibt sich eine umfassende Legitimation, alle Mittel einzusetzen, um gegen den Diktator, Irren, Abschaffer der Demokratie, Spalter des Westens, Russlandfreund, König und Hassprediger Front zu machen.

Das Muster der Trump-Berichterstattung ist kein sonderlich originelles. Es folgt den alten Propagandalehren der großen Vordenker der sozialistischen Massenrevolution von rechts und links. Was immer einer wie Trump sagt oder tut, fällt in zwei Kategorien: Könnte es positiv missverstanden werden, scheidet es als Thema aus. Lässt es sich negativ interpretieren, wird es verkürzt, beschnitten und bis ins Extreme ausgedeutet. An Ende steht ein Zerrbild, das stolz im Zirkus unserer Mediendemokratie herumgereicht wird: Seht her, sehr her! Der Teufel in Menschengestalt! 

Der Teufel in Menschengestalt 

Jedes Mittel ist recht, jede Waffe darf eingesetzt werden, jede Unterstellung ist erlaubt, jede Erfindung entschuldigt. Trump stand bereits unter Verdacht, Atomkriege auslösen zu wollen. Jetzt wird er bezichtigt, für Frieden zu sein. Trump hat alles getan, um die Behörden der US-Regierung personell so auszudünnen, dass der amerikanische Staat nicht mehr arbeitsfähig ist - damit wollte er seinen Milliardärsbuddys zu noch mehr Reichtum verhelfen und die Armen in noch tiefere Armut stürzen. Er hat aus niederen Beweggründen auch die Zölle erhöht, um den Welthandel zu Erliegen zu bringen. Und er hat Putin in Alaska empfangen, aus demokratischem Boden. Ohne ihn verhaften zu lassen.

Nichts davon kann ihm je verziehen werden. Alles rechtfertigt jede Anstrengung, wenigstens das deutsche Medienpublikum weiter wach und gespannt zu halten, bereit für den Kampf gegen Trump und seine Kamarilla, sobald die Trompeten zum Abmarsch rufen. Die Mischung der Meldungen ist dabei mittlerweile durchaus eine andere als anfangs. 

Stupende Realitätsverleugnung 

Damals machten sich Spiegel, Taz, FAZ, ARD, ZDF, Stern und Frankfurter Rundschau noch Hoffnungen machten, mit stupender Realitätsverleugnung dazu beitragen zu können, den greisen Joe Biden oder die später eingesetzte Ersatzkandidatin Kamala Harris ins Weiße Haus schreiben zu können. In der Berichterstattung überwogen die bösartigen Unterstellungen. Trump tauchte als Ku-Klux-Klan-Mann auf, als Zerstörer von Freiheitsstatue und Erdball, er war Lügner, Dieb und Todeswelle, ein Primitivling, der sich als Milliardär tarnt, aber pleite ist. Eine Kartoffel. Ein Dummkopf. Ein Anti-Amerikaner.

Nutzlos. Erfolglos. Die Dauerwelle der Trump-Empörung schwappte auf ihre Urheber zurück. Kein Publikum erträgt ein jahrelanges Trommelfeuer der Verdummung, ohne sich entnervt und übersättigt abzuwenden. Dazu kommt der selbst für uninteressierte Beobachter kaum zu leugnende Umstand, dass all die Weltuntergänge, Atomkriege und Errichtungen eigener Trump-Königreiche bisher nicht stattgefunden haben. 

Erschütterung in Brüssel und Berlin 

Stattdessen hat Trump einige Kriege und Konflikte beendet oder zumindest eingehegt. Er den Europäern den Ernst ihrer militärischen Lage so weit klargemacht, dass selbst Grüne, SPD, Union und EU hellauf begeistert davon sind, endlich kriegstüchtig werden zu dürfen. Und ihm ist es im Vorbeigehen sogar gelungen, den Verfassern der Brüsseler 50-Jahr-Pläne deutlich vor Augen zu führen, dass ihre Richtlinien, Regeln, Auflagen und Vorgabemaßnahmen für alles und jedes am Ende nur zu einem führen werden: Dem wirtschaftlichen und sozialen Tod eines ganzen Kontinents.

Niemals wird ihm das irgendjemand in den eingebildeten Chefetagen Europas verzeihen. Alles hat sich als falsch herausgestellt hat, was Politik und Medien über zwei Jahrzehnte wie unabänderliche Glaubenssätze gepredigt hatten. Die "Friedensdividende", von der alle meinten, sie sei ein free lunch, hat es nie gegeben. Die vermeintlich brummende Wirtschaft lief auf Diesel- und Verbrennermotoren und nur deren Lärmen überdeckte, dass es in ganz Europa kein neues, modernes Geschäftsmodell gibt, das eine überalternde, durch unkontrollierte Zuwanderung strapazierte Gesellschaft im nächsten halben Jahrhundert unterhalten könnte.

Die Herren des Schlamassels 

Eine Blamage, die sich kaum mehr verbergen lässt. Noch versuchen die, die den Schlamassel angerichtet haben, sich mit lauen Reförmchen, Umbauten an der Fassade und Klassenkampfparolen über Wasser zu halten. Doch das alles wird nicht reichen, es reicht ja jetzt schon nicht mehr. Der Griff in die leere Kasse immer noch möglich, mit dem sich sogenanntes "frisches Geld" hervorzaubern lässt. Sachsen-Anhalt, ein Bundesland, das pleite ist, aber im kommenden Jahr vor einem titanischen Abwehrkampf gegen die Übernahme durch eine zeitweise gänzlich als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei steht, hat jetzt eine "Corona-Notlage" noch für das Jahr 2026 ausgerufen

Freilich schwant selbst den Zauberlehrlingen der Sondervermögenrepublik, dass der Sumpf nur immer tiefer wird, aus dem man nicht mehr entkommen wird. Tiefgreifende Reformen sind durch die Mehrheitsverhältnisse unmöglich. Der Einsatz der Kettensäge wäre nötig, er würde aber umgehend zum Verlust der Macht führen. Man müsste, aber man kann nichts tun. Dass Friedrich Merz vor allem im Auslandseinsatz kämpft, hat seinen guten Grund.

Die mediale Medizin 

Die mediale Medizin dagegen ist allerdings bewährt. Statt bei sachlichen Beschreibungen zu bleiben, anlassbezogen konzentriert auf die tatsächlichen großen Probleme, empfehlen alle Klassiker der Propaganda, sich auf Nebenkriegsschauplätze zu konzentrieren. Am besten strikt personalisiert. Strukturen verschwinden so hinter Petitessen. Grundlegende Fragen werden mit individualisierten Vermutungen beantwortet.

Fakten oder Tatsachen braucht kein Überzeugungstäter, der sich dieser Methode bedienen will. Das beste Beispiel dafür ist der bereits 2020 angekündigte nahe Tod des russischen Präsidenten Wladimir Putin.  Der war seinerzeit schwer an "Krebs und Parkinson" erkrankt, schrieb der "Focus". So schwer, dass das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" mit unverkennbarer Vorfreude berichten konnte, dass der Kreml zu verheimlichen versuche, dass der russische Patient sich gar nicht mehr in Moskau befinde, sondern am Schwarzen Meer auf den Tod warte. Die "Frankfurter Rundschau", ein Clickbait-Portal aus dem Imperium des greisen Anzeigenverlegers Dirk Ippen, sah Putins Beine zittern und ihn "Medizin aus einer Tasse trinken". 

Bald wird die Welt erlöst 

Bald, das war die Botschaft, würde die Welt erlöst. Noch besser sogar: Auch der böse Trump zeigte Zeichen nahen Verfalls. Auf einem Foto entdeckten Mitarbeiter des "Münchner Merkur", wie die FR Teil des Propaganda-Bauchladens des Dirk Ippen "rote Flecken auf Trumps Hand". Was für eine Gelegenheit, Gerüchte zu schüren, dass nun auch der frühere US-Präsident schwer erkrankt ist!

Die "Organe der Niedertracht" (Max Goldt) haben aus dem Todsagen der Menschen, die ihnen verhasst sind, ein Geschäftsmodell gemacht. So sorgsam sie in den Jahren des Joe Biden darauf bedacht waren, die Stolperer, Holperer und Haspler des Präsidenten unter der Decke zu halten, so sehr jiepern sie heute auf jeden Hauch einer Hoffnung, die Natur könnte das Problem Trump für sie lösen. "Ein schläfriger Auftritt von Donald Trump" heizt da im "Spiegel" wohlige "Spekulationen über eine mögliche Altersmüdigkeit an."  Höhnisch nennen die den Präsidenten "Commander Sleep", die bei Biden niemals Anlass sahen, Mediziner einen "heiklen Verdacht" zur Gesundheit des Präsidenten äußern zu lassen. 

"Commander Sleep" 

 Heute, mit einer Hassfigur im weißen Haus, sind Zweifel angebracht, so oft es geht. Jede schräge Verschwörungstheorie melkt die Aufmerksamkeitszitze. Selbst wenn Trumps Arzt MRT-Ergebnisse vorlegt, die dem 47. Präsidenten bescheinigen, bei "exzellenter Gesundheit" zu sein, dauert es nur einige Stunden, bis "die Skepsis über Trumps Gesundheitszustand wächst". Die "Verunsicherung" (ntv) muss bleiben. Sie ist das Mittel, mit dem Zweifel am gesundheitlichen Zustand Trumps genährt und gefüttert werden können. Auf dieser Basis schreiben sich dann Schlagzeile über den "alternden US-Präsidenten" wie "Und immer öfter gibt es Kritik aus der eigenen Partei" oder "der US-Präsident wirkt verwundbar" wie von selbst.

Aus Hamburg gesehen ist "Trump unter Druck", wo Bidens "robuste Gesundheit" (Handelsblatt)  dessen "Antritt zur Wiederwahl" noch  "wahrscheinlicher" (Handelsblatt) machte, als außer dem ZDF-Amerika-Experten Elmar Theveßen schon jeder bangte, dass es doch hoffentlich nicht dieser arme verwirrte Mann sein werde, der das mächtigste Land der Welt noch weitere vier Jahre lenken und leiten müsse.

Ein Teil der US-Bürger zweifelte, das mussten selbst deutsche Solidarmedien einräumen. In den Redaktionen aber zweifelte so sehr niemand wie heute alle zweifeln.  Trump zeige "sich kaum noch vor 12 Uhr mittags", dichtet ein Marc Etzold im "Stern", er habe "Blutergüsse am Körper", spreche über aufwendige Untersuchungen und das Leben nach dem Tod. "Wie fit ist er noch für das Amt?", ist die Frage, die die Gesundbeter Bidens ihren verbliebenen Lesern und Zuschauern aufdrängen wollen: "Schläfrig" sei Trump, er absolviere "weniger Auftritte" und "Mediziner" äußerten auch schon einen "heiklen Verdacht zu Trumps Gesundheit".

