Dienstag, 30. Dezember 2025

Parteien des Jahres: Alle für die eine

Mit den großen Protesten in Gießen verschaffte die Zivilgesellschaft der AfD weitere anderthalb Prozent Aufwind.

Das Jahr 2025 war nicht nur ein Jahr der Unsicherheit, der Neuordnung der Meinungslandschaft und der Aufkündigung alter Freundschaften. Es war auch ein Jahr der alteingesessenen Parteien, die bewiesen, dass in einer Demokratie nicht alle Stimmen gleich viel wiegen. Um die Handlungsfähigkeit des Staates in einer Zeit multipler Herausforderungen zu sichern, haben die Parteien wichtige Schritte unternommen, um ihre Position als Herz, Kopf und Gesicht der Demokratie zu festigen.   

Eine Brandmauer stärkt die innere Stabilität. Neue Allianzen über die alten ideologischen Gräben hinweg haben Vertrauen zurückgewonnen. Neue Leute reagieren mit bewährten Maßnahmen auf Veränderungen, die sie oft selbst nicht verstehen. Lager sind zerfallen. Wer eben noch Mitte war, ist heute schon rechts. Die gewachsene Bedeutung der Parteien hat die traditionelle Demokratie umgestaltet zur modernen Parteiendemokratie. 

Die liefert Democracy at its best. Parteienzentralen sind heute das Rückgrat des Systems, doch wie der Blick ins zurückliegende Jahr zeigt: Zu ihrem Besten ist das nicht. 

Es funktioniert wie Westfernsehen. Wie Zucker. Nikotin. Alkohol. Wie verbotener Sex. "Keiner tut gern tun, was er tun darf", reimte der deutsche Volksdichter Wolf Biermann vor 60 Jahren, denn "was verboten ist, das macht uns grade scharf!"  In "des Zwanges sauren Apfel mag das Volk nicht beißen", riet er der roten Obrigkeit. So sei es doch wohl die beste Idee, "stellt man unter strengste Strafe jedes Loblied auf den Staat, jede kühne Aufbautat". Denn dann werde das Volk nicht mehr böse Witze reißen über die Genossen an der Spitze. Sondern genau das Gegenteil tun.

Die Ursache des Erfolges 

Ein Prinzip, das anzuwenden das DDR-Politbüro nie wagte. Und das doch seit zehn Jahren zeigt, wie wirkungsmächtig es ist. Die gefürchtete Alternative für Deutschland verdankt ihm den Großteil ihrer Erfolge. Ihr Aufstieg zu nachfragestärksten Partei Deutschlands - werden CDU und CSU getrennt betrachtet sogar zur einzigen Volkspartei im Land - ist nicht erklärbar ohne die anhaltenden kollektiven Bemühungen der Wettbewerber aus allen Lagern, sie kaut und deutliche zu ignorieren. Die Wähler zu ihrer Verachtung zu erziehen. Und sie zu verbieten.

Einen ähnlichen Weg gingen die Grünen in den Kindertagen des Ökoglaubens. Auch sie wurden ausgegrenzt, angegriffen und wegen ihrer Nähe zu diktatorischen Regimes, totalitären Ideologien und anerkannten Terrorgruppen als mutmaßlich staatsfeindlich vom Verfassungsschutz beobachtet. 

Hippies, Maoisten, Wehrkraftzersetzer 

Der "bunte Haufen aus Hippies und Maoisten, K-Gruppen-Mitgliedern und Friedensaposteln", wie ihn die Frankfurter Rundschau beschreibt, wurde allerdings schon zwei Jahre später als Mehrheitsbeschaffer gebraucht. Joschka Fischer, eben noch Mitglied eines "Putztruppe" genannten Vorläufers der antifaschistischen "Hammerbande" der Jetztzeit, verwandelte sich vom Widerstandskämpfer gegen die parlamentarische Demokratie in einen leibhaftigen Minister.

Die Brandmauer nach links, sie fiel endgültig, als Fischer 15 Jahre später Bundesminister wurde. Seine Partei war am Ziel. Sie musste nun nicht mehr einen Pazifismus predigen, der die Bereitschaft einschloss, sich dem Einmarsch sowjetischen Besatzungstruppen mit erhobenen Armen zu ergeben. Sie konnte direkt mit dem neuen Zaren verhandeln und ihn mit Wirtschaftsverträgen gnädig stimmen. Gemeinsam mit der SPD, wie die Grünen am Anfang der 90er Jahre energisch engagiert für die Beibehaltung der Spaltung Deutschlands und Europas, kassierten die Grünen die Friedensdividende, die Kohl, Genscher und Schäuble im Pokerspiel mit Gorbatschow, Thatcher und Bush erwirtschaftet hatten.

Sie haben sich längst verziehen 

Die Geschichte hat beiden Parteien verziehen. Auch sie selbst sind sich wegen ihrer früheren ideologischen Verirrungen nicht mehr gram. Gemeinsam mit Russland, das gerade in Afghanistan einmarschiert war, gegen Amerika gekämpft zu haben, auch das ist "ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt" deutscher Geschichte, wie es ein anderer deutscher Extremist früher einmal ausgedrückt hatte. 

Selbst der Verfassungsschutz erkannte das an. Ein Beobachtungsinteresse bestand nicht mehr. Einen Zusammenhang mit dem Aufrücken eines früheren Grünen-Politikers ins Amt des Bundesinnenministers gab es nicht  - ein Vorgang, der sich später wiederholte, als ein lange beobachteter PDS-Politiker in die Erfurter Staatskanzlei einzog. Nie gelang es mutmaßlich grundsätzlichen Kritikern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, den langen Marsch durch die Institutionen mit einer Machtübernahme zu krönen. Immer verwandelten sie sich zuvor in gute Demokraten der Mitte.

Sittengemälde der Klassengesellschaft  

Doch sie verloren dabei eben immer auch die große, geheimnisvolle Anziehungskraft, die aus ihrer Ablehnung durch das etablierte Macht- und Mediengeschäft entspringt. Der westdeutsche Liedermacher Franz Josef Degenhardt, wie Biermann Kommunist, wie Biermann notorisch unzufrieden mit Verhältnissen ohne richtigen Sozialismus, hat in seiner Moritat "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" ein Sittengemälde der Klassengesellschaft gezeichnet: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern , sing nicht ihre Lieder, geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder!", heißt es da.

Im Lied über einen Jungen, den es magisch in die Kaninchenställe der armen Nachbarn zieht, "wo sie Sechsundsechzig spielten um Tabak und Rattenfelle, Mädchen unter Röcke schielten und wo man, wenn der Regen rauschte, Engelbert dem Blöden lauschte." In der streng nach Bonner Republik riechenden außerparlamentarischen Erziehungspoesie wird das Opfer der Verhältnisse aus Rache reich, er baut sich ein Haus, nimmt täglich ein Bad und liebt "hochgestellte Frauen". Bis ihm die Schicksalstunde schlägt: Erst ein Unfall. Dann Kindesmissbrauch. "Seine Leiche fand man, die im Rattenteich rumschwamm", versucht Degenhardt das unausweichliche Ende in einer Art Reim zu packen.

Die Erfindung der Brandmauer 

Die Grünen sind diesem Los entgangen. 40 Jahre nach Fischers Turnschuhauftritt in Wiesbaden sind sie es, die definieren, wer zur demokratischen Mitte gehört und wer nicht. Die AfD muss dankbar dafür sein: Nach einem halben Jahrzehnt, in dem die neugegründete Professorenpartei mit überschaubarem Erfolg um EUnzufriedene warb, gelang es Angela Merkel, erste Lücken in die Dornenhecke zwischen den Blauen und der Mehrheitsgesellschaft zu schlagen. Ehe dann mit der Erfindung der Brandmauer der Durchmarsch an die Spitze der Parteienhitparade folgte.

Die AfD selbst musste fast nichts dazu beitragen. Natürlich hat sie ein Parteiprogramm. Allerdings interessiert das niemanden. Sie hat auch eine Parteiführung, doch statt Tino Chrupalla und Alice Weidel könnten auch immer noch Frauke Petry und  Jörg Meuthen amtieren - oder Tim und Struppi. Die AfD wird nicht für das gewählt, was sie ist. Sondern für das, was sie nicht ist. Die findet ihre Wähler nicht bei denen, die ihr etwas zutrauen. Sondern bei denen, die den anderen Parteien nichts mehr zutrauen. 

Kaum fassbares Glück 

Jede Warnung, die von SPD, Union, Grünen oder Linkspartei kommt, zahlt auf das Stimmungskonto der Blauen ein. Jede Protestkampagne, die die staatliche Zivilgesellschaft wegen dieses oder jenes Vorfalls organisiert, treibt die Zustimmung weiter nach oben. Jede Verteufelung, jede verharmlosende Gleichsetzung mit millionenfachen Mördern und jeder geschichtsvergessene Aufruf zum antifaschistischen Widerstand spült neue Zustimmung in Wellen auf die Mühlen der Opposition.

Seit Jahren schon kann die AfD-Führung ihr Glück nicht fassen. Alle arbeiten für sie, alle setzen sich so engagiert ein, dass die Parteivorsitzende  bei einem ihrer größten Auftritte im Sommer, zu Gast beim ARD-Sommerinterview, keinen einzigen verständlichen Satz sagen musste, um sich bei der Sonntagsfrage in der Woche danach  über einen weiteren Beliebtheitshüpfer freuen zu dürfen. Auch mit den großen Protesten in Gießen, die die Gründung einer Nachwuchsorganisation der AfD hatten verhindern sollen, verschaffte die Zivilgesellschaft der AfD weitere anderthalb Prozent Aufwind.

Überall Wahlkampfhelfer 

Die Wahlkampfhelfer der Anfang des Jahres schon einmal kurzzeitig als in Gänze gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei sitzen überall. Sie haben in den konkurrierenden Parteien kleine und große Posten. Sie arbeiten als Demokratiehüter in den Gemeinsinnmedien. Sie schreiben sich die Finger wund, sie singen und schicken Petitionen, sie haben die Steigbügel gehalten und schauen nun erstaunt hoch zu dem Reiter auf dem Pferd, das schneller läuft, als sie rennen können. 

Die Medizin, sie wirkt nicht. Die Medizin, sie bewirkt das ganze Gegenteil. Der Patient Unseredemokratie wird immer schwächer, je lauter seine nahe Gesundung durch komplette Isolation durch eine hermetische Brandmauer verkündet wird. Doch die besorgten Ärzte an seinem Bett sind überzeugt, dass die Dosis einfach noch zu niedrig ist. Die große Koalition der Fördergeldzivilisten, Petitionsfetischisten und Verbotsfanatiker lässt sich von der Wirklichkeit nicht irritieren. Sie arbeitet hartnäckig weiter daran, die AfD zu popularisieren und den Rechtsruck zu institutionalisieren. 

Je lauter die Alarmsirenen 

Den anhaltenden Enthüllungen, bei den Parteimitgliedern handele es sich um Hassprediger, Stürmer und Dämokraten, wird von den Enthüllern immer noch zugetraut, sie könnten das miese Blatt wenden. Große Hoffnungen ruhen auch auf Recherchen, die zeigen, wie zerstritten die AfD ist, wie fürchterlich korrupt, wie russland- und amerikafreundlich, wie über vernetzt mit Rechtsextremisten, neurechten Vordenkern und christlichen Kreisen. Je lauter die Alarmsirenen schrillen, desto mehr profitiert die AfD.

