Montag, 23. Juni 2025

Die Völkerrechtler: Bewaffnet mit Illusionen

Völkerrecht, Urananreicherung, GBU-57, Tarnkappenbomber, Natanz, Revolutionsgarde, Atomwaffen
"Vorübergehend geschlossen": Die iranischen Atomanlage in Natanz.

Trump hat es getan, er informierte den deutschen Bundeskanzler zuvor nicht einmal. Auch die EU-Kommissionspräsidentin lag nichtsahnend im Bett, als die US-Air-Force mit einem Langstreckenflug Richtung Asien die Vorlage schuf für deutsche Fliegerromantik mit elegant gleitenden Tarnkappenbombern und Auslöschungsfantasien durch die "Tiefenbombe" GBU-57, deren prachtvolles Werk jedoch nur kurz vorbehaltlos bestaunt werden konnte.

Entsetzen und Bedenken 

Schnell waren sie wieder da, die Bedenken. Und am lautesten dort, wo  wie immer das schlimmsten betroffene Gebiet liegt: 2.000 Kilometer Luftlinie von den Anreicherungsanlagen in Natanz entfernt wuchsen die Sorgen von Kommentatoren, Völkerrechtlern und Aktivisten mit jeder Sekunde, in der sich der Staub über den Einschlagkratern nahe der Mahabad-Zavareh-Straße legte. Deutschland, gemeinsam mit seinen EU-Partnern noch 50 Minuten nach zwölf ein geduldiger, vor keinem Kompromiss zurückschreckender Partner des Mullah-Regimes in Teheran, war über die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf die militärischen Kapazitäten der Revolutionsgarde entsetzt. Über den Angriffsbefehl des US-Präsidenten auf die Urananreichungsanlagen aber waren sie empört. 

 Eine Missachtung der Bedenken Europas, das noch wenige Stunde  vorher versucht hatte, bei einem Treffen mit dem iranischen Außenminister den Eindruck zu erwecken, zwischen "wir reichern Uran für eine Bombe an" und "wir reichern kein Uran an" gebe es eine Kompromissformel, die das eine zulässt, im gleichen Atemzug aber auch das andere garantiert. 

Getroffene Hunde 

Mit 408 Kilogramm auf 60 Prozent angereichertem Uran, wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) im Juni 2025 meldete, war Teheran nur noch einen kleinen Schritt von waffenfähigem Material entfernt. Dass Teheran hinter den Terrororganisationen Hamas, Hisbollah und auch hinter den Huthi im Jemen steht, zeigte sich, nachdem Israel die Hamas-Führer Ismail Haniyya in Teheran und den Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah in Beirut getötet hatte: Der Iran antwortete mit Raketenangriffen auf Israel, obwohl weder Haniyya noch Nasrallah iranische Staatsbürger waren.

Seit der Einschlag der GBU-57 den Träumen Europas von einem Alleingang ohne die Amerikaner ein Ende gesetzt haben, leidet Deutschland mehr denn je an Völkerrechtsbruch: Hätten die Israelis sich so früh schon wehren dürfen? Durften sie es überhaupt? Und wenn, dann so? Was ist mit Trump und dessen Versprechen, Amerika aus Kriegen herauszuhalten? Hat er das gebrochen? Ist das erlaubt?  Muss das Konsequenzen haben? Amtsenthebung? Haft? Müsste die UNO nicht jetzt? Der Sicherheitsrat? Oder der Internationale Gerichtshof?

Angst davor, der Nächste zu sein 

Völkerrechtler wie der bekannte ARD-Journalist Georg Restle, aber auch Friedenspolitiker der Linken, der SPD und aus anderen Parteien bis hin zur AfD haben gemeinsam gemahnt. Wer Trump diese Schläge durchgehen lasse, müsse damit rechnen, als nächster bombardiert zu werden, unkte Restle. Die moskautreue SPD-Fraktion schäumte, die revolutionäre Antifa suchte den Schulterschluss mit den totalitären Islamisten der antisemitischen Pro-Palästina-Bewegung. 

Die USA wollten verhindern, dass ein weiteres Land zur Atommacht wird, vermerkt die "Zeit" in großer Sorge, denn "Sie könnten das Gegenteil erreichen". Wäre es nicht besser gewesen, weiterhin so zu tun, als versuchten die schiitischen Islamisten im Iran nicht, sich nuklear zu rüsten, um unangreifbar zu werden? 

Natürlich dürfe der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen kommen. Der Weg dahin aber müssten Verhandlungen sein wie noch immer in den zurückliegenden 25 Jahren, keine Bombardements. Die Zerstörung der Nuklearanlagen in Fordo, Natans und Isfahan, so schreibt das Blatt, sei wie schon Israels Luftschläge gegen den Iran ein "Bruch des Völkerrechts" gewesen, jener heiligen Kuh der regelbasierten Ordnung, an die sich alle immer genau so lange halten, wie sie glauben, davon zu profitieren. Wechselt der Bedarf, wechselt die Akzeptanz. 

Hauptsache beliebt 

Ruft das Volk, kann alles richtig sein: Gerhard Schröder wurde dereinst zum beliebtesten deutschen Politiker, als er dem amerikanischen Präsidenten beherzt mitteilte, dass keine deutschen Soldaten an der Seite der US-Armee ausrücken werden, um den Nahen Osten zu befreien. Boris Pistorius, Obergefreiter, Osnabrücker Oberbürgermeister und niedersächsischer Innenminister, gelingt dasselbe Kunststück, indem er das Gegenteil tut. 

Bis 2029, dem Jahr, in dem Putin seine "Krüppel-Bataillone" (n-tv) Richtung Westen in Marsch setzen wird, sollen Heer, marine und Luftwaffe kriegstüchtig genug sein, um die "schwerverletzten Soldaten in Rollstühlen und auf Krücken" zurückzuschlagen, die der Kreml heute schon ohne Gnade an der Front verheizt.

Die "Drecksarbeit" wie es Friedrich Merz genannt hat, wird außerhalb erledigt. Die Anklagen werden in Deutschland formuliert. Die Weltpolitik ist aus Berlin, München und Hamburg betrachtet kein Handwerkszeug, mit dem sich Staaten im Geschäftsverkehr Vorteile zu erwirtschaften hoffen, sondern ein absolut gesetztes Recht, das zu missachten nur den Stärkeren nützt, Deutschland aber schadet. 

Verboten und erlaubt 

Seit sich eine Bundesregierung Ende der 90er Jahre legitimiert sah, das  nach Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta geltende Verbot jeder "Androhung und Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt"  eines höheren Zweckes wegen ignorieren zu dürfen, klingt die Klage hohl, dass das Völkerrecht immer zu respektieren sei. Gleichwohl sind es die, ausgerechnet die, die den Straftatbestand der Aggression unabhängig vom Deutschlandbezug vor deutschen Gerichte verhandeln lassen, die vom drohenden Flächenbrand, dem Völkerrecht als Bollwerk der Zivilisation und der Notwendigkeit barmen, dass nun erst recht jedes Unrechtsregime der Welt nach Atomwaffen streben werde.

Vorbild sein, die andere Wange hinhalten, den Frieden vorleben, das wäre Deutschlands Weg, hätte ein grausamer Gott die wirtschaftliche, demokratische und moralische Führungsmacht der EU an einen Ort auf der Erde gelegt, an dem sie ringsum von Feinden umgeben wäre, die kein Hehl daraus machen, dass sie es als ihre historische Aufgabe betrachten, ihren Nachbarn rückstandslos auszuradieren. 

Der Traum von der Operettenarmee 

Deutschlands Regierungen würden deeskalieren, sie hätten die Bundeswehr zu einer demonstrativ wehrlosen Operettenarmee gemacht und versucht, durch ausgestellte Wehrlosigkeit zu beweisen, dass es gemein wäre, ein so hilfloses Land zu vernichten. Das Völkerrecht, das immer so lange ohne die geringste Einschränkung gilt, wie sein Verteidiger es als Angriffswaffe nutzen können, wäre Deutschland einziger Schild. Die Hoffnung, genug Mitleid zu erregen, um Gnade zu finden, sein größter Schutz.

Diesen hohen moralischen Anspruch erhebt Deutschland naturgemäß auch gegenüber anderen, wenn auch nicht gegenüber allen. Die hitzige Debatte darüber, ob Israel durfte, was es tat, und ob den Vereinigten Staaten erlaubt war, was sie unternommen haben, ist zuvorderst dazu angetan, den Mantel des Schweigens über den vielen, vielen Jahren zu belassen, in denen die Verstöße des Iran gegen das Völkerrecht achselzuckend hingenommen wurden. Die Mullahs rüsteten Terrorgruppen aus? Die Mullahs finanzierten Armeen, die ganze Staaten übernahmen? Sie organisierten Terroranschläge, sabotierten den Welthandel, paktierten mit dem Kreml und verstießen gegen Verträge, an die die EU ihr ganzes Selbstbild als  bedeutsame Kraft auf globalen Bühne knüpfte. 

Selbstgespräch in unserer Demokratie 

Empört reagierte in Deutschland niemand. Schurkenstaaten tun, was Schurkenstaaten tun. Wenn, dann war es immer das demokratische Israel, das kritisiert wurde. Jeder, der Honig aus Warnungen, Mahnungen und strategischen Hinweisen ziehen wollte, weiß zwar, dass weder in Teheran noch in Jerusalem noch in Washington irgendjemand zuhört, wenn "unsere Demokratie" ein Selbstgespräch darüber führt, was alles anders wäre, würde Deutschland endlich etwas zu sagen haben. Aber als Ablenkungsmanöver von der eigenen Irrelevanz ist ein lautes Nachdenken über Völkerrecht, die sagenhafte "regelbasierte Weltordnung" und eine dem US-Präsidenten womöglich drohende innenpolitische Krise die beste Art, im Spiel zu bleiben.

Oben, auf der Tribüne, kollidieren Doppelmoral und Ignorant mit der verrückten Vorstellung, es gebe jenseits der Macht, die aus Stärke kommt, eine Weltordnung, die auf Vertrauen in die Lauterkeit des anderen und dessen unbedingte Vertragstreue beruht. Wie noch jedes Mal, wenn die Politik an das Ende ihrer Mittel gekommen ist, übernimmt der Krieg. 

Ein Spielball für starke Teams 

Das Völkerrecht, theoretisch eine der größten Errungenschaften der Zivilisation, wird zum Spielball geopolitischer Interessen: Die UN-Charta verbietet die Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit eines anderen Staates. Artikel 51 aber erlaubt sie als Ausnahme, wenn es um die Selbstverteidigung geht. Die einen berufen sich auf dies, die anderen auf das. 