Es müssen dieselben Koryphäen sein, die Putin "dünne Haut, dunkle Adern" und ein zitterndes Bein bescheinigten und ihm vor zehn Jahren einen Schlaganfall attestierten, den er nicht in einer Klinik behandeln lassen habe, um sich aufzusparen für die "schwere Krebserkrankung" sieben Jahre später, die sich "wie ein Todesurteil" (Morgenpost) las. 

Eure Majestät Miersch: Zum Lachen bitte in den Keller

Bärbel Bas Auslachen, SPD Arbeitgebertag Skandal, Matthias Miersch Lachen verbieten, Sozialdemokratie Satire, Hohn und Spott StGB, Maßnahmenpaket Rechtsextremismus, Ministerin ausgelacht
Wenn sie nicht lachen können, dann sollen sie eben applaudieren!

Es reicht. Das wars jetzt. Die deutsche Sozialdemokratie hat schon viel erduldet. Verfolgung, Verbot und Verhöhung. Das Gelächter der Männer in den Maßanzügen aber, das ihre Vorsitzende Bärbel Bas beim  Arbeitgebertag hatte ertragen müssen, bringt auch die duldsamsten Genossen an den Rand dessen, was sie noch hinnehmen können. Matthias Miersch, Niedersachse und Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, hat sich im Streit um die Klassenkampfansage seiner Vorsitzenden an Deutschlands Unternehmer wie ein Mann vor die Arbeitsministerin geworfen.  

Vor einer barocken Bildwand 

Schluss. Aus. Es reicht. Vor dem Hintergrund einer barocken Bildwand mit einem klassisch-royalem Prachtmotiv, das den Parteinamen in goldenen Lettern zeigt, sprach Miersch der Nation mit ernster Miene in Gewissen. "Begonnen hat das ja alles mit ihrem Auftritt beim Arbeitgeberverband", erklärte den weitgehend uneingeweihten Pressevertretern noch einmal die Urgründe der Auseinandersetzung, die mit Bas' tröstend gemeinte Aussagen zur Finanzierung des kommenden  Rentenpakets durch Steuermittel statt durch Beiträge der Steuerzahler begonnen hatte.

Statt zu applaudieren, wie es sich gehört, hatten "Männer in bequemen Sesseln" (Bas) ihren Entwurf eines "starken Sozialstaat zum Gegenentwurf zum Faschismus" ausgelacht. Die verständliche Gegenwehr der Ministerin - zuerst mit dem Satz "das ist nicht lustig", später dann mit dem Aufruf, gemeinsam gegen die Kapitalisten zu kämpfen - wurde ein Skandal. Gelenkt von einem wütenden Arbeitgebermob äußerten selbst CDU-Politiker Rücktrittsforderungen. Es gab Parteiaustritte. Und sogar der Kanzler, der ein großes, verständnisvolle Herz für die verfahrene Klage seines Koalitionspartners hat, soll Bas ins Gebet genommen haben.  

Hetze, Hass und Zweifel

Matthias Miersch mochte diese Demontage seiner Genossin nicht länger mitanschauen. Vor nicht einmal zwei Jahren hatte seine Partei, damals noch vertreten durch die heute abgetauchten Lisa Paus (Grüne) und Nancy Faeser, zur Feier des 25. Jahrestages der Erfindung des Begriffes Hate Speech eine Neudefinition von Hetze, Hass und Zweifel verkündet. Im damals neuen "Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus" - dem zwölften dieses Namens seit 2001, zuvor hatte es kein einziges gegeben - werde nicht nur Hass adressiert, sondern auch ausdrücklich auch der Hohn, jene so schwer zu erkennende Einstiegsdroge in den Hass.

"Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen", umriss Nancy Faeser die neue Linie grob genug, um potenzielle Verhöhnern keinen leichten Ausweg zu lassen. Zählt nur Hohn? Oder auch Häme? Wird die Redensart "mit Hohn und Spott" auf der Verdachtsliste des Ministeriums landen? Was ist mit Verächtlichmachen? Mit Auslachen, mit Schmähen und satirisch aufspießen? Die Unsicherheit war Methode. Wer nicht genau weiß, was er noch darf, hält sich eher zurück, so spekulierten sie im Willy-Brandt-Haus.

Fortschreitende Verrohung 

Vergeblich. Die Verrohung schritt weiter fort. Der Respekt vor den staatlichen Organen schwand. Zuletzt rief ein Unionspolitiker, der in seiner Partei als Hoffnungsträger gilt, zu einer Wahlkampfführung "bis zum letzten Blutstropfen". In der SPD haben sie die Sache lange laufen lassen, zu lange zugeschaut, zu lange gehofft. Vielleicht zu lange. Für die Partei, die die Leitung des Innenministeriums zwar nicht mehr stellt, über ihren direkten Zugang zu Friedrich Merz aber die Möglichkeit hat, jedes Gesetz nach Wunsch durchzubringen, indem sie für den Weigerungsfall mit dem Abschied aus der Koalition droht, war der Fall Bas ein Signal. Es muss etwas geschehen. 

"Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass das Auslachen einer Ministerin an dieser Stelle überhaupt nicht geht", hat Matthias Miersch auf der Pressekonferenz zur Klarstellung von Bas' Klassenkampfthesen verkündet. Bas selbst äußerte sich in der Veranstaltung nicht noch einmal zu ihrem Aufruf zum gemeinsamen Kampf, sie nickte aber zustimmend. 

Die Politikerin hat früher 13.270 Euro aus der Steuerkasse für ein "angemessenes Erscheinungsbild" (Bärbel Bas) ausgegeben, ohne deshalb gleich einen Maßanzug zu tragen. Sie weiß, wovon Miersch spricht. Offenbar sind die weiteren Schritte der deutschen  Sozialdemokratie gegen das Lachen über Minister mit der Parteivorsitzenden abgestimmt. 

"Partei der Arbeit und der Arbeiterinnen" 

Natürlich, hat Miersch noch einmal klargemacht, "sind wir die Partei der Arbeit und die Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer". Deshalb kümmere sich Bärbel Bas auch so engagiert um  Arbeitsplätze und Standortsicherheit in Deutschland. Ihr lachend den Respekt zu versagen, sei keine "Sachlichkeit", so Miersch. Zu der aber müsse man zurückfinden.

Entsprechende Maßnahmen sind in der Endberatung. Sie könnten mit dem für Februar erwarteten 13 Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus in den Wirkbetrieb gehen. Im Gespräch ist eine zielgenauer Erweiterung des Paragrafen 188 StGB. Seit der letzten Ergänzung schützt der Paragraf alle "im politischen Leben des Volkes stehenden Person" vor "öffentlichen, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts" begangenen Beleidigungen, wenn sie "aus Beweggründen" geschahen, "die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen".

Lachen aus Beweggründen  

Die im Moment noch auf zwei knappe Artikel beschränkte Regelung - Art.2 beschreibt das Vorgehen bei übler Nachrede - würde künftig auf gegen Personen des politischen Lebens gerichtetes Lachen erweitert. Beschränkt wäre die Bestimmung nicht auf Ministerinnen. Dem ersten Entwurf nach wird sie lauten: "Wir das Lachen aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene."

Darunter beginnt das Reich der Freiheit, in dem strenges Humorverbot herrscht, wenn Personen des politischen Lebens anwesend sind. Wer dort weiterlachen will, kann immer noch in den Keller gehen. 

Mittwoch, 3. Dezember 2025

Zehn Jahre danach: Die Wurzeln des "Wir schaffen das"

Mit ihrem flotten Spruch "Wir schaffen das" beruhigte Angela Merkel vor zehn Jahren Millionen. Woher aber stammte der magische Satz? Forscher haben es herausbekommen.

Sie trug einen ihrer berühmten Blazer, diesmal in lachs, eine schmale goldene Kette und ein weißes Leibchen. Angela Merkel saß an jenem 31. August 2015 auf der großen Bühne in Berlin und sie war gefordert wie selten. Diesmal galt es für die Bundeskanzlerin, den Kleinmut zu vertreiben, die Zweifel und die miese Stimmung, die sich im Lande breitmachten.

 Buhrufe drohten, den Bahnhofsapplaus zu übertönen, der die Zufluchtsuchenden aus aller Welt empfangen hatte, denen Merkel freies Geleit und kostenlose Aufnahme auf unbegrenzte Frist versprochen hatte. Es murrte selbst in ihrer eigenen Partei, in der mancher nicht nachvollziehen wollte, dass eine Naturwissenschaftlerin wirklich glaubte, in ein Gefäß mit begrenztem Volumen passe - guten Willen vorausgesetzt - eine unbegrenzte Menge an Inhalt.

Bewältigung der Flüchtlingssituation 

Merkel sprach auf der Pressekonferenz, überschrieben "Zur Bewältigung der Flüchtlingssituation", allerlei Fragen an. 15 Minuten lang nahm sie Stellung, sie lobte die deutschen für ihre Duldsamkeit und Langmut, sie sprach ihnen ihr Vertrauen aus, nur mehr leisten zu können.  „Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein:  Wir haben so vieles geschafft - Wir schaffen das".  

Es folgte gleich noch ein "Schaffen", Betonung durch Wiederholung. "Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden." Der Bund werde "alles in seiner Macht Stehende tun - zusammen mit den Ländern, zusammen mit den Kommunen -, um genau das durchzusetzen."

Ein Augenblick, der geblieben ist

Der Augenblick, der bleiben wird, weil er den Weg ebnete zur Grenzöffnung vom 5. September, die später vielfach geleugnet wurde, aber ausweislich der Angaben des früheren US-Präsidenten Barack Obama doch stattgefunden haben muss. 

Angela Merkel, gebürtig in Hamburg und doch ein Kind der DDR, schaffte, was kaum einem Kanzler vor ihr gelungen war: Sie veränderte  das Land nicht ein bisschen und nicht vorübergehend. Sondern mehr als jeder ihrer Vorgänger in kürzerer Zeit und dauerhafter, nämlich für immer.

Umstrittener Umstand 

So umstritten der Umstand ist, ob es sich bei Merkels Entscheidung aus der Nacht auf den 5. September, eine aus Richtung Budapest heranmarschierende große Gruppe nicht an der österreichischen Grenze zurückzuweisen, um eine Grenzöffnung handelte, so unklar ist bis heute, woher die damals 61-Jährige die Inspiration für ihren historischen Satz nahm. 

Die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin hat später mehrfach betont, sie sei nicht involviert gewesen. Auch enge Beraterkreise der Kanzlerin haben sich nie geäußert und Vertraute aus der Partei schwiegen ebenso konsequent. 

Großzügiger als seit der Völkerwanderung

Der Satz wirkte, das konnte Merkel spüren. Sie hatte es geschafft, mit seiner Hilfe ein ganzes Volk zu beruhigen. Am 13. September 2015 entscheidet sie daraufhin, dass es generell keine Zurückweisungen an der deutschen Grenze mehr geben wird. Die Karnevalsfrage, ob mer se rinlasse wolle, wird nicht gestellt. Es ist entschieden. 

