Der falsche Wahlsieger: In Rumänien musste die Präsidentschaftswahl rückgängig gemacht werden. |
Am 16. Dezember vor 35 Jahren begannen in Rumänien Massenproteste gegen das kommunistische Regime des Diktators Nicolae Ceaușescu. Schnell griff die Protestbewegung auf weite Teile des Landes über. Killerkommandos des Geheimdienstes Securitate ermordeten Protestler und befeuerten den Widerstand damit erst recht.
Am 22. Dezember floh das Herrscherpaar Ceaușescu aus Bukarest, Hals über Kopf in einem Hubschrauber ohne Ziel. Der Pilot setzte die bis dahin absolut über ihre knapp 20 Millionen Untertanen herrschenden Eheleute in einem Feld neben der nach Pitești führenden Nationalstraße 7 ab. Leibwächter kaperten Autos, die Ceaușescus türmten Richtung Tîrgoviște, wo sie Soldaten der rumänischen Armee in die Arme liefen.
Rumänische Schnellgerichte
Drei Tage später wurden Ceaușescu und seine Frau Elena von einem Schnellgericht wegen Völkermordes und "Schädigung der Volkswirtschaft" angeklagt und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde umgehend vollstreckt.
So schlimm geht es 35 Jahre später nicht mehr zu im Land der vereinigten Fürstentümer Moldau und Walachei. Rumänien ist heute eine Demokratie, fest verwurzelt in EU und Nato. Als größte Bedrohung gilt hier das chinesische Videoportal TikTok, das das Verfassungsgericht des Landes jetzt erneut zu einem kurzen Prozess zwang.
Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen musste rückgängig gemacht werden, nachdem der falsche Kandidat gewonnen hatte. Die Stichwahl wurde abgesagt, der erste Wahlgang annulliert und festgelegt, dass die erst Anfang der Woche erfolgte amtliche Bestätigung der Ergebnisse zurückgezogen worden ist.
Die EU-Bananenrepublik
Schuld an den blamablen Vorgängen, die den EU-Mitgliedstaat Rumänien wie eine Bananenrepublik aussehen lassen, war ein "aggressiver russischer hybrider Angriff", mit dem der Kreml die Rumänen dazu gebracht hatte, statt der angebotenen demokratischen Kandidaten den rechtsextremen, parteilosen und russlandfreundlichen Kandidaten Calin Georgescu zu wählen. Über "eine Einzelperson, die Georgescus Kandidatur unterstützte", soviel steht eine Woche später fest, sei "fast eine Million Euro für eine Werbekampagne" zugunsten des Gegenkandidaten des sozialdemokratischen Regierungschefs Marcel Ciolacu ausgegeben worden.
Nicht irgendwo, nicht für Plakate, Fernsehspots oder Radiojungles. Sondern für Werbespots beim chinesischen Kurzfilmportal TikTok, einem auch bei SPD, Grünen, AfD, CDU, FDP und BSW
beliebten Wahlhelfer auch China. An ein Netzwerk aus Schläfern habe der Auftraggeber "bis zu 950 Euro für den Repost" von Werbebotschaften für Georgescu gezahlt. An TikTok seien 362.500 Euro geflossen - mit einem überraschenden Ende: Der Außenseiterkandidat, in Umfragen noch unter ferner liefen notiert, gewann die erste Runde mit 23 Prozent. Der amtierende Premier, Chef der Sozialdemokraten und Favorit Marcel Ciolacu schaffte es als Dritter nicht einmal in die Stichwahl.
Die Dubai-Schokolade der Politik
Georgescu ist eine Art Dubai-Schokolade der EU-Demokratie. Mit nur einer Million Euro, 565.000 Followern bei TikTok und 6,5 Millionen Likes auf seinem offiziellen Kanal gelang es dem 62-Jährigen allen Berichten zufolge, ein Viertel rumänischen Wählerinnen und Wähler auf seine Seite zu ziehen.
52 Prozent der 19 Millionen wahlberechtigten Rumänen hatten ihre Stimme abgegeben. Etwa 2,3 Millionen Stimmen entfielen auf Georgescu. Der studierte Bodenkundler und Tierarzt, ehemals Sonderberichterstatters für Menschenrechte und gefährliche Abfälle des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, eroberte einen Schlüsselstaat an der Südostflanke von Nato und EU mit Hilfe eines Beutels Kleingeld.