So lange die Brandmauer hält und die Verteufelung in keinem Text zur AfD fehlt, muss deren Parteiführung keinen Finger rühren. Ihre Siege fallen ihr in den Schoß.   

Das Jahr ohne Sommer: November der Entzauberung

Deutschland benötigt auch am Ende des großen Brandmauer-Jahres weiterhin baulichen Schutz vor rechts. Doch die Diskussion um einen Mauerneubau ist eingeschlafen.

Nothin' lasts forever
And we both know hearts can change
And it's hard to hold a candle
In the cold November rain

November Rain, Axl Rose, 1991

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. 

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.  

Es sind verstörende Nachrichten, mit denen der Internetkonzern Google Deutschland schockiert, als sich der Herbst der Reformen dem Ende zuneigt. Es ist so viel versucht worden. Es waren fast alle einer Meinung. So inständig mancher auch flehte, dass doch niemand ein Viertel bis ein Drittel und in manchen Regionen nahezu die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger aussperren dürfe, so Schulter an Schulter stand die Front. 

Die Brandmauer, sie würde stehenblieben, noch höher und breiter und undurchlässiger als immer. Sie würde, so hieß es, noch in hundert Jahren stehen, wenn sich die Bedingungen, die zu ihrem Bau hatten führen müssen, nicht geändert hätten.

Niemandem eine Träne nachweinen 

Eine Gesellschaft zeigte Charakter. Eine Gesellschaft knickte nicht ein vor einer schon im zehnten Jahr beständig wachsenden Minderheit. Nur weil Vater, Opa, Großmutter, Töchterchen oder der beste Freund auf Kindheitstagen auf Abwege geraten war, würde niemand jemandem auch nur eine Träne nachweinen. 

Das "dann geh doch rüber", mit dem vor allem rechtsoffene Kreise in der alte Bundesrepublik versucht hatten, progressiv denkende Umweltschützer, Wehrdienstverweigerer und von der SED finanzierte Medienarbeiter zu remigrieren, fand eine neue, inklusive Interpretation. Wer weiterhin Teil unserer Demokratie sein wolle, so hieß es in den Kanzelreden, der könne umkehren, sich abwenden von denen, die die regierung stürzen wollten. Und er werde, ein gewisses Maß an Reue vorausgesetzt, wieder Teil des großen Wir werden können.  

Millionen Unverbesserliche 

Eine Einladung, die von Millionen Unverbesserlichen ausgeschlagen wurde. Widerspenstig und kratzbürstig ignorierten im Verlauf des Jahres 2025 immer mehr Menschen die amtlichen Warnungen, sich nicht mit den falschen Freunden zu umgeben, keinen verkehrten Umgang zu pflegen und ja nicht bei falscher Gelegenheit am falschen Ort aufzutauchen wie die berühmte  Frau A.K.

Hinweise verpufften. Medienarbeiter, die beharrlich ihrer Aufgabe nachkamen, das Volk im Sinn der gestellten Klassenaufgabe zu erziehen, wurden verhöhnt. Politiker sahen sich nicht mehr ernstgenommen. Regierungsgegner drohten, das werde alles anders werden, hätten sie erst die Macht übernommen. Feige schlugen sich zugleich Millionen der Menschen in die Büsche, die sich noch zu Beginn des Jahres bei den größten Aufmärschen, die die Republik jemals gesehen hatte, als menschliche Schutzschilde zwischen den als "Nazi" enttarnten neuen Kanzler und die Brandmauer geworfen hatten.

Kein Interesse mehr für die Brandmauer 

99 Prozent Rückgang, so sieht es zehn Montae später aus. Das Interesse an der Brandmauer, dem tragenden Pfeiler der Unsererdemokratie, ist in einem so erschreckenden Maß eingebrochen, das oft Tage vergehen, bis der Schlüsselbegriff der Macht der Mitte in einem Medium verwendet wird. 

Natürlich versuchen es die Grünen noch, indem sie die ehemalige Trumpfkarte spielen, wann immer es zu passen scheint. Auch die Linke und selbst die SPD stehen stabil mt dem Rücken zur Wand. Doch die "kirmeshafte Lust am Untergang der liberalen Demokratie", mit der der "Spiegel"-Kolumnist Dirk Kurbjuweit das jhr am End ezusammenfassen wird, hat gewonnen. Die "Brandmauer" erscheint vielen nicht mehr als Sicherheitsversprechen. Sondern als Bedrohung der eigenen Entscheidungsfreiheit.

Dass es  so weit kommen würde, weil es immer so weit kommt, war zu erahnen. Die Geschichte zeigt, dass Propaganda nur wirkt, so lange sie nicht als Propaganda erkannt wird. Häufig genug wiederholt, können halbgare Fakten, manipulierte Statistiken und gezielt gekitzelte motionen eine klare Freund-Feind-Dichotomie schaffen. 

Ausgeblendete Widersprüche 

Widersprüche werden ausblendet, eine bestimmte Weltsicht mit Hilfe psychologischer Tricks, dumpfer Stereotypen und suggestiven, emotional geladenen Botschaften verbreitet. Die öffentliche Meinung ist einfach zu manipulieren: Demonstriert die gegnerische Seite, ist das ein "Aufmarsch", oft kommt es zu Gewalt. Ist man selbst auf der Straße, handelt es sich um einen "Gegenprotest", der "überwiegend freidlich" verläuft. 

Doch diese Magie, die zur Delegitimierung von Gegnern führt und die eigene Perspektive als einzig zulässig verbreitet, versagt, so bald die ersten Zweifel an der Behauptung auftauchen, nur sie sei es, die die  Wahrheit sage. Im Verlauf des Jahres 2025 war zu beobachten, wie sich zwei gegenläufige Trends aufschaukeln: Vermehrte Zweifel nicht mehr nur am Willen, sondern an der Fähigkeit der politischen Parteien, ihrer Führer und der von ihnen stets gelobten multinationalen Institutionen, anstehende Probleme lösen zu können. 

An die Reste der Realität genagelt 

Und die mit den Zweifeln wachsende Lautstärke, hektische Dringlichkeit und oft nurmehr noch grob an die Reste der Realität genagelten Versuche, mit noch mehr Medizin aus derselben Flasche doch noch alle zu heilen, die die bisherige Bilanz nicht überzeugt.

Das Überdrehte, Schrille und als Dauerton Heulende hatte so viele Jahre den Ruf, wenn schon niemanden überzeugen zu können, so doch alle Gegenstimmen unhörbar zu machen. Als die Schulstreiks in Deutschland die Ära von Klimahysterie und grüner Mathematik einleitete, erschien es jedem Medienkonsumenten, als seien Millionen Schülerinnen und Schüler auf der Straße. 

Obwohl es doch selbst auf dem Höhepunkt der nie mehr als zwei Prozent der Jugendlichen im Land waren, die zu den allfreitäglichen Kundgebungen für einen grundsätzlichen Gesellschaftsumbau im Namen des Klimakampfes kamen. 

Die letzte Elitenbewegung 

Wie Fridays for Future blieb auch die "Letzte Generation" eine Elitenbewegung, die keinerlei Massenwirkung entwickeln konnte - dafür aber von den Leitmedien hofiert wurde, als stehe sie tatsächlich für den Willen einer Mehrheit.  Nach diesem Vorbild designten die Anführer*innen anderer Randgruppenverbände ihr zynisches Geschäftsmodell: Auffallen, provozieren, die Grenzen von Zivilität und gutem Geschmack überdehnen, um wahrgenommen zu werden. Das gelang lange. Und die Schäden, die sich heute überall besichtigen lassen, sind groß.

Der neue antifaschistische Schutzwall, ein Bauwerk, das die lebendige Demokratie in eine Art Gipsbett hatte zwängen sollen, hat das Vertrauen von Millionen in die lauteren Motive der Medien, in die Problemlösungskompetenz der Parteien und in die Wohlstandsmehrungsfähigkeiten der EU nachhaltig zerstört. Wie in der am Ende unter der Last der eigenen, nie eingelösten Versprechungen zusammengebrochenen DDR überstehen die Ergebnisse der Arbeit der Parteien der Mitte und der europäischen Instanzen keinen Abgleich mit den Erfolgsmeldungen.

Abspielstationen für Propagandatexte 

Dass die großen Medien nahezu einstimmig versuchen, diese Diskrepanz auszublenden, entspannt die Lage jeweils nur für den Augenblick, verschärft sie aber auf lange Sicht. Denn indem sich die ehemals auch regierungskritische Häuser zur Abspielstationen für Propagandatexte machen, zerstören sie die einzige Möglichkeit, Menschen zu erreichen. Wer einmal über eine der unzähligen Designerwahrheiten gestolpert ist, den verlässt das Misstrauen, belogen und betrogen zu werden, nie mehr. 

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er dann die Wahrheit spricht... ARD, ZDF, die "privatkapitalistischen Medienheuschrecken", wie sie das ARD-Framing-Manual nannte - sie alle machten im Verlauf des Jahres die Erfahrung, dass  Abraham Lincoln Recht hatte. "Man kann manche Leute die ganze Zeit täuschen und alle Leute eine Zeit lang, aber man kann nicht alle Leute die ganze Zeit täuschen", hatte der US-Präsident gesagt.

Immanuel Kant war es, der vor den Folgen warnte, es trotzdem zu versuchen: Jede Lüge untergräbt die Grundlage der Kommunikation. Niemand verschwendet noch Zeit darauf, einem Lügner zuzuhören, der dafür bekannt ist, sich seine Wahrheiten entlang ideologischer Erfordernisse zurechtzubiegen.

Die traurigen Siege der Haltungsökonomen 

Es sind die Vertreter der Haltungsökonomie, die als menschliche Kontraindikatoren fest zur Sache stehen und damit das Geschäft der Leute besorgen, die sie zu bekämpfen vorgeben. Dem Publikum vermittelt diese Art Wissenschaft des Gefühls den Eindruck, dass niemand mehr nichts Genaues weiß und deshalb alles egal ist. Der Kontrollverlust, den Friedrich Merz unbewusst mit seinem Satz vom Stadtbild heraufbeschworen hatte, löst eine tiefgreifende Irritation aus. 

Wenn der Bundestag im Zuge der Pandemie mit dem §5c IfSG Anweisungen erteilen kann, die über Leben und Tod entscheiden sollten, das Bundesverfassungsgericht das Gesetz aber Jahre später kassiert, was ist dann noch richtig? was ist falsch? Kommt der Automatismus, mit dem Politiker im dritten Jahrtausend alles regeln, deckeln, verbieten wollen, an seine Grenzen?  Oder hilft die Vorstellung eines Gesellschaftsmodells, das das sozialistischen Glücksversprechen früherer Zeiten reanimiert, weil Enttäuschung als letzte gesellschaftliche Triebkraft noch stark genug ist, Veränderungen zu bewirken?