Eine Einladung, wie sie großzügiger seit der Völkerwanderung nicht mehr ausgesprochen worden ist. Bis zum Sommer 2016 kommen rund 1,4 Millionen Geflüchtete nach Deutschland, die meisten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, drei Nachbarländern in mehreren tausend Kilometern Entfernung. 

Jeder, der kam, musste eine ganze Handvoll sicherer Staaten durchwandern. Jeder, der kam, durchquerte zwangsläufig sichere EU-Staaten und verwirkte damit faktisch automatisch sein Recht, in Deutschland aufgenommen zu werden. Ein Paradoxon.

Der magische Satz 

Merkels magischer  Satz aber, zusammengesetzt auch nur 14 Buchstaben, setzte Recht und Logik außer Kraft.  Der Ausspruch wurde zu dem historischen Zitat der Kanzlerin. Er machte sie zur mächtigsten Frau der Welt, denn mit ihm hatte sie gezeigt, dass wirklich Macht nicht Gewehre, Gesetze oder skrupellose Gefolgsleute in großer Zahl braucht. Sondern einzig und allein den bedingungslosen Glauben von Millionen, die da oben wüssten allemal besser, was gut und richtig ist.

Merkel wusste es nicht, das ist zehn Jahre später unverkennbar. Unbekannt aber war bisher, woher sie sich den wirkungsmächtigen Satz geholt hatte, mit dem es ihr gelang, die furchtsamen  Reaktionen auf den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen in Deutschland zu beschwichtigen. Das sprachliche Bild vom "Wir", das etwas "schaffen" werde, verschaffte ihr Prokura dafür, den Bürgerkrieg in Syrien als ein deutsches Problem zu behandeln, das in Deutschland gelöst werden müsse. Sie musste kein Parlament fragen. Sich keiner Wahl stellen. Das Wir-schaffen-das-Wunder allein bewirkte alles.

Sie war dankbar 

Später ist Angela Merkel vielfach auf diese wolkige Formulierung zurückgekommen. Sie hat sie zum Markenkern ihrer auf Verwaltung und Verzögerung ausgerichteten Politik gemacht. Man habe „ein freundliches Gesicht gezeigt“, wie Merkel später formuliert hat, als sie „auch heute noch überzeugt" war, "dass das in diesem Moment und in dieser Situation die richtige Entscheidung war".

Ihr Satz war so stark in der Außenwirkung, dass Merkel dauerhaft vollkommen darauf verzichten konnte, Details zu erwähnen. Zwar nannte sie Plätze "wo uns etwas im Wege steht". Als Rezept dagegen reichte aber der Hinweis, das müsse dann eben "überwunden werden", indem "daran gearbeitet werden" müsse, etwa vom  Bund der "alles in seiner Macht Stehende tun" wird - "zusammen mit den Ländern, zusammen mit den Kommunen -, um genau das durchzusetzen."  

Was, wo, gegen wen?

Was, wo, gegen wen. Merkels Satz konnte und wollte es nicht durchbuchstabieren, denn wie Forschende des An-Institutes für Angewandte Entropie in Frankfurt an der Oder jetzt ermittelt haben, entstammt er einer völlig anderen Zeit, in der von einer "Herausforderung der Flüchtlingsaufnahme" durch ein "starkes Land, das bereits viele Herausforderungen erfolgreich bewältigt" habe, noch keine Rede sein konnte. 

Auf der Suche nach dem großen, geheimnisvollen Ursprung des "Wir schaffen das" stießen die Wissenschaftler in der Literatur auf den britischen Autor Robert Harris, der fast zwei Jahrzehnte vor Merkels Weichenstellung  das Fundament für ihren Geniestreich gelegt hatte. In seinem Roman "Aurora" - englisch "Archangelsk" - schickt der für Bestseller wie "Vaterland" und "Enigma" bekannte frühere BBC-Reporter den Historiker Fluke Kelso nach Russland, um an einem Kongress in Moskau teilzunehmen. Dort trifft er auf einen früheren Leibwächter des von Stalins Geheimdienstchefs Lawrenti Beria, der ihm von einem Tagebuch des roten Höllenfürsten berichtet, das er vergraben habe. 

Gleichnis aus Sibirien 

Kelso findet das Versteck der mutmaßlichen Dokumente. Er reist nach Sibirien, um Stalins geheimen Sohn zu suchen, den der sterbende Diktator von eingeschworenen Parteisoldaten hat zu seinem Nachfolger heranzüchten lassen. Dieser Sohn, ein Ungeheuer mit Stalins Aussehen und Stalins Geist, hält Kelso in seiner Behausung, die ebenso verfallen und verrottet ist wie das Russland der 90er Jahre, einen Vortrag über Treue und Verrat, Stalinschen Geist und Gottvertrauen, das in seinem Fall das Vertrauen in einen gottgleichen Führer ist. 

Schon als junger Mann, berichtet Stalins Erbe, habe er "Erscheinungstendenzen des Rechtsabweichlertums" erlebt. Die Genossen, die in bewachten, aufzogen, ausbildete und schützen, glaubten nach den Radionachrichten vom Tod seines Vaters nicht mehr an die große Mission. "Oh, Genossen, in den Dörfern sagen sie, dass der Leichnam des Genossen Stalin von seinem ihm zustehenden Platz neben Lenin entfernt worden", jammern sie. "Oh, Genossen, es ist hoffnungslos, Genossen! Wir müssen uns ergeben!"

Die Fischer im Sturm

Das aber ist nicht, wie große Führungspersönlichkeiten reagieren. "Haben Sie je erlebt, wie sich Fischer verhalten, wenn auf einem großen Fluss ein Sturm aufzieht?", fragt der neue Stalin. Er habe es viele Male erlebt und gesehen, dass es zwei Typen von Fischern gebe - "diejenigen, die, wenn sie einen Sturm befürchten, den Mut verlieren, zu winseln beginnen und ihre eigenen Kollegen demoralisieren: Was für ein Unglück, ein Sturm zieht auf, legt euch hin, flach auf den Boden des Bootes, macht die Augen zu; wir können nur hoffen, dass wir irgendwie ans Ufer kommen." 

Und diese anderen, die angesichts des Sturms ihre gesamte Kraft zusammen nehmen, die Kollegen ermutige und sich dem Sturm kühn entgegenstellen. "Nur Mut, Freunde, lasst das Ruder keine Sekunde los, zerteilt die Wellen", ruft Stalin junior durch seinen verfallenen Bau: "Wir schaffen das!" 

"Rechtsabweichlerisches Geblök" 

Danach, beschreibt Harris, spuckte der Russe bekräftigend auf den Boden. Es ist das Ende des "rechtsabweichlerischen Geblöks", das sich bis in den sibirischen Dschungel geschlichen hat. Das Ende von Zweifel und Kleingeist. "In den nächsten paar Jahren ging die stetige Arbeit weiter, geprägt von unseren vier Parolen: der Parole Kampf gegen Defätismus und Selbstgefälligkeit, der Parole Bemühen um Autarkie, der Parole Konstruktive Selbstkritik", sagt Stalin. Das "ist das Fundament unserer Partei und der Parole Aus Feuer wird Stahl!"

Angela Merkel muss beeindruckt gewesen sein. Kampf gegen Defätismus! Kampf gegen Selbstgefälligkeit! Bemühen um Autarkie! Konstruktive Selbstkritik! Aus Feuer wird Stahl! Öffentlich hat Merkel mehrfach erklärt, dass sie keine Krimis möge. Doch Harris' Buch ist weniger Kriminalroman als historischer Schnitzeljagd-Thriller, ein Metier, in dem auch die langjährige CDU-Vorsitzende tätig war. Merkel hat sich immer wieder bei großen Denkern Inspiration geholt. 

Gorbatschows neues Denken 

Gerhard Schröders "Reformen" gehörten zu Merkels Lieblingsfloskeln. 2015 übernahm sie mit dem "neuen Denken" eine Erfindung des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michael Gorbatschow, um die globale Einbettung Deutschlands trotz ihrer einsamen Grenzentscheidung zu betonen.

"Selten haben wir so hautnah erlebt, wie unser eigenes deutsches Handeln und Tun in eine globale Welt eingebettet ist", sprach sie und teilte noch tiefergehende Erkenntnisse, die ihr neu waren: "Dieses Jahr hat uns in umfänglicher Weise bewusst gemacht: Wir leben in einer gemeinsamen Welt." In der könne  Zusammenarbeit die Probleme bewältigen, "wenn jeder seinen Beitrag leistet". 

Angela Merkel landete schließlich wieder bei Robert Harris, Stalin junior und dem Gleichnis mit den Fischern: "Ich bin davon überzeugt, oder andersherum: Wir schaffen das". 

Machtkampf im Hinterzimmer: Mit harten Bandagen

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Einst das strahlende Außengesicht Europas, jetzt unter Verdacht, ihren Posten bei der "angesehenen Graduiertenschule für Eurokraten" (reporteri.net) missbraucht zu haben: Federica Mogherini.

Sie war die Kommissarin mit dem von Amtswegen vorgegebenen Namen. "Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik", ungegendert, aber unbeschreiblich weiblich: Der Italienerin Federica Mogherini passte der Job des Außenministers eines Staates, der keiner ist, wie die Faust aufs Auge. 

Seit ihren Anfängen im Jugendverband der Kommunistischen Partei Italiens hatte die Frau aus Rom so lange einen privaten Rechtsrutsch vollführt, bis sie mit den "Democratici di Sinistra" in die große Gemeinde der Demokraten der Mitte aufgenommen werden konnte. "Sinistra" ist italienisch und hat nichts zu tun mit dem Englischer sinister.  

Leiterin eines vielstimmigen Chors 

Auch Mogherini war nie unheimlich, sondern ganz offen unterwegs. Sie leitete den vielstimmigen Chor der in außenpolitischen Angelegenheiten traditionell bis aufs Blut zerstrittenen Union mit klarem Kompass.  Sie war eine der ersten Politikerinnen, die  Sanktionen gegen Russland schon 2014 bescheinigte, erfolgreich zu sein. Dieser Erfolg, so Mogherini,  zeige sich vor allem darin, dass "die Strafmaßnahmen nötig sind, weil sie unsere einzigen Druckmittel sind, wenn wir eine militärische Lösung ausschließen".

Es schmerzte viele nicht nur im politischen Brüssel, dass die  deutsche Kommissionschefin Ursula von der Leyen die bewährte Kraft abschob, als sie den 13. Stock im Berlaymont-Palast bezog. Von der Leyen wollte mehr Bissigkeit, mehr Europa der Attacke. Mit der damals 46-Jährigen ging auch ihre "globale Strategie für die Sicherheits- und Außenpolitik der Staatengemeinschaft", die knallharte Absichten formuliert hatte.

