Samstag, 8. März 2025

Der Staatsstreich: Schulden bis zum Mond

Es gab schon viele Angriffe auf den Verfassungsstaat, etwa durch eien Gruppe rechter Rentner. Die Grundgesetzänderung durch ein abgewähltes Parlament aber dürfte langfristig am wirksamsten sein.

Es ist vorbei, es ist erledigt, der Traum ist ausgeträumt. In einem Handstreich, so planen es Union und Sozialdemokraten, soll der abgewählte alte Bundestag an seinem letzten Sitzungstag die Geldschleusen öffnen, um Deutschland kriegsfest und die neue Bundesregierung dauerhaft handlungsfähig zu machen. Panik war in den letzten Tagen in allen Blicken. Panik wie zuletzt vor fünf Jahren, als ein neuartiges Lungenvirus aus China kam. Was jetzt tun, um so zu tun, als könne man etwas tun?

Der erste Weg deutscher Politiker führt in solchen Momenten immer zum Geldautomaten. Der wirft die Rettung aus, dieser irrationale Grundglaube beherrscht alle, die meinen, führen zu können. Fehlt es Ideen, an Konzepten, an einer Vorstellung dazu, warum eigentlich alles schiefgeht, hilft frisches immer. Diesmal wird eine Billion Euro gezogen, die Geheimnummer soll der alte Bundestag noch schnell herausgeben, ehe die leidige Demokratie mit der unglücklichen letzten Wahlentscheidung des Souveräns alles verdirbt.

Eine runde Billion

Ein Billion Euro neue Schulden entsprechen etwa 40 Prozent der Kreditlast, die Deutschland bisher in 76 Jahren aufgenommen hat. Den derzeit bekannten Plöänen nach wird die unfassbare Summe in zwei neuen Schattenhaushalten versteckt, um sie vor dem verfassungsmäßig vorgesehenen Verbot struktureller, also von der Konjunktur unabhängiger, staatlicher Verschuldung von mehr als 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu verbergen. Dieser Angriff auf die verfassungsmäßigen Grundlagen, die als Reaktion auf wachsende Sorgen über die Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen beschlossen worden waren, ist nicht der erste, aber der umfassendste und bedrohlichste. 

Zwar ist es den deutschen Bundesregierungen auch mit der Schuldenbremse nur ein einziges Mal in den vergangenen 15 Jahren gelungen, die eigenen Vorgaben einzuhalten. Doch zumindest wurde über dieses komplexe Versagen schamhaft geschwiegen und jeder einzelne Verstoß mit einer ganz besonderen, einmaligen und außerordentlichen Notlage begründet. Man müsse jetzt gerade. Die Zeiten seien so. Der schlimmste überhaupt seit. Angela Merkel entwickelte diese Art Ausrede zur Kunstform.

Donald Trump als Grund

Auch diesmal ist das natürlich so. Als Begründung dient ein Gespräch zwischen Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj, in dem der letztere sich geweigert hatte, die amerikanischen Bemühungen um einen schnellen Friedensschluss mit Russland zu unterstützen - whatever it takes. US-Präsident Donald Trump hatte daraufhin die US-Hilfe für die Ukraine für beendet erklärt. Selenskyj könne gern wiederkommen, wenn er bereit sei, statt Forderungen nach Sicherheitsgarantien die Bereitschaft mitzubringen, den Realitäten ins Auge zu schauen: "Ihr habt keine guten Karten", hatte ihm Trump klarzumachen versucht.

In Europa aber fand der Brüskierte Trost. Europas Spitzenpolitik überbot sich gegenseitig mit Unterstützungs- und Aufrüstungsschwüren. Bis zum letzten Ukrainer werde man kämpfen, sich den USA niemals beugen, sondern sie vielmehr zwingen, die einem schnellen Frieden kritisch gegenüberstehenden Europäer mit an den Verhandlungstisch zu bitten. Ein eigener Plan wurde vorgelegt. Er bestand aus dem Vorschlag, irgendwer solle irgendwie einen Waffenstillstand organisieren, der, soviel stand fest, einen Monat zu dauern habe. 