Rettung durch Umverteilung 

Die Idee, ein Staat könne Wohlstand und soziale Wärme einfach durch Umverteilen, neue Gesetze und Klimaillusionen erzeugen, ist auf dem Rückzug. Doch geschlagen ist sie noch lange nicht. Die paradiesische Utopie, dass der Staat alles richten könne, sitzt gerade in der jungen Generation, die selbst noch nicht miterlebt hat, dass öffentlich verkündete Ziele kein Weg sind, Ziele zu erreichen. 

"Fensters zum Osten", wie die grüne Restpartei eines in Brandenburg öffnet, sind es vermutlich auch nicht. Nach der desaströs verlorenen Bundestagswahl ist der früheren Öko-Partei nicht nur die Prominenz abhanden gekommen, sondern auch die Machtperspektive. Soll man noch linker werden? Oder pragmatischer tun? Parteichef Felix Banaszak entschließt sich, stattdessen "Präsenz in den neuen Ländern zu zeigen" und eine Art Schlüsselloch in den Osten zu bohren, um das normale Leben der gewöhnlichen Menschen beobachten zu können. 

Nun nur noch besser erklären 

Das vermeidet, sich den realen Problemen stellen zu müssen. Es ist die "Wir müssen unsere gute Poltik nur noch besser erklären"-Variante von hochfliegenden Pläne zum Emissionshandel, Green Deals zur Dekarbonisierung und des Kanzlers Behauptungen, Deutschland sei eine Führungsnation bei KI. 
Der November 2025 ist der Monat der Entzauberung. Auch Merz' Allmachtswunsch ist nur eine Behauptung. Sein Sommer der Stimmungswende entschläft still wie alle Fortschrittsversprechen linker und grüner Utopisten. 

Der November des Abschieds:

Innovationsreich Deutschland: Raketen auf dem Weihnachtsmarkt
Fest der Demokratie: Die Helden von Heuchelheim
Zitate zur Zeit: Gerettete Königreiche
Gerechte Beitragsexplosion: Angriff aufs Ersparte
KI-Wettlauf: So will Trump die EU bei Künstlicher Intelligenz einholen
Rentenstreit: Die alten Frauen sind zu teuer
Kosten der EU: Ein Millionengrab aus Kaffeetassen
EU-Postkontrolle, Abteilung M: "Alles wissen, um alle zu schützen"
Lauterbach-Idee: Zukunft aus der Sterbeliste


Montag, 29. Dezember 2025

Parteien des Jahres: Die Linke und das Ende des Aufschwungs

Heidi Reichinnek hat die Linkspartei im Alleingang vor dem Ende bewahrt.

Das Jahr 2025 war nicht nur ein Jahr der Unsicherheit, der Neuordnung der Meinungslandschaft und der Aufkündigung alter Freundschaften. Es war auch ein Jahr der alteingesessenen Parteien, die bewiesen, dass in einer Demokratie nicht alle Stimmen gleich viel wiegen. Um die Handlungsfähigkeit des Staates in einer Zeit multipler Herausforderungen zu sichern, haben die Parteien wichtige Schritte unternommen, um ihre Position als Herz, Kopf und Gesicht der Demokratie zu festigen.   

Eine Brandmauer stärkt die innere Stabilität. Neue Allianzen über die alten ideologischen Gräben hinweg haben Vertrauen zurückgewonnen. Neue Leute reagieren mit bewährten Maßnahmen auf Veränderungen, die sie oft selbst nicht verstehen. Lager sind zerfallen. Wer eben noch Mitte war, ist heute schon rechts. Die gewachsene Bedeutung der Parteien hat die traditionelle Demokratie umgestaltet zur modernen Parteiendemokratie. 

Die liefert Democracy at its best. Parteienzentralen sind heute das Rückgrat des Systems, doch wie der Blick ins zurückliegende Jahr zeigt: Zu ihrem Besten ist das nicht.

Sie war so gut wie tot, als sie in ihren letzten Wahlkampf zog. Die Linkspartei, eine marktgängig flott verpuppte Reinkarnation der alten DDR-Regierungspartei SED, hatte jede Hoffnung aufgegeben, noch einmal an die Fleischtöpfe der Macht zurückkehren zu dürfen. Die Partei war zerstritten, sie mobbte ihre Führungsfiguren mit Leidenschaft und ihre einzige Hoffnung, ein paar wenige Sitze im Bundestag zu erobern, bestand darin, auf einige uralte prominente Einzelkämpfer zu setzen. Mit deren Hilfe, so hatte es der Vorstand beschlossen, sollte die Wahlgesetzgebung sich so gezielt ausnutzen lassen, dass es doch wieder klappt mit ein paar Genossen im Parlament. 

Rettung durch die Brandmauer 

Der nächste Sozialismus wird gut.
Dass es viel besser wurde, so gut sogar wie seit Jahrzehnten nicht mehr, verdankten die Linken ausgerechnet den Rechten. Die "Brandmauer", Jahre zuvor publizistisch gezogen, um der Union die Bildung einer Mehrheit rechts der Mitte auf Dauer unmöglich zu machen, sorgte für einen bundesweiten Aufstand der guten Gewissen, als CDU und CSU im Bundestag gemeinsam mit der AfD abstimmten. Das geschieht immer mal wieder, es passiert selbst den Grünen, der SPD und der Linken zuweilen. Doch angetrieben von einer enervierten Medienmaschine, die im "Tabubruch" (Deutschlandfunk) das Wetterleuchten einer neuen Hitlerzeit erkannte, brandete eine Welle von Demonstrationen durchs Land.

Es war wieder fünf vor Hitler. Friedrich Merz, Umfragen zufolge der kommende Bundeskanzler, wurde als Naziführer mit Hakenkreuzaugen karikiert. CDU und CSU waren die Steigbügelhalter einer kommenden Weidel- und Höcke-Diktatur. Eine Angst ging um in Europa, eine Angst, die nach Rettern rief, die nur von links kommen konnten, je weiter draußen, desto besser.

Just in diesem Augenblick geschah der Linkspartei ein Wunder. Heidi Reichinnek, eine Ostdeutsche aus dem Westen, tätowiert wie eine Ostmulle und talentiert, zu jedem Thema schnell ein paar Sätze abliefern zu können, wurde mit einer Bundestagsrede gegen die neue Nazi-Gefahr beim chinesischen Kurzfilmportal TikTok zum Star. Was genau Reichinnek sagte, verstand niemand. Aber das macht einen Teil der Faszination aus, die von der Jungfunktionärin mit dem Jungpioniereifer ausgeht.  

Der zweite Versuch 

Reichinnek ist der zweite Versuch der kleinen Partei, die sich den Namen einer ganzen politischen Denkrichtung angeeignet hat, Anschluss an die großstädtischen Kreise junger Radikalisierter zu gewinnen. Im ersten Anlauf hatte es Carola Rackete versuchen sollen, eine Westdeutsche mit kulturell angeeigneter Rasta-Frisur, der die Lust daran, ihre Wahlversprechen einzuhalten, aber schon nach einem Jahr vergangen war. Ohnehin hatten die ostdeutschen Stammwähler mit der als Flüchtlingsretterin tätigen Frau aus Kiel gefremdelt - kaum ein Milieu lehnt den 2015 von Angela Merkel eingeleiteten Flüchtlingszustrom so strikt ab wie die hinter der antifaschistischen Brandmauer sozialisierten Sachsen, Thüringer und Mecklenburger.

Heidi Reichinnek vertritt dieselben Positionen wie Rackete. Doch ihrer Herkunft wegen sehen ihr das viele alte Genossen nach. Mit ihr als dem freundlichen Gesicht des Sozialismus glückte der Linkspartei das Kunststück, sich als letzte Bastion vor der Machtübernahme durch die neuen Hitlers, Goebbels und Himmlers zu inszenieren. Stolz verweist die Partei auf steigende Mitgliederzahlen, seit man "den Klassenkampf wieder nach vorne" stelle.

Fern der Arbeiterklasse 

Obwohl keine andere Partei abgesehen von den Grünen so fern der Menschen lebt, die sie zu vertreten vorgibt, hat die Linke Depression und Untergangsfurcht hinter sich gelassen, die sie vor einem Jahr noch existenziell plagten. Aus den traurigen Resten einer Organisation, die nach dem Ende der DDR als Kümmererpartei für den Osten gewisse Erfolge einfuhr, ist eine Formation geworden, die mit  antikapitalistischen Parolen und Ankündigungen eines neuen Sozialismusexperiments auf gesellschaftliche Spaltung zum eigenen Vorteil setzt. 

So lange es den Funktionären gut geht, weil das schräge, schrille Spitzenpersonal einen ausreichend großen Prozentsatz an Wählerinnen und Wählern anspricht, taugt das sozialistische Gerechtigkeitsversprechen als Zukunftsvision.

Verbote, Bestrafungen und höhere Steuern 

Wo immer sie ein Mikrofon hingehalten bekommen, predigen Reichinnek und ihr Kollege Jan van Aken  Enteignungen,. Vergesellschaftungen, Verbote, Bestrafungen und höhere Steuern. Für eine Anhängerschaft, deren soziale Zusammensetzung in etwa der der gesellschaftlichen Gruppe gleicht, die stur Grüne und SPD wählen, was immer die beiden Parteien auch zusammenregieren, ist das ein reizvolles Angebot: Im urbanen Milieus des hochgebildeten und verbeamteten Bionadeadels wie ganz unten in den Studenten-WGs ist die Sehnsucht groß, dass ein starker Mann oder besser noch eine starke Frau kommt und die Welt vor dem Klimawandel, vor Krieg, Trump und AfD rettet. 

Medien, die im Bemühen, ihre Leserschaft nach deren Vorstellungen zu bedienen, von ganz weit links außen auf die Gesellschaft schauen, sehen die Linkspartei plötzlich als "Mitte". Da entstehe gerade etwas Großes, analysierten sie nach der überraschenden Wiederauferstehung der SED als einer Partei, die beim grünen Nachwuchs Sympathien weckte und linke Sozialdemokraten in Versuchung brachte. Aus sechs Prozent waren zwölf geworden, in nur wenigen Wochen. Was also sprach dagegen, dass die Linke in ein paar Monaten eine Volkspartei sein würde?

Wie festgeklebt in Umfragen 

Die Inhalte. Das Personal. Die Angewohnheit von Menschen, auf Spektakuläres zu reagieren, bald darauf aber jedes Spektakel langweilig zu finden, selbst Heidi Reichinnek. Ein Phänomen, das den Aufstieg der Linken erst abgebremst und schließlich beendet hat. Seit Monaten schon tut sich nichts mehr in den Umfragen. Wie festgeklebt hängt die Linke zwischen zehn und zwölf Prozent  der Stimmen. Die Partei, mittlerweile auch von der Union als nützlich, wenn auch nicht demokratisch anerkennt, kommt aus dem Ghetto des Gebets von Kommunismus, Gerechtigkeit und allmächtigem Staat nicht heraus. 

Die Mitte, das sind die anderen, ausweislich ihrer Wähler ist sogar die AfD mehr Mitte als Linke, die durch ihre Strategie der Zuspitzung, Spaltung und Polarisierung zwar die Grünen in der Beliebtheit überholt hat. Das aber auf Kosten des eigenen Lagers: Es waren grüne Bürgersöhne und vegane Pferdemädchen, die nach dem Abschied von Robert Habeck und Annalena Baerbock hinüber zu Reichinnek und van Aken wechselten, den beiden frischen Gesichtern des Extremismus der bürgerlichen Mitte, für die der nächste Sozialismus immer der erste richtige bleiben wird.