Einmal sind die US-Angriffe auf die Atomanlagen in Fordo, Natans und Isfahan ein neuer Tiefpunkt der Aushöhlung des Völkerrechts. Ein andermal zeigen sie, wie die Menschheit aus den Fehlern gelernt hat, die der britische  Premierminister Neville Chamberlain beging, als er glaubte, Hitlers Deutschland mit einer Beschwichtigungspolitik beruhigen und so einen Krieg vermeiden zu können.

Völkerrecht als Instrument 

Die 14 bunkerbrechenden Bomben, die nuklearen Kapazitäten Irans ganz oder teilweise zerstört haben - Donald Trump schwärmte von "monumentalen Schäden" und "Volltreffern" infolge der Operation "Midnight Hammer" - haben das Völkerrecht einmal mehr als ein Instrument enttarnt, das kaum mehr ist als eine Übereinkunft auf Benimmregeln für schöne Tage. Aus allen Ritzen kommen die Völkerrechtler gesprungen, die einen eklatanten Verstoß gegen die Vorschriften bemängeln. Ehemalige Bundesverfassungsrichter sirgen sich, weil präventive Angriffe völkerrechtlich kaum haltbar seien. So lange die Mullahs in Teheran es schaffen, Israel nur durch Stellvertreter anzugreifen und ihre Atombombe zu bauen, ohne dass es einen klaren Beweis dafür gebe, dass sie sie bauen, sei Selbstverteidigung nicht legitimiert.

Für Deutschland, aufgrund seiner außenpolitischen Unsichehreit einer der eifrigsten Verfechter einer regelbasierten Weltordnung, die Richtig und Falsch automatisch bestimmt, ist diese Position ein schöner Rückzugsort. Einerseits kann Bundeskanzler Friedrich Merz den Amerikanern fünf Prozent für Verteidigung zusagen. Andererseits nicht glücklich über Washingtons entschiedenes Vorgehen ohne Rücksprache mit seinen Verbündeten sein. Das Auswärtige Amt schickt vage Appelle zur Deeskalation an beide Seiten. Das Verteidigungsministerium vollendet den Kniefall vor Washington, indem es mindestens 220 Milliarden für Waffen, Soldaten und Stützpunkte zusagt - eine Summe, die etwa der Hälfte des gesamten Bundeshaushaltes entspricht.

Komplize und Gegner 

Die Bundesrepublik ist Komplize und Gegner in einem, sie liefert Waffen und warnt vor ihrer Anwendung, sie hat Verständnis und ist empört. In der traditionellen Doppelmoral des "Wehret den Anfängen" und "Nie wieder", kombiniert mit der Betonung, auch die Mullahs seien sicherlich mit vertrauensbildenden Maßnahmen vom Vorteil eines Atomverzichts zu überzeugen, fühlt sich Deutschland zu Hause und in Familie mit der EU. Bis heute haben weder Brüssel noch Berlin Irans Revolutionsgarden, die größte und mächtigste Terrororganisation der Welt, auf die offizielle Terrorliste gesetzt, aus Furcht davor, sich den Zorn der Mullahs zuzuziehen.

 

Die Macht aus der Mitte: Links, wo das Herz schlägt

Die Linke musste nicht einmal erneut ihren Namen wechseln, um endlich in unserer Demokratie anzukommen.

Alle gingen sie nach rechts, die Blauen sowieso. Schon mit dem ersten Tag ihrer Existenz war die rechte Lucke-AfD aufgebrochen, zur rechtsradikalen Petry-AfD zu werden, ehe sie die rechtsextreme Gauland-AfD wurde, um heute als Weidel-AfD vom Verfassungsschutz mit dem Warnaufdruck "gesichert rechtsextremistisch" eingeordnet zu werden. Aber auch die anderen, die demokratischen Parteien sind in die rechte Ecke unterwegs. Von der CSU, die rechts neben sich noch niemals eine andere politische Kraft dulden wollte, über die CDU, die Merz vom bewährten Merkelkurs wegsteuerte, bis hin zur deutschen Sozialdemokratie, die um des Machterhalts willen ein Bündnis mit der Partei des Brandmauerbruchs einging.

Der linke Lack ist ab 

Die Grünen galten lange als linke Kraft, auch noch nach dem Abschied ihrer alten Führung um Lang, Nouripour, Baerbock und Habeck. Das von den neuen Parteichefs Franziska Brantner und Felix Banaszak jüngst vorgelegte Manifest "Unser Küchentisch ist die Eckkneipe" zeigte allerdings, dass der linke Lack auch bei der früheren Alternative für Deutschland abblättert. Statt nach der verlorenen Bundestagswahl stabil an der so lange so erfolgreichen Strategie des umfassenden Ausbaus von Planwirtschaft und fürsorgendem Staat festzuhalten, will die führende linke Partei Bürgerinnen und Bürger künftig "ernst zu nehmen in ihren Sorgen". Und das "als Gestalterinnen ihres Lebens, nicht als Empfänger der Regierungsverkündung".

Ein großes Wagnis. In den zurückliegenden zehn Jahren hatte sich deutschlandweit etwa alle fünf Minuten ein führender Journalist in die Grünen verliebt. Die Berichterstattung von Parteitagen lief überwiegend im Fanradio. Angriffe auf grüne Entscheidungen wurden von einem nahezu undurchdringlichen Schutzschirm aus Faktencheckern, Kommentatoren und Fernsehdiskutanten abgewehrt. Ob Flüge mit der Rufbereitschaft, Filzvorwürfe oder märchenhafte Zukunftsversprechen - ein Fleischwall aus Engagierten schob sich zwischen die grünen Sympathieträger und ihrer Gegner.

Im Schatten des neuen Stars 

Im Augenblick aber ist ein Favoritenwechsel zu besichtigen. Seit mit der linken TikTok-Politikerin Heidi Reichinnek ein neuer Star am Medienhimmel aufgegangen ist, schließen die Freunde ehrlicher linker Politik eine neue Partei in ihre Gebete ein. Die Linke, vor einem Jahr noch eine glücklos gegen den Untergang kämpfende Nachfolgeorgansiation der DDR-Staatspartei SED, mauserte sich binnen kürzester Zeit zur Kraft, die die Grünen bei der Medienpräsenz überflügelt hat. Und das, obwohl noch im Herbst 2024 nur sechs Prozent der Mitarbeitenden der schreibenden Zunft gewagt hatten, sich offen zur Linkspartei zu bekennen.

Erfolg bringt Erfolg und der Sprung aus der Todeszone unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze auf fast acht Prozent der Wählerstimmen hat die zweitälteste deutsche Partei zur Partei der Stunde gemacht. Die "Ostmulle" Heidi Reichinnek ist die beliebteste Politikerin der Republik. Mit mehr als 50.000 neuen Migliedern, eingetreten seit dem Austritt der Wagenknecht-Fraktion, schickt sich die Linke an, die lange deutlich führenden Grünen und die CSU als drittgrößte Partei zu überflügeln. 

Unter der Fahne des Sozialismus 

Wichtiger aber noch als diese erstaunlichen Fortschritte, erzielt unter der Fahne von Sozialismus, Obrigkeitsstaat und versprochener Vormundschaft, ist der Imagewandel, den den Linken in nur einem halben Jahr gelang. Bis 2014 noch vom Verfassungsschutz beobachtet, der sichere Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche und linksextremistische Bestrebungen innerhalb der in großen Teilen moskautreuen und marktwirtschaftsskeptischen Organisation entdeckt hatte, hat sich die Linkspartei  mit der Neugestaltung ihres Parteilogos einen Platz in den Herzen vieler früherer SPD- und Grünen-Anhänger sichern können.

"Die Linke erlebt einen Aufschwung und ist dabei, die Grünen als progressive Partei der Mitte abzulösen", jubelt Mariam Lau in der "Zeit", in der sie bisher für die Abwehr von brutalen Attacken auf die Grünen und Loblieder auf das grüne Spitzenpersonal zuständig gewesen war. Die in der Bundesregierung an der Realität gescheiterte Partei aber ist nicht nur mit einem Führungspersonal geschlagen, dem Charisma, Wissen und Bekanntheit fehlen. Sondern auch mit einer akuten Themennot: Bei der Friedenspolitik hat die Partei ihre Glaubwürdigkeit verloren. Bei der Transformation der Industrie zu einer klimaneutralen Wirtschaft sind ihre Baulandungen Legende. Und für die hartnäckigen Versuche, das Land von oben auf Parteilinie zu bringen, gab es bei der Wahl die Quittung.

Gefährlich still 

Inmitten von Krisen, Krieg und Chaos verlegen sich die Grünen deshalb derzeit notgedrungen auf Nebenkriegsschauplätze. Die X-Accounts der Partei- und Fraktionsvorsitzenden glühen, wenn Maja T. freigekämpft oder Israel angegriffen werden können, wo Jens Spahn vor einen Untersuchungsausschuss gezerrt werden oder "Gewalt gegen Vielfalt" als "Angriff auf die Demokratie in unserem Land" (Göring-Eckardt) angeprangert wird. "Gefährlich still" (Lau) ist aber bei den wichtigen Fragen: Der klimagemachte Zusammenbruch großer Unternehmen, die Überwachungspläne der neuen Bundesregierung oder das Zurückbleiben Deutschlands und der EU bei Kernkraft, Künstlicher Intelligenz und Einfluss auf die Weltpolitik bleiben bei allen Spitzenkräften bewusst unerwähnt.

Auch die Linke äußert sich dazu nicht, aber ihrer neuen Beliebtheit tut das keinen Abbruch. Ohne dass die im Kern nach wie vor kommunistische Partei ihr Programm ändern oder ihre Pläne aufgeben musste, bei nächster Gelegenheit ein neues Menschenexperiment zu starten, um den Sozialismus nun aber richtig aufzubauen, ist sie dort angekommen, wo gerade noch CDU, Grüne und SPD verortet worden waren. Die vielbeschworene "Mitte", der geheimnisvolle Ort, an dem zuletzt sogenannte "Mitte-Extremisten" entdeckt worden waren, wird zur Heimat eines politischen Projekts mit dem totalitären Anspruch, dem Einzelnen nicht mehr die Wahl zu lassen, wie er leben will.

Gesicht der Verwandlung 

Reichinnek ist das Gesicht dieser Verwandlung, ihr Werkzeug aber sind die Landverschiebungen, die unterhalb der Oberfläche stattfinden. Alle sind nach rechts gewandert, zurückgeblieben ist links allein die Linke. Damit, die Logik ist unbestechlich, ist die Mitte jetzt links und das politische Spektrum besteht nur noch aus zwei Polen: rechts und links daneben, dort, wo das Herz schlägt und die Mitte ist.

Es hat wieder wenig mit der Wirklichkeit, viel aber mit Liebe zu tun. Nach den Grünen, einer Wickelrockschlunzenpartei, die 2018 nach der Machtübernahme durch Annalena Baerbock und Robert Habeck plötzlich mit "Glamour" (Lau) assoziiert werden sollte, ist es jetzt die Linkspartei, der eine "wundersame Wiederauferstehung" nach-, und eine große Zukunft als Macht aus der Mitte vorhergesagt wird. 