Dementiere Idee aus Europa

Kaum war die peinliche Idee nach Washington übermittelt, wurde sie auch schon dementiert. Alles ist im Fließen, alles ist im Gehen, nur einer kommt und das mit Wumms: Deutschlands neuer Kanzler Friedrich Merz sprach mitten in den Abfall Amerikas seinen "whatver it takes"-Satz: Was auch immer es kosten mag, wie schwer es auch gegen den gesunden Menschenverstand, gegen jede Berechnung von Militärstrategen und gegen jedes Wahlversprechen von vorletzter Woche verstößt. Deutschland wird die Gelegenheit nutzen, wieder Rüstungs- und Militärmacht zu werden wie in den großen Jahren, als die Welt vor deutschen Waffen und deutschen Soldaten zitterte. 

Die SPD, bei der Wahl vernichtend geschlagen, stimmte schnell zu, eingekauft mit einem eigenen Schattenschuldenposten von einer halben Billion, auszugeben für Brücken, Straßen, Schulen und was sonst noch so gut ankommt beim Volk. Um die Grünen zu überreden, die Linken oder die Reste der FDP, wird sich auch noch etwas finden. Und für den Bundesrat sind schon 100 Milliarden beiseitegelegt. Die werden die Länder auf eigene Faust verbraten dürfen.

 Der Aufstand der Abgewählten

Alle, die da beschließen, sind erstens abgewählt und zweitens in einem Alter, in dem ihr Leben vorbei sein wird, wenn die neue Schulden richtig zu drücken beginnen. Es ist, wenn auch gewaltfrei, nichts weniger als ein Staatsstreich. Die offiziell ausgewiesene Staatsverschuldung in Höhe von 2,6 Billionen Euro steigt in einer explosionsartigen Bewegung auf 3,6 Billionen. Dazu kommt eine in 29 verschiedenen alten Sondervermögen versteckte weitere Billion - eine Summe, die bei normalen Wirtschaften irgendwann um das Jahr 2055 erreicht worden wäre. Damit ist Deutschland, ein Land, dem immer vorgeworfen wird, es komme zu spät, richtig viel früher dran.

Als der Bundestag an jenem historischen 29. Mai 2009 nach jahrelangen Verhandlungen mehrheitlich die Hände hob, um dem Grundgesetz eine Schuldenbremse einzuschreiben, glaubten die Parlamentarier von damals, sie könnten ihre Nachfolger auf diese Art davon abhalten, immer wieder und immer tiefer in die Kasse zu greifen. Eine Hoffnung, die sich sichtlich nicht erfüllt hat, denn jedes neue Parlament hat selbstverständlich das Recht, sich die Dinge so zusammenzubiegen, dass es selbst am besten klarkommt. 

Eine kleine Klüngelrunde reicht 

Die kleine Vorkoalitionsklüngelrunde von SPD und CDU/CSU hat nun festgestellt, dass es für künftige Regierungsbemühungen recht günstig wäre, wenn die seinerzeit von SPD und Union beschlossenen Grenzen knallhart weitergelten. Aber, so handhabt die Europäische Union den Umgang mit der völkerrechtlich bindenden Verschuldungsgrenze für die Mitgliedsstaaten seit Jahren mit großem Erfolg, Verstöße dagegen keinerlei Konsequenzen haben. 

Manuela Schwesig, ausgebildete Finanzbeamtin, Gründerin der berühmten Nord-Stream-Stiftung und Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, hat die neue Rechtslage etwa so beschrieben: Im Haushalt seien bisher 1,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung veranschlagt worden, das sei erlaubt. Wenn der Verteidigungshaushalt aber nun auf zwei Prozent und vielleicht weit darüber hinaus steige, dann würden künftig einfach alle Schulden, "also alles, was über ein Prozent ist" nicht mehr als Schulden gerechnet. Das Konzept ist aus der Behandlung von Alkoholkranken bekannt: Es wird dabei kontrolliert so viel getrunken, dass es dem Patienten so schlecht wird, dass er zumindest kurzzeitig einfach nicht mehr weitertrinken kann. 

