Mittwoch, 5. Februar 2025

Spitze auf Knopf: Wer sind mehr

Rosige Aussichten: Kommt es so, könnte erstmals eine Koalition eine Mehrheit im Bundestag haben, die keine Mehrheit im Bundestag hat.

Es wird nicht einfach werden, aber dadurch besonders leicht. Vorerst deutet nur eine Umfrage des Democracy Institute aus Washington D.C. auf ein Ergebnis der Bundestagswahl hin, das Blütenträume reifen lassen würde, die schon verdorrt zu sein schienen. Die Union nur noch bei 27 Prozent, SPD 15, Grüne 13. Doch mit BSW und Linkspartei schaffen es demnach zwei weitere linke Kräfte ins Parlament. Summiert ergibt das eine kaum mehr für möglich gehaltene Mehrheit der Demokraten der Mitte: 39 Prozent der Stimmen könnten Rot, Grün, Brombeer und Blutrot auf sich vereinen.

Mehrheit ohne Mehrheit

Keine Mehrheit, aber doch eine. Durch die Brandmauer fehlt der Union ein kräftiger Koalitionspartner. Allein mit der FDP, die die Amerikaner auch gerade so wieder in den Bundestag rutschen sehen, reicht es nicht. Eine Koalition mit der AfD aber, mit der CDU und CSU zusammen auf eine absolute Mehrheit kämen, kann und will Friedrich Merz nicht eingehen. Stellte sich nun Olaf Scholz beherzt an die Spitze einer Farb-Formation, für die noch eine Nationalfahne als Namensgeber gefunden werden muss, wäre ihm der Durchmarsch auch ohne parlamentarische Mehrheit sicher. 

Nie war es so einfach, einen Regierungschef zu stellen. Selbst wenn die Kanzlerwahl in den ersten beiden Runden noch scheitert, reicht in der dritten Runde sogar eine einfache Mehrheit. Grüne und SPD bräuchten dann nicht einmal mehr Hilfe von der Linken und der Bewegung Wagenknecht. Schaffen sie es, für Scholz oder Habeck die Mehrheit der Stimmen zu sammeln, ist wäre einer der beiden Regierungschef.

Die AfD würde nicht zustimmen. Die CDU müsste sich deshalb ebenso wie die CSU enthalten. 39 Prozent der Stimmen reichten damit, um den neuen Kanzler zu küren. Der könnte zudem vier Jahre sicher durchregieren: Immer, wenn die Union ein Gesetz durchfallen lassen wollte, müsste sie schauen, dass die AfD nicht das Gleiche vorhat. Vergessen wären die wackligen Ampel-Jahre, als manches Gesetz es nicht einmal in den Bundestag geschafft hatte, weil Robert Habeck zwar die richtige Idee hatte. Die FDP sich aber immer wieder weigerte, sie umzusetzen.

Alles für die Mitte

Das wäre in der neuen Konstellation vorbei. SPD, Grüne, BSW und Linkspartei haben jede Menge Ideen im Wahlkampfgepäck, wie sich über höhere staatliche Ausgaben binnen kürzester Zeit alles grundlegend zum Besseren wenden ließe. Die Sozialdemokratie will nicht nur die "hart arbeitende Mitte" (Hubertus Heil), sondern auch die hochverschuldeten Kommunen, die Pflege, die Stromkunden und die Rentner entlasten. Sondern die dazu notwendigen 30 bis 130 Milliarden auch auftreiben, ohne die aktuellen Wähler jetzt gleich zu belasten. 

Ähnlich großzügig wollen die Grünen vorgehen, die 48 Milliarden für alle ausgelobt haben. Die Linke und das BSW haben noch nicht ausgerechnet, wie viel Gutes auf ihre Wähler wartet. Aber addiert geht das über die 89 Milliarden der Union und die 139 Milliarden der FDP hinaus in die Richtung der knapp 150 Milliarden der AfD.

Die letzten Jahre noch genießen

Warum also nicht, werden sich viele Wählerinnen und Wähler sagen. Wenn der ganze Laden sowieso den Bach hochgeht, warum dann nicht noch die letzten Jahre genießen? Vor allem für die Älteren, die schon den Kalten Krieg, die Schmerzen der ersten Einheitsjahre, den Zusammenbruch des Neuen Marktes, die Finanzkrise und die Pandemie durchstehen mussten, ist eine als "Reform" bezeichnete Aufhebung der Schuldenbremse eine verlockende Alternative zur Armut im Alter, Leiden im unbezahlbaren Pflegeheim und Bibbern in jedem Winter, weil der Habecksche Heizungsentlüfter wieder nicht erschienen ist.

Die Vielfaltskoalition wäre der Regierung gewordene Ausdruck einer Mehrheit, die keine ist, durch ihre kluge strategische Platzierung aber doch. An der Schnittstelle zwischen Insolvenzverschleppung und Konkurs in Eigenverwaltung entstünde ein Gegenentwurf zur amerikanischen und argentinischen Effizienzdiktatur, bei dem es auf den Euro nicht mehr ankommt. 

Hoffnung für Merz

Über Wirtschaft wird ohnehin wenig gesprochen in dieser Wahlschlacht, kaum mehr als über Klima und Krieg, die beiden Themen, die vor einem Jahr noch im Mittelpunkt jeder politischen Debatte standen. Der Wettbewerb um die steilste These tobt heute anderswo, seit einigen Stunden aber ausschließlich an den Außengrenzen. Die will Friedrich Merz zumachen, über die will Olaf Scholz konsequent abschieben, die will Ronbert Habeck verteidigen, indem er "nichtdeutsche Gefährder" und Schwerkriminelle, die mit Haftbefehl gesucht werden, in Haft nehmen lässt.

Vielleicht der Knackpunkt für eine künftige Koalition mit den Silberlocken von der Linkspartei: Der rechte Flügel der Linkspartei wäre gern dabei. Aber wie die grüne Jugend, die Habeck sofort des Wortbruchs zieh, obwohl der Nachwuchsverband erst vor vier Monaten vorsorglich scharf nach rechts gerückt worden war, steht auch die Rest-PDS für Asylrechtsverschärfungen nicht zur Verfügung

Eine letzte Hoffnung für Friedrich Merz.

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