Einsatz für Sonderrechte  

Dieses sektiererisches Bürgertum kennt keine Grundrechte, sondern nur Sonderrechte bestimmter Gruppen. Oft hat sich Heidi Reichinnek schon für die Rechte von Frauen und Kindern und für "soziale Grundrechte" eingesetzt. Über die allgemeinen und allen Gruppen inklusive Frauen und Kindern gleichermaßen zustehenden Bürgerrechte hat sie sich noch nie geäußert. Spalten, polarisieren, die sozialen Milieus gegeneinander ausspielen und die Armen auf weniger Armen und die weniger Armen auf Reichen hetzen, das ist das Spiel der Linkspartei. 

Was für das ungeübte Auge aussieht wie eine Koalition von Weltfremden, Realitätsverweigeren, Revolutionsromantikern und Geschichtsvergessenen,  ist in Wirklichkeit ein Geschäftsmodell, dass es der Funktionärskaste der Linken erlaubt, im verhassten demokratischen System des Kapitalismus bestens zu überleben. Wenn dazu ein Bündnis mit allerlei Verwirrten gehört, das Parteitage in ein Panoptikum als bizarren Gestalten mit gruseligen Zukunftsplänen macht, ist das der Parteileitung nur recht. Sie hat nie das ziel gehabt, die ganz gewöhnlichen Menschen draußen zu erreichen, die "die das Land am Funktionieren halten", wie es der SPD-Chef Lars Klingbeil einmal nach dem Anschauen einer 3sat-Doku über Klempner, Straßenbahnfahrerinnen und junge Schreiner beschrieben hat.

Arbeiterfolklore und Klassenkampfparolen 

Nein, sie adressieren mit Arbeiterfolklore, Klassenkampfparolen und der plumpen Inszenierung als  antifaschistischer Kraft im Titanenkampf gegen das Vierte Reich eine Zielgruppe aus gutsituierten Staatsangestellten, Studenten in Nicht-MINT-Fächern, prekären Bürgergeldempfängern und Verhältnishassern, die sich gern an den früheren Großparteien rächen würden. Billiger als mit einem gratismutigen Kampf gegen Gespenster ist Begeisterung nicht zu ernten.

Der Erfolg bleibt auf  bestimmte Milieus beschränkt, doch für die Führungsetage der Partei ist das ohne Bedeutung. So lange durch ein Bündnis mit Islamisten, selbsternannten Antikolonialisten und Migrationsverfechtern ausreichend anti-marktwirtschaftliche, antidemokratische und antisemitische Anhänger mobilisiert werden können, langt das zu, eine wohlstandsverwahrloste kleine Gruppe aus hauptamtlichen Funktionären in Lohn und Brot zu halten. 

Das Jahr ohne Sommer: Roter Oktober

Die Unzufriedenheit mit der Weigerung der USA, weiterhin für Deutschlands Sicherheit zu sorgen, bricht sich Bahn.

 OctoberAnd kingdoms riseAnd kingdoms fallBut you go onAnd on...

October, Paul Hewson, 1981

 Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. 

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.  

Sie kommen, um die Hamas vor der Auslöschung zu bewahren,. Doch Israel zeigt sich einmal mehr brutal und uneinsichtig. Die "Global Sumud Flotilla", eine Flotte von Partybooten, die sich mit Mann- und Frauschaften aus der internationalen Antisemitenszene besetzt Richtung Gaza eingeschifft hat, wird aufgebracht.  443 Matrösinnen und Matrosen aus 47 Ländern landen im nächsten Flieger nach Hause. Die frühere Klimaikone Greta Thunberg klagt über Folter und Verachtung, die deutschen Medien sind noch einmal bereit, die Vorwürfe der Schwedin ungeprüft zu verbreiten.

Böser Friedensplan

Doch das Thema Gaza ist durch.  Natürlich richtet sich Trumps Friedensplan für den von der Terrororganisation beherrschten Küstenstreifen im Heiligen Land  zuallererst gegen die Interessen Europas. Hier hatte sich die Waage zwei Jahre nach dem Angriff der Hamas auf Israel mehr und mehr in eine Richtung geneigt, die den palästinensischen Terrororganisationen doch möglichst weit entgegenzukommen, um sie zumindest vorübergehend zu einem Friedensschluss zu bewegen. 

Frankreich, Großbritannien, Kanada, Australien und Frankreich hatten den Fantasiestaat Palästina offiziell anerkannt. Grüne, die SPD und die Linke forderten ultimativ, dass sich Deutschland dem Beispiel anschließen müsse.

Die Welt dreht sich zu schnell

Doch Friedrich Merz überrascht Wählerinnen und Wähler. Er tut etwas ganz Ungewöhnliches. Und hält dem Druck stand. Die Enttäuschung über den Regierungschef, bisher beheimatet bei den Anhängern von CDU und CSU, schwappt hinüber in der Fankurve der Opposition. Für deutsche Verhältnisse dreht sich die Welt längst alles viel zu schnell. Kaum haben Politik, Medien und stichwortgebende Wissenschaft ein Problem identifiziert und engagierte Nicht-Regierungsorganisationen eine Lösung vorgeschlafen,  hatten andere bereits eine gefunden. 

Die gesamte EU hinkt der Welt hinterher, und das bedauernswerte Deutschland sogar der EU. Als Ende des Monats Oktober die Kühltürme des stillgelegten Kernkraftwerks Gundremmingen gesprengt werden, wird es keine zwei Monate mehr dauern, bis Brüssel Milliardenbeihilfen für Polen genehmigen wird - gedacht zum Bau eines Kernkraftwerkes nahe der deutschen Grenze. Finanziert aus den Beiträgen, die die deutschen Steuerzahler Jahr für Jahr in  seltener Großzügigkeit in die Sammeltassen der Brüsseler Bürokratie fließen lässt. 

Mit Rest baut RWE auf den Trümmern des KKW ein Containerdorf aus Megaspeichern mit einer "Leistung von 400 Megawatt und einer Kapazität von 700 Megawattstunden". Das reicht, um alle in Deutschland zugelassenen E-Autos mit dem Speicherstrom  je zwei Kilometer weit kämen.

Im Deutschland-Tempo

Es geht dennoch voran, nur eben im Deutschland-Tempo, jener schlafmützigen Mischung aus Angst, Ignoranz und Eilfertigkeit. Statt irgendwen überholen zu wollen, richtet sich der neue deutsche Ehrgeiz auf das sprichwörtliche Vermeiden des Eindrucks, man wolle jemanden einholen. 20 Jahre nach Paypal  erfindet die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt "Wero", ein Online-Bezahlsystem.

Ein erster Erfolg des Vorschlages von Robert Habeck, Europa solle "das nächste Google" entwickeln. Die Pflicht zur Nutzung der elektronischen Patientenakte tritt in Kraft - laue Bedenken, dass die ePA für die Speicherung besonders sensibler Daten völlig ungeeignet sei können den Siegeszug der modernen Technik nicht stoppen. 

Die große Bedrohung kommt in diesen erneut viel zu warmen Oktobertagen von oben. Während Medien und Verteidigungspolitik gebannt auf sogenannte Drohnensichtungen schauen, weil Wladimir Putin versucht, Deutschlands Kampfbereitschaft vor der anstehenden Entscheidung über die Rückkehr zur Wehrpflicht zu stärken, gerät die tatsächliche Gefahr aus dem Blick. Im Zuge eines hybriden Angriffs, der getarnt wird von den durchsichtigen Drohnenattacken, haben russische Militärs offenbar ganze Vogelzüge mit H5N1-Erregern infiziert.

Drohende Drohnen 

Zu Tausenden fallen Tiere vom Himmel, ohne dass Experten den Zusammenhang erkennen. Alle Augen sind auf die Drohnen gerichtet, die immer schon wieder weg sind, sobald die Drohnenabwehrtruppen der Bundespolizei  mit ihren Fangnetzen auftauchen. Auch die Spezialermittler der Geheimdienste  suchen vergebens nach den Urhebern der Attacken: Obwohl bis zur Abstimmung über die Los-Lösung für die Auswahl der Kandidaten für die vordersten Gräben hunderte Drohnenanflüge gemeldet werden, gelingt es in keinem einzigen Fall eine sichere Spur nach Moskau zu legen.

Dafür aber führt die Fährte des Nord-Stream-Anschlages nun wirklich nach Kiew. Zwei Ukrainer sitzen als mutmaßlich Beteiligte am größten Anschlag auf kritische deutsche Infrastruktur seit den alliierten Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg in Haft, einer in Polen, einer in Italien. Während die Regierung in Warschau wegen der deutschen Weigerung, Reparationen  für die Kriegsschäden von 1939 bis 1945 zu zahlen, eine Freilassung ihres Verdächtigen verfügt, bleibt  die Achse Berlin-Rom stabil. 

Berliner Verlegenheit 

Den europäischen Vereinbarungen gemäß liefert Giorgia Meloni den mutmaßlichen Täter aus. Wenn auch vermutlich nur, um die Regierung in Berlin in die Verlegenheit zu stürzen, nun einen Prozess gegen einen Soldaten eines Landes führen zu müssen, den man selbst mit den finanziellen Mitteln ausgestattet hat, die Lebensader der deutschen Chemie- und Energieerzeugungsindustrie  anzugreifen.

Es wird lange dauern bis zur Anklage, so viel ist sicher. Und der Prozess wird noch länger dauern. Selbst im Fall der Putschisten um den Prinzen Reuß jährt sich die aufsehenerregende Verhaftung bald zum dritten Mal und auch der Prozess geht ins dritte Jahr. Das Problem mit dem Stadtbild, so sagt es Friedrich Merz  in einer öffentlichen Anklage an die Verhältnisse, gebe es aber immer noch. 

Die Stadt, der Müll und der Tod 

Was er meint, vermag jeder instinktiv zu erfassen, der die Stadt, den Müll und den schleichenden Tod jeder Zivilität auf den Straßen sieht. Doch gerade das triggert die Meinungsführer: Die Botschaft ist unangenehm, es gibt einmal mehr ernste Schwierigkeiten mit der unangenehmen Wahrheit, dass sich Deutschland verändert hat und sich niemand mehr darüber freut.

Abgehalftert. Von Kleinkram abgelenkt. Alleingelassen vom großen Verbündeten Amerika, dessen Präsidenten die deutsche Uno-Delegation unter Heiko Maas noch souverän ausgelacht hatte, als  er Jahre zuvor warnte, Europa begebe sich durch seine Weigerung, für sich selbst zu sorgen, in eine unheilvolle Abhängigkeit von Despoten. 

Damals, in der alten Zeit der deutschen Selbstgewissheit, war der US-Präsident aber so schief gewickelt, als er "polterte": "Deutschland macht sich total abhängig von russischer Energie, wenn es nicht sofort seinen Kurs ändert. Hier in der westlichen Hemisphäre wollen wir unsere Unabhängigkeit gegenüber den Übergriffen eines expansionistischen fremden Macht wahren."