Die Magie der großen Zahl

Der "Deutschlandplan", wie ihn Schwesig nach einer Idee ihrer Partei aus dem Jahr 1959 nennt, ist eine Mischung aus klassischem Rettungspaket der Marke Merkel, Beschwörung der Magie der großen Zahl und Versuch, grundgesetzliche Regelungen mit einem Augenzwinkern auszumanövrieren. Die Dringlichkeit der Wiederbewaffnung Deutschlands dient als Vorwand für den Versuch, mit noch mehr staatlichen Ausgaben wenigstens wieder ein bisschen Wirtschaftswachstum zu erzeugen - von Schwesig als "Stärkung der Wirtschaft" bezeichnet.

Das Rezept, nach dem gekocht werden soll, wenn der scheidende Bundestag erst seine letzte vaterländische Pflicht erfüllt und die Kriegskredite durchgewunken hat, ist bekannt. Die Ankündigung von "Investitionen in die Infrastruktur, vor allem in Straßen, Brücken, Krankenhäuser, Kitas und Schulen" kamen bereits 2019 prima an, 2020 war der "erhebliche Investitionsbedarf dann "Konsens", 2021 wurden sie greifbare Realität und 2023 sollte alles sogar noch schneller gehen mit den "leistungsstarken Straßen, Brücken, Schienen und Mobilfunknetzen", für deren Aufbau der Deutsche Gewerkschaftsbund schließlich 2024 600 Milliarden Euro veranschlagte. 

Neue monetäre Dimensionen

Eine Summe, die bei der SPD niemand kleinlich nachrechnete.  In solchen monetären Dimensionen kommt es auf die Million nicht an, jeder Cent ist ein Zeichen, dass etwas getan wird, unabhängig davon, ob jemand genau weiß, was genau getan werden müsste. Kleinlich, wer wie die Grünen jammert, sie hätten schon immer gesagt, "Klotzen statt Kleckern", wie es Hitlers Panzergeneral Heinz Guderian einst so vortrefflich ausgedrückt hatte.  

Niemand kennt jetzt mehr Partialinteressen, die Summen, die im Schwange sind, werden für alles reichen. Schwesig etwa würde gern auch in die Strompreise investieren, denn "die sind für alle teuer und steigen immer mehr, obwohl wir grünen Strom längst sehr preiswert produzieren". Wenn den Netzausbau, damit der viele Strom nicht ungenutzt versickert, nicht mehr auf alle umlege, sondern als Schuldenlast in die Zukunft verschiebe, werde alles für alle billiger. "Und gerade die Energiekosten sind ein ganz wichtiger Baustein für die wirtschaftliche Entwicklung." 

Das bisschen Verfassung

Das bisschen Verfassung, das dazu geändert werden muss, schaffen sie locker noch im alten Bundestag. Nörgelei an der hastigen Terminierung der Abstimmung auf den 13. und 18. März und der Hinweis auf das Desaster, dass die Ampel mit ihrem ähnlich eiligen Versuch erlitten hatte, das Heizungsgesetz flott durchzudrücken, ist die Vorstufe zu Staatsfeindlichkeit.

Nur weil das Bundesverfassungsgericht seinerzeit per einstweiliger Anordnung eine Abstimmung untersagt hatte, um sicherzustellen, dass "allen Abgeordneten die wesentlichen Textpassagen des für die zweite Lesung maßgeblichen Gesetzentwurfs mindestens 14 Tage vorher zugegangen sind" , heißt es nicht, dass die diesmal nicht schneller lesen können: Es geht um "ein großes Finanzpaket" (Klingbeil)! Das über Wohl und Wehe der westlichen Welt entscheiden wird, abzüglich der Vereinigten Staaten.