Kein Schmuddelkind mehr

Womöglich sei die Linke "innerhalb der deutschen Parteienlandschaft nicht länger das Schmuddelkind mit SED-Vergangenheit, sondern plötzlich Teil der politischen Mitte",  mutmaßt die "Zeit". Die "Welt" verweist auf "mehr Junge, mehr Frauen, mehr Westdeutsche", Umfragen sehen die Mauerpartei in der ehemals geteilten Hauptstadt heute schon als zweitstärkste Kraft. Rascher hat noch keine Partei vom äußersten Rand Gnade gefunden, schneller ist noch nie eine eingemeindet worden in "unsere Demokratie", ohne selbst etwas anderes zu tun als ihre radikalen Forderungen nach Verstaatlichungen, Reichtumsbekämpfung und einem verstärkten Kampf für eine gesellschaftliche Spaltung zu wiederholen und weiter zuzuspitzen.

Sonntag, 22. Juni 2025

Wer hat es gesagt?

"the second was grasping the fact we are apes"

Ein Hofstaat für Scholz: Der Bescheidene

Die Unterhaltszahlungen an früherer Regierungschefs sind in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Jeder Ex-Kanzler sagt einfach, was er für angemessen hält.  

Schnell zurück zu einem straffen Volkskörper, zu schlanker Beweglichkeit und einem Staatswesen, das mit 20 Prozent weniger Personal auskommt - das war die vielleicht größte Mammutaufgabe, die sich der neue Bundeskanzler Friedrich Merz im Wahlkampf vorgenommen hatte. Grenz- und Friedensschließungen hier, Wirtschaftsrettung und AfD-Verbot her. Den zu einem alles beherrschenden Giganten gewachsenen Vater Staat auf Diät zu setzen, kaum jemand wusste das besser als der frühere Blackrock-Manager aus der CDU, würde die wahre Herausforderung sein.

Mit Bürokraten gegen die Bürokratie 

Und Merz, der öffentlich als sein eigener Außenminister auftritt, lässt nicht locker in seinem Bemühen. Sein Vizekanzler Lars Klingbeil, Chef der deutschen Sozialdemokratie und des Finanzministeriums, hat jetzt im ersten Anlauf beim Haushaltsausschuss des Bundestages, der formell das letzte Wort hat, 208 zusätzliche Planstellen beantragt. 

Die Neueinstellungen sollen helfen, den bereits unter Angela Merkel erfolgreich angeschobenen Beamtenboom fortzusetzen. Die neuen Mitarbeiter*innen werden dringend gebraucht: Bereits vor geraumer Zeit aber haben die mit Kosten von derzeit einer runden Milliarde Euro geplanten Bauarbeiten zur Erweiterung des Bundeskanzleramtes in Berlin begonnen. In Kürze werden in der dann größten Regierungszentrale der Welt 400 funkelnagelneue Büros mit emsiger Betriebsamkeit zu füllen sein - eine Aufgabe, an der die 200 Neuen mitarbeiten werden. Gemessen an den Baukosten fällt ihr Unterhalt kaum ins Gewicht, denn die Gehälter summieren sich auf nicht einmal 16 Millionen Euro im Jahr.

Gewohnheitsrecht für Scholz  

Ohnehin unumgänglich waren die acht Stellen, die sich der ausgeschiedene Bundeskanzler Olaf Scholz für sein künftiges Büro ausbedungen hat. Gesetzlich ist die Übernahme der Betriebs- und Personalkosten früherer Regierungschefs in Deutschland nicht geregelt. Gewohnheitsrecht bestimmte lange, dass die ausgeschiedenen Regierungsspitzen ihre Wünsche anmelden und sie dann entsprechend erfüllt bekommen. Diese schöne freihändige Tradition, die zeigt, wie locker und unbürokratisch Deutschland sein kann, endete abrupt, als Gerhard Schröders sattsam bekannte Russlandverbindungen aufflogen und der Ex-Kanzler nicht von seinen Friedensbemühungen abließ.

Der Bundestag verfügte die Zwangsauflösung des Schröder-Büros. Der Altkanzler klagte, unterlag aber mangels einer gesetzlichen Verpflichtung, nach Ende seiner Amtzeit weiter vom Steuerzahler unterhalten zu werden. Nach sieben Jahren im Kanzleramt, deren sogenannte "Fortwirkung" ursprünglich mit sieben Mitarbeitern hatte sichergestellt werden sollen, bekam der Niedersachse bescheinigt, dass in seinem fall von keiner öffentlichen Fortwirkung auszugehen sei. Ein Todesurteil über jeden Politiker, der auch nach getanem Lebenswerk natürlich davon lebt, gesehen, bewundert und für wichtig gehalten zu werden.

Hofstaat als Statussymbol 

Ein Hofstaat ist die Grundlage dieser Fortwirkung, ein Statussymbol, das die mit dem Wegfall des Amtes schlagartig erlöschende Strahlkaft zumindest zum Teil ersetzt. Niemand verstand das besser als Angela Merkel, die nicht nur die Rekordkanzlerin war, sondern ihren Vorgänger auch im Amt des Ex-Kanzlers in den schatten stellte. Während Schröder mit fünf Mitarbeitern auskam, ließ sich die Ostdeutsche aus Hamburg mit neun Mitarbeitern ein wahres Imperium der Nachkanzlerschaft spendieren. 

Über diesen Stab an Getreuen mischt sie eifrig mit, wenn es die Zeit erlaubt. Merkels Terminkalender 2025 liest sich wie der Fahrplan eines Popstars: 16 Termine hatte die Altkanzlerin allein in diesem Jahr bereits. Darunter war ein Gespräch mit Baden-Württemberg Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ein Treffen mit Anas Modamani, einem "Deutschen und Syrer" und ein Austausch mit Finnlands Präsidenten Alexander Stubb. 

Einmal empfing Angela Merkel junge Sternsinger in ihrem Büro im vierten Stock des Hauses, in dem zu DDR-Zeiten Volksbildungsministerin Margot Honecker residierte. Und selbst für die "Teilnahme an der Jury des Gulbenkian-Preises für Menschlichkeit in Berlin" fand sie eine Lücke im eng getakteten Zeitplan ihrer fortdauernden Fortwirkung. 

Bis die Augen zufallen 

"Und dann werde ich vielleicht versuchen, was zu lesen, dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin", hatte Merkel ihre Pläne für den Ruhestand einst grob umrissen. Geworden ist daraus nichts. Bis zu vier Termine im Moment stemmt die Ruheständlerin – eine Frequenz, die zeigt: Merkel ist überall, immer, und ihre Mitarbeiter machen’s möglich. Neun Köpfe, achtzehn Hände und viel Fleiß  arbeiten wie ein Schweizer Uhrwerk, um die frühere Kanzlerin der Herzen im öffentlichen Gespräch zu halten, während sie selbst in aller Ruhe "mal schaut", wie sie es einmal bescheiden formuliert hat. Als "Geburtshelferein der AfD" (blaetter.de) hält sie mit gutem Rat nicht hinterm Berg. 

So etwa zeigte Angela Merkel zuletzt im Januar kurzentschlossen Gesicht, als sie ihre Partei ermahnte, die von ihr mitaufgebaute Brandmauer weiterhin als tragende Wand von unsere Demokratie zu respektieren. Und stattdessen lieber mit "allen demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles" zu tun, "um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können." 

Die Stille nach der Abwahl 

Ein Satz, der seine neun Autoren nicht verleugnen kann. Die sprachliche Wucht, die inhaltliche Tiefe - vieles hier erinnerte Leser an Merkels biografischen Bestseller, den die Meisterin des stillen Humors ironisch "Freiheit" getauft hatte. Umso erstaunlicher erscheint die Nachricht, dass Merkels Nachfolger Olaf Scholz von seinem Recht, sich eine imposante Entourage zu wünschen, nur schüchtern Gebrauch macht. 

Acht Mitarbeiter fordert der Mann, der seit seiner Abwahl so still ist, dass mancher sich fragt, ob er seine eigene Kanzlerschaft bereits vergessen hat. Acht wären zwar drei mehr als der letzte Sozialdemokrat für sich beansprocht hatte. Aber einer weniger als Merkels Wust an bis zu vier Terminen im Monat verwalten und die gelengetlich eingehenden Briefe und Autogrammwünsche beantworten.

Es fehlt auch an Orden 

Wofür, fragen sich Beobachter im politischen Berlin, braucht Scholz acht Mitarbeiter, wenn Merkel neun hat? In der Blase der historischen Bedeutsamkeit gilt die Größe der eigenen Betreuungsmannschaft es als wichtigstes Distinktionsmerkmal - neben der Verschaffung von Ehrendoktorwürden und Großkreuzen in möglichst besonderer Ausführung. Hier liegt Angela Merkel nahezu uneinholbar vor ihrem nachfolger. Scholz ist zwar träger des "Global Citizen Award 2023 des Atlantic Council. Doch Merkel hat 21 Verdienstorden und Ehrenkreuze gesammelt, sie trägt 34 internationale Auszeichnungen vom Eugen-Bolz- bis zum Karlspreis und dazu noch fast zwei Dutzend Doktortitel.

Doch Scholz, der mit seiner Aktentasche immer demonstrativ bescheiden auftrat, ist eben Scholz. Um seine "im Bundesinteresse liegenden Aufgaben" wahrzunehmen, insbesondere im Kontext des Ukraine-Kriegs, der inzwischen offiziell als "zentrales Thema seiner Kanzlerschaft" gilt, wie  Regierungssprecher Stefan Kornelius bekanntgegeben hat, reicht dem neuen Altkanzler eine kleine Kernmannschaft. 

Team muss TiokTok füllen 

Ein Büroleiter (B 6, knapp 11.400 Euro im Monat), drei Sachbearbeiter in den Besoldungsgruppen E 11 bis E 14 (bis zu 7.300 Euro), eine Sekretärin (E 8) und ein Chefkraftfahrer wären das normalerweise, um die "zu erwartende Entwicklung der nachamtlichen Tätigkeit" zu wuppen. zu den sechs standesgemäßen Mitarbeitenden kommen in Scholz' Fall nur zwei Bonusstellen, die den Status des Sozialdemokraten unterstreichen: Das "Team Scholz" wird mit ihrer Hilfe eines Tages wieder auf X posten und den beliebten TikTok-Kanal des Niedersachsen befüllen.