Einfallsreiche Ideengeberin 

Mogherini wollte Frieden und Sicherheit fördern, den Schutz der EU und ihrer Bürger garantieren und sie war es, die schon neun Jahre vor Ursula von der Leyen wegweisend dachte und die "Stärkung der Anstrengungen in Schlüsselbereichen wie Verteidigung, Cybersicherheit, Terrorismusbekämpfung, Energie und strategischer Kommunikation" priorisieren wollte.

Statt dieses große Rad zu drehen, musste sie sich damit zufriedengeben, auf einen Versorgungsposten abgeschoben zu werden. Angesichts gewisser Vorwürfe, die seinerzeit im Raum standen, ein glückliches Ende. Ein paar Dutzend unter Mogherinis Aufsicht im Libanon versickerte EU-Millionen sind für Brüsseler Verhältnisse kein großer Aufreger, denn wo "strong support" versichert wird, gilt es stets etliche Taschen zu füllen.

Im Schatten des Katar-Skandals 

Doch der - Ältere erinnern sich - unglaubliche Katar-Skandal im EU-Parlament zeigte wenig später, dass es auf Summen nicht ankommt. Im Fall der griechischen EU-Vizepräsidentin Eva Kailis gelang es der belgischen Zentralstelle zur Bekämpfung der Korruption sogar nur, ein paar Geldsäcke zu finden, die sich später als Tüten herausstellten.  Drei Jahre danach ist Kaili zwar immer noch nicht angeklagt worden, geschweige denn verurteilt. Aber bürgerlich ist sie tot und wird es bleiben.

Federica Mogherini entging einem solchen schlimmen Schicksal. Als die Tür zur Kommission sich schloss, ergab es sich glücklich, dass gerade eine neue Rektorin für das College of Europe in Brügge gesucht wurde. Wer wäre besser geeignet gewesen als eine Frau, die ihrer wissenschaftlichen Karriere nach dem Studium der Politikwissenschaften noch einen Erasmus-Aufenthalt am Institut d’études politiques d’Aix-en-Provence in Frankreich hinzufügte, ehe sie hauptberuflich Politikerin wurde? 

Die beste Wahl 

Wie genau der Bewerbungsprozess lief, blieb unklar. Eben noch war sie die Außenministerin eines ganzen Kontinents gewesen. Und schon gab ihr die Kommission grünes Licht. Leise Stimmen nur mäkelten, dass "nicht jeder ihre Ernennung als Fall von Vetternwirtschaft" betrachte, viele Mitarbeiter und Alumni der Institution aber fänden, dass "die Regeln für die Ernennung eher entspannt interpretiert" worden seien. So hatte die Kandidatin Fristen nicht eingehalten. 

Aber herrje, wem ist das noch nicht passiert! Es bleibt doch alles in der Familie. Es war der belgische Ex-Premier Herman Van Rompuy, zwei Amtszeiten lang Chef des Europäischen Rates, der Mogherini eingeladen hatte, an sein Haus zu wechseln, jetzt, wo sie Zeit habe. 

Das College of Europe ist für "die europäische politische Elite, was die Harvard Business School für die amerikanische Unternehmenswelt ist". Hier werden Minister, Diplomaten, Botschafter und Richter, Abgeordnete und Präsidenten wie am Fließband ausgebildet. Hier lernt sich das Europa der Macht kennen, das später nie auf einen gemeinsamen Nenner kommt.

Mutter der Kompanie 

Und Mogherini ist die Mutter der Kompanie, deren Finanzierung die EU-Kommission sicherstellt, unterstützt von der belgischen Regierung, der Regierung in Warschau, der Stadt Brügge und der Provinz West-Flandern. Das Geld ist dennoch knapp. Die Eliteschmiede hat es bis heute nicht geschafft, auf ihrer Internetseite die geltenden Vorgaben der Europäischen Union zur Datensicherheit umzusetzen. Doch es gelang immerhin, die Geldgeber von jeder Verantwortung freizusprechen: "The Commission cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein", heißt es auf der Seite, die in einer knappen Pressemitteilung Verwunderung  über die "investigative actions taken by the European Public Prosecutor’s Office" zum Ausdruck bringt.

Dass zu diesen actions eine Festnahme der Rektorin Mogherini gehört, bleibt bei aller vollen Kooperation "mit den Behörden im Interesse der Transparenz und der Achtung des Ermittlungsverfahrens" unerwähnt, doch gerade dieser Umstand ist gehalten, im Lichte jüngster Ereignisse viel über das Leben im politischen Europa zu erzählen. 

Noch eine Krise in Europa? 

Gerade erst war dort eine "Krise" (FAZ) ausgebrochen, weil sich der belgische Regierungschef weigert, einen Plan der EU umzusetzen, mit dem sich die Kommission die Verfügungsgewalt über 140 bis 220 Milliarden Dollar russischen Auslandsvermögens zu verschaffen gedenkt. Kaja Kallas, Mogherins Nachfolgerin als "EU-Außenbeauftragte", hatte daraufhin gedroht, dass der Europäische Rat ab 18. Dezember tagen werde, bis "ein Ergebnis zur Finanzierung der Ukraine" erreicht sei. 

Die Festnahme der Vorgängerin wegen des "Verdachts auf Missbrauch von EU-Geldern" hat mit nichts zu tun, passt aber ins Bild. Mit Mogherini landeten auch ihr Stellvertreter und Stefano Sannini, Generaldirektor der EU-Kommission für die Beziehungen zum Nahen Osten, Nordafrika und die Golfstaaten, landeten in Polizeigewahrsam. 

Pöstchen wechsle dich 

Es bleibt alles in der Familie: Unter Mogherini diente Sannini als stellvertretender Generaldirektor für externe Dienste der Europäischen Kommission für Asien und Lateinamerika, danach war er Generaldirektor des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). In seiner Zeit an der Spitze des EU-Diplomatencorps schrieb das EAD ein neunmonatiges Diplomatenausbildungsprogramm aus, das das College of Europe schließlich ausrichten durfte.

Die belgischen Ermittler prüfen nun, ob sich der EAD und die Universität vorab abgesprochen haben, und vertrauliche Informationen von Sannini zu Moghrini sickerten, damit die Eliteschmiede weiß, was sie bieten muss, um auserwählt zu werden. Eigentlich eine Petitesse, denn so funktioniert Europa nun mal. Aber im Augenblick, nach den Kampfansagen der EU Richtung Belgien und den Ultimaten, die Polen und Deutschland den Belgiern gestellt haben,  könnte auch viel mehr dahitlerstecken. 

Dienstag, 2. Dezember 2025

Das Weihnachtswunder von Brüssel: Wo das Wasser nass wird

Die Verwalter in Brüssel wundern sich: Mitten in der multiplen Krise rutscht die EU in die Krise.

Noch ist nicht Weihnachten, noch ist die Zeit der Märchen und Wunder nicht richtig angebrochen. Doch in Brüssel geschieht schon das Unfassbare: Ein Wunder spielt sich ab, vor aller Augen, beobachtet und begleitet von Reportern, Kameras und Analysten aus aller Welt. Die FAZ hat das schier unmögliche Geschehen in eine prägnante Zeile gefasst: "Belgiens Blockade stürzt die EU in eine Krise".  

Eine deutsche Idee 

Es geht vordergründig um eine Idee des deutschen Bundeskanzlers, die er in gewohnter Weise lange abgelehnt, dann vorangetrieben und anschließend vergessen hatte. Der Trick sah denkbar einfach aus: Weil sich kaum ein EU-Land noch zusätzliche Schulden leisten kann, um die Ukraine weiterhin in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen, ist guter Rat teuer, an frisches Geld zu kommen.

Die Kassen sind leer, die Steuerzahler sauer. Noch höhere Abgaben würde Friedrich Merz wahrscheinlich überstehen. Schließlich wiegt die Warnung vor dem nach ihm kommenden Vierten Reich  immer noch schwerer als ein paar Euro weniger in der Kasse von Facharbeitern, Rentnerinnen und Millionären.

"Maximale Wirkung" 

Doch besser wäre eine Variante, die in EU-Chefetage schon seit Kriegsausbruch als Idee kursiert. Russland müsse selbst für den Kampf der freien Welt gegen Russland zahlen, das hatte Ursula von der Leyen schon kurz nach dem Einbruch der Russen in ihr Nachbarland vorgeschlagen. Später wurde sie noch konkreter. Russland sollte dann "für tausend Tage Verbrechen und Zerstörung bezahlen". 

Doch da der Kreml seine Mitwirkung verweigerte, kam es nie dazu so wenig wie zur "maximalen Wirkung" der genau darauf "optimierten" (Leyen) EU-Sanktionen. Russlands Pleite war im April 2022 nur "eine Frage der Zeit". Und dabei blieb es die folgenden dreieinhalb Jahre. 

Merz' Friedensplan 

Erst mit Friedrich Merz' Friedensplan kam neuer Schwung in festgefahrenen Schlachtplan. Mit einer  "Initiative zur Nutzung eingefrorener russischer Zentralbankgelder für die Ukraine" setzte der CDU-Politiker dem Kreml in seiner Rolle als Außenkanzler die Pistole auf die Brust. Öffentlich ging es um die "Nutzung von russischem Vermögen für die Ukraine" (DPA), indem so getan wurde, als planten die EU-Staaten, tatsächlich in Belgien eingefrorene russische Guthaben auszugeben.

In Wirklichkeit hatte der alte Blackrocker Merz eine  Special Purpose Vehicle ganz eigener Art erfunden. Die EU-Staaten, die seit Kriegsausbruch die Hand auf Russlands Guthaben gelegt haben, nehmen einen zusätzlichen Kredit auf. Haften aber nicht selbst für dessen Rückzahlung, weil sie das beschlagnahmte russische Geld als Sicherheit hinterlegen.

Das werde Russland nur dann zurückbekommen, wenn es nach Kriegsende Reparationszahlungen leiste, mit denen die Ukraine den Kredit ablösen könne. Nur für den - für Brüssel und Berlin völlig undenkbaren - Fall, dass sich Moskau weigere, würden die EU-Staaten einspringen.

 Der Angreifer soll zahlen

Genial. Der um die Ukraine wäre der erste Krieg gewesen, bei dem am Ende der Angreifer alle Kosten trägt. Selbst Hitlers Deutschland war deutlich besser weggekommen, denn alles, was die siegreiche Sowjetunion in ihren Besatzungsgebieten  abmontierte, reichte nicht annähernd, die elf Milliarden Dollar abzuzahlen, die die Vereinigten Staaten auf Kredit für den Kauf von amerikanischen Waffen vorgeschossen hatten. Bis in die 90er Jahre stotterte Russland seine Altschulden ab, insgesamt aber wurden doch nur 770 Millionen Dollar zurückgezahlt.

Brüssel sah nun die Aussicht, es besser zu machen. Merz' Idee, dem Kreml Frieden um den Preis anzubieten, dass er den Frieden bezahlen dürfe, erschien den Strategen in der Kommission so überzeugend, dass das Unternehmen schon als ausgehandelt und abgemacht verkündet wurde.

