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Ein Nationalist hat in Polen die Wahl gewonnen. Die Demokratie ist schwer beschädigt. |
Es war denkbar knapp, nicht einmal ein einziges Prozent der abgegebenen Stimmen lag zwischen der schlussendlichen Diagnose, Polen sei ein tief gespaltenes Land und der, dass Heilung und Rettung für Deutschlands östlichen Nachbarn nach diesem Wahlergebnis in greifbare Nähe gerückt seien.
Die nicht einmal ganz 51 Prozent der Stimmen, mit denen der Rechtsnationalist Nawrocki laut Wahlkommission die Präsidentschafts-Stichwahl in Polen gewann, werden nun jedoch das Gegenteil bewirken. Wie ein fairer Verlierer hat der zuvor als Favorit gehandelte demokratische Kandidat Trzaskowski seine Niederlage. Doch es ist keine, die nur Polen allein schwer trifft, sondern das Herz ganz Europas.
Die autokratische Versuchung
Die "autokratische Versuchung" sei zurück, ordnet die "Zeit" ein Wahlergebnis ein, das ähnlich disruptiv auf die ohnehin zerstrittenen, sich gegenseitig mit Vorwürfen, Gerichtsverfahren und Geldstrafen überziehende Wertegemeinschaft wirken könnte, wie es das in Rumänien zweifellos getan hätte, wäre das dortige Verfassungsgericht den Wählerinnen und Wählern nicht noch in letzter Sekunde in den Arm gefallen.
Nachdem ein "aggressiver russischer hybrider Angriff" über das chinesische Videoportal TikTok die Rumänen dazu gebracht hatte, statt der angebotenen demokratischen Kandidaten den rechtsextremen, parteilosen und russlandfreundlichen Kandidaten Calin Georgescu zu wählen, musste die Abstimmung rückgängig gemacht werden.
Demokratie im zweiten Anlauf
Im zweiten Anlauf glückte es dann, den richtigen Nachfolger für Präsident Klaus Iohannis zu finden. Nicusor Dan ist ein Europäer, der sich im Streit um die Zulässigkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe war vor Jahren von seiner von ihm selbst gegründeten Partei, nachdem die sich mehrheitlich für die Ehe für alle ausgesprochen hatte. Auf den aber in Europadingen Verlass sein wird, schließlich hatte er bei der später für ungültig erklärten Wahl noch nicht einmal kandidiert und erst die große Not im Land, das auf der Suche nach einem europatreuen Kandidaten war, machte den parteilosen Bukarester Bürgermeister zur ersten Wahl.
Auch das demokratische Polen hatte auf einen beliebten Kommunalpolitiker gesetzt und den Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski nominiert. Trzaskowski hat sich im Europäischen Parlament hochgedient, er war zunächst Berater, dann selbst Abgeordneter, schließlich Staatssekretär für europäische Angelegenheiten und Vizepräsident der Europäischen Volkspartei. Eine Bank für alle, die Europa lieben, wenn es sich im Gewand der Europäischen Kommission zeigt.
Katastrophe für den Rechtsstaat
Doch in Polen, einem Land, das in den zurückliegenden Jahren der Tigerstaat der maladen Krisengemeinschaft unter Brüsseler Ägide war, ist das keine Mehrheit. Die fand sich hinter Karol Nawrocki ein, einem studierten Historiker mit Spezialgebiet Verbrechen des Kommunismus, der als Museumsdirektor gearbeitet hat. So rum wird ein Schuh draus, befand Georg Restle: Das Wahlergebnis sei "eine Katastrophe für Demokratie und Rechtsstaat in Polen" und damit auch "für ein Europa, das immer tiefer gespalten ist".
So verwegen die Gedankenkette des "Journalisten über den Tag hinaus" (Restle über Restle) auch gehäkelt scheint, sie drückt das Unbehagen einer ganzen beobachtenden Klasse in Deutschland mit den demokratischen Entscheidungen in Partnerstaaten der EU perfekt aus. Wählen die Leute, was sie sollen, kann es knapp ausgehen, wie es will. Das richtige Ergebnis bestätigt stets den richtigen Kurs, es heilt Wunden und von einer Spaltung der Gesellschaft kann keine Rede mehr sein.