Das abhängige Russland 

Deutschlands beste Faktenchecker konnten seinerzeit den Nachweis führen, dass es den "Russen schwerfallen würde, Deutschland in Geiselhaft zu nehmen", denn das Land benötigte die Russen zwar als Lieferanten für Erdgas. "Aber auch da ginge es längere Zeit ohne." So lange sogar, dass die EU im dritten Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ernsthaft in Erwägung zieht, in ein, zwei Jahren ganz auf direkte Energieträgerlieferungen aus Russland zu verzichten.

Es wird, doch als Lars Klingbeil zur Audienz bei "Caren Miosga" bittet, macht der neue starke Mann schnell klar: Von nichts kommt nichts und die nächsten Jahren werden deutlich härter. Klingbeil versucht nicht, seine Ratlosigkeit zu verstecken. Aus jeder Geste, jedem Satz spricht allein die Hoffnung, es werde vielleicht doch einmal ein Wunder geschehn. Das Fell des Bären kann nur einmal verteilt werden, wo aber Bären nicht gejagt werden können, weil es keine gibt, werden die Winter kalt. Deutschland hätte immerhin Wölfe. Wagt aber nicht, sie zu jagen, weil eine EU-Strafe drohen könnte.

Desaströse Lage 

Die anhaltende Diskussion über die desaströse wirtschaftliche Lage Deutschlands und die notwendigen Sozialreformen verlagert sich im Oktober vom Versprechen der schnellen Entlastung zur Entfesselung neuer wirtschaftlicher Dynamik zu den langen Linien der üblichen Verschieberei. Das vom Start weg nur über seine Zerstrittenheit einige Letzte-Patrone-Bündnis von Union und SPD simuliert Tatkraft auf Nebenkriegsschauplätzen: Höhere Steuern für Erben, später höhere Steuern auf CO₂, höhere Sozialabgaben durch höhere Bemessungsgrenzen und höhere Erbschaftsstreuern sowieso, weil es immer eine Minderheit sein muss, der sich mit Hilfe der Mehrheit am leichtesten Fell über die Ohren ziehen lässt.

Berlin weiß nicht, wie die Rentenkassen 2026 ausreichend gefüllt werden sollen. Berlin könnte nicht sagen, wie die Krankenkassenbeiträge in einem Jahr aussehen müssen, um auch die vielen mitzuversorgen, die gekommen sind, "die Renten der Boomer zu bezahlen" (Marcel Fratzscher). Karl Lauterbachs Krankenhausreform ist ganz aus den Schlagzeilen verschwunden. Die seiner Nachfolgerin, einer Frau namens Warken, wankt, weil die Bundesländer nicht die sein wollen, die das mehr bezahlen, was Warken weniger bezahlen will.

Hart konzentriert sich die Koalition darauf, mit Märchen von geplanten Mikroelektronikfabriken und gewaltigen öffentlich-rechtlichen KI-Gehirnen Zuversicht zu verbreiten. Wie weiland Erich Honecker predigt Friedrich Merz eine "Hightech-Agenda der Bundesregierung". In gleich sechs High-Tech-Bereichen, in denen Deutschland bisher keinerlei globale Bedeutung hat, soll der frühere Exportweltmeister zum "führenden Standort für neue Technologien" werden, so hat es das Kabinettg beschlossen. Gedacht ist an Künstliche Intelligenz, an Quantentechnologien, an Mikroelektronik, Biotechnologie, Kernfusion und - eine kleine Verneigung vor Nostalgikern - auch an "klimaneutrale Energieerzeugung" und "Technologien für klimaneutrale Mobilität". 

Das große Werk, gestrickt auch aus der Ilusion, das alles ließe sich mit Gelegenheitstrom antreiben und der werde in den kommenden Jahren mit steigendem Bedarf immer weniger gebraucht,  erlebt mit der Verkündigung vom Balkon des Elfenbeinturmes seinen schönsten Moment. Danach gibt die "Hightech-Agenda" nur noch ein ganz kurzes Gastspiel in der Wirklichkeit: Beim Projekt, "das aus dem Sondervermögen finanziert werden" solle, werde "gestritten", fasst das "Handelsblatt" die neuerliche Niederkage der Nation zusammen. Trotz "höchster Priorität knirscht es zwischen Union und SPD", wird es im Dezember heißen.

Der Wille ist da, irgendetwas zu tun. Doch es fehlt die Kraft. Friedrich Merz sitzt immer noch über den "vielen, vielen Investitionsangeboten", die sich schon Anfang Oktober im Kanzleramt gestapelt hatten. Es seien "viele von Firmen aus dem Inland" und "noch vielen mehr von ausländischen Investoren", hatte der Kanzler zum Tag der deutschen Einheit gesprochen. Die Menschen draußen im Lande könnten beruhigt sein und gelassen in die Zukunft schauen, versprach er. Noch "Wir werden das jetzt ordnen", kündigte er an. 

Doch das politische Jetzt ist eine lange Zeit. 

Der Oktober im Rückspiegel: 

Startschuss für Großspeicher: Die Billionen-Batterie  
Merz und der Mikroelektronikplan: Der Ritt auf dem Papiertiger  
Energiewende unter Druck: Die große Luftnummer  
Doomsday: So lange braucht es noch bis zum Untergang  
Zitate zur Zeit: Furchtbar enttäuscht  
Stadtbildschwur: Frühsport statt Mord  
Trumps Vorbild: Ballsaal Berlin  
Mileis bedrohlicher Wahlsieg: Angst vor Ansteckung  
Reste von Rechtsstaat: Ende der Unschuld  
Wahl-O-Rat: Sieger sehen anders aus 

Sonntag, 28. Dezember 2025

Parteien des Jahres: Freier Fall in die Freiheit

Der letzte FDP-Vorsitzende, den Bürgerinnen und Bürger noch mit Namen kannten.


Das Jahr 2025 war nicht nur ein Jahr der Unsicherheit, der Neuordnung der Meinungslandschaft und der Aufkündigung alter Freundschaften. Es war auch ein Jahr der alteingesessenen Parteien, die bewiesen, dass in einer Demokratie nicht alle Stimmen gleich viel wiegen. Um die Handlungsfähigkeit des Staates in einer Zeit multipler Herausforderungen zu sichern, haben die Parteien wichtige Schritte unternommen, um ihre Position als Herz, Kopf und Gesicht der Demokratie zu festigen.  

Eine Brandmauer stärkt die innere Stabilität. Neue Allianzen über die alten ideologischen Gräben hinweg haben Vertrauen zurückgewonnen. Neue Leute reagieren mit bewährten Maßnahmen auf Veränderungen, die sie oft selbst nicht verstehen. Lager sind zerfallen. Wer eben noch Mitte war, ist heute schon rechts. Die gewachsene Bedeutung der Parteien hat die traditionelle Demokratie umgestaltet zur modernen Parteiendemokratie. 

Die liefert Democracy at its best. Parteienzentralen sind heute das Rückgrat des Systems, doch wie der Blick ins zurückliegende Jahr zeigt: Zu ihrem Besten ist das nicht. 

Der Tod trat früh ein, aber das Leben ging lange, lange weiter. Als Hans-Dietrich Genscher vor 40 Jahren das Amt des Parteivorsitzenden der FDP abgegeben hatte, versuchten sich einige talentierte Erben daran, die Scharnierpartei der alten Bundesrepublik im Spiel zu halten. Möllemann ging es an, danach Westerwelle. Und schließlich folgte mit Christian Lindner ein smarter, vom größten Teil der Wählerschaft scharf beargwöhnter Politiker. Lindner stand für klare Prinzipien, die je nach Lage an die Wirklichkeit angepasst wurden.  

Ein großes, gelbes Verschwinden 

Lindner rettete die FDP im Alleingang vor dem Verschwinden in einer politischen Landschaft, in der sich mit den Grünen eine neue Kraft etabliert hatte, die bereit war, sowohl mit SPD und als auch mit der Union zu paktieren. Hauptsache regieren, diese Prämisse, die der FPD  schon immer mehr Macht gegeben hatte als ihren Stimmanteilen nach angemessen gewesen wäre, verhalf nun der ehemaligen Alternative für Deutschland zu großer Beliebtheit. 

Wie die Liberalen unter Westerwelle schielten die Baerbock- und Habeck-Grünen auf eine Zukunft als Volkspartei. Lindners FDP wurde in der Ampel benötigt, aber gebraucht wurde die nicht. Für den schönen Fantasietitel "Vizekanzler" gab Lindner alles auf, wofür seine Partei gewählt worden war. Und  unter den wenigen bekannten Altvorderen der Gelben war niemand da, der wie Hans-Dietrich Genscher in der Lage oder willens gewesen wäre, in die erste Reihe zurückzukehren, "wenn aber die Unabhängigkeit und die Identität der Liberalen auf dem Spiel steht" (Genscher).

Die Einmann-Veranstaltung 

Die FDP war in der letzten Phase ihrer wahrnehmbaren Existenz eine Einmann-Veranstaltung. Neben Lindner agierten blasse Gestalten wie Marco Buschmann, Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr und Volker Wissing, als politische Charakterköpfe ähnlich geeignet wie ihr Kabinettschef Olaf Scholz. Uneins waren sie zudem, aneinandergekettet nur durch die Furcht vor dem Verlust der beruflichen Existenz. 

Die "liberale Standortbestimmung", die Genscher 40 Jahre zuvor mit dem Aufruf verknüpft hatte, "das Land nicht rot-grüner Verweigerung und rot-grünem Kulturpessimismus auszuliefern", war vergessen. Neben SPD und Grünen spielten die Liberalen die Rolle des duldenden Dritten, beseelt von einer bizarren Logik: Die Koalition musste halten, damit umgesetzt werden konnte, was in dieser Koalition für jedermann absehbar nicht umsetzbar war.

Uneins über Freiheit 

Mitgefangen, mitgehangen. Es war längst zu spät, als Lindner versuchte, das Ruder herumzureißen. Jahrelang hatte der Alleinherrscher dem Niedergang seiner Partei mit großer Kaltblütigkeit zugeschaut. Er ließ den Ruf der Wirtschaftspartei vor die Hunde gehen. Er schaute zu, wie die "Bürgerrechtspartei" beerdigt wurde. Und er ließ alle die verzweifeln, die gemeint hatten, wenigstens diese eine kleine politische Kraft sehe es noch als ihre Aufgabe an, "dem totalen Versorgungsstaat, dem Steuer- und Beitragsmoloch, der Fremdbestimmung durch Funktionäre, der Hydra der Bürokratie, dem Subventionsrausch und der Datenerfassungsgier mutig den Kampf anzusagen", wie Hans-Dietrich Genscher 1985 formuliert hatte. Dass Gleichheit nicht zu Lasten von Freiheit durchgesetzt werden darf, war in der FDP weiter Konsens. Uneinig waren sich die Funktionäre nur darüber, was Freiheit bedeutet. 