Die Neider brauchten dennoch nicht lange, um die Fortführung der großen Gerechtigkeits-, Friedens- und Klima-Politik des Olaf Scholz ins Visier zu nehmen. Der Bund der Steuerzahler mäkelte, die Opposition beschwerte sich, Medien mokierten sich über Scholz' angebliches "Bläh-Büro". Der Bundesrechnungshof hatte die Versorgungsregelung für ehemalige Bundeskanzler schon früher kritisiert. Demnach sei die unbefristete Bereitstellung "mehrerer Chefkraftfahrer", Büros und Mitarbeiter grundsätzlich zu hinterfragen. Die Versorgung der Altkanzler habe zuletzt "Grenzen überschritten". Anschließend beschloss der Bundestag, dass Ex-Kanzler künftig nur noch fünf Mitarbeiter zustehen. 
 

Einzigartige Expertise 

 
Doch soll es nur deshalb keine Ausnahme für Scholz geben, den ersten Kanzler, der unter der Neuregelung zu leiden gehabt hätte? Die Sicherung des Status quo der Bedeutsamkeit des bei der Bundestagswahl schwer abgestraften 67-Jährigen werde zu teuer, eine runde Million Euro im Jahr sei in Anbetracht der Lage der Staatsfinanzen keine zu rechtfertigende Ausgabe. Dabei handelt es sich bei den aufgewendeten Mittel durchweg um "Geld, das niemandem weggenommen wird, weil der Staat gut gewirtschaftet hat.", wie die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner einst treffend bemerkt hatte. 
 
Und von Olaf Scholz ist bekannt, dass er für jeden Euro Leistung liefern wird: Mag die Versorgung von Altkanzlern in Deutschland auch ein Kuriosum ohne rechtliche Grundlage sein, so ist doch klar, dass Scholz’ einzigartige Expertise zu "Wumms", "Zeitenwende" und grünem Wirtschaftswunder nur gemeinschaftsdienlich genutzt werden kan, wenn der Altkanzler, der nebenbei noch immer Bundestagsabgeordneter ist, nicht nur sein Abgeordnetenbüro, sondern auch ein zweites in seiner Funktion als  Ex-Kanzler unterhalten kann.
 

Schweigen ist Gold 

Noch hat sich Olaf Scholz selbst nicht zum Streit um seine Fortwirkung geäußtert, noch hält der kühle Stratege der lärmenden Kritik des Bundesrechnungshof an der vermeinlich allzu opulenten Versorgungspraxis schweigend stand wie es immer seine Art war. Seit Ende Mai hat der Wahl-Potsdamer sich öffentlich nicht mehr zu Wort gemeldet, bis heute gibt es keine Fortwirkungshomepage oder neue Filme auf dem Youtubekanal des so tragisch an einem Verfassungsgerichtsurteil und liberalen Heckenschützen gescheiterten Ampel-Anführers. Olaf Scholz ist damit gut beraten. So lange er die Dinge einfach laufen lässt, wird er seinen Hofstaat bekommen. 


Samstag, 21. Juni 2025

Zitate zur Zeit: Narzisstisches Ringen um Aufmerksamkeit

Greta thunberg kommt nach hamburg Tagesschau
Ihre Audienzen wurden vorher von den seriösesten Nachrichtenquellen angekündigt wie heilige Messen.

Egal ob Thunberg oder Neubauer: Es geht nur darum, wie sehr man mit dem jeweiligen Thema das Land oder – im Fall von Thunberg – die ganze Welt in Wallung versetzen kann. 

Ein narzisstisches Ringen um Aufmerksamkeit, bei dem es erkennbar nicht um das Streben nach politischer oder gesellschaftlicher Verbesserung geht, sondern allein um Dominanz der öffentlichen Diskussion. 

Diese Macht speist sich allein aus der medialen und politischen Glorifizierung der Hochzeit von "Fridays for Future".

Wolfgang Kubicki beschreibt die Wirkformel, die der Generation Greta zum Erfolg verholfen hat

Und Stalin kocht ein Ei: Grün wie Kruppstahl

Deutscher Stahl hat seine besten Zeiten hinter sich. Aber die Erfolge geben der Strategie recht.   

Sie sollte zäh wie Windhunde sein, hart wie Leder und flink wie Kruppstahl, die deutsche Stahlindustrie der Zukunft. Geschmolzen mit klimafreundlicher Energie, ausstoßfrei im Abgang und in der Anlassfarbe grün ausgeliefert, war die alte Montanbranche auserkoren, die traditionellen Hochburgen der Schwerindustrie weitere Jahrhunderte lang mit Wohlstand aus dem Hochofen zu versorgen. Zudem sollte der an der großen Klimawende zunehmend zweifelnden Welt ein leuchtendes Beispiel gegeben werden, wie sich wettbewerbsfähiger Stahl mit Hilfe eines Energieträgers schmelzen lässt, der fünfmal teurer ist als der, den die Konkurrenz benutzt.

Billig schon gar nicht 

Einfach würde es nicht werden und billig schon gar nicht. Wasserstoff aus Überstrom, wie ihn die deutschen Wind- und Solaranlagen produzieren, ist drei bis fünfmal teurer als Wasserstoff, der aus Erdgas hergestellt wird. Der wiederum ist deutlich teurer als Erdgas selbst. Eine Menge Gründe, warum die bereits im Jahre 2006 von Angela Merkel gegründete "NOW GmbH Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie" so erfolglos blieb, dass sie 2021 ihre Aufgabenbezeichnung verlor und seitdem als NOW Gmbh für alle "emissionsfreien Technologien in einem integrierten Energiesystem" zuständig ist.

Der Traum vom grünen, klimaneutralen Wasserstoff, dem "Champagner der Energiewende", lebte fort. 300.000 Euro im Jahr ließen sich die Bundesregierungen aller Farbspiele allein die Geschäftsführergehälter der Now-Chefs kosten. Dazu kommen inzwischen rund 200 Mitarbeiter, darunter Ingenieurtechnik-, Geografie-, Betriebswirtschafts-, Politik-, Sozial- und Kommunikationswissenschaftsexperten, "die Aufträge von Bundesministerien zur Umsetzung und Koordination von Förderprogrammen im Bereich nachhaltige Mobilität und Energieversorgung" annehmen. Wasserstoff sichert hier bereits viele gute Jobs: Vor fünf Jahren musste Now noch mit schmalen 30 Mitarbeitern auskommen. 

Der interessanteste Energieträger 

Aber die Erfolge geben der Strategie recht. Der "vielleicht interessanteste Energieträger" (Merkel, 2006), umweltfreundlich herstellbar, umweltfreundlich nutzbar, ein Segen ohne jede Einschränkung, der Energie speichern kann wie ein Netz und mit kostenlosem Abfallstrom gefüttert wird wie das DDR-Schwein mit Essensresten aus der Specki-Tonne, erlebte in den Ampel-Jahren ein fantastisches Comeback. Nicht das Netz würde der Speicher sein, sondern H2. Ein flüchtiger, hochexplosiver Stoff,  dessen niedriger Wirkungsgrad durch die vorgesehene mehrfache Umwandlung von Strom in Gas, Gas in anderes Gas und Gas in Strom ihn für große Aufgaben prädestinierte. 

Robert Habeck war da sehr entschieden. "Das Gas soll eine zentrale Rolle in der nichtfossilen Zukunft spielen – als chemischer Grundstoff etwa in der Stahlindustrie, als klimaneutrale Energiequelle und als Speichermedium" (Taz). Persönlich drehte der Minister 2023 einen "Wasserstoff-Hahn" (n-tv) auf. Ein Signal an die Schwerindustrie, jetzt aber mal schnell "eine echte Wasserstoffwirtschaft aufzubauen". Getreu dem alten Kinderlied: "Ein Mops kam in die Küche / und Stalin kocht ein Ei". Koste es, was es wolle.

Aus dem Fenster 

Es würde nicht das Geld der Unternehmen sein, das aus dem Fenster geworfen wird. Mit Milliarden versprachen Bund und Länder den Auf- und Umbau neuer Netze zu fördern. Ein erster Meilenstein war erreicht, als die Bundesnetzagentur im Herbst kurz vor Ampelende den Bau des deutschlandweiten Wasserstoff-Kernnetzes genehmigte. Bis 2032, so viel war klar, würde mitten in Deutschland das "größte" und absolut einzige Wasserstoffnetz Europas entstehen - ein "wichtiger Pfeiler des klimaneutralen Energiesystems der Zukunft", wie die Vereinigung der Fernleitungsbetreiber den anstehenden "Markthochlauf" im Rahmen der "nationalen Wasserstoffstrategie" (Bundesnetzagentur) euphorisch begrüßte.

Doch der Kobold liegt im Detail. Das Energiewunder aus dem Reststrom, dessen Hersteller angeblich keine Rechnung schreiben, sollte Wohnungen heizen und die Industrie antreiben, Stahl kochen und Braunkohle- wie Kernkraftwerke ersetzen. Doch genau betrachtet rechnet sich das für niemanden: Die, die den Wasserstoff verbrauchen sollen, könnten ihn gar nicht bezahlen. Und die, die ihn liefern müssten, haben keine Ahnung, woher sie die benötigten Mengen beziehen sollten. 

Arbeitsgruppe mit Indien 

Eine gemeinsame Roadmap mit Indien, abgeschlossen in der Abenddämmerung der Ampel, um den internationalen Hochlauf von grünem Wasserstoff voranzutreiben und den Champagner "langfristig wirtschaftlich rentabel" zu machen, hatte ihre Schlagzeilen. Doch danach war nie wieder von der "dauerhaften Arbeitsgruppe für grünen Wasserstoff im Rahmen der bestehenden deutsch-indischen Energiepartnerschaft" zu hören. Das Projekt Indo-German Energy Forum (IGEF) lauf Homepage bis Ende 2024. Ein offizielles Begräbnis gab es nicht, dafür eine "Felicitation Ceremony" honouring exceptional women who are driving real change in innovation, leadership, and impact.

Mit den Grünen gingen die eifrigsten Verfechter einer Technologie, die im Angesicht ohnehin hoher Energiepreise in Deutschland versprach, alles noch viel teurer zu machen. Ein Kilogramm Flüssigerdgas kostet heute 85 Cent, ein Kilo grauer Wasserstoff weniger als drei Euro, grüner Wasserstoff fünf. Die lange Herstellungskette berücksichtigt, liegt der Wirkungsgrad des Hoffnungsträgers nicht weit über dem einer  - in der EU verbotenen - herkömmlichen Glühbirne. 

Restenergie zur Nutzung 

Bei der Umwandlung der elektrischen Energie in Wasserstoff geht ein erstes Drittel der Energie verloren, bei der nächsten Umwandlung, wenn der grüne Wasserstoff verwendet wird, um daraus Strom zu machen, geht ein weiteres Drittel verloren. verschwindet ein weiteres Drittel. 80 Prozent der Energie, die ursprünglich da waren, gehen ungenutzt verloren. Nur 20 Prozent bleiben, um Stahl zu schmelzen, einen Bus anzutreiben oder eine Wohnung zu heizen.  