Mit wem denn, wenn nicht jetzt

Eine Zweidrittelmehrheit ist nötig, um wenigstens erstmal vorübergehend raus aus den Kartoffeln zu kommen, die die Zweidrittelmehrheit von SPD, CDU und CSU 2009 im Bundestag angesetzt hatte. Auf den vom Wähler und der Wählerin so unklug zusammengestellten neuen Bundestag darf Friedrich Merz nicht hoffen: Mit der AfD zusammen geht es ja nicht,das hat er geschworen. Die Linkspartei aber, der die Union mit einem Unvereinbarkeitsschwur ebenso eng verbunden ist, wird sich schwer tun, gegen die alten Genossen im Kreml aufzurüsten.

Nach der Entscheidung der schwarz-roten Klüngelrunde ist also vor der Entscheidung darüber, ob das ganze gewagte Manöver klappt. Olaf Scholz aber hatte die funkelnagelneuen Billionen trotzdem schon in der Aktentasche, als er beim Krisengipfel in Brüssel erneut vor einem "Diktatfrieden" mit Russland warnte, wie ihn Zar Alexander I. 1807 über die Köpfe Deutschlands hinweg mit Frankreich geschlossen hatte. Scholz lobte die Bereitschaft Volodomyr Selenskyjs, mit Europa, Russland und den USA über einen Waffenstillstand zu sprechen. 

Dass weder die USA noch die Russen sich von Europa oder der Ukraine in ihre Gespräche hereinreden lassen werden, ist ein Detail, mit dem Nachfolger Merz wird arbeiten müssen.

4 Kommentare:

  1. Horst Köhler, Gott hab ihn selig, inkludierte vor 15 Jahren noch die Pensionslasten der Boomer-Beamten und kam auf eine Verschuldung von 6 bis 7 Billion Euro - für das Jahr 2010 wohlgemerkt. Eine so absurde Zahl, dass der Finanzfachmann und Bundespräsident in Personalunion sie nur in einem Provibzkäseblatt unterbrachte.
    Da kommen die anderthalb Billionen neue und brandneue Schulden seither noch drauf - und es klingt auch nicht nach viel mehr.

    Mc Kinsey hat sich jedenfalls sicher schon die neuesten Superyacht-Prospekte liefern lassen. Irgendwo muss das sauer zu verdienende Geld doch hin...

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  2. TrumpeltierMärz 08, 2025

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    So lockt man mental sparsame Konsumenten, die über ihre Verhältnisse leben, weil sie um jeden Preis zur Wohlstandsherde dazugehören wollen, in die Schuldenfalle, die jedoch keine ist, weil man nach einem Saus und Braus auf Pump mit wenigen Jahren Privatinsolvenz-Wohlverhalten auf Sozialhilfeniveau wieder frei bei Null neu beginnen kann. Den wirtschaftlichen Schaden trägt dann die Allgemeinheit über gestiegene Preise.

    Ich denke, der Sondervermögen-Schuldenturm wächst bei aktuell schon 29000 Euro pro Buntesbürgen vom Baby bis zum Greis demnächst rasant bis zum Mars, dem Kriegsgott.

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  3. Für 400Mrd. kann man im BAINWw schon 'ne Menge Transenklos bauen.

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  4. OT
    < und gar nicht die Zeit habe, sich um so eine Praxis zu kümmern. Und weil sie das unternehmerische Risiko scheut, sie bleibt lieber angestellte Ärztin. >

    Hadmut hat gut reden - unternehmerisches Risiko scheuen. Es sind eitel Bolschwiken: Der Selbstständige ist a priori Verbrecher, sogar, wenn er keine Angestellten hat. Und er bunkert aus Geiz unerschöpfliche Mittel.
    Erst recht als Arzt würde ich mich auch unter den günstigsten Bedingungen nie wieder niederlassen - man ist für alle, mit Verlaub, der Arschwisch. Noch das wenigste ist, dass in den Wochen mit Brückentag das böse Rückenweh erstaunlich zunimmt. (Die einzig wahre fortschrittliche und revolutionäre Klasse hat sich selbst überlistet mit voller Lohnfortzahlung.)

    Demigod in White retired










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