Nur die belgische Regierung, Gewährsmacht des Swift-Systems, in dem die 140 russischen Milliarden gefangen sind, schoss quer. Das Argument des belgischen Ministerpräsidenten Bart De Wever klang kleinlich: Wenn sein Land zulasse, dass sich die EU auf diese Weise gegen alle rechtsstaatlichen Vorgaben Verfügungsrechte über fremdes Geld verschaffe, werde demnächst niemand mehr Geld in Belgien anlegen.

Aus dem 13. Geschoss 

Für Deutschland ist das natürlich kein Problem, für Kommissionschefin Ursula von der Leyen ebenso wenig. Die Frau aus Niedersachsen, inzwischen zurückgezogen im 13. Geschoss des Berlaymont-Gebäudes lebend, arbeitet ohnehin an einer Enteignungsunion, um den Finanzplatz Europa zu stärken. Warum also nicht mit einem Präventivschlag gegen Russland starten? Friedrich Merz selbst hatte zuvor versichert, dass die geplante "Nutzung der Milliarden" geschehe, "ohne in die Eigentumsverhältnisse einzugreifen". Europa würde nur eine Hypothek auf Russland Geld aufnehmen, ohne Russland zuvor zu fragen.

Dass de Wever hart bleiben würde, kam gänzlich unerwartet. Natürlich hatte niemand unter denen, die an Russland Guthaben heranwollten, ernsthaft daran geglaubt, dass der Aggressor eines Tages die Kriegskredite der Ukraine zurückzahlen wird. Das ganze komplizierte Manöver diente nur dazu, nicht gleich selbst als Kreditnehmer auftreten zu müssen, sondern erst später, sobald sich nicht mehr leugnen lässt, dass sich Russland doch nicht zur Kasse bitten lässt.

"Grundsätzlich falsch" 

Doch dass der Belgier einknickt, das war vorausgesetzt worden. Hier geht es schließlich um wichtigeres als um den Finanzplatz EU. Nämlich um ein Zeichen der Einheit und Entschlossenheit, das Putin zeigt, dass er verloren hat. Ein Staatsmann, der das Vorhaben "grundsätzlich falsch" nennt, zerstört viel Vertrauen, dass es ohnehin nicht gibt.

Trotzdem aber stürzt der Belgier die EU mit einem Brandbrief an die Kommissionspräsidentin in eine Krise. Und das Erstaunliche daran ist, dass das überhaupt möglich erscheint. Sicher seit Jahren, wenn nicht bereits seit Jahrzehnten, steckt die EU ja bereits in einer Dauerkrise. Beinahe ohne Pause rutschte sie aus der Post-911-Krise von 2001 in die  große EU-Verfassungskrise nach dem Scheitern der Ratifizierung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005. 

Es fehle an Wachstum, es fehle an Innovation. Es fehlte an Wohlstandsgewinnen - doch 2008 kam schon die Finanzkrise. Alles stand auf dem Spiel. Die EZB musste all in gehen und ihren eigentlichen Auftrag beiseiteschieben, um Griechenland im Kollektiv zu halten.

Eine Krise nach der nächsten 

Das glückte, aber die Krise wurde nur von der nächsten abgelöst. Diesmal auf "Flüchtlingskrise" getauft, dauerte die bis heute, sie wurde allerdings überlagert vom Ausstieg der Bitten aus der Krisengemeinschaft. Nach dem zweiten Gesetz der Mediendynamik können Großereignisse nie gleichzeitig stattfinden, sie müssen immer fein hintereinander abgespult werden. Dennoch wurde der Brexit beinahe von der Corona-Pandemie überlagert. Und die war in Deutschland noch nicht mit einer Impfpflicht endgültig besiegt, als Putin schon angriff.

Ohne Krise war Europa nie – und doch, oh, Wunder, – bricht jetzt eine aus. Welthistorisch ist das äußerst selten, nach allen Lehren der schwarzen Physik sogar unmöglich. Hier gilt bis heute, dass Wasser nicht nass werden kann, Eis nicht frieren und Energie nicht erzeugt werden kann, weil sie immer schon da ist. Eine vertrocknete Zimmerpflanze kann nicht vertrocknen, ein verlorener Strumpf nicht verloren werden. Um eine Krise ausbrechen zu lassen, braucht es der Wissenschaft zufolge vorher zwingend einen krisenfreien Zustand. 

Neuer Ausbruch in Brüssel 

Die Zuversicht, die die FAZ mit ihrer Beschreibung eines Krisenausbruchs in Brüssel an den Tag legt, spottet nicht nur der Realität, sondern auch dem aktuellen Zustand einer Gemeinschaft, die keine ist. Ein Mitglied fliegt nach Moskau, um mit Teufel zu sprechen. Die anderen versprechen sich daraufhin gegenseitig, mit dem Abtrünnigen nicht mehr zu reden. Ein Mitglied verlangt von einem anderen, ermutigt durch die aktuellen Reparationsträume, neue Entschädigungen für den Zweiten Weltkrieg. Der zur Zahlung Aufgeforderte zeigt seine leeren Taschen vor. Findet aber keine Gnade.

Und jetzt kommt De Wevers Brief, eine Petitesse letztlich. Belgien gilt als klein, anschmiegsam und wegen der EU-Behörden in Brüssel als Hauptprofiteur der Europäischen Union. Ausgerechnet dieses Land, gesäugt von den Zitzen der Kommission, will nicht einknicken, "im Stillen die Rechtstexte aushandeln" und dann Mitte Dezember zuschauen, wie die Großen in der EU stolz "den Knoten durchschlagen" (FAZ). Neben Trump, der die russischen Milliarden in seinen Verhandlungen mit Moskau auch schon verplant, stört der kleine Belgier. Kommt es ganz schlimm, setzt er sich durch. Dann geht das Geld in den Wiederaufbau gehen, nicht in die Fortsetzungen der Kriegsanstrengungen. 

Die EU wäre blamiert. Und erst richtig in der Krise. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas will das unbedingt verhindern. "Wir werden den Rat im Dezember nicht ohne ein Ergebnis zur Finanzierung der Ukraine verlassen", hat sie den anderen geladenen Verhandlungsteilnehmern schon angedroht. Bis Heiligabend blieben nur knapp sechs Tage. 

Demokratie-Schutz: Umkehrkurse für Meinungsabweichler

Die ersten Absolventen eines Umkehrkurses der BBAA zeigen glücklich das Kuscheltier, das jeder erfolgreiche Prüfling am Ende der Schulung in Rechts- und Wertekunde kostenlos erhält.

Im Sommer stand sie die für ein paar Wochen im Mittelpunkt der Klassenauseinandersetzung. Frauke Brosius-Gersdorfs Nominierung als neue Verfassungsrichterin zog Gräben durchs Land, die mit jeder öffentlichen Diskussionsrunde tiefer wurde. Die Juristin, hochgelobt und schwer kritisiert, war sinnbildlich schon angeschossen, noch ehe der Bundestag über ihre Entsendung entscheiden konnte.  

Eine rechtspopulistische Online-Kampagne reichte aus, den Volkswillen der SPD auszuhebeln. Trotz parteiübergreifender Hinterzimmerabsprachen im Vorfeld gab es Unionspolitiker, die sich auf fadenscheinige Argumente wie die Freiheit des Mandats beriefen. Mit knapper Not nur gelang es der schwarz-roten Koalition, sich mit einer Vertagung in die Sommerpause zu retten. Und anschließend andere Kandidatinnen zu wählen.

Ein unendlich schmerzhafter Verlust 

Für Frauke Brosius-Gersdorf, die selbst mit einem Talkshow-Auftritt um ihre Reputation und Chance auf den Verfassungsrichterposten gekämpft hatte, war es eine schwere persönliche Niederlage. Für die junge deutsche Demokratie aber ein schwerer, vielleicht nicht wieder gutzumachender Verlust. Denn die 54-Jährige hätte nicht nur juristische Expertise mit nach Karlsruhe gebracht, sondern auch frische Ideen, wie unsere Demokratie weiter gestärkt und innerlich gegen Diffamierungskampagnen und in den sozialen Medien geäußerte Empörung gewappnet werden kann. 

In einem Land, in dem jeder alles sagen und meinen kann, der bereit ist, die sozialen und womöglich auch juristischen Kosten dafür zu tragen, kann von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit natürlich nicht die Rede sein. Wären bestimmt Ansichten oder Äußerungen verboten, wie es die Gegner der Gemeinschaftsgesellschaft häufig behaupten, könnten dazu entsprechende Gesetzestexte als Beweise vorgelegt werden. Dass das nicht der Fall ist, zeigt die Großzügigkeit, mit der der Gesetzgeber selbst noch nach Vorfällen wie der gezielten Verhinderung der Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf daran festhält, den zulässigen Meinungskorridor nicht fest zu umreißen, sondern seine Grenzen einem medialen und politischen Gefühl zu überlassen.

Viel zu viel und viel zu wenig 

Verglichen mit anderen Staaten werden in Deutschland schnell Meinungen als unzulässig aussortiert und die Äußerer mit Ächtung gestraft. Im Verglich zu anderen anderen Staaten hingegen wird viel gerade noch akzeptiert. Der Debattenraum wird fast nirgendwo ausdrücklich eingeschränkt wahr. Zuweilen schlagen die Diskutanten auch über die Stränge. Grenzen werden absichtlich ausgereizt und selbst menschenverachtende und geschichtsvergessene Positionen gehen vor aller Augen Gassi.

Frauke Brosius-Gersdorf, inzwischen wieder zurück in ihrem Lehramt, hatte daraus schon vor Wochen auf ihrem gewohnten Sendeplatz bei Markus Lanz Konsequenzen gezogen. Sie wünsche sich zwar auch, "dass wir mehr zulassen an Meinungsäußerungen". Doch die müssten sich "im zulässigen Spektrum bewegen", das deutlicher vom unzulässigen ab gegrenzt werden müsse. 

Gerade das Internet lasse es bis heute zu, "unwahre Tatsachenbehauptungen" oder sogar "Schmähkritik" irgendwo zu hinterlassen, wo Einträge von einem kleinen oder größeren Publikum wahrgenommen werden können. Brosius-Gersdorf Gruppen sieht darin ein fortgesetztes Missverständnis. Immer noch werde das Netz als rechtsfreier Raum gesehen, in dem sich auch unter dem Schutz der Anonymität argumentieren lasse, wie es irgendwem gerade in den Kopf komme.

Maßnahmen aus eigenem Erleben 

Auch aus eigenem Erleben hat sich die angesehene Juristin Gedanken gemacht, wie sich diese Art unzulässiger Ausnutzung von Artikel 5 Grundgesetz ausbremsen lässt. Einerseits schlägt sie vor, die das vom Bundesverfassungsgericht am 15. Dezember 1983 definierte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufzuheben.