Dem indischen Stahlriesen ArcelorMittal sind das keine vielversprechenden Aussichten mehr. Vor einem Jahr noch hatte Robert Habeck der Unternehmensführung feierlich einen Förderbescheid über 1,3 Milliarden Euro überreicht, mit dem das "vierte große Projekt zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie durchstarten" (Habeck) sollte. Der "Meilenstein bei der Transformation unserer Industrie" zeige, sende "das klare Signal: Klimaschutz, Industrie und Arbeitsplätze können gemeinsam gelingen!", freute sich der Klimawirtschaftsminister über den Einstieg in die "Transformation der Stahlhersteller als die größten CO2-Emmitenten im Land zur CO2-Neutralität".

Riesiger Beitrag zum Klimaschutz

Ein "riesiger Beitrag zum Klimaschutz", der inzwischen verspricht, noch viel größer zu werden. Die Familie Mittal rechnete die Aussichten noch einmal durch. Und kam nicht allzu überraschenderweise zum Schluss, dass es keine Aussicht auf Profitabilität eines Versuches gibt, mit umweltfreundlich produzierten Stahl auf dem Weltmarkt zu bestehen. Eine CO2-reduzierte Stahlproduktion, wie sie für die beiden Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt geplant gewesen sei, rechnet sich nicht einmal, wenn der deutsche Steuerzahler mehr als die Hälfte der Investitionskosten übernimmt.

Die beiden ArcelorMittal-Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt werden nun doch nicht auf klimaneutrale Wasserstofftechnologie umgerüstet. "Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell", erklärte Reiner Blaschek, Chef der europäischen Flachstahlsparte von ArcelorMittal. Wegen der hohen Produktionskosten und der wachsenden Konkurrenz durch chinesische Stahlkocher plant der zweitgrößte Stahlhersteller der Welt vielmehr die Verlagerung einiger seiner europäischen Geschäftsbereiche nach Indien. 

Für Deutschland ein Glücksfall

Für Deutschland ein Glücksfall. Zwar beteuern die drei anderen großen deutschen Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel, Salzgitter und die Stahl-Holding-Saar (SHS) störrisch, sie würden den "eingeschlagenen Weg der Transformation hin zur Produktion von CO2-reduziertem Stahl" fortsetzen: Die Börsenkurse der früheren Weltkonzerne allerdings versprechen, dass es dazu nicht kommen wird. Thyssenkrupp erwirtschaftete im letzten Geschäftsjahr einen Verlust von 1,5 Milliarden Euro gemacht, Salzgitter 300 Millionen und Saarstahl kam laut des letzten Geschäftsberichtes im Jahr 2023 auf minus 75 Millionen. 

Deutlich höher ist daher die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland seine größten CO2-Erzeuger trotz des neuen "Stahl-Bosses" (Bild) Heiko Maas in Kürze ganz los ist. Entsprechende Überlegungen hat  Grünen-Chef Felix Banaszak schon öffentlich gemacht. Der neue Kurs der Grünen soll härter zufassen und klarer kommunizieren. "Wer von der Zerstörung des Klimas profitiert und bislang kaum an den Kosten beteiligt war, muss in die Verantwortung gezogen werden", kündigte der Eckkneipengänger in der Süddeutschen Zeitung klare Kante gegen Konzerne "mit fossilen Geschäftsmodellen und immensen Gewinnen" an.

Konturierter und schärfer 

Glück für die Stahlkocher, dass sie keine haben und absehbar nie wieder welche haben werden. Banaszak distanzierte sich damit erneut deutlich vom Kurs des Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck, der das Thema Klimaschutz im Bundestags-Wahlkampf aus Furcht vor den Wählern kaum mher erwähnt hatte. 

Banaszak will die Grünen wieder "konturierter, schärfer" auf industriellen Rückbau ausrichten und um unweigerlich auftretende höhere Belastungen nicht mehr herumreden. Seine Partei dürfe keine Angst davor haben, "mit der ehrlichen Benennung der ökologischen Wirklichkeit Menschen zu verprellen", sagte der Grünen-Chef. Man müsse sich nicht zwischen inhaltlicher Klarheit und breiten Mehrheiten entscheiden.

Das Geld ist noch da 

Die Mehrheiten sind für den Moment ohnehin utopisch, der Wunsch, mit Wasserstoff und Überstrom  Volkspartei zu werden, wird mit jedem abgesagte Großprojekt und jeder aufgegebenen "Keimzelle für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft" unerreichbarer. 

Das Gute daran: Die 1,3 Milliarden Fördermittel sind diesmal noch da, die übrigen 4,3 Milliarden, die Salzgitter Thyssenkrupp und SHS zugesagt bekommen haben, noch nicht verbaut. Wenn ArcelorMittal seine deutschen Werke schlösse, profitiert das Weltklima  mehr als teuren Umstellung aus emissionsfreien Stahl. Schließen sich die drei anderen Unternehmen an, fiele der Effekt noch größer aus. Frei werdende Fachkräfte könnten dann nach dem Vorbild der freiwerdenden Mitarbeiter der großen Autokonzerne in die Rüstungsindustrie wechseln.

Freitag, 20. Juni 2025

Zur besten Sendezeit: Verrat an der Wärmepumpe

Anja Reschke Hetze gegen Wärmepumpen
"Panorama"-Moderatorin Anja Reschke galt lange als zuverlässige Erklärerin der guten Politik der Bundesregierungen. Mit einem Hetz-Beitrag über Wärmepumpen aber enttäuscht die vielfache Preisträgerin.

Sie ist eine der bekanntesten Erklärerinnen der Regierungspolitik und sie hat für ihre Bemühungen um die richtige Haltung der Deutschen bereits den angesehenen Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis bekommen. Wegen des Fachkräftemangels, der längst auch die ARD erreicht hat, moderiert Anja Reschke im Ersten gleich zwei Sendungen. "Reschke Fernsehen" im Original ohne Kopplung, ist lustig. "Panorama" dagegen galt bisher als eine seriöse Reportagesendung, der etwa Gerüchte über Silvesterübergriffe widerlegt und kritisch über die  Mordfantasien der Corona-Leugner berichtet wurde.

Eine feste Bank 

In welchem Kostüm auch immer, Anja Reschke war für die zivilgesellschaftliche Gesellschaft und unsere Demokratie, was Paulus seinem Jesus gewesen war. Eine feste Bank auf einem Felsen, auf dem sich Überzeugung bauen ließ. Auf Reschke war Verlass, sie ordnete ein, was Zweifel weckte, widerlegte, was nach Niedergang aussah, und für die Klimawende war sie eine der Gesundbeterinnnen, die ungeachtet kleinlicher finanzieller Erwägungen Einzelner als Anklägerin und Richterin auftrat, wenn Schwurbler, Fossilfans und CO2-Leugner anfingen, von Kostenproblemen, Denkmalschutz und den angeblich so hohen Strompreisen zu schwafeln.

Reschke ordnete das verlässlich ein. Die Strompreise sind gerade mal die fünfthöchsten der Welt, das ist keinesfalls ein Rekord. Deutschlands Wirtschaft ist nicht krank, es gibt durchaus Branchen, die kräftig wachsen. Sie formulierte stellvertretend für Millionen Menschen im Land große Sorgen um die Zukunft der illegalen Migration: "Warum dürfen "Legale" nicht kommen?"

Lügenpresse trifft Pegida 

Ein ganz großer Aufschlag gelang im Kampf gegen die Pegida-Bewegung: Für den Enthüllungsbericht "Kontaktversuch: Lügenpresse trifft Pegida" interviewte ein "Panorama"-Reporter einen RTL-Reporter, der sich als Kämpfer gegen die Islamisierung des Abendlandes ausgab. Das Richtige wartet nicht auf die Wahrheit, es will einfach gesendet werden. Das Notwendige ist nicht immer schön, aber es ist unumgänglich, es auszusprechen. 

Wer heute Journalist sein will, muss sich als Propagandist und Lehrer der Massen verstehen. Man habe nicht die Aufgabe, den Menschen von dem zu berichten, was sie wissen wollen, hat der journalistische Jungstar Tilo Jung den Kern des Glaubens dieser neuen Generation an Erziehern für Erwachsene offengelegt. Die Aufgabe bestehe vielmehr darin, ihnen das zu präsentieren, was sie wissen sollen.

Verrat an unserer Demokratie 

Das waren Standbeine von Reschkes "Panorama"-Sendungen - eingedenkt eines alten Satzes des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, der einem Mitarbeiter der Redaktion auf die Frage nach einem Interview beschied: "Verschwinde, Sie haben doch mit Journalismus nix zu tun."

Ein Vorurteil, das sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert hartnäckig hält. Anja Reschke und ihre Redaktion stehen in der permanenten gesellschaftlichen Krise, deren Ursachen wechseln, deren Auswirkungen aber immer wieder auf eine Spaltung zwischen Sendenden und Empfängern hinausläuft, aufrecht und klar auf der Seite des politischen Apparates. Reschke prangert Wutbürger an, nicht aber Amtsträger. Sie weist auf Haltungsschäden in der Bevölkerung hin, die zu falschen Wahlergebnissen führen. Nicht aber auf falsche Wahlprogramme.

Bruch mit allen Traditionen 

So war es immer und so, das zumindest glaubten viele Fans der Sendung, würde es immer bleiben. Bis Anja Reschke jetzt das Unerhörte tat und den Bruch mit allen verdienstvollen Traditionen ihrer Sendung vor laufender Kamera vollzog. Statt über eine von Deutschland verratene Liebe in Afghanistan zu berichten, über eine längst fällig Anklage gegen die flüchtlingsfeindliche griechische Küstenwacht oder die "Macht der Chemielobby", die in Deutschland gerade alle Lichter löscht, verlegte sich die angesehene Moderatorin darauf, eine Frontalattacke gegen die Wärmepumpe zu fahren.

Unter dem Titel "Vermieter kassieren ab" wurde der feuchte Traum aller Feinde der Wärmewende wahr. Denn statt sich auf die positiven Aspekte der Entscheidung des zweitgrößten deutschen Wohnungskonzern LEG zu konzentrieren, entsprechend der politischen Vorgaben aus Brüssel und Berlin in den kommenden Jahren alle unternehmenseigenen Mietwohnungen mit elektrisch betriebenen Luft-Luft-Wärmepumpen zu beheizen, beschwor ausgerechnet "Panorama"  die große Schreckensvision herauf, die die Gegner der deutschen Klimaziele schon gegen Robert Habeck, Patrick Graichen und ihr Heizungsgesetz ins Gefecht geführt hatten. 

