Charakterlich stark: Auch ihre zweite Amtszeit tritt Ursula von der Leyen noch einmal mit dem traditionellen EU-Versprechen an, die Bürokratie um 25 Prozent abzubauen. |
Sie haben lange gesessen und gebrütet im politischen Brüssel. Draußen fegte ein neuer, kalter Wind der Wirklichkeit durch die klammen Straßen, drinnen hockten sie zusammen, die Führerinnen und Führer der letzten freien Menschengemeinschaft weltweit, gebeugt über die traurigen Trümmer ihrer geplatzten Träume.
Der Hass auf die, die es gut meinen
6.500 prächtige neue Gesetze, Richtlinien und Verordnungen hatten sie geschaffen, in nur fünf Jahren und mit nur 32.000 Bürokraten als Werkzeug. Und statt dafür zu applaudieren, jubelnd durch die Straßen zu ziehen und m´nach mehr zu verlangen, schimpften nicht nur die Menschen. Nein, auch die Politikerkollegen in den untergebenen Hauptstädten taten so, als hätten sie mit all dem nichts zu tun.
Ja, sie bissen sogar die Hand, die sie fortwährend mit Milliarden an Fördermitteln füttert. Immer wieder kam es vor, dass einer nach neuen Strategie rief. Den Wohlstand leugnete, den die EU-Kommission aufgebaut hatte. Oder behauptete, jede zusätzliche Vorschrift koste in den Unternehmen Geld. Und zwar inzwischen so viel, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas vollkommen geschwunden sei.
Keiner hat mehr Spanngurte
Das Versprechen von 25 % Abbau ist seit Jahrzehnten stabil. |
Die anderen mögen große Digitalkonzerne haben, wieder andere gewaltige Fabriken, aus denen sich ein Strom an billigen Konsumartikeln wälzt. Europa aber konnte bisher zuverlässig mit seinen Stärken kontern: Niemand verfügt über mehr Klimaziele, keiner kann mehr Richtlinien und Sicherheitsgurte selbst für Alltagsverrichtungen vorweisen. Dazu kommen weitreichende Visionen, die schon heute festgezurrt haben, wie das Leben von 440 Millionen Menschen in fünf, 15 und 25 Jahren genau ablaufen wird.
Neue Versprechen
Mit dem Green Deal und einem Programm zu Wiederaufbau des Kontinents hatte sich Kommissionschefin Ursula von der Leyen über ihre erste Amtszeit gerettet. Doch instinktsicher wie sie ist, wusste die 66-Jährige früh, dass ein paar neue Versprechen, Wolkenkuckucksheime zu bauen, für die zweite Herrschaftsperiode nicht reichen werden.
Beim Grübeln sprang also der Bürokratieabbau heraus, nach dem die Marktforscher der EU eine gewisse Sehnsucht in allen angeschlossenen Ländern hatten erspüren können. Warum also nicht? Viel mehr Pulver liegt nicht mehr im Brüssler Keller, dort unten bei den begrabenen Plänen vom "dynamischsten Kontinent", der "EU-Armee" und dem "gemeinsamen Wirtschaftsraum".
Für Ursula von der Leyen ist das Bürokratieabbau-Versprechen wie eine alte Jacke, die sich die Frau aus Niedersachsen ohne neue Anprobe und Änderungsschneider überwerfen kann. Das neue Vorhaben, gegen "zu viel Bürokratie" (Die Zeit) vorzugehen, um die europäische Wirtschaft zu stärken, spart sich denn auch jeden Anschein von Anstrengung oder Originalität. Im Vertrauen darauf, dass die angeschlossenen Abspielanstalten ihre neue "Initiative" (DPA) ohnehin begrüßen und loben werden, hat von der Leyen sich den Aufwand gespart, irgendetwas Neues in Aussicht zu stellen.
Einfach noch mal dasselbe
Stattdessen hat die gewiefte Taktikerin einfach das alte Arbeitsprogramm ihrer vorigen Kommission als neuen Plan vorgestellt - wobei das Programm abgeschrieben war aus den Wahlversprechen, die Ursula von der Leyen gemacht hatte, ehe sie zum ersten Mal zur EU-Kommissionspräsidentin gekürt wurde. Wieder soll es einen Bürokratieabbau um die üblichen 25 Prozent geben, ein Versprechen, das in wenigen Jahren volljährig wird.
