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17,50 DDR-Mark, das waren 1,70 West - und drei Monate aromafrisch. |
Er ist gefährlich, kreuzgefährlich sogar. Keine Regierung, die ihn nicht beachtet, hat es jemals geschafft, länger als nötig an der Macht zu bleiben. Kaffee ist das Genussmittel all deren, die sich von Zigaretten fernhalten und tagsüber keinen Alkohol trinken können. Sie brauchen ihren Stoff, importiert aus fernen Ländern und sie brauche ihn so sehr, dass alle Bedenken über Klimaschäden, die die auf unendliche großen Plantagen in Monokultur gezogene Pflanze anrichtet, beiseitegeschoben werden.
Die Doge der Leistungsgesellschaft
Kaffee ist schick, Kaffee ist in. Kaffee ist die Droge der Leistungsgesellschaft, aber zugleich auch der Tröster der Minderleister. Kaffee geht immer. Wer gemocht werden will, lässt sich mit einer dampfenden Tasse fotografieren. Dem kältesten Ablehner von Tricksern und Täuschern in der Politik wird warm ums Herz, wenn er die Obrigkeit genauso genussvoll braune Brühe schlürfen sieht wie seine Frau oder ihren Mann am Frühstückstisch oder der Kaffeetafel.
Statistisch gesehen trinkt jeder Deutsche etwa 450 Tassen im Jahr. Weltweit ist Kaffee nach Tee das meistkonsumierte Warmgetränk der Welt. Um den beständig wachsenden Bedarf in den Industrieländern zu decken, wurde die Produktion in den letzten 30 Jahren um 60 Prozent gesteigert. 60 Prozent mehr Ackerfläche, das heißt mehr als doppelt so viel Aufwand bei der Verarbeitung.
Leidendes Südamerika
In Südamerika leidet der Boden, im Jemen, einem der Ursprungsländer der Droge, herrscht Krieg. Jeder Kaffeetrinker könnte wissen, dass 140 Liter Wasser nötigt sind, um eine kleine Tasse mit dem belebenden Gebräu zu füllen. Jeder Politiker, der das wüsste, müsste eine Verbotsdiskussion anstoßen.
Doch die Geschichte lehrt eben: Viel, noch viel mehr und letztlich fast alles lassen sich Menschen antun. Geht es aber um Kaffee, werden sie schnell unruhig. Und einmal ernsthaft unterkoffeiniert, entwickeln sie sogar rebellische Anwandlungen. Gerissene Lieferketten oder hohe Preise können zum Auslöser von Unruhen werden.
Aromafrische Erinnerungen
Zu aromafrischfrisch sind die Erinnerungen an das Jahr 1977, in dem der planmäßige Aufbau des Sozialismus in der DDR beinahe an der Kaffeefrage gescheitert wäre. Brasilien hatte eine Missernte zu beklagen. Die DDR, die bis dahin 300 Millionen Dollar für Kaffee hatte ausgeben müssen, nicht genug kein Westgeld, um 600 Millionen aufzubringen. Und die Preise liefen den ostdeutschen Einkäufern weiterhin davon wie Friedrich Merz die Wähler.
Aus heutiger Sicht war damals alles spottbillig. Ein Kilo Kaffeebohnen kostete umgerechnet sechs bis sieben Euro, zufälligerweise im Osten wie im Westen. Als der Nachschub ausblieb und Aufstände drohten, war es der Legende nach DDR-Staats- und Regierungschef Erich Honecker selbst, der einen Ausweg fand. "Kaffee Mix" bestand aus 51 Prozent Kaffeepulver und 49 Prozent Füllstoff wie gerösteten Erbsen, Rübenschnitzeln oder Roggen. Die Mischung schmeckte wie aufgekochter Kaffeesatz.
Bessere Klimabilanz
Sie hatte zwar eine deutlich bessere Klimabilanz als das herkömmliche Bohnenkaffeegetränk. Doch die Menschen mochten sie nicht. 14.000 empörte Bürger sollen sich damals mit Beschwerden an die Regierung gewandt haben. Unter der Hand kursierenden Erzählungen zufolge schimpften manche über sexuelle Niedergeschlagenheit, andere beklagten plötzlichen Haarausfall. Denn beim Kaffee hört der Spaß auf. Die als "Erichs Krönung" verhöhnte innovative Mischung als regionaler und globaler Ernte verschwand. Honecker musste an die Staatsreserve gehen, um sein Volk wieder von der Palme zu locken.