Geschwubel und Angstmache 

Doppelt so teuer werde es für alle, wenn erst Gasetagenheizungen und Nachtspeicheröfen ersetzt wären. Die ersten betroffenen LEG-Mieter berichteten erschreckendes - 2.400 Euro Heizkosten im Jahr statt 1.200, die Hälfte davon allein als Grundgebühr, zu zahlen Monat für Monat für das Vorhandensein der Wärmepumpe. 

Die "Panorama"-Macher um Reschke verstehen ihr Geschäft. Sie verwandelten den Einzelfall einer Kostenexplosion, die bisher nur einige hundert Mieter trifft, von denen sich viele eine solidarische Klimaheizung sicher durchaus leisten können, im Handumdrehen in eine Gefahr für Millionen. "Mehr als vier Millionen Wohnungen in Deutschland harren der Umrüstung, weg von den Kohlendioxid emittierenden Gasetagenheizungen", heißt es da warnend. 

Die Botschaft ist klar: Ökologisch sauber heizen, an trüben Tagen zwar mit Strom  aus dem Braunkohlekraftwerk, aber immerhin schon mit kräftigem CO2-Aufschlag, ist eine finanzielle Bedrohung. Die Mitwirkung und Mithilfe an der großen Transformation wird als Anschlag auf Arme, Alte und sozial Schwache dargestellt. Die LEG zwinge ihren Mietern die Wärmepumpen einfach auf, heißt es. Und sie lege die Kosten für das zukunftsweisende Heizen dann auch noch auf die um, die bisher von der Nutzung klimaschädliche Fossilheizungen profitiert hatten.

Aufruf zum Widerstand 

Anja Reschke zieht alle Register. Ein Mieterschützer wird gezeigt, der zum Widerstand aufruft. Ratlose Seniorenpaare  dürfen ihre Verzweiflung über die neuerdings so hohen Kosten in die Kamera aufsagen. Und der Chef der LEG, ein Vorstandvorsitzender, der sich auf die Fahne geschrieben hat, sein Unternehmen möglichst schnell klimaneutral aufzustellen, wird als vor der Wahrheit flüchtender Firmenboss bloßgestellt.

Der Schaden, den diese Art der Berichterstattung für das ohnehin angeschlagene Image der Wärmepumpe bedeutet, ist gar nicht abzusehen. Seit sich Rechte, Rechtsextremisten, CSU, die Konservativen in der Union, Sahra Wagenknechts BSW, die Liberalen und die sächsische Dorfbevölkerung deutschlandweit vereint haben, um mit Halbwahrheiten und Horrorkostenrechnungen gegen Klimawende, kommunale Wärmeplanung und Transformation mobil zu machen, ist den berühmten Diesel-Dieters kein solcher Erfolg mehr gelungen. 

Ausgerechnet eine progressive Fernsehsendung spielt nun auch noch gezielt denen in die Hände, denen das alles ohnehin zu schnell geht, denen es zu teuer ist, die immer behaupten, das rechne sich nie. Nach den enttäuschenden Versuchen etwa der Grünen-Spitze, die Erfolge der Habeck-Ära auszuradieren, und der SPD, sich von ihrem Friedenskanzler Olaf Scholz zu distanzieren, zeigt sich ein akuter aktueller Trend: Reihenweise kippen die Festungen des Fortschritts. Und es wird Bedauern geäußert: "Wir haben zu spät bemerkt, dass sich der Wind dreht". Anja Reschke will sich das wohl nicht auch eines Tages eingestehen müssen.  


Das ewige Faszinosum*: Nicht ohne meinen Führer

Godwin's Law, Hitler-Vergleich, Nazivergleich, Hakenkreuz, Satire, strafbare Bilder, Meinungsfreiheit
Vier Nazititelseiten, eine davon ist im Originalzustand eine strafbare.

Er ist immer da, präsenter als die meisten Hinterbänkler im Bundestag. Kaum eine politische Debatte endet, ohne dass Godwin's Law seine Richtigkeit beweist. Ein Hitler- oder Nazivergleich vorm Zubettgehen ist unerlässlich. Ob es um die Champagnernazis von Sylt geht oder um die Rückkehr der NSDAP im Glencheck-Sakko des Alexander Gauland, ob Trump etwas gesagt, getan oder gemeint haben könnte oder Putin neue Angriffe befohlen hat. Adolf Hitler und seine selbstausgedachten Propagandazeichen sind heute wirkungsmächtiger als jemals zuvor. 

Hitlereske Titelbilder 

Der "Spiegel" verwendet das Hakenkreuz regelmäßig, der "Stern" ist ausweislich seiner hitleresken Titelbilder fasziniert von dem, was ein früherer Bundestagspräsident das "Faszinosum" nannte. Jan Böhmermann klebt sich den Hitlerbart an, die "Heute Show" des ZDF hat im Kampf gegen Ösi-Nazis schon Wiener Schnitzel serviert, denen die frohe Botschaft anzusehen war. Kein Fußbreit den Faschisten. Aber ihre Symbolwelt, die gefällt.

Erlaubt ist, was Spaß macht, denn Satire darf bekanntlich alles.  Nur eben nicht, wenn es der Falsche tut. Stefan Niehoff, ein Rentner aus Unterfranken, der berühmt wurde, nachdem er einen amtierenden Bundesklimawirtschaftsminister als "Schwachkopf" bezeichnet hatte, kostet diese Erkenntnis jetzt 55 Tagessätze zu je 15 Euro plus Gerichtskosten. 

Verurteilt wurde der 64-Jährige allerdings nicht wegen seiner vermeintlich beleidigenden Bezeichnung des "Bündniskanzlers" Robert Habeck als schwachsinnig. Sondern weil Ermittler im Zuge der durch eine Strafanzeige des vormaligen Grünen Stars auf weitere mutmaßliche Straftaten des Verdächtigen stießen.

Strafbare Bilder 

Niehoff habe "strafbare Bilder auf X" geteilt,   urteilte das Amtsgericht in Haßfurt, einer Stadt, die wirklich so heißt. Im Gegensatz zum "Schwachkopf"-Meme, bei dem es sich um eine Ehrverletzung im so "niederschwelligen Bereich" handele, dass die ermittelnde Staatsanwaltschaft den Tatvorwurf gar erst zur Anklage brachte, wiegen mehrere Grafiken schwer, die Niehoff nicht selbst erstellt, aber mit seinen rund 1.000 Followern geteilt hatte. 

Eine davon zeigt eine grüne Spitzenpolitikerin aus Bayern auf einem nachgeahmten Spiegel-Titel neben der Überschrift "Das grüne Reich" in einer Pose, die an ein "Stern"-Cover erinnert, das dem amtierenden US-Präsidenten gewidmet war. "Sein Kampf" hieß die Geschichte, die Donald Trump  "in Nazi-Pose" (Tagesspiegel) zeigte - Trump streckt den rechten Arm in einer Montage zum Hitler-Gruß aus. Es war der Beginn seiner Karriere als Wiedergänger aller Faschisten, die jemals gelebt haben

Er ist es buchstäblich 

Erst sieben Jahre später wird die Laufbahn des 45. und 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten als Zombie des Führers ein Ende finden: Im Oktober 2024, wenige Tage vor seiner Wiederwahl, erreichte Trump das letzte Level. Trump war jetzt nicht nur wie, sondern "buchstäblich Hitler".

Hätte Stefan Niehoff das "Stern"-Titelbild mit Trump teilen dürfen, ohne "strafbare Bilder bei X" weiterzuverbreiten? Wenn es sich doch bei einer Magazintitelseite, auf der "ein Körper" zu sehen ist, "der den rechten Arm zum sogenannten Hitler-Gruß ausstreckt", eindeutig um eine "Grafik mit NS-Symbolik" handelt? Geht es um den Körper? Den rechten Arm? Den sogenannten Hitlergruß? 

Am Kopf auf dem Körper kann es nicht liegen, denn wie die auf Niehoffs Bild gezeigte Parteichefin der Grünen in Bayern hat auch Trump  bisher weder einen Weltkrieg mit mehr als 50 Millionen Toten vom Zaun gebrochen noch sonst irgendein Menschheitsverbrechen begangen, das ihn dafür qualifiziert, auf eine Stufe mit Hitler gestellt zu werden. Gleiches gilt auch für Elon Musk, dessen "Hitlergruß-ähnliche Geste" im Januar so aufgeregt diskutiert wurde, dass die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Oder sich bemüßigt sah, Ermittlungen aufzunehmen

Ermittlungen gegen Musk 

Das Ergebnis war erschütternd. Die Wiedergabe von Musks Geste war echt. Nur ob es sich um einen  Hitlergruß handelte oder um eine "soziale Geste", wie sie die damalige Bundespräsidentengattin Bettina Wulf im Jahr 2011 kurz nach der Amtseinführung ihres Gemahls auf den Stufen vor Schloss Bellevue gezeigt hatte, ist nach fünf Monaten intensiver Ermittlungen noch unklar.

Im Fall Niehoff, Privatier mit Wohnsitz in den Haßbergen, ging es deutlich schneller. Im August 2024 erfolgte über das Online-Meldeportal des Bundeskriminalamts die Anzeige wegen der ehrenrührigen Beleidigung des Robert Habeck als "Schwachkopf Professional". 

Aus Anlass des alljährlichen Aktionstages zur Bekämpfung von Hasspostings von der Staatsanwaltschaft eine Aufhebung des Grundrechts auf Unverletzbarkeit der Wohnung des Mannes beantragt und wegen des Verdachtes einer Beleidigung einer "im politischen Leben des Volkes stehenden Person" ein Durchsuchungsbeschluss erlassen. 

Die mutmaßliche Tat schien Staatsanwälten und Gericht geeignet sein, das "öffentliche Wirken" der beleidigten Person "erheblich zu erschweren", zumal es Robert Habeck zu jener Zeit ohnehin schon nicht mehr einfach hatte. 

Mutmaßlich antisemitisch 

Einmal vor Ort, stellte die Polizei ein Tablet sicher und als Kritik aufkam, dass das alles ja wohl unverhältnismäßig sei, fand sich darauf ein "mutmaßlich antisemitischer Post" (lto.de), der den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllte und Kritiker zum Schweigen brachte. Die Methode, wie man dem versteckt agierenden Hetzer auf die Schliche gekommen war, mochte für manchen Etepetete-Rechtsstaatler nicht ganz astrein gewesen sein. Aber hier war er nun, zufällig ins Netz gegangen, aber in kurzer Zeit so berühmt geworden, dass niemand ihn mehr so einfach vom Hakenkreuz lassen konnte.

Zu viel Kraft hatte die Zivilgesellschaft schon in das Verfahren gesteckt. Zu viel Energie hatten die Justizbehörden darauf verwendet, ihr konsequentes Vorgehen im Rahmen des Kampfes gegen Hass und Hetze als ganz und gar normal darzustellen. Was anders sollte es auch sein in einem Land, dessen größte Magazine wie seine erfolgreichsten Fernsehstars ohne Hitler und das Hakenkreuz so manches Mal nicht wüssten, wie sie ihre Leser und Zuschauer ordentlich aufrütteln können. 