Dieses Recht gilt heute noch Grundpfeiler des Datenschutzes, weil es jedem erlaubt, selbst über die Verarbeitung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Karlsruhe sah darin vor mehr als 40 Jahren einen notwendigen Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. 

Das Ende des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 

Es stützte sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Grundgesetz Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit GG Art 1 Abs. 1, die jedem Menschen die Befugnis geben, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Ein alter Zopf, wenn es nach Brosius-Gersdorf geht. Sie steht für ein neues Modell, das sozialen Medien die Auflage macht, eine Klarnamenpflicht einzuführen. Die Hoffnung dahinter: Meinungspluralität wird besser sichergestellt, wenn diejenigen, die schon ahnen, dass sie eine von vielen nicht geteilte Mindermeinung vertreten, ihre Ansicht aus Angst vor Konsequenzen für sich behalten.

Wer sich trotz dieser Gefahr für Ruf, Vermögen und Freiheit "unzulässig äußert", so hatte Frauke Brosius-Gersdorf weiterhin vorgeschlagen, solle nacherzogen werden. "Schulungen in Rechts- und Wertekunde bekommen" seien der richtige Weg, Menschen die Grundkenntnisse zur Teilnahme an einer sachlichen Debatte zu vermitteln. Einige hingeworfene Ideen nur, an deren Wirkungsmächtigkeit allerdings kein Zweifel bestehen konnte. Die Meinungsfreiheitsschutzmaßnahmen, die die "hochangesehene Wissenschaftlerin" (ARD) in Spiel bringt, wären imstande, Deutschland grundlegend zu verändern. 

Eine umfassende Übermittlung 

Die umfassende Übermittlung von "personenbezogenen Daten, die in individualisierter, nicht anonymer Form erhoben und verarbeitet werden", die das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil noch unter den Erlaubnisvorbehalt jedes Einzelnen gestellt hatte, würde Standard, genehmigt vom Gesetzgeber. Aus einem Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht würde eine vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung zum Zweck, Meinungsverstöße jeder Art umgehend ahnden zu können.

Jetzt erst und durch diesen fundamentalen Vorschlag zum Umbau der Meinungslandschaft durch Änderung der Verfügungsberechtigung über die persönlichen Daten wird klar, wie sehr Brosius-Gersdorf am höchsten deutschen Gericht fehlen wird. Sie, die als erste Kandidatin für ein Richteramt in Karlsruhe richtiggehend Wahlkampf machte, würde die seinerzeit von den Verfassungsrichtern Benda, Simon, Hesse, Katzenstein, Niemeyer, Heußner, Niedermaier und Henschel verfügten Vorgaben für mögliche Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinwegfegen. 

Schulungen in Rechts- und Wertekunde 

Kein Informationsinteresse einer Behörde oder eines privaten Unternehmens bedürfte mehr einer ausdrücklichen verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage. Bei keiner neuen übergriffigen Regelung gegen minderschwere Delikte wie Beleidigung oder üble Nachrede hätte der Gesetzgeber noch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen wären nur noch mit Blick auf die Schulungen in Rechts- und Wertekunde zu treffen, bei denen sich die Meinungsdelinquenten nach entdeckten Verstößen einzufinden hätten.

Wie es dann laufen könnte, das wird seit einigen Tagen in Warin ausprobiert, einem kleinen Städtchen im westlichen Mecklenburg, das es als Hauptstandort des Bundesblogampelampes (BBAA) zu einiger Bekanntheit gebracht hat. Obwohl Brosius-Gersdorfs Vorschlägen zu umfassenden Schutzlehrgängen für Meinungsverbrecher bisher offiziell noch von keiner Partei aufgegriffen worden sind, hat die Leitungsebene des BBAA sofort nach dem Bekanntwerden der Initiative der in Potsdam lehrenden Rechtsprofessorin mit den Planungen zu ersten Nachschulungen begonnen. "Wir sehen in diesen bildenden Erziehungsmaßnahmen ein mildes Mittel, Demokratieverstöße zu ahnden", sagt Herrnfried Hegenzecht, der dem BBAA seit 15 Jahren vorsteht.

Ein weiterer Schritt nach vorn 

In diesen anderthalb Jahrzehnten sei viel erreicht worden, sagt der höchste Meinungsfreiheitsschützer Deutschlands. Gerade mit der Einrichtung von Hassmelde- und Sammelstellen und der Etablierung der Trusted Flagger als vertrauenswürdige Abschnittsbevollmächtigte für die Aufsicht im Netz habe es einen kräftigen Schritt nach vorn gegeben. Doch wie mit Täter*innen umzugehen ist, die mit abweichenden Ansichten aufgefallen sind, das sorge auch in seinem Haus, einer Art Herzkammer der deutschen Meinungsfreiheitsaufsicht, immer wieder für heiße Diskussionen.

Soll oder muss man die Betreffenden hinter die Brandmauer verbannen? Oder ins Gefängnis stecken?  Reicht es, ihnen den sogenannten bürgerlichen Tod anzudrohen, um eine Verhaltensänderung zu motivieren? Oder muss die Meinungsfreiheit mit härteren Bandagen durchgesetzt werden? 

Die ersten Umkehrkurse 

Herrnfried Hegenzecht weiß es auch noch nicht. Aber der gelernte Philosoph und Soziologe ist einer, der Menschen nicht vorschnell verlorengibt. Den Stab über jemandem zu brechen, sei immer noch Zeit, sagt er. Deshalb habe man nach Brosius-Gersdorfs Vorschlag unmittelbar mit der Planung sogenannter "Umkehrkurse" begonnen. Der Name solle einladend und hoffnungsfroh wirken. "Wir wollten es vermeiden, von ,Schulung' und 'Erziehung' zu sprechen." 

Grundlage der Veranstaltungen, die aus jeweils fünf Doppelstunden Belehrung mit abschließender Demokratietauglichkeitsprüfung bestehen, ist das Prinzip der Kritik und Selbstkritik. "Die Kursanten werden mit ihren Fehlern konfrontiert, daraufhin erziehen sie sich gegenseitig, um Fehler zu korrigieren und ihre Persönlichkeitsentwicklung voranzutreiben."

"Konstruktiv, kausal und konkret" 

Es gebe kein Lehrer-Schüler-Verhältnis in den Demokratielehrstunden, vielmehr würden verbliebene Recht und unsere Werte "konstruktiv, kausal und konkret" unter Aufsicht erfahrener Mitarbeiter der Meinungsfreiheitsschutzabteilungen des BBAA anhand der Fälle der jeweiligen Teilnehmer verhandelt. "Daraus ergibt sich, dass jeder sowohl das Handeln anderer als auch das eigene kritisch hinterfragt, um Fehler zu erkennen, sich persönlich weiterzuentwickeln und die von uns gemeinsam angestrebten Ziele beim Verständnis der Grenzen der Meinungsfreiheit nach Art 5 zu erreichen." 

Die Kritik bleibe dabei sachlich bei den Meinungsverfehlungen Einzelner und fokussiere sich von dort aus auf die gesellschaftliche Situation oder das Ergebnis, das die unzulässige Meinungsäußerung ausglöste. "Daraus ziehen die Kursteilnehmer die Karft zur Selbstkritik und sie entwickeln die Fähigkeit, eigene Schwächen zu erkennen und daraus zu lernen."

Montag, 1. Dezember 2025

Grüner Sozialismus: Enterben für Anfänger

Es geht weiter, immer weiter: Der klare Zukufntsplan der Grünen setzt inzwischen auf den Staat als Universalerben. 

"Was für eine schaurige Ästhetik", klagt eine der Mitgründerinnen entsetzt. "Schwarz dominiert, darauf grüne Lichter wie Krawatten auf Anzug" bemängelt Jutta Ditfurth beim Blick auf die Bilder der Inszenierung des Parteitages, der die Grünen zurückführen soll zu einer realistischen Machtperspektive. "Die Vorsitzende trug olivgrün-schwarz", ätzt die frühere Führerin der Parteilinken. Sie habe zudem  betende Damen gesehen, die die Rede eines bleichen Vorsitzenden zu fürchten schienen, "zwischen dessen Pult und die Delegierten ein Wassergraben" passe.

Der Ekel der Alten 

Es sollte das große Comeback sein, weiter ohne Inhalt, aber als Zeichen unübersehbar. Eigens wegen ihres Richtungsparteitages verzichtete die grüne Chefetage darauf, sich in Gießen in die Schlacht gegen den Faschismus zu werfen. Nicht einmal eine Solidaritätserklärung war der bisher größte Kampf gegen Rechts seit der Bundestagswahl den Erben der Schily, Fischer, Trittin und Roth wert. Auf der Tagesordnung in Hannover, sichere zweieinhalb Auto- oder dreieinhalb Deutschlandticketstunden vom Schlachtfeld entfernt, standen fundamentale Fragen. 

Wie weiter mit dem Weltklima? Wie weiter mit dem Aufbau des Sozialismus? Und wo ist inmitten eines schrumpfenden linken Lagers, in dem sich immer mehr Splitterparteien um die Sympathie von Studenten, Lehrern, Beamten und Ministerialen balgen, noch Platz für eine Kraft, die sich einen grünen Wandel auf die Fahnen geschrieben hat, vor dem mittlerweile mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Angst haben?

Neue Umverteilungsversprechen 

Es geht um Umverteilungsversprechen, die wieder glaubhaft klingen. Die noch vom inzwischen ausgeschidenen und ausgewanderten Ex-Parteipaten Robert Habeck installierte neue Parteiführung weiß, dass es für Eingriffe nur "breite Akzeptanz gibt, wenn das Elend groß ist". In den Ampeljahren ist es gelungen, bei der Schaffung des Elends ein gutes Stück voranzukommen. Jetzt gilt es für die bisher farblos gebliebene Riege der Parteiführer Felix Banaszak und Franziska Brantner, Andreas Audretsch, Katarina Dröge, Britta Haßelmann und Jakob Blasel, die vom Duo Habeck/Baerbock leichtfertig verspielte Machtperspektive zurückzugewinnen.

Wer hat nocht was, wem lässt sich noch was nehmen? Diese große Frage beschäftigt nicht nur die Verwalter der leeren Staatskassen bei SPD und Union, sondern auich die Opposition. In diesen Schicksalstagen kurz vor einem drohenden Frieden an der Ostflanke gilt es, schnell noch durchzuregieren, ehe das Elend nachlässt, das harte Entscheidungen und tiefe Schnitte begründen kann. 

Die Facharbeiter sollen zahlen

An Einfallsreichtum fehlt es den Berufenen nirgendwo: Die CDU plant eine Umsetzung der als "Habeck-Steuer" bekannten Heranziehung der Erträge von Sparvermögen zur Finanzierung der Sozialkassen. Die SPD will "die Vermögen in Deutschland ganz anders verteilen". Die Linke möchte Erben, Überwohlhabende und alle sonstigen Guthaben überhaupt besteuern, am besten bis zu dem Punkt, an dem niemand mehr mehr hat hat als irgendjemand anders.