Seit 2007 halten alle EU-Komissionen den Bürgerinnen und Bürgern die Zusage, eben jene 25 Prozent an Vorschriften abbauen zu wollen, gleich demnächst, wie eine Mohrrübe vor die Nase. Die Mühe, wenigstens die Zahl zu ändern, hat sich auch Ursula von der Leyen erspart. In der sicheren Gewissheit, die sich niemand mehr an frühere Abbaukampagnen erinnern wird, die aber bei den Leitmedien, die es tun, aus Sympathie zur Sache schweigen werden, hat es die EU-Chefin einfach bei den traditionellen 25 Prozent belassen.
Die alte Idee, dass man sich nur ja recht schnell möglichst viele Vorschriften verpassen muss, um weltweit zum Vorbild zu werden - "wer die Standards setzt, gewinnt den Markt" - ist obsolet. Das "Lob der Bürokratie" (Deutschlandfunk), die in Europa so effizient wie nirgendwo sonst Richtlinien, Regeln und neuerdings sogar Acts für Dinge produziert, die es in Europa nicht gibt, ist schal geworden.
Alter Wein in alten Schläuchen
Der alte Wein kommt nicht einmal in neuen Schläuchen: Von der Leyen " plant eine beispiellose Initiative zur Vereinfachung der Regelungen". Die exakt dem entspricht, was sie vor sechs Jahren versprochen hatte. Um dem ganzen die Krone ins Gesicht zu schlagen, hat von der Leyen zudem Valdis Dombrovskis mit dem Zurückschneiden der Bürokratie beauftragt. Der dienstälteste Kommissar dient bereits in der dritten EU-Kommission. Als neuerdings Zuständiger für "Wirtschaftlichkeit und Produktivität" weiß er schon länger als jeder sonst in Europas Hauptstadt, dass es sich immer lohnt, zur Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit auf Bürokratieabbau zu setzen.
Funktioniert immer. Kommt stets gut an. Was für eine mutige Reform, freuen sich die Menschen. Was für eine zukunftsweisende Initiative, gratulieren die Kollegen. Der alte Hut, an dem noch Schweißspuren von Stoiber, Barnier und Juncker zu sehen sind, steht Ursula von der Leyen wieder gut.
Eine schöne Schocktherapie
Von links bis rechts findet die "Schocktherapie" (Handelsblatt) Freunde und der Kampf der Bürokraten gegen die Bürokratie hat im Sturm alle Herzen erobert. In Brüssel hatte man eigentlich mit Bangen auf das Medienecho geschielt. Mancher in der neuen Kommission hatte befürchtet, dass es zu dreist wäre, wieder einen Bürokratieabbau um 25 Prozent in Aussicht zu stellen. Andere hatten gezweifelt, ob nicht jemand bemerken würde, dass die EU-Kommission seit 20 Jahren immer dasselbe verspricht.
Unnötige Ängste. Selbstverständlich gibt es leise Zweifel, ob ein "bürokratisches Monster" (Edmund Stoiber) wie die EU die ideale Besetzung ist, um Bürokratie abzubauen. Doch allgemein ist das Echo positiv. Die 25 Prozent Bürokratierückbau haben überzeugt, wie erwartet ist niemandem aufgefallen, wie alt das Versprechen ist und dass die "beispiellose Anstrengung zur Vereinfachung" (Manager-Magazin) ein Stück ist, das in Brüssel sogar schon aufgeführt wurde, als die alten Zwillingstürme in New York noch standen.
Ursula beim Subbotnik in ihrem Archiv auf der Suche nach begrabenen Plänen, die man abstauben und als neu verkaufen kann. So stelle ich mir Führung vor.
AntwortenLöschenIn den USA wird im Moment ein großes Feuerwerk in den Behörden abgebrannt. Wie berichtet wurde, haben bisher 20000 Sesselfurzer das Angebot angenommen, bis September bezahlt frei zu nehmen und sich dann zu verpissen. Das ist natürlich Faschismus und geht bei uns nicht.