Der entscheidende Unterschied 

Der entscheidende Unterschied zwischen Niehoffs Hitlergrußbildchen und dem erforderlichen "kritischen Gebrauch" der Zeichen und Symbole des Dritten Reiches liegt im Ungefähren. Nach einem Urteil des Bayrischen Oberlandesgerichtes von 2022 (204 StRR 116/22) muss Hitler auf einem Bild nicht einmal einen Hitlergruß machen, um ein verfassungsfeindliches Symbol zu sein. 

Allein  ein "Kopfbild Adolf Hitlers" sei schon ein verfassungswidriges Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (BGH, MDR 1965, 923, juris Rn. 22). Damit wolle der Gesetzgeber verhindern, "dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird". Denn das könne zur Folge haben, "dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können.

Wann es wirkt 

Wann dergleichen Darstellungen welche Wirkung haben, ist schwer zu beurteilen. Ein Nachrichtenmagazin, das zehntausenden Menschen am Kiosk und im Internet ein Hakenkreuz zeigt, abgedeckt mit der deutschen Fahne, die Hitler so gar nicht mochte, bleibt straffrei. Eine Illustrierte, die den Staats- und Regierungschef eines Nato-Verbündeten als Hitlergrüßer darstellt, bekommt kein Problem. 

Ein Rentner hingegen, der glaubt, mit der Verbreitung einer ähnlichen "Grafik" (Amtsgericht Haßfurt) vor seinen tausend Followern eine straffreie Meinungsäußerung zur Politik formulieren zu können, liegt grundfalsch. Beim Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen handele es sich um ein Gesetz, das "sehr streng angewandt" werde, hat ihm der Haßfurter Richter ins Stammbuch geschrieben. "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum."

Das hat er nun davon 

Doch wäre Niehoff wegen der "Strafbaren Bilder auf X", für die er jetzt verurteilt wurde, angeklagt worden? Wenn nicht die letztlich allzu niedrigschwellige Ehrverletzung mit dem "Schwachkopf" von den Beteiligten bei HateAid, im Bundesministerium und bei den bayrischen Behörden verwendet worden wäre, um einen Präzedenzfall zu schaffen, mit dem die Grenzen der Meinungsfreiheit neu gezogen werden sollten?

Wie die überharte Habeck-Beleidigung, die dem Minister das öffentliche Wirken erschwert hatte, verschwand auch der mutmaßlich antisemitische Post auf dem Weg zur mündlichen Verhandlung. Als weit und breit einziger Verbreiter der erst im Zuge der Habeck-Ermittlungen entdeckten "Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" muss der Weiterleiter nun 55 Tagessätze zu 15 Euro zahlen, insgesamt 825 Euro. 

Es wird allen eine Lehre sein. 

*Philipp Jenninger im Deutschen Bundestag, 1988, "ungeschickt und ohne hörbare Distanz" (Deutschlandfunk)

Donnerstag, 19. Juni 2025

Zeitenwende: Bewegliche Wahrheiten

Lars Klingbeil beklatscht die Aufrüstungsforderung von Trump.

Es gibt keine Wahrheit in der Politik, die nicht veränderbar ist. Es gibt keine festen Positionen, keine stabilen Überzeugungen, keine Sturheit, die ungeachtet brausender Gegenwinde darauf beharrt, trotzdem recht zu haben, wenn alle anderen anderer Ansicht sind. Politik ist menschliche Mechanik, bei der unendlich viele bewegliche Teile miteinander interagieren, damit die Maschine reibungslos läuft. Prinzipien sind der Sand im Getriebe der Machtturbinen. Was gerade noch Grundkonsens war, kann einen Moment später schon kriminell sein. Und andersherum.

Rüstung gegen Renten 

Als die Union vor sieben Jahren öffentlich erkennen ließ, dass sie ihren Widerstand gegen Forderungen des damaligen US-Präsidenten Donald Trump nach höheren deutschen Rüstungsausgaben aufgeben könnte, wenn sie müsste, war die SPD-Führung sofort auf den Barrikaden. "Die Union beklatscht die Aufrüstungsforderungen von Trump", schoss die ehemalige Arbeiterpartei mit scharfem Geschütz. Und eingedenk ihrer neuen Zielgruppe - die Älteren vor allem - verband der Vorstand der Partei den Vorwurf umgehend mit dem, CDU und CSU wollten aber "nichts für langfristig stabile Renten in Deutschland tun".

Den Zusammenhang herzustellen, war tatsächlich "absurd". Ähnlich naheliegend wäre es gewesen, die Erfüllung des magischen Zwei-Prozent-Zieles der Nato - 2002 vom SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder mitbeschlossen und unterschrieben -  unter den Vorbehalt eines höheren Mindestlohnes, höherer Rundfunkbeiträge oder einer zuvor zwingend nötigen Erreichung aller Klimaziele zu stellen. 

Die Macht, Prioritäten zu setzen 

In der Politik gibt es keine Ziele, die nicht von anderen abhängen. Aber nur die Politik hat die Macht, Prioritäten zu setzen. Sie tut das in der Regel, indem sogenannte Säue durchs Dorf getrieben werden: Heute dies, morgen das, mal Klia, mal Migration, mal Messer, mal Terror, mal Schulden, mal die Wirtschaft, mal die Rechten. 

Irgendwas ist immer, aber nie ist es so wichtig, dass es übermorgen noch Bedeutung hat. In den meisten Fällen geht alles hier rein und da raus. Nach Berechnungen von Medienwissenschaftlern verpassen Auslandsurlauber, die zwei Wochen eine "Tagesschau" sehen, exakt 1,57 sogenannte Themenwellen. Wer günstig fliegt und am richtigen Tag zurückkehrt, kommt um komplette zwei Aufregungswallungen herum.

Speerspitze der Technik-Revolution 

Unversehens ändern sich unterwegs durch die Zeit Ansichten, ohne dass es dazu einer Einsicht bedarf. Legendär ist der Wandel der Grünen von der Partei, die selbst die betuliche ISDN-Technik ablehnte, zu einer Organisation, die sich als Speerspitze der technischen Revolution sieht. Dieselbe Partei lehnt Gene derzeit zwar noch ab, aber in fünf, zehn oder 15 Jahren wird sich auch das geändert haben müssen, wenn die Schoneinmalbeinahevolkspartei dann noch mitreden will. 

Problematisch wäre eine Räumung der angestammten Position für eine grüne Parteiführung nicht. Abgesehen von der Ablehnung des Atoms als solchem, zumindest so lange es auf deutschem Boden gespaltet wird, steht Grün Jahrgang 2025 komplett für Gegenteil dessen, was Grün 1995 für alternativlos hielt.

An die Merkel-Wurzel 

Da geht es den Menschen wie den Leuten, denn so schwer sich die CDU damit tut, sich die Merkel-Wurzel auszureißen, so eifrig ist sie bemüht, öffentlich möglichst eifrig zu jäten. Wir schaffen das. Dann ist das nicht mehr mein Land. Das freundliche Gesicht. Alles muss raus, und keiner darf mehr rein. Rein symbolisch. Die Beliebtheitswerte des Kanzlers steigen, die Umfragezahlen der Partei klettern hinterher. Richtiger kann niemand regieren und raffinierter kein Neuanfang inszeniert werden. 

Bloß keine Fehlerdiskussion. Der Einzug in neue Stellungen wird nicht erklärt, weil dazu manche überraschende Volte aus der Vergangenheit noch einmal auf die Bühne müsste. Besser ist es, komplett neu anzufangen. Gestern war es so richtig, dabei bliebt es auch, aber das haben alle ohne vergessen. Heute ist es aber alles so zu sehen: "Wenn es heißt 3,5 Prozent, dann machen wir 3,5 Prozent", hat Lars Klingbeil die Aufrüstungsforderung von Trump beklatscht.

Frieden war die Antwort 

Der heutige Chef der deutschen Sozialdemokratie war 2018 Generalsekretär der Partei, die die Ablehnung des Nato-Zieles seinerzeit als eines ihrer essentials betrachtete. Russland stand seit vier Jahren auf der Krim, das Nato-Ziel war noch sechs Jahre und eine Verdopplung der Militärausgaben entfernt. Führende Sozialdemokraten tingelten als Friedensengel durch die Lande und schworen, die europäische Idee sei die "Antwort auf die großen Aufgaben der Gegenwart" und mit Europa werde es quasi automatisch "mehr Frieden in der Welt" geben.

Eine der damals aktiven Realpolitiker sind abgetreten, andere in hübschen neuen Ämtern geparkt  worden. Die meisten der Protagonisten aber sind noch da, nur seit der Zeitenwende und dem Tag, an dem Trump die Instrumente auf den Tisch legte, in einem neuen Kostüm, ganz olivgrün. Das trägt man jetzt bei Hofe, das macht sich gut nach außen hin. Nur wer sich anpasst, bleibt sich treu und an der Macht, denn es gibt keine Wahrheit in der Politik, die nicht veränderbar ist. Und keinen Politiker, der sich bei der Wahl zwischen Prinzipien und einer Position für erstere entscheidet.

Beruhigender Beamtenboom: Die allerletzte Wachstumsbranche

Bürokratieabbau, Wirtschaftsleistung, Digitalisierung Verwaltung, Bürokratie-Index, Bürokratiereform, Unternehmensbelastung, Verwaltungsverfahren
Ermutigende Zahlen in dunkler Zeit. Inmitten einer seit Jahren stagnierenden Wirtschaft gibt es eine große Wachstumsbranche, die Fachkräfte nur so aufsaugt: Der öffentliche Dienst. 

Die Wirtschaft stöhnt, das Wachstum fehlt, die Bundespolitik sucht nun schon im dritten Jahr verzweifelt nach einem Aufschwung. Doch es fehlt an allem, bei den Fachkräften angefangen bis zu opferbereiten Senioren, die einfach weiterarbeiten, auch wenn sie nicht mehr müssten. 

Hätte nicht der große Zustrom in den zurückliegenden zehn Jahren mehrere Millionen neuer Konsumenten ins Land gebracht, sähe alles noch weiter schlimmer aus. Millionen Fernseher, Sofas und Stühle, Küchen, Teppiche und Regale wären nie gekauft worden. Unternehmer hätten nicht tausende neuer Imbisse, Kioske und Wettbüros gegründet. Und selbst die Mieten wären wegen mangelnder Nachfrage wohl kaum so gestiegen, dass der Wumms bis ins BIP zu spüren war.