Niemand will das, doch Rücksicht nehmen kann auch nicht jede, wenn noch Größeres auf dem Spiel steht. Als die EU-Kommission vor einem Jahr beschloss, in ihrem Kampf gegen außereuropäische Produktionsmethoden von Kaffeebauern "Sorgfaltserklärungen" zu verlangen, sah auf den Weltmärkten noch alles danach aus, als werde sich niemand an der gutgemeinten Idee verschlucken.
Die Verordnung (EU) 2023/1115 "über entwaldungsfreie Lieferketten in der Europäischen Union (EU)" hatte nur sicherstellen sollen, dass Rohstoffe wie Kaffee und Soja, aber auch Rinder, Palmöl, Holz, Kautschuk und alles, was sich daraus herstellen lässt, nur dann in den Unionsmarkt eingeführt werden dürfen, wenn "diese nicht mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen" Ein kleiner Schwur,ein kleiner Eid, so dachten sie sich das in Brüssel, und schon wäre klar, dass für die liebste Bohne der Unionsbürger kein Wald gerodet und kein Tier vertrieben wurde.
Papierkrieg für die EU
Das Kilo Kaffee kostet zwei Euro, etwa so viel wie 2008. Dass die Kaffeeröster nun Papierkrieg mit ihren Lieferanten führen mussten, die wiederum ihre Bäume zu zählen hatten und hier und da Beschwörungen einkaufen mussten, hatten die Experten der Kommission ebenso eingerechnet wie die Wahrscheinlichkeit, dass der eine oder andere Kaffeebauer vielleicht auch aus Scham das Handtuch werden würde.
Ein bisschen Schwund ist immer, aber die Welt ist groß und dank Erich Honeckers Initiative baut nicht mehr nur Brasilien Kaffee an, sondern auch Vietnam. Dem Bruderland hatte die DDR seinerzeit beim Aufbau von Kaffeeplantagen geholfen, um sich selbst einen Lieferanten zu verschaffen.
Nachhaltigste deutsche Entwicklungshilfe
Es war das vielleicht das nachhaltigste Stück Entwicklungshilfe, das jemals aus Deutschland, denn Vietnam ist heute der zweitgröße Produzent der Welt, wenn spezialisiert auf die falsche Sorte. Deutschland trinkt Arabica, denn der Islam gehört hier. Robusta darf allenfalls beigemischt werden. Wenn die Not groß ist. Und das scheint sie zu werden. Denn punktgenau mit dem EU-Ultimatum an die Kaffeebauern der Welt begannen die Preise zu klettern.
Was 2005 noch keine drei Euro kostete, ist jetzt zehn teuer. Der Kaffeepreis hat sich in zwölf Monaten mehr als verdoppelt. Das haben weder Bitcoin noch Gold geschafft. Selbst die Gemeinsinnsender sind schon aufgeregt: 43 Prozent Preisplus seit Jahresanfang, und das mitten in eine Zeit, in der die europäischen Zentralbanker unverdrossen das Lied vom sinkenden Preisdruck singen.
Es war der Klimawandel
Dass die Gründe für die Explosionen im Kaffeeregal beim Klimawandel zu finden sind, hilft ein wenig darüber hinwegzutrösten, dass die Röster- und Anbauverbände schon vor einem Jahr vor extrem steigenden Preisen gewarnt hatten, weil die EU-Anforderungen Lieferanten vergraulen würden und dadurch das Angebot schmelze.
Doch die veritable Kaffeekrise ist da. 1990 haben alle Anbauländer weltweit zusammen noch 93 Millionen 60-Kilogramm-Säcke Rohkaffee produziert, im Jahr 2015 waren es schon 147 Millionen und 2021 dann 167 Millionen. Aber die Missernten! Aber die Dürre! Der viele Regen und die "zunehmenden Extremwetter" (NDR). Alles spricht für den Klimawandel.
Inflationsbereinigt ist Kaffee heute so teuer wie noch nie, seit Mohammed höchstpersönlich als erster lebender Mensch und erster Prophet und Religionsgründer die anregende Wirkung des Getränks entdeckte, nachdem ihm der Erzengel Gabriel eine Tasse angeboten hatte. Was das Tässchen kostete, ist nicht überliefert worden.