Die Grünen, das hat der Parteitag in Niedersachsen gezeigt, wären überall dabei, wenn es dem Ziel nützlich ist, sich aus dem Loch an Depression herauszuwühlen, in das die noch 2021 so siegesgewisse Partei durch die vielen jähen Wendungen  überall auf der Welt gestürzt worden ist. 65 Jahre nach ihrer Gründung steht die so lange jüngste und erfolgreichste Partei der Bundesrepublik vor dem Abgrund: Es fehlt ihr nicht nur an überzeugenden Führungspersönlichkeiten, es ihr fehlt auch an Visionen, an Glaubwürdigkeit und Konzepten. 

Wettbewerb der Linksparteien 

Im Wettbewerb mit den anderen vier Linksparteien SPD, PDS, CDU und BSW zielt die grüne Strategie auf dieselben Zielgruppen. Den fleißigen Facharbeitern und Ingenieure, die den ganzen Laden noch am Laufen halten, soll etwas mehr genommen werden. Um der eigenen Kernklientel der nach Betreuung und Bemutterung Lechzenden Geschenke zu machen.

Im Überbietungswettbewerb um die besseren Ideen und die schöneren Worthülsen, um den eigenen Anspruch auf alles Eigentum von jedermann begründen zu können, hat die oft als "Realo" geschmähte grüne Parteichefin Franziska Brantner in Hannover vorgelegt. "Leistung verdient Anerkennung. Arbeit verdient Wohlstand", hat sie dekreditiert.  Erben aber sei "kein Beruf! Erben ist keine persönliche Leistung". Erben sei mithin illegitim - ein  Fall für eine Vergemeinschaftung im Dienst aller. 

Vermögensaufbau bleibt erlaubt 

Geht es nach Brandtner, bliebe es weiter erlaubt, sich während der eigenen Lebenszeit mit harter Arbeit ein - gewisses - Vermögen aufzubauen. Mit dem Tod des Besitzers und Eigentümers aber würde dessen Verfügungsgewalt über das Ersparte erlöschen. Es wäre ihm untersagt, selbst zu bestimmen, wem sein Besitz nach ihm gehören soll.

Brantners Idee bedeutet den Bruch mit einer jahrtausendealten Tradition. Wie ihr Co-Vorsitzender Banaszak ist die Frau aus Neuenburg am Rhein westdeutsch sozialisiert. Ebenso wie der Duisburger Kollege wurde sie schon im Teenageralter als Perspektivkader entdeckt. Aufgezogen und ausgebildet fernab des deutschen Alltagslebens, will die Politikwissenschaftlerin den Erbfall, der seinen Namen den alten Germanen und ihren Begriff "arbija" verdankt, völlig neu organisieren. 

Statt dass mit dem Tode einer Person deren Vermögen an die von ihr bestimmten Erben übergeht, sieht Brantner eine andere Lösung vor: Der Staat nimmt erstmal vielleicht ein wenig mehr als heute, später irgendwann alles. und verteilt es neu.

Am Erbgraben 

Doch dieser populistische Versuch, die Bevölkerung entlang des Erbgrabens weiter zu spalten, war nicht das einzige bemerkenswerte Zeichen, mit dem die Grünen SPD, Linken, CDU und BSW von Hannover aus signalisierten, dass im Wettrennen und den schnellsten Weg zum Sozialismus wieder mit ihnen zu rechnen ist. 

Getreu der Marx`schen Devise, dass jede Partei angesichts der Aussicht auf 20 Prozent Stimmenzuwachs lebhaft wird, bei 50 Prozent positiv waghalsig, bei 100 Prozent alle menschlichen Gesetze unter ihren Fuß stampfe und bei 300 Prozent kein Verbrechen existiere, das sie "nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens", flunkerten die Redner*innen um die Wette.

Auswaschung der Erinnerungen 

Es ging um Homöopathie, die verboten werden soll. Um die Auswaschung aller Erinnungen an den Bündniskanzler Robert Habeck und eine "Abkehr" von dessen "pragmatischen Mitte-Kurs" (T-Online). "Links ist kein Schimpfwort", rief Banaszak, "sondern ein Auftrag!" Es ging dann wie immer um neue Verbote, neue Versprechen, eine neue Strategie sogar, für die die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin der Parteizentrale den schmissigen Slogan vom "sozial gerechten Klimaschutz" wiederaufgewärmt hat, den die Nahles-SPD in den 2010er Jahren als Monstranz vor sich hergetragen hatte. 

Viele Zeitzeugen von damals sind bereits verstroben. Viele Wähler erinnern sich nicht mehr. Die ehemals Aktiven sind wie der charismatische Thorsten Schäfer-Gümbel als Vorstandssprecher bei der staatlichen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit untergekommen oder wie Ex-Partechefin Andrea Nahles als Chefin der Arbeitsagenturen versorgt. Damit die alte Parole noch mal zieht, haben die Grünen auch das Wording ihrer Fensterreden verändert. 

Auf der Suche nach dem erdigen Touch 

Banaszak, der mit bizarren Demonstrativhandlungen seit Monaten versucht, seiner laborreinen Funktionärskarriere einen erdigen Touch zu verleihen, spricht jetzt Ghettoslang: "Ich glaube, es hackt" hat er in Hannover gerufen und vor allen Delegierten gestanden, dass sich als junger Mann sein erstes Auto gekauft habe. "Freiheit" sei das gewesen, sagt Felix Banaszak, der angesichts seiner Tat seinerzeit keine Schuldgefühle spürte.

Heute sieht das anders aus. Heute steht die Klimakatastrophe vor der Tür. waren es am 28. März 2022 noch 1028 Tage bis zum Termins des Weltuntergangs, liegt der heute schon 315 Tage in der Vergangenheit. Höchste Zeit für die Grünen, wieder grüner zu werden, dabei aber diesmal als roter. Die Kunst, in der sich die Parteiführung zu üben versucht, besteht darin, am Drängen aus Transformation, Deindustrialisierung und Energieausstieg festzuhalten. Doch statt Menschen für ihren Konsum zu kritisieren und höher zu besteuern, will man Konzerne mit höheren Abgaben und Steuern unter Druck setzen. Die sollen dann die Leute zur Kasse bitten. 

Vielen wird es besser gehen 

Zugleich zu versichern, dass es niemandem schlechter, vielen aber besser gehen werde, wenn eines Tages alles geschafft sei. Denn die Rechnung für die Klimakrise würde ab sofort nur noch diejenigen bekommen, die sie bezahlen könnten und bezahlen müssten. Der grüne Sozialismus mischt die Parteifarbe mit einem kräftigen Rot. Die Farblehre bestimmt das Ergebnis.

Felix Banaszak hat damit eine Art Beruhigungsformel gefunden. Jeder darf sich zur richtigen Seite zählen. Dann hat er auch nichts zu befürchten. Wo die Grenze dessen liegt, was zumindest derzeit noch als akzeptabel und erlaubt gilt, hat der grüne Vorstand beschlossen. Für "einmal im Jahr nach Malle" oder ein eigenes Auto solle sich niemand mehr schämen müssen. Was darüberhinausgehe aber sei "schamlos". So nennt Banaszak in Hannover "Vielreisende mit Luxusyachten" - ein recht unbestimmtes Feindbild, auf das sich alle einigen können.

Feindbild Freiheit 

Der 36-Jährige, der noch keinen Tag seines Lebens mit einer Erwerbstätigkeit außerhalb der grünen Nomenklaturinternate verbracht hat, zeigt sich als gelehriger Schüler des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering. Der hatte den Ruf seiner Arbeiterpartei vor Wahlen stets mit gezielten Hass- und Hetzkampagnen gegen "Manager und Spekulanten" poliert. 

Und die "Haltet-den-Dieb"-Strategie funktionierte immer wieder zuverlässig. Neid zu schüren, den "Raubtierkapitalismus" zu verdammen und das "Leitbild der sozialen Marktwirtschaft" zu beschwören, die hervorrgaend funktionieren würde, gäbe es nicht Wohlhabende, Reiche und Überreiche, verschaffte der SPD den Ruf, zwar von einer abgehobenen Funktionärskaste angeführt zu werde. Aber trotzdem noch die Partei der kleinen Leute zu sein.

Im Zwölf-Prozent-Käfig 

Um die buhlen nun auch die Grünen, bis hierher politische Vertretung von gut situierten Beamtensöhnen, Behördenmitarbeitern, in NGOs staatlich Engagierten und Medienarbeitern. Aus dem Käfig der nicht einmal zwölf Prozent führt kein anderer Weg, das zeigen die Umfragen. Selbst nachdem der Hype um Linkspartei und BSW abgeebbt ist, tut sich nach oben nichts. Wie auch, bestand doch die Botschaft der Grünen bisher ausschließlich darin, den Schwarz-Roten zu bescheinigen, dass sie gar nichts richtig machen, das aber durchweg auch noch komplett falsch.

Für eine Partei, die mit dem besten Wirtschaftsminister aller Zeiten die längste Rezession der deutschen Geschichte gelenkt und geleitet hat, ist das zu wenig, um die Massen zu überzeugen. Deshalb also jetzt der Spagat: Einerseits weiterhin Klima, denn jede Abkehr würde den winzigen Rest an Glaubwürdigkeit kosten, den die Grünen  hier und da noch genießen. 

Dazu aber das Soziale als neues Versprechen: Vater Staat werde alles richten, ohne Verbote diesmal, nur mit finanzieller Hilfe für die, deren Nöte man neuerdings für wichtig hält. Selbst das "Klimageld", jenes Geldphantom aus Ampelzeiten, das nie Realität wurde, nimmt der um keine Peinlichkeit verlegene Banaszak wieder in den Mund.

Es gibt auch wieder Klimageld 

Ja, würden die Grünen noch einmal in Verantwortung gewählt, werde es das Klimageld geben. Diesmal aber wirklich. Und nein, nicht jeder Flug oder jede Autofahrt sei verantwortungslos, diese Hand strecken die Grünen der Gesellschaft großherzig entgegen. Vorerst werde man gegen Flüge mit Privatjets kämpfen, auch Passagiere der 1. Klasse sollen mehr zahlen. Das Geld wird zum Umverteilen gebraucht, weil statt der Peitsche jetzt das Zuckerbrot überzeugen soll. Das Ideal, das am Ende eericht werden soll: Du sollst nichts besitzen, was Dein Nachbar nicht auch ha. Und Du sollst nicht wünschen, was er nicht ebenfalls vergebens begehrt.

Bald ist alles möglich 

Dass das alles nicht gelingt, darauf hoffen nicht nur die Konkurrenten bei der Linkspartei, in der Union und bei der SPD. Auch Ricarda Lang, die von Robert Habeck brutal ausgewechselte frühere Parteivorsitzende, steht beim Parteitag in Hannover nicht nur kurz auf dem Podium, um zu zeigen, dass sie noch da ist. Sondern auch an der Seitenlinie, wo sie sich warm hält für den Tag ihrer Rückkehr. Schon nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr dürfte es soweit sein. 