Auf Rollatortour durch Europa 

Deutschland lahmt, der alte, kranke Mann Europas ist wieder auf Rollatortour durch sein Reich. Trumps Zölle machen ihm seinen Außenhandel kaputt, die Inflation die Binnennachfrage. Die Erziehungssteuern auf Urlaubsreisen dünnen die Flugpläne aus und die strengen EU-Vorschriften verhindern zufällig, dass irgendein junger Tüftler irgendeine geniale Idee bei sich daheim in der Garage umsetzt. Zweckentfremdung, wie sie Microsoft-Gründer Bill Gates sich dreist gestattete, ist verboten und das ist gut so. Mit SAP verfügt Deutschland schließlich bereits seit 53 Jahren über ein junges Hightech-Unternehmen. Was braucht es da ein zweites.

Alle Wachstumshoffnungen ruhen auf einem Bereich, auf den der Staat direkten Zugriff hat - und siehe da, allen Unkenrufen zum Trotz zeigt sich im Öffentlichen Dienst, welche Wachstumsraten möglich sind, wenn den angeblich so doch schlechte Unternehmer Staat freie Hand bekommt und wirtschaften kann, wie er will. Ausgerechnet der Bereich der Wirtschaft, dem bis in die Spitze der Bundesregierung und in die der EU-Kommission Bürokratismus, analoges Behäbigkeit und ein hohes Maß an Selbstbeschäftigung nachgesagt wird, entpuppt sich als wahre Jobmaschine.

Wachstumsrate zwölf Prozent 

Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen - mit 5,4 Millionen Menschen beschäftigt der Staat in allen seinen Ausprägungen eine Million Menschen mehr als noch vor fünf Jahren. Eine Wachstumsrate von zwölf Prozent, nach der sich so mancher US-Megakonzern die Finger ablecken würde. Allein im letzten Jahr der Ampel-Regierung gelang es, Behörden, Institutionen, Ministerien und Kommunen nach Angaben des Statistischen Bundesamts, 95.900 neue Beschäftigte einzustellen.

Der Beamtenboom macht Hoffnung gerade in düsteren Zeiten. Wenn der Trend hält, könnten schon Mitte der 30er Jahre alle arbeitsfähigen Deutschen im öffentlichen Dienst angestellt sein. Dort entsprechende Aufgaben zu finden, ist kein Problem, denn wie das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" analysiert hat, erklärt sich der atemberaubende Zuwachs dadurch, dass der Staat "offenbar immer mehr Menschen benötigt, um seine Aufgaben zu bewältigen".

Zu knapper Betreuungsschlüssel 

Mit derzeit knapp zwölf Prozent aller Beschäftigten, die direkt im Staatsdienst stehen, wird der öffentliche Dienst angesichts der anstehenden Herausforderungen auch nicht lange zurandekommen. Im Augenblick muss sich jeder Staatsdiener um 14 Bürgerinnen und Bürger kümmern. Diese Fachkraft-Insasse-Relation ist nach dem geltenden gesetzlichen Betreuungsschlüssel nur in wenigen Bundesländern als ausreichend eingestuft, aber auch dort nur, wenn die Gruppengröße und die Qualifikation des Personals der kindgerechten Definition entsprechen.

Ein Aufwuchs bei der Personalstärke ist unumgänglich, aber zwischen Bund und Ländern politisch umstritten. So hatte Hessen bereits vor einigen Jahren versucht, mit der Umstellung von der gruppenorientierten Mindestverordnung zum insassenbezogenen Schlüssel Definitionsraum für Neueinstellungen zu schaffen. Einer Expertenkommission zufolge aber entsprechen auch die aktuellen Betreuungsschlüssel nicht mehr internationalen Standards. Als leuchtendes Vorbild gilt hier Norwegen, die skandinavische Wohlstandsinsel am Rande der EU, in der mittlerweile 30 Prozent der Beschäftigten direkt im öffentlichen Dienst angestellt sind.

Vorbild Norwegen 

Norwegen ist damit Weltrekordler unter den OECD-Ländern, obwohl der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch in den anderen Ländern Skandinaviens weit über dem Durchschnitt. Deutschland hingegen ist hintendran: Fast sechs Prozent fehlen bis zum durchschnittlichen Staatsdienerbesatz eines großen Industrielandes, der bei 18 Prozent liegt. Für Deutschland entspräche das einer Gesamtzahl von etwa acht Millionen Staatsdienern - es müssten also binnen kurzer Zeit 2,4 Millionen Neueinstellungen stattfinden. Selbst über zehn Jahre verteilt, erscheint das angesichts des Personalmangels in den Personalabteilungen herausfordernd, müsste doch Anzahl an zuletzt erreichten Einstellungen mehr als verdoppelt werden, um das OECD-Ziel zu erreichen.

Das norwegische Modell hilft hier wenig. Denn an die Weltspitze geschafft hat das kleine Land mit der gigantischen fossilen Industrie durch Beharrlichkeit und Geduld: 1970 musste norwegische Statistikbehörde SSB noch konstatieren, dass nicht einmal 300.000 Menschen ihr Auskommen durch eine Beschäftigung in der Verwaltung, im öffentlichen Gesundheitswesen, in Schulen, bei Polizei und Feuerwehr und in den Kommunen finden. Erst bis zum Jahr 2020 gelang es dann dank sprudelnder Einnahmen aus dem Verkauf von fossilen Energieträgern, diese Zahl zu verdreifachen, so dass heute bereits 858.000 Menschen im öffentlichen Sektor angestellt sind. 

Besserer Betreuungsschlüssel 

Fast zwei Drittel der öffentlichen Bediensteten arbeiten in der Kommunalverwaltung, die im Königreich von Harald V. dreieinhalb mal mehr Menschen Arbeit, Lohn und Brot verschafft als die boomende Erdgas- und Erdölbranche. Weil das Gesamtwachstum allerdings auch im hohen Norden lahmt, nimmt Norwegen inzwischen Kurs auf die runde Million Staatsangestellter. Ist sie erreicht, läge der Betreuungsschlüssel Beamter/Bürger bei etwa 1:5,5 -  jeder Norweger hätte dann das Recht, einmal pro Woche von seinem persönlichen Staatsdiener Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten.

Von einem solchen umfassend bürokratisierten Idealzustand, in dem die Politik ihre selbstauferlegte Aufgabe, das tägliche Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger bis ins Kleinste "zu regeln" (SPD), ist Deutschland noch weit weg. Bei allem Wachstum im öffentlichen Sektor und trotz des jüngsten Beamtenbooms - der Staatsdienst ist zu klein, die Verwaltungen sind weit weg von einem Zustand, indem sie wirtschaftlich so dominant auftreten können, dass Staat selbst alle Karten in der Hand hält, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und in der Industrie zu steuern.

Mehr schaffen weniger 

Wo die Potenziale sind, um das Ausmaß an Bürokratie und staatlichem Einfluss auf die Wirtschaft weiter auszubauen, zeigt das Beispiel der heute als "Bundesagentur für Arbeit" firmierenden früheren Bundesanstalt für Arbeit. Im Jahr 2003 mussten 4,3 Millionen Arbeitslose und Arbeitssuchende noch auf die Hilfe von nur 108.000 Mitarbeitern hoffen, um wieder ins Arbeitsleben zurückzukehren. Seitdem ist die Zahl der Menschen ohne Job um 40 Prozent auf nur noch 2,6 Millionen geschrumpft. Für die aber  stehen bei der inzwischen von der früheren SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles geführten Mega-Behörde heute 113.000 Mitarbeitende bereit. 

Die Bundesagentur ist damit einer der größten Arbeitgeber Deutschland - nur Siemens, Bosch und VW kommen im privaten Bereich auf ein paar Angestellte mehr. Unter den zehn größten Arbeitgebern in Deutschland sind fünf staatlich kontrollierte Bereiche, vier marktorientierte Unternehmen und eine hybride teilstaatliche Firma. Die im industriellen Bereich seit längere laufenden Entlassungen verkraftet das Land bislang auch aufgrund dieses gesunden Binnenverhältnisses hervorragend: Obwohl die Zahl der Industriearbeitsplätze innerhalb eines Jahres um 100.000 sank, konnte das Bruttoinlandsprodukt stabil gehalten werden. Zu verdanken war das auch dem Umstand, dass die im marktwirtschaftlichen Bereich entfallenden Stellen im Umfeld von Bund, Ländern und nachgeordneten Behörden neu geschaffen wurden.

Sparen durch Beamte 

Zuletzt setzen Bund und Länder dabei aus Kostengründen wieder verstärkt auf die Verbeamtung. Unter den Neueinstellungen lag das Plus im Angestelltenbereich bei 0,9 Prozent, bei den Beamten hingegen fast dreimal so hoch bei plus 2,4 Prozent. Der Hintergrund ist finanzielle Natur: Die Verbeamtung von Mitarbeitern spart kurzfristig Kosten, weil der öffentliche Arbeitgeber keine Sozialversicheurng Beiträge entrichten. 

Stattdessen ist er nur verpflichtet, Rücklagen für die Kosten der künftig zu zahlenden Pensionen zu bilden. Durch entsprechend passend geschnittene Projektionen ist es Ländern und Bund möglich, es dabei bei symbolischen Sparbeträgen zu belassen. So hat das Bundesland Sachsen-Anhalt in seinem Pensionsfonds von seit 2006 bis 2017 etwas mehr als 600 Millionen Euro zurückgelegt. Im gleichen zeitraum stieg die Höhe der jährlichen Zahlungsverpflichtungen von 160 auf 420 Millionen Euro, bis 3035 werden 730 Millionen Euro erreicht.

Stabilität durch den öffentlichen Sektor 

Da die Rücklagen auch in den übrigen Bundesländern nicht ausreichen, um die im Augenblick bei etwa 80 Milliarden Euro im Jahr liegenden Ruhebezüge einer wachsenden Anzahl an pensionierten Staatsdienern daraus zu bestreiten, ist der Steuerzahler gefordert, die Lücken zu schließen, die von momentan 50 Milliarden im Jahr auf 100 Milliarden anwachsen werden. 

Angesichts von Trumps Zollforderungen, den bisherigen Misserfolgen der EU-Kommission, beim US-Präsidenten eine vorteilhafte Lösung auszuhandeln, und der anhaltenden Unsicherheit durch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten kann nur eine Sträkung des öffentlichen Sektors für Stabilität bei denr Steuereinnahmen sorgen. Gelingt es in den kommenden Jahren, die Zahl der Staatsdiener in Deutschland auf die norwegischen 30 Prozent zu bringen, wäre das Problem gelöst: Wenn erst 15 der 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland durch eine Festanstellung in einer Kommune, einer Behörde, einem ausgelagerten Amt oder einer sogenannten Nicht-Regierungsorganisation unabhängig vom Auf und Ab des globalen Wettbewerbs sind, kann der Finanzminister mit stabilen Steuereinnahmen aus diesem Bereich planen.