Die Agonietage der Ampel 

Es dauerte bis in die Agonietage der Ampel, ehe Lindner versuchte,  die Fesseln des Sozialstaatsfundamentalismus abzuschütteln. Angesichts der "Wachstumsschwäche in Deutschland", eine fantasievolle Umschreibung zweier langer Jahre Rezession, sollte ein 18-seitiges Papier für eine "Wirtschaftswende" sorgen. Die FDP forderte darin unter anderem die volle Abschaffung des Solidaritätszuschlags, ein Ende des "deutschen Sonderweges beim Klimaschutz", Verschärfungen bei Sozialleistungen und eine Rückkehr zur "Marktwirtschaft als Treiber der Erneuerung". 

Doch diesmal stand die deutsche Gesellschaft nicht "am Beginn einer neuen Epoche, die eine liberale, also unsere, sein wird", wie sich Genscher Mitte der 80er sicher gewesen war, als "Wohlfahrts- und Verteilungsdenken den Zeitgeist lange genug geprägt" hatten und es Zeit zu sein schien für mehr frische Luft und Bewegungsfreiheit und niedrigere Steuersätze. Genscher irrte seinerzeit. Die Entlastungen kamen später, sie waren niedriger als erhofft und sie hielten nicht lange vor. 

Das Richtige tun 

Genschers Nachfolger Guido Westerwelle, im Gegensatz zum gebürtigen Ostdeutschen nicht verehrt, sondern meistenteils verhöhnt, hat seine Verzweiflung darüber später in einem Satz ausgedrückt: "Es gibt kein Land auf der Welt, in dem es offenbar schwerer ist, Steuern zu senken, als zu erhöhen", sagte der liberale Bundesfinanzminister. Westerwelle glaubte, es gehe "nicht darum, das Populäre zu machen, sondern das Richtige zu tun". Unter ihm erreichte die FDP bessere Wahlergebnisse als unter Genscher. Sie stürzte nach vier Jahren Regierung an der Seite Angela Merkel allerdings auch schrecklicher ab als je zuvor. Zwei von drei FDP-Wählern wandten sich ab. Den Liberalen blieb nur ein Bodensatz aus Unentwegten. 4,8 Prozent. Schlimmer war es seit 1949 nie gewesen. 

Aber es wurde. Mit Christian Lindner als neuer Frontfigur katapultierte sich die FDP zweimal in die Zweistelligkeit. Einmal entschied der Parteivorsitzende, lieber nicht zu regieren, als in einer Jamaika-Koalition schlecht zu regieren. Beim zweiten Mal aber war die Versuchung doch zu groß. Obwohl mit SPD und Grünen von Anfang an klar war, wer hier Koch, wer Kellner und wer Küchenjunge sein würde, starteten die Gelben mit den Roten und den Grünen in "das eigentliche Projekt" (Karl Lauterbach). 

Die Ampel auf Grün 

Die Ampel sprang auf Grün für eine großangelegte Gesellschaftstransformation nach planwirtschaftlichen Vorgaben. Genschers "totaler Versorgungsstaat" sein "Steuer- und Beitragsmoloch", die allgegenwärtige "Fremdbestimmung durch Funktionäre, die Hydra der Bürokratie" und der Subventionsrausch, sie konterkarierten alles, wofür die FDP in den Wahlkampf gezogen war. Es gelang Lindner und seiner Truppe, das bisschen Vertrauenskapital, das sie in den zehn Jahren nach der Nahtod-Erfahrung bei der Bundestagswahl 2013 aufgebaut hatten, in nur 24 Monaten komplett zu vernichten. 

Zum Schluss brach auch intern alles auseinander. Die Minister folgten ihrem Parteivorsitzenden nicht mehr oder nur unter Gequengel. Die FDP, im Unterschied zu den Grünen keine Partei, die jemals geliebt worden war, zerfiel vor aller Augen. Lindner schmiss nach dem Wahldebakel hin. Seine Partei verlor alle Bundestagssitze. Mit Christian Dürr übernahm ein Nachfolger, dessen Charisma sich zu dem Lindners verhält wie Lindners zu Westerwelle oder - drüben bei den Grünen - Dröges zu Habeck. 

Unsichtbarkeit als Aggregatzustand 

Der Name ist Programm, die Unsichtbarkeit Aggregatzustand. Selten nur gelingt es dem Chef der 4,3-Prozent-Partei, in ein Talkshow-Studio geladen zu werden. Gäbe es nicht den kantigen Wolfgang Kubicki, wäre die EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann das bekannteste Parteimitglied. Noch schwerer scheint es, mit einem Programm, das auf "Digitalisierung und Bürokratieabbau" setzt, Schlagzeilen zu machen und Aufsehen zu erregen. Dass jetzt die "Zeit für echte Reformen" gekommen ist, wie die Partei ihr neues Grundsatzprogramm überschrieben hat, wissen viele Menschen landauf, landab seit drei, vier Jahren. Aber gelernt haben sie eben auch, dass von der FDP diesbezüglich nichts zu erwarten ist. 

Es ist, vielleicht, schon das Ende einer Partei, die vor einem Jahrzehnt noch jede Chance gehabt hätte, den Platz einzunehmen, den heute die AfD okkupiert hat. Damals, direkt nach der großen "amerikanischen" (Peer Steinbrück) Finanzkrise, verpassten die Blauen wie die Gelben bei der Bundestagswahl knapp den Einzug ins Parlament. Der Unterschied lag bei 0,1 Prozent der Stimmen. So viele Wähler konnte die FDP mehr überzeugen. 

In verschiedene Richtungen 

Vom gleichen Startniveau aber ging es in verschiedene Himmelsrichtungen weiter: Die AfD ruckte nach rechts, auf der Suche nach dem größtmöglichen Abstand zum Weiterso. Und das beförderte sie nach oben. Die FDP nach hingegen zog es nach links, dem vermeintlichen Zeitgeist hinterher, der sie schließlich mit Haut und Haaren fraß.  

Ihr letztes Aufgebot versucht es nun mit Rebellion. "Die Menschen haben es satt, dass es in wolkigen Worten nur ein Weiter so gibt", hat Christian Dürr der FAZ eine für seine Partei offenbar grundlegend neue Erkenntnis mitgeteilt. Mit diesem Wissen wollen die Freien Demokraten in Zukunft Politik machen: "Wir wollen die Partei sein, die für radikale Veränderungen in Deutschland steht."

Bei allem, was man der FDP vorwerfen kann. Sie wird vermutlich nicht einmal fehlen. 

Das Jahr ohne Sommer: Siegesgewisser September

Pazifismus-Kritik, Kriegstüchtigkeit Deutschland, Aufrüstung Bundeswehr, EU-Wettbewerbsfähigkeit, Ursula von der Leyen Drohnenwall, Trump Christ Radikalisierung, deutsche Friedensbewegung Ende
Die Meinungsfreiheit erlaubt vielen weiterhin, öffentlich alles zu sagen, was sie denken.

Welke Blätter
krachen unter den Stiefeln
1. September

Welke Blätter, Hans-Peter Kraus, 1965

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. 

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.  

Sie waren jahrzehntelang die Progressiven, die, die den Schuss gehört und Schlüsse gezogen hatten. Zum Weltfriedenstag am 1. Septmeber fanden sich nach dem Ende der gegenseitigen atomaren Bedrohung zwischen Ost und West nur noch die notorischen Friedensengel ein, alte Männer zumeist und alte Frauen, die mit Piccassos Friedenstaube wedelten und Gefahren beschworen, die es nicht mehr gab. 

In schütteren Scharen 

Die deutschen Nachrichtensendungen aber widmeten ihnen wie an ihrem anderen großen Tag zu Ostern, wenn sie als Ostermarschierer in schütteren Scharen durch Städte trotteten, oft gewohnheitsmäßig einen kleinen Beitrag aus alter Verbundenheit. Es war doch irgendwie angenehm, dass sich dort noch Leute für das Gute engagierten.

Unangnehm wird es jetzt, wo der Stolz auf die systematisierte Friedfertigkeit des Staates weichen muss. Auf einmal hat sich der beschmunzelte Pazifismus der Ewiggestrigen in eine Bedrohung verwandelt. Die Friedenstaube, im kalten Krieg aus Ausweis einer staatlich anerkannten Haltung, wird auf einmal zum Symbol von Menschen, die Unseredemokratie verraten wollen. Wenn alle kriegstüchtig werden sollen, ist kein Platz mehr für Relikte aus einer Vergangenheit, in der geopolitische Spannungen ausschließlich mit dem Ruf beantwortet wurden, es sei gerade jetzt Zeit zur Entspannung.

Stärkung des Wehrwillens 

Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Nicht mehr Pazifismus und Antimilitarismus, nicht mehr Wehrdienstverweigerung und Proteste gegen die Hochrüstung gelten als probate Mittel zur Friedenserhaltung. Sondern der Ausbau der Rüstungsindustrie, die Verwandlung der Bundeswehr in eine fronttaugliche Truppe und die Stärkung des Wehrwillens der jungen Generation. Seit es unvorstellbar scheint, dass diplomatische Kanäle die Frontlinien überbrücken, ist der harte Hund das Ideal des kalten Kriegers. 

Ein September im Zeichen von Wirtschaftskrise und Rettungserwartungen an die Rüstungsindustrie kann Weiche, Beugsame nicht mehr ab. Die Zuspitzung der Klassengegensätze erfordert eine klare Positionierung: Wollt ihr den totalen Niedergang? Oder wollt ihr Enteignung, höhere Steuern für die Reichen und Klassenkampfparolen, die versprechen, die Kernkonflikte zwischen Staat und Bürger durch ein Maß an Umverteilung zu lösen, wie es seit dem Ende der DDR nie mehr erreicht worden ist?

Wenn das Volk sich den Staat nicht mehr leisten kann 

Es sind ganze Bevölkerungsgruppen, die sich den Staat nicht mehr leisten können. Doch obwohl Experten warnen, dass die Entwicklung besonders die jüngeren Generationen massiv treffen wird, setzt das immer noch neue Kabinett auf bewährte Rezepte. Erst müssen die Belastungen noch mehr steigen, damit genug Geld da ist, Entlastungen zu finanzieren. 

Das ist das Steinmeier-Gesetz, ein Klassiker des Volkswirtschaftsvoodoo: 2012, ein Jahr äußert entspannter Krisen, hatte der damals gerade als Finanzminister dienende Walter Steinmeier den Satz gesagt: "Höhere Steuern wären Gift für die Konjunktur, deshalb stehen sie nicht zur Debatte". Schon kurze Zeit später brauchte Steinmeier mehr Geld, um mehr Gerechtigkeit herstellen zu können. Und so fiel die Wahl der Waffen auf nach genauesten Berechnungen auf höhere Steuern.

Erhöhen, ohne zu erhöhen 

Das tut dem Ruf nicht gut, weshalb die jeweils Verantwortlichen mittlerweile auch ein ganzes Arsenal an Methoden entwickelt haben, Steuern zu erhöhen, ohne Steuern zu erhöhen. Matthias Miersch, eine Art Franz Müntefering ohne dessen kernigen Proletarierauftritt, leidet nach der Sommerpause auch persönlich unter der Ablehnung, die seiner Volkspartei im Koma in 85 Prozent der Bevölkerung entgegenschlägt. Miersch spielt die Christenkarte, als er Jesus zum Linken erklärt.  