Nur noch ein paar krachende Niederlagen, und die grüne Partei ist bereit für Eingriffe, für die es nur "breite Akzeptanz gibt, wenn das Elend groß ist".

Bärbel Basta: Kampfansage an den Kapitalismus

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Bärbel Bas zieht andere Saiten auf.

Wofür sie eigentlich noch steht, für wen und weswegen, das war bei der deutschen Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren zunehmend unklar. Die große, alte Partei der Bebel, Brandt und Schmidt irrlichterte durch ihre eigene Geschichte. Sie war gegen die deutsche Einheit, weil die zu teuer werden würde. Sie war für einen strengeren Sozialstaat, aber kurz darauf schon wieder dagegen.  

Herrschaft der dritten Garnitur 

Sie setzte großzügige Regeln für die in Kraft, die nicht arbeiten können oder wollen. Und strenge für die, die eine experimentelle Impfung verweigerten. Ihre Spitzenfunktionäre wechselten schneller als die Wählerinnen und Wähler sich ihre Namen merken konnte. Inzwischen hat die dritte Garnitur übernommen - der Parteivorsitz führen charismatische Figuren, die in jeder früheren Ära der SPD Mühe gehabt hätten, Kreisvorsitzender im nordrhein-westfälischen Kleinbecken zu werden.

Der Erfolg ist dem klaren Kompass der Genossen gefolgt. Binnen von nur 20 Jahren hat die älteste noch aktive deutsche Partei die Hälfte ihrer Wähler verloren. Nicht einmal die Union hat das geschafft. Aus der zweiten Volkspartei ist in einigen Bundesländern die erste Kraft geworden, die Aussichten hat, künftig außerparlamentarisch arbeiten zu dürfen. Das lässt die Alarmglocken im Willy-Brandt-Haus schrillen und die beiden Parteivorsitzenden nach neuen Feindbildern suchen, gegen die sich symbolisch mobilisieren lässt.

Blanke Nerven bei Brandts Erben 

Die Reichen waren es schon, die Vermögenden, die Ostdeutschen, die Rechten und die Juden. Gebracht aber hat es alles nichts. Die SPD-Zustimmungskurve gleicht einer flat line: Seit der Bundestagswahl sind es um die 14,5 Prozent eiserner Anhänger, die den Sozialdemokraten die Treue halten, ganz egal, was sie tun oder lassen, sagen oder verschweigen. Angesichts der anstehenden Landtagswahlen liegen die Nerven blank, auch bei Bärbel Bas. Nach einer über drei Jahrzehnte andauernden Parteilaufbahn im Schatten Lauterer und Stärkerer war die 57-Jährige erst 2021 mit einem ersten bedeutsamen Posten belohnt. Bas wurde Bundestagspräsidentin. Und der Job als zweithöchste Repräsentantin des Staates zum Sprungbrett zu noch höheren. 

Seit der Neuordnung der Parteispitze ist Bas eine der beiden Parteivorsitzenden. Nebenher stemmt sie mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch eine wichtige zweite Verantwortung - souverän, ruhig und bestimmt. Den "klaren Kompass", an dem sich Bundeskanzler Friedrich Merz nur zu orientieren vorgibt, den hat Bas wirklich in der Tasche. 

Als sie vor einer Woche beim Arbeitgebertag für ihre These ausgelacht wurde, die Festschreibung der sogenannten "Renten-Haltelinie" über 2031 hinaus aus Steuermitteln finanziert werde und deshalb nicht die Beitragszahler belaste, fand die Ministerin das "überhaupt nicht lustig". Faktisch habe sie doch recht. Die Gruppen der Beitrags- und der Steuerzahler überschneiden sich in großen Teilen. Identisch freilich sind sie nicht.

Die Geschichte einer Verhöhnung 

Zu Bas' Leidwesen machte die Geschichte ihrer Verhöhnung trotzdem die Runde. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten: Beim Juso-Kongress in Mannheim kartete die  frühere Beisitzerin und Vorsitzende des Juso-Unterbezirksvorstands Duisburg kämpferisch nach. Bas erklärte den "starken Sozialstaat zum Gegenentwurf zum Faschismus", denn er bedeute, "dass niemand zurückgelassen wird und vor allen Dingen auch niemand aussortiert wird". Zu sehen sei aber derzeit, rief sie dem Parteinachwuchs zu, dass er angegriffen werde. "Und zwar von neoliberalen Dogmen, von Sparpolitik und von jenen, die soziale Sicherheit nur als Kosten begreifen". 

Mindestlöhne, Tarifbindung, Rente, Gesundheits- und Pflegeversorgung sowie Arbeitnehmerrechte würden zu Verursachern der Wirtschaftskrise erklärt. "Im Fahrwasser einer Wirtschaftskrise wird die soziale Marktwirtschaft gerade infrage gestellt" teilte Bärbel Bas ihre Analyse der Situation nach inzwischen zwölf Jahren ununterbrochener SPD-Regierungsbeteiligung und drei Jahren tiefer Rezession mit. 

Kein Vergeben, kein Vergessen 

Dann kam sie zu den Verletzungen, die ihr auf dem Arbeitgebertag zugefügt worden waren. Sie habe sich an diesem Tag dafür starkgemacht, auch diejenigen Menschen nicht zu vergessen, die nur von der gesetzlichen Rente leben, "und ich hab' die Steuerfinanzierung des Rentenniveaus angesprochen". Dafür sei sie ausgelacht worden.

Ein Affront, den Bas nicht zu vergessen bereit ist. Vielmehr nutzte sie die Gelegenheit, die Täter zu markieren: "Da saßen sie – sagt das jetzt mal ganz offen: Ja, meistens waren es Männer in ihren bequemen Sesseln, der ein oder andere im Maßanzug –, und die Ablehnung war deutlich zu spüren." Es ist die Ablehnung einer Frau, die in diesem Moment gerade an die Menschen denkt, "die auf unsere Solidarität angewiesen sind: Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, oft körperlich hart. Oft schlecht bezahlt, oft bis an die Grenzen ihrer Kraft." Und die unversehens noch einmal erkennt, "wo die Linien in diesem Land wirklich verlaufen: Nicht zwischen Jung und Alt". Sondern zwischen Arm und Reich, "zwischen denen, die Sicherheit brauchen, und denen, die sie für Handelsware halten".

Bärbel Bas spricht Klartext. Das sei "besonders deutlich geworden ist, gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen", wirbt sie bei der unruhevollen Jugendorgansiation ihrer Partei um Vertrauen. Junge Genossen, alte Genossen. Zusammen gegen den Kapitalismus, gegen Unternehmer in Maßanzügen. Gegen Männer in bequemen Sesseln. Gegen Gutbezahlte. Gegen die, die nicht auf unsere Solidarität angewiesen sind.

Ruhe an der Lohnfront 

Die Propagierung von Ruhe an der Lohnfront, oft begründet mit dem Hinweis, dass die Last einer forcierten Aufrüstung immer von der Generation getragen werden, zu deren Zeiten sie geschieht, gleichgültig ob sie durch höhere Steuern oder durch Staatsverschuldung finanziert wird, fegt Bas beiseite.

Sie ist wieder dort, wo alles anfing, ehe die soziale Marktwirtschaft die realen Lohnsteigerungen so zu gestalten wusste, dass der frühere EZB-Chef Mario Draghi im vergangenen Jahr in seinem Draghi-Bericht konstatieren konnte, dass in den vergangenen Jahren auch die Löhne und Gehälter in Deutschland gestiegen. Dabei aber Wohlstandsverluste zu verzeichnen gewesen seien.

Auf dem Essener Parteitag 1927 war der damalige KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann ähnlich deutlich geworden. "Die Unternehmer sind die Todfeinde der Arbeiterklasse" sagte er und er beschrieb die Männer in den Maßanzügen noch deutlicher: "Der Kapitalist ist ein Parasit, der vom Schweiß der Arbeiter lebt - ihn zu beseitigen ist die vornehmste Aufgabe der Arbeiterklasse." Erst wenn der Arbeiter die Fabrik besitze, besitze er die Macht, deshalb müsse die Unternehmerklasse verschwinden. „Die Ausbeutung des Menschen durch den Unternehmer muss ein für alle Mal beseitigt werden."

Enteignung der Enteigner 

Die Expropriation der Expropriateure genannte Enteignung der Enteigner zielte auf den privaten Unternehmer als den Hauptfeind der sozialistischen Produktionsweise. Dass Kurt Schumacher 1947  einlenkte und der SPD aufgab, "für die Gleichberechtigung aller Menschen und für ihre geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit" zu kämpfen, führte auf einen Irrweg, den Bärbel Bas jetzt beendet. Lenins sagenumwobener Satz, dass "die Kapitalisten uns alles verkaufen werden, was wir brauchen, um sie aufzuhängen – das Seil inbegriffen", erkor den Unternehmer schon vor 100 Jahren als den natürlichen Feind des Arbeiters. 

Die Sozialpartnerschaft hegte ihn ein, schminkte ihn auf - doch jetzt fällt die Maske. Nach dem Gesetz der Einheit und des Kampfes der Gegensätze „muss an der Tür des Imperialismus mit Entschlossenheit gekämpft werden, "mit Mut und mit der Bereitschaft, sein Leben zu geben", wie Che Guevara einmal gesagt haben soll. Juso-Chef Philipp Türmer ist in Mannheim sicher nicht zufällig in einem Aufzug aufgetreten, der an eine Guerilla-Uniform erinnerte. 

Omas letzter Cent 

Wie Bas fordert auch der Anführer des roten Jungadels höhere Steuern für alle, die über "hohen Kapitalvermögen" verfügen. Türmer definierte "hoch" nicht näher, klagte aber, dass diejenigen "zu wenig zur Finanzierung des Sozialstaates" beitrügen. "Ich jag' doch nicht meiner Oma hinterher, um ihr die Cents aus dem Portemonnaie zu klauen, wenn Milliardenerben keinen Cent Steuern zahlen", gestand der 29-Jährige, dessen Beitrag zur Finanzierung des Sozialstaates bislang aus zwölf Jahren an der Uni bestand.

Gemeinsam ziehen die jungen und die alten Sozialdemokraten nun wieder in den Klassenkampf, nicht ganz einig über die Härte der notwendigen Klassenauseinandersetzung, aber Schulter an Schulter. Nach Mao Zedong kann die Wahrheit im Kampf gegen bürgerliche Ideologien und die von ihnen verteidigte imperialistische Wirtschaft nur in der Praxis gefunden werden - der Kampf gegen den Kapitalismus ist ein Kampf gegen den Irrtum, an dessen Ende nicht nur Befreiung, sondern Erkenntnis wartet.