Der Wille des deutschen Europa
Anders liegt der Fall, wenn es schiefgeht und auf einmal ein Kandidat oder eine Kandidatin in ein Amt einzieht, in dem sie das deutsche Europa nicht sehen will. Die Post-Faschistin Georgia Meloni, der Niederländer Geert Wilders, Donald Trump und der Portugiese André Ventura könnten ein Lied davon singen, wie selbst noch nach dem demokratischen Votum der Wählerinnen und Wähler versucht wird, ihren Anhängern die Verantwortung dafür zuzuschreiben, dass niemand mehr eine ordentliche Mehrheit hat, um ungestört durchzuregieren. Oder aber die Falschen eine erobern konnten, so dass ein rechtsnationaler Ruck die proeuropäischen Bemühungen vorerst unzulässig ausbremst.
Zwischen richtig und falsch, gut und schlecht passt oft nur noch eine Tasse Wasser "auf die Mühlen weiter rechts stehender Kräfte". Niemand vermag das besser zu beschreiben als Georg Restle, der mit Blick nach Polen den häufig erst weitaus später verwendeten Nazi-Vergleich in die erste Runde der Totschlag-Debatte vorzog: "Auch der Sieg der Nazis in Deutschland war das Ergebnis einer Wahl und deren Folgen", argumentierte. Denn "Demokratie ist mehr als nur ein Verfahren."
Rauswurf aller Senderchefs
Demokratie ist, wenn es Restle passt, wenn Washington spurt und in Warschau regiert, wer Berlin gefällt. Nicht einmal der Umstand, dass die demokratische Regierung von Donald Tusk es war, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von Polen im Handstreich auflöste, nachdem es nach dem Rauswurf aller Senderchefs durch Tusk zu einem Streit mit Präsident Andrzej Duda gekommen war, vermag den Mann vom WDR zu irritieren.
"Kulturelle Errungenschaften wie Wokeness, korrektes politisches Denken und Handeln werden diskreditiert und durch rechtspopulistische Parolen ersetzt", vermerkt ein beunruhigter Leser im Kommentarkeller der "Zeit", der mit seinem Eintrag auf Parallelen zum Kinofilm "Idiocracy" hinweist.
"Wieder müssen die Menschen durch das rechte Tal der Tränen", schreibt ein anderer, dem wohl das italienische Wachstumswunder im Kopf herumschwirrt. Doch eins ist klar, dieser Kommentäter wird standhaft blieben: "Aber liebe stolze Polen, liebe stolze Ungarn, von euch Nationalidioten lass ich mir nicht die liberale europäische freiheitlich demokratische Grundordnung mit ihren Menschenrechten wegnehmen". Die EU müsse jetzt einfach "deutlich härter gegen Fake News und Hetze im Netz vorgehen".
Dünne Lippen gratulieren
Dünnlippig haben Ursula von der Leyen und Walter Steinmeier gratuliert. Noch zwei, drei Tage, dann wird ein Tempolimit als Maßnahme gegen den Rechtsrutsch in der Debatte auftauchen und die Opposition im Bundestag Sanktionen fordern. Deutschland muss jetzt helfen, mit Rat und Tat, damit die Polen begreifen, dass Regierungschef Donald Tusk die angekündigte Vertrauensfrage im Parlament gewinnen muss.
Die Alternative wäre für alle Europäer bedrohlich: Nawrocki hat wohl das - illegale - Ziel - die nationalistisch-konservative Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) zurück an die Macht zu bringen und der proeuropäischen Regierung Tusk ein bitteres Ende zu bescheren. Gemeinsam mit Viktor Orban in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei dann ein sogenannter "russischer Staatenblock" in der EU entstehen, der in Opposition zur Mehrheit der anderen Staaten Europas steht, die sich an Deutschland orientieren. Dann wäre Polen doch verloren.