Zuvor hatte ein Forschungsinstitut der Chefetage im Willy-Brandt-Haus empfohlen, sich religiöser zu gebärden, weg vom reinen roten Klassenkampf, hin zu der Strategie, die das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" wenig später auch beim US-Präsidenten entdecken wird. Trump, seit acht Jahren ein eingeführter "Faschist" (Die Zeit), der die Vereinigten Staaten zu einer "Diktatur" (FR) umbauen will, hat sich weiter radikalisiert. Aus dem Nazi ist ein Christ geworden. Als "Gotteskrieger", so heißt die Titelgeschichte, ziehe der Präsident im Zeichen von Bibel und Kreuz mit einer nur auf den ersten Blick "freundlichen Armee Gottes" (Der Spiegel) aus, Jahrhunderte der Aufklärung vergessen zu machen.

Stolz auf das Erreichte 

In DEUtschland beißt er damit auf Granit.  Die Gemeinschaft der noch 27 Mitgliedsstaaten zum Jahrestag des von Ex-EZB-Chef Mario Draghi erarbeiteten Berichtes zum Zustand der Wettbewerbsfähigkeit der EU stolz auf das Erreichte. Europa sei "schwach, sehr schwach", hatte Draghi geschrieben. Über Jahre habe sich "zwischen der EU und den USA eine große Lücke im Bruttoinlandsprodukt aufgetan". Und die traurige Folge sei, dass das "verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in den USA seit 2000 fast doppelt so schnell gestiegen" sei wie in der EU.

Das Zurückfallen hätten die europäischen Haushalte "in Form eines entgangenen Lebensstandards gezahlt". Glücklicherweise, ohne dass es ihnen aufgefallen war Die Beliebtheit der EU, so ergibt die alljährliche Eurobarometer-Umfrage, ist gestiegen: Europaweit vertrauen bis zu 52 Prozent der Bürger der EU. Es ist der höchste Wert seit 2007. Ein toller Dank der Menschen an eine einzigartige Institution, die so viel Gutes bewirkt.

Nach Motiven aus Hollywood 

Die Kommissionschefin dankt ihrerseits. In einer fundamentalen Rede nach Motiven der aufrüttelnden Ansprache des US-Präsidenten Thomas J. Whitmore (Bill Pullman) im Hollywood-Film "Independence Day" zeigt sich Ursula von der Leyen als große Anführerin. "Wir werden nicht ohne zu kämpfen vergehen, wir werden überleben, wir werden weiter leben" - diese großen Worte von Whitmore an seine Jagdpiloten, die sagt sie nicht. Dafür aber "This must be Europe's Independence Moment!" Eine Kampfansage an die gesamte Außenwelt, die Europa füttert, heizt, schützt und mit nahezu sämtlichen Gütern des täglichen, wöchentlichen und jährlichen Bedarfs versorgt. 

Von der Leyen, die in China nur durch die Hintertür vorgelassen wird, in Ankara auf dem Beistellsofa sitzen muss und im Weißen Haus einen Zoll-Deal heraushandelte, der der EU dieselben Sätze wie Afghanistan beschert, will das nicht länger dulden. Die 67-Jährige, seit Januar über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus, hat noch große Träume, die sie realisiert sehen will. 

Der Traum vom Drohnenwall 

Ein "Drohnenwall" an der Ostflanke. Ein Europa, das sich auch am Mittelmeer als "stählernes Stachelschwein" zeigt. Dazu neue Zölle, ein "mit mehreren Milliarden Euro ausgestatteter "Scaleup-Europe-Fonds", "massive" Investitionen in "europäische KI-Gigafabriken" investieren, ein "Battery-Booster-Paket" und ein "Industrial Accelerator Act" zur "industriellen Beschleunigung für wichtige strategische Sektoren und Technologien". 

Die Worthülsendreher der Kommission haben hörbar Sonderschichten geschoben. Die Desinformationskanonen der Kommission schießen Sperrfeuer vor der Vernunft. Von keiner der großen  Ideen wird mehr bleiben als eine lustige Fußnote in den Archiven der Kommission. Für den Moment aber ist der Ton gesetzt, der Überlebenskampf der Kommission gegen die Zentripetalkraft der Eigeninteressen von 440 Millionen Menschen gewonnen. 

Mit blanken Nerven 

Ein Sieg, der Begehrlichkeiten schafft. Mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten, die nur noch ein Jahr entfernt liegen, liegen die Nerven in der demokratischen Mitte blank. Noch ehe die ersten Helikopter mit neuen Fördermittelmilliarden für den auf Kosten von 400 Milliarden Euro taxierten Drohnenwall, die neuen Panzerfabriken und die - im Vergleich zu Amerika und China - eher an Manufakturbetriebe erinnernden KI-Giganten aufgestiegen sind, beginnt am Boden der Nahkampf um die Verteilung. 

Reiner Haseloff reklamiert Aufrüstungsmilliarden für den Osten, sein sächsischer Kollege Michael Kretschmer will Panzerfabriken für den Frieden auch im Regenbogenland an der polnischen Grenze wo die  1. Ukrainische Front 1945 über die Breslau, Muskau und Bautzen auf Dresden vorgestoßen war. 

Im hochagilen Luftüberlegenheitsjäger 

Natürlich, das haben Friedrich Merz und Emmanuel Macron zu dieser Zeit schon im freundschaftlichen Gespräch ausgemacht, wird der hochagile Luftüberlegenheitsjäger nicht in Frontnähe hergestellt. Die Fertigstellung des deutsch-französisch-spanischen Gemeinschaftsprojekts FCAS ist er für den Zeitraum zehn Jahre nach dem russischen Einmarsch geplant. Die Ministerpräsidenten aber wissen, dass das gemeine Volk ihre Klagen hören will.

Die ersten Blitzkrieger, in Schnellkursen ausgebildet zum Kanonenfutter in den Jahren vor dem russischen Einmarsch auf der Krim, gehen auf die 50, kommt es zum AfD-Verbot, werden viele von ihnen ihre Wehrwürdigkeit verlieren. Die gewohnte gesellschaftliche Spaltung könnte das Land dann womöglich nicht mehr stabilisieren und ob die säbelrasselnden Sofakrieger aus den Institutionen oder die Aktivisten aus der Generation der Selbstverliebten diese Fachkräftelücke schließen können, vermag niemand zu sagen. 

Angriffe vor der Uno 

Dass Amerika nicht helfen wird, macht Donald Trump in einer Rede vor der Uno klar. In seiner Rolle als "böser alter Onkel", wie ihn die eigens gegen den neuen Feind aus den Staaten eingesetzte Dunja  Hayali nennt, behautet der zum Christen gewandelte Ex-Faschist, dass die Zukunft "souveränen und unabhängigen Nationen" gehöre, "die ihre Bürger schützen, ihre Nachbarn respektieren und die Unterschiede ehren, die jedes Land besonders und einzigartig machen". 

Auch die ARD-Korrespondentin Isabel Schayani kritisiert das. Trumps Ansprache sei eine Kriegserklärung an die UN gewesen, die Trump für unfähig halte, bei der Lösung der Probleme der Menschheit zu helfen. Auffällig aber: In der Berichtersttatun über die von Annalena Baerbock anmoderierte Ansprache fehlt es durchweg an allen früher vorgeschriebenen Bezeichnungen: Kein "Irrer" (FR) mehr, kein "Hassprediger" (Steinmeier), "Wahnsinniger" und "Milliardär" (Spiegel), "verurteilter Verbrecher"  oder "Kriegstreiber" (Stern).

Der siegreiche September: 

Enteignung von Bosch: Schlachtruf vom Seniorensofa
Cancel Culture: Böhmermann, Jaenicke, wer ist der Nächste?
DPA: Die Worthülsenbomber
Fast vier Jahre zu früh: AfD startet Wahlkampf
Aufrüstung Ost: Panzerfabriken für den Frieden
Trumps Radikalisierung: Jetzt Christ statt Faschist
Zitate zur Zeit: Davon wird's doch auch nicht mehr besser
Die Unerbittlichen: Hass auf die eigene Familie
Der Mann, der den Klimawandel erfand
Wahl in Norwegen: Die Grünen werden es richten

Samstag, 27. Dezember 2025

Ebenso groß: Die kleinen Sorgen

Im goldenen Oktober kannte Deutschland nur ein Thema: Sein Stadtbild.

Wenn man klein ist, kommen einem die kleinen Sorgen genauso groß vor wie den Großen die großen. 

Mazedonisches Sprichwort

Das Jahr ohne Sommer: August in Absurdistan

"Here and queer" - mit einer Schütte voller T-Shirts mit der Aufschrift "Queer for Palestine - Würde, Verantwortung, Demokratie" stach die Sumud-Flotte Richtung Gaza in See.

 Es war ein schöner Tag
Der letzte im August
Die Sonne brannte so
Als hätte sie's gewusst
Die Luft war flirrend heiß
Und um allein zu sein
Sagte ich den anderen
„Ich hab' heut keine Zeit“

Und es war Sommer, Peter Maffay, 1976 

Es war ein Jahr zum Vergessen und vielen gelang das außerordentlich gut. Der neue Kanzler wusste schon nach Wochen nicht mehr, was er versprochen hatte. Seine Hilfstruppen von der SPD hatten verdrängt, dass sie wiedermal eine Wahl verloren hatten. In der Welt draußen wendete sich einiges zum Besseren. Deutschland aber blieb mit klarem Kompass auf Kurs. 

Der Rückblick auf 2025 zeigt zwölf Monate, die es in sich hatten. Nie mehr wird es so sein wie vorher.  

 

Er ist wieder da. Monatelang hatte sich der frühere Klimawirtschaftsminister Robert Habeck hinter einem letzten Post bei Elon Musks Hassplattform X versteckt. "War jetzt länger Pause auf diesem Kanal", schrieb er Anfang April, "und es wird auch noch ein bisschen dauern, bis es hier richtig weiter geht." 

Er wolle nur mitteilen, dass er heute "noch einmal zurückgeblickt und den Wahlkampf und meine Politik eingeordnet" habe und deshalb seine "Rede vom grünen Länderrat für euch" teilen wolle. Danach kam nichts mehr. Die Welt drehte sich in höchstem Tempo weiter. Doch den Mann, der so vielen Wegweiser gewesen war, weigerte sich, neue lange Linien festzulegen, in die die Zukunft führen müsse.

Ein wahrer Wettermonat

Bis eben in dieser Klimaaugust beginnt, einen wahrer Wettermonat, der weltweit als der drittwärmste seit Aufzeichnungsbeginn in die Annalen eingehen wird. Geprägt ist er von intensiven Hitzewellen in Südwesteuropa, Rekordtemperaturen in Japan und einem Erdbeben in Afghanistan, das erstmals als Klimaschaden eingeordnet werden muss. 

Europa kommt glimpflich davon, der August ist nur leicht überdurchschnittlich warm. Deutschland aber, seit Jahren eines der am schlimmsten betroffenen Gebiete, erlebt einen verheerend warmen, sonnigen und trocken-durchwachsenen August mit Hitzewellen, der statistisch warm ausfällt, aber doch symptomlos bleibt und neue Hitzerekorde verpasst.