Überraschte EU
Die EU, die ihre "Leitlinien für die Minderung systemischer Risiken für Wahlen" bereits im März vorgestellt hatte, war überrumpelt und übertölpelt. Im Zuge des Machtvakuums beim Wechsel zwischen alter und neuer EU-Kommission war jede Vorabwarnung vor russischen Einflussversuchen auf die demokratische Entscheidung der Rumäninnen und Rumänen unterblieben.
Erst im Nachgang bestellte das EU-Parlament Vertreter der Plattform ein, um die "Rolle zu diskutieren, die sie bei den Präsidentschaftswahlen gespielt hatte, nachdem Calin Georgescu, ein rechtsextremer Kandidat, der unabhängig kandidierte, nach der ersten Runde als Sieger hervorging". TikTok leugnet bisher hartnäckig und behauptet allen Schlagzeilen über die "mutmaßlich russisch unterstützte Kampagne des Rechtsradikalen Călin Georgescu" zum Trotz, dass "weder Beweise für eine verdeckte Einflussnahme auf unserer Plattform in den letzten Wochen für die laufenden Präsidentschaftswahlen in Rumänien noch für eine ausländische Einflussnahme gefunden" worden seien.
Das wäre nun noch schlimmer, hätte nie passieren dürfen, und wenn es doch passiert, öffnet sich der Schlund zur Hölle. Was wäre denn, wenn es Olaf Scholz, dem unbeliebtesten Bundeskanzler aller Zeiten, gelänge, sich mit Hilfe seiner TikTok-Aktentasche eine zweite Amtszeit zu erschleichen? Was wäre, wenn es #teamhabeck gelänge, den "schlechtesten Wirtschaftsminister aller Zeiten" (Joe Kaeser) durch eine generalstabsmäßig geplante Werbekampagne beim Hassportal X sogar bis ins Kanzleramt zu befördern? Oder wenn es anderen Kräften sogar gelänge, nach 16 heute durchaus auch kritisch betrachteten Merkel-Jahren erneut eine Frau dort zu platzieren?
Missglückter Test
Rumäniens schiefgegangenes Projekt einer freien Wahl, bei der die Kandidaten überall so für sich werben lassen dürfen, wie sie wollen, ist zum schrecklichen Fanal geworden. Es geht um Manipulation oder Desinformation, um bereits im September vor der Wahl von TikTok entfernte "66.000 gefälschte Konten und viele gefälschte Follower", die "auf ein rumänisches Publikum abzielten" und um die Frage, ob es in der EU erlaubt sein sollte, unter geschickter Ausnutzung der Algorithmen ausländischer sozialer Netzwerke Wahlkampf zu machen, auch wenn die Gefahr besteht, dass am Ende der falsche Sieger steht.
Im ersten Anlauf hat das rumänische Verfassungsgericht den Manipulationen aus Russland und China entschlossen ein Stoppzeichen gesetzt. Erstmals erklären die höchsten Richter eines EU-Mitgliedsstaates eine komplette Wahl für ungültig. Erstmals brauchten sie bis zum Urteil nicht einmal eine Woche. Erstmals reichten zur Urteilsfindung nicht näher bezeichnete "Informationen des Obersten Rates für Landesverteidigung", aus denen hervorging, "dass es staatliche und nicht-staatliche Eingriffe in den Wahlprozess in Rumänien" gegeben habe.
Staatsstreich zum Demokratieschutz
Doch unendlich oft lässt sich das Manöver nicht wiederholen. Jetzt schon spricht die liberale Präsidentschaftskandidatin Elena Lasconi, die in Runde zwei gegen Calin Georgescu angetreten wäre, von einer "Zerstörung unserer Demokratie" durch die Verfassungsrichter. George Simion, der Kandidat der rechten Partei AUR, der es nicht in die Stichwahl geschafft hatte, spricht von einem "Staatsstreich". Das wird sich versenden, spätestens, wenn der rechtmäßige Amtsinhaber Marcel Ciolacu nach der neu angesetzten Wahl im kommenden Jahr von den Wählerinnen und Wählern eine erneute Amtszeit zugesprochen bekommt.
Doch die Gefahr ist groß, dass es zu vergleichbaren Falschwahlen kommt, angetrieben durch TikTok-Videos und raffiniert designten Werbefeldzügen, in denen längst gebrochene Versprechen mit apodiktischen Parolen kombiniert werden, um arglose Wähler noch einmal mit der Zusage eines weiteren neuen "Neuanfangs" für ein Weiterso zu begeistern.
Wenn sowas hier mal mit der AfD passiert, wird es sehr schnell gehen, dass irgendein Geheimdienst Putin als Drahtzieher entlarvt und Harbarth die Wahl annulliert.
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