Das Loch im Hitzeschutzplan

Die Schwächen des Hitzeschutzplanes, den die Ampel unter Führung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erarbeitet und der Nachfolgekoalition halb umgesetzt hinterlassen hatte, treten jetzt offen zutage. Von vielen Schutzmaßnahmen ist in dem mehrfach aktualisierten Papier die Rede. Es geht um Hitzeschutzinseln, um Bäume, die zu pflanzen wären, um zu spannende Sonnensegel und bemooste Fassade, aber auch darum, Ältere über spezielle Wasserhotlines zum Trinken zu animieren. 

Was fehlt, sind Klimaanlagen, wie sie sich weltweit als wirksamste Waffe gegen Überhitzung und die Zunahme der Zahl der Hitzetoten erwiesen haben. Sonnenverwöhnte Staaten wie der Irak, die im Sommer unter extremen Temperaturen mit Werten von über 50 Grad Celsius leiden, melden nicht einmal Hitzetote. Ebenso halten es Länder wie Dubai oder das gerade wieder eng mit Deutschland verbündete Katar. Das hat zwar Gesetze gegen Hitzestress bei Freiluftarbeit erlassen, unterlässt aber eine Klassifizierung der Todesfälle, um die Welt zu täuschen. 

Resilienz statt Hitzeschutz


Wie in den Vereinigten Staaten, Australien und Asien sollen Klimaanlagen Leben retten - eine Strategie, der Deutschland nicht folgen will. Die  Bund/Länder-Arbeitsgruppe "Gesundheitliche Anpassung an den Klimawandel" (GAK hat entschieden, dass der Deutsche hart genug ist, sich innerlich abzukühlen. Karl Lauterbach, mittlerweile als Experte in die Raumfahrt gewechselt, wusste genau, dass es echten Leidensdruck braucht, um wirkliche Verhaltensänderungen zu motivieren. 

Verzicht fällt nie leicht und wer in der Klimahölle sitzt, ist viel eher geneigt, im Sinne der großen Transformation von Ansprüchen abzusehen als der, der aus dem mit teurem Klimastrom heruntergekühlten Zimmer auf den kochenden Asphalt vorm Haus schaut. Als der erste Feuchtschutzbunker in den Wirkbetrieb geht, die Initiatoren nennen ihn stolz Deutschland ersten "Drying Point", bestätigt sich die Richtigkeit der Strategie. Flächendeckend ausgerollt, müssten Urlauber ihre Zeit nicht mehr in leeren Freibäder und kalten Biergärten zubringen. Niemand wäre noch gezwungen, sich die an den deutschen Küsten mit Gummistiefeln gegen den fußkalten Klimasand wappnen. 

Verpuffte Enthüllung

Die Enthüllung, dass Klimaanlagen selbst als Schutzschirm für Altenheime, Krankenhäuser und Kindergärten in den Resilienzplänen der Bundesregierung keine Rolle spielen, verpufft. Die großen Gemeinsinnmedien senden aus klimatisierten Studios. Die Redaktionen wissen, dass der zur Verfügung stehende Überflussstrom aus Solaranlagen nur theoretisch für alle 20 Millionen Wohngebäude in Deutschland reichen würde. 

Praktisch geben die Netze es noch nicht her. Und sobald es so weit sein wird, das zeigen die neuen Elektroenergiebedarfsprognosen der neuen Bundeswirtschaftsministerin, wird nicht mehr Strom gebraucht werden, sondern deutliche weniger.

Ein deutsches Wunder, das weltweit kaum Beachtung findet. Mitten in die fiebrige Erwartungshaltung, dass Deutschland in Kürze eine große Aufholjagd beim Aufbau einer eigenen Infrastruktur für Künstliche Intelligenz starten wird, verkündet Wirtschaftsministerin Katharina Reiche aktualisierte Erwartungen: Die Ampelregierung war für 2030 noch von einem Bedarf von 680 bis 750 Terawattstunden ausgegangen. Schwarz-rot plant mit Blick auf die vielen zurückgefahrenen Industrieanlagen und die faktische Unmöglichkeit, in einem Land mit rekordhohen Energiepreisen KI-Gigafabriken zu betreiben, nur noch von 600 bis 700 Terawattstunden aus.

Spare in der Zeit 

China baut Druckluftspeicher nach deutschem Patent, Deutschland aber hat Speicher noch und nöcher. 
Das hilft der Erderwärmung und es entspannt die den zuweilen verbissen geführten Streit um den Boomer-Soli und das geplante Pflichtjahr, mit dem sich Gebrechliche im hohen Alter künftig für alles bedanken sollen dürfen, was ihnen ihr Land geschenkt hat. Ausgerechnet die Betroffenen zeigen Nerven. 

Gegen Marcel Fratzscher, einen der führendsten Vordenker der Transformation, richtet sich offener Hass. Seine Sondersteuer solle ab 1.048 Euro Einkommen erhoben werden, obwohl die Armutsgrenze in Deutschland bei 1.378 Euro liege, werfen die Feinde einer geordneten Abwicklung der sicheren Rente der Wissenschaffenden vor. Von Schrödingers Reichtum, der Menschen gleichzeitig als arm und als reich definieren, könne niemand ein würdiges Leben führen.

Der Zweck der Übung 

Das aber ist nicht Zweck der Übung. Schon früher war die sichere Rente nur als eine missverstanden worden, die zum Leben reicht. Seit geraumer Zeit schon ist häufiger von der "auskömmlichen Rente" die Rede: Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Die Boomer sind die Buhmänner und -frauen. Sie haben die Welt in die Falle manövriert, sich bedient, wo sie konnten, und im Gegensatz zu ihren Eltern und Ureltern, die noch bescheiden und nachhaltig lebten und kaum einmal einen Krieg auslösten, nie einen Augenblick an die Generationen gedacht, die nach ihnen kommen werden.

Gefühlt geht es nach nur drei Monaten schwarz-rot schon aus unausweichliche Ende zu. Natürlich arbeitet der Kanzler weiter daran, mit Tröstungen und Absichtserklärungen gegen die Wirklichkeit zu regieren. Allein den Massen fehlt der Glaube. Die Umfragewerte der Union sinken und sinken, die SPD kommt nicht aus dem Loch, der große linke Aufschwung ist vorbei und die dröge neue Führung der Grünen begeistert die Menschen wie eine Verspätungsdurchsage der Deutschen Bahn. 

Ran an die Seele der Mehrheit 

Um sich heranzuwanzen an die Seele der verlorenen Mehrheit, opfert Parteichef Felix Banaszak die eigene: Er tritt im Deutschland-Trikot auf, für einen anständigen Vaterlandsverächter fast noch schmerzhafter als eine Zugfahrt mit Erste-Klasse-Ticket, die aus Instagram-Gründen auf dem Fußboden abgesessen wird. 

Die Ureinwohner des Ostens sollen es richten, sie, Typen wie der berühmte Hutbürger von Dresden sollen sich bei den Grünen künftig verstanden und versorgt fühlen. Später im Jahr, nicht alles geht gleich, wird Banaszak ein "Fenster zum Osten" eröffnen, mitten im Feindesland. Auf einem werbefoto, das seine Pressestelle verbreitet, ist er zu sehen, wie er einen Schlüssel in eine Tür steckt, hinter der sich das Fenster befindet.

Die Töchter der Wohlstandsjahre 

Der August ist einer des Paradoxen. Die Töchter der Wohlstandsjahre schiffen sich nach Gaza ein, bewaffnet mit Partylaune. Die ewige Erbin  Marlene Engelhorn zeigt schon vor dem Stapellauf der nach der "Sumud"-Strategie der Hamas benannten neuen Antisemitenflotille Vorfreude auf das Abenteuer. Wie es auch ausgeht, Israel wird schuld sein, so ist es mit den deutschen Medien abgesprochen und so kommt es. 

Das wahre Menschheitsverbrechen geschieht, als eine Petition der deutschen Kulturschaffenden mit der Bitte an Friedrich Merz, im Nahen Osten für Frieden zu sorgen,  offenbar falsch adressiert wird. Das Schreiben mit dem Titel "Lassen Sie Gaza nicht sterben, Herr Merz" verirrt sich nach Washington. Noch ehe die Sumud-Flotte ihre Hilfsgüter - zwei Tüten Gummibären, 16 Exemplare von "Das Klima-Buch von Greta Thunberg" und eine Schütte voller T-Shirts mit der Aufschrift "Queer for Palestine - Würde, Verantwortung, Demokratie" - am Strand abwerfen kann, beginnt Donald Trump, an seinem fiesen Friedensplan zu schrauben. Ein durchsichtiges Manöver. Er tut das nur, um den Friedensnobelpreis zu bekommen, das weiß jeder, denn es steht überall.

 Gespaltene Öffentlichkeit 


Im Zentrum der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit konkurriert das Ringen um die Rettung der Hamas  allerdings mit einem ehrgeizigen Kunstprojekt. Das "Neue Robertinum" ist ein 150 Meter hohes Denkmal zu Ehren von Robert Habeck, das der junge Holzbildhauer Jan Laurenz Dippelberg im abgelegenen Kurörtchen Bad Walterberg errichten will. Umgeben von einem Park aus Haltungsbronze im Stil des sozialistsichen Realismus wird dem großen Grüne als Denker und Visionär gehuldigt. Wegen der  Kontroversen um die Kosten, die aus Braunkohleausstiegsmitteln beglichen werden sollen, wird das kühne Projekt zum Lehrstück über Politikalltag und Kunstförderung in Deutschland.

Jeder darf dazu immer noch eine Meinung haben, viele dürfen sie auch straflos sagen. Nach dem Freispruch des Satirikers El Hotzo, der das Scheitern eines Attentats auf Donald Trump nur aus Spaß bedauert hatte, nimmt er neue Innenminister Alexander Dobrindt aber doch neuen Anlauf, die vollständige Überwachung aller immer endlich rechtssicher zu machen. Der als "Erweiterung der Befugnisse im Kampf gegen Straftaten" bezeichnete Angriff auf die Grundrechte zielt auf Rückkehr der guten alten Vorratsdatenspeicherung. 

Sie kommt immer wieder 

Mehrfach für  verfassungswidrig erklärt, ist dieses Überwachungsinstrument immer noch der Liebling aller Sicherheitspolitiker. Doch wie sonst sollen sich Aussteiger und Quertreiber wie das Ehepaar Fahljäger im Zaum haltenlassen? Die beiden Boomer hat die Angst vpor der Kliamneutralität an den Rand der Gesellschaft getrieben. Ihre Alltagswirklichkeit konterkariert die hochfliegenden Pläne eines ganzen Kontinents. Solche resignativen Haltungen zu verbreiten, solchen Fatalismus zu predigen, das macht die Stimmung kaputt.

Das August-Archiv: 

Klimaanlagen: Kein Sterbenswort im Hitzeplan
Die frühere Vielfalt der Meinungen und Ideen
Doku Deutschland: Unsere Angst vor der Klimaneutralität
Druckluftspeicher: China setzt auf Kompression
Zwei plus Nato: Die Wurzel allen Übels
Ausreisewelle: Wie sich Fachkräfte aus Deutschland auf die große Flucht vorbereiten
Rettung für die Rentenkasse: Sozialverträgliches Früherableben