Montag, 2. Dezember 2024

Parteien im Flaggenrausch: Völkische Revolution

Nationalkomitee Deutschland: Die lange verhasste und misstrauisch beäugte deutsche Fahne ist zum unerlässlichen Accessoire im Wahlkampf geworden. 

Es waren grauenhafte Bilder, die vor nicht einmal zehn Jahren aus der früheren Heldenstadt Leipzig kamen. Springer-Praktikantin Nadine Mierdorf war fassungslos. "Sie schwenken auch Deutschlandfahnen", beschrieb sie beim Nachrichtensender N24, was bei einer außer Rand und Band geratenen Demonstration quengeliger Ostdeutscher zu sehen war. Deutschlandfahnen! Die Nationalfarben! Ein Abgrund aus Nationalismus. Ein schwarz-rot-goldener Strudel, der Aufklärung, Fortschritt und Weltoffenheit verschlang.

Der jungen Frau aus Bad Soden im Taunus war anzumerken, wie schwer es ihr fiel, vor den Augen der Welt einzugestehen, dass wohl doch schon wieder so weit war. 1989 war es Bundeskanzler Helmut Kohl, der von verstockten Nationalisten in Dresden mit hochgereckten deutschen Fahnen beschämt wurde. Jetzt waren sie wieder da, die enthemmten Neo-Nationalisten, die statt des Regenbogens auf Schwarz, Rot und Gold setzten. Da waren sie wieder, die "national befreiten Zonen", von denen immer wieder so viel zu lesen gewesen war, ohne dass es jemals einem wagemutigen Reporter gelungen war, eine von ihnen zu finden oder gar zu besuchen.

Hässliches Farbspiel


Zum Glück ist das neue Deutschland stets alarmbereit. Die grüne Jugend warnte eindringlich. Aufgeweckte junge Leute riefen zu Wettbewerben auf, den alten Stoff des Nationalismus herunterzureißen, wo er sein hässliches Farbspiel zeigte. "Wer Fahnen hisst, markiert damit sein Revier", schrieb die Taz, denn "wenn Schwarz-Rot-Gold gezeigt wird, setzt sich die Mehrheitsgesellschaft über andere Gruppen hinweg." Niemand will das.

Angela Merkel, die die CDU konsequent in die Mitte geschoben und diese Mitte dann langsam, aber unaufhaltsam nach links gerückt hatte, blieb unvergessen mit ihrer größten Geste: Ihr Auftritt als  "Anti-Deutsche" fand millionenfache Verbreitung. Die Kanzlerin selbst beförderte die Nationalflagge in den Mülleiner der Geschichte. Die Nation folgte ihr stumm: Die Fussball-Nationalmannschaft strich das "National" aus ihrem Namen. Die SPD rief die Gründung der "Vereinigten Staaten von Europa" für den 1. Januar 2025 aus. Der Nationalismus wurde zum "Feind des europäischen Projekts" erklärt. Die Deutschland-Fahnen verschwanden, verdrängt vom lichten Zukunftsblau der EU.

Trotzdem steht die AfD steht in Umfragen jetzt wieder dort, wo sie vor den Enthüllungen über ihre drastischen Abschiebungspläne gewesen war. Die Demos gegen die Übernahme durch Nationalisten sind weg wie ein Spuk. Die Freunde offener Grenzen, großer Transformation und rascher Heizungswechsel für alle haben sich in ihre Heimbibliotheken zurückgezogen. Draußen tobt ein Rechtsruck, der bürgerliche Mehrheiten wie zu Kohls Zeiten produziert. Vom Wähler und der Wählerin allerdings so falsch zusammengesetzt, dass sie nicht genutzt werden können.
 
Anbiedern ist in. Mit einem Schlag aus heiterem Himmel gießen alle ihre Wurzeln und alle reden sinnbildlich Dialekt. Es ist nicht mehr zu leugnen: Wenn Historiker später werden herausbekommen wollen, wie sich Deutschland am Ende des zweiten Jahrzehnts des dritten Jahrtausends verändert hat, werden sie nur auf die Wahlplakate der politischen Parteien und Wählervereinigungen schauen müssen. Aus dem "Wir" vergangener Wahlkämpfe  ist ein "Hier" geworden, das den eigenen Ursprung feiert, das Nahe, die eigene Identität. 
 
Von links bis rechts hat sich der problematische Begriff "Heimat", in besseren Zeiten noch Gegenstand eines engagierten Streits um die Zulässigkeit seiner Verwendung, zur Essenz der politischen Botschaft aller Parteien entwickelt. "Heimat", nach einem Gutachten der Hamburger "Zeit" ein "politisch nicht unschuldiger Begriff", der "dem rechten Rand überlassen" bleiben muss, ist nun zwar irgendwie immer noch die alte "Chiffre für Ausgrenzung" (Die Zeit). Doch wer zu simulieren versteht, dass er dazugehört, der wird als zugehörig betrachtet. Und vielleicht gewählt.

Schwarz-Rot-Gold statt Rot Front


Direkt aus der Inhalts-, Glaubwürdigkeits- und Legitimitätskrise der Parteien des demokratischen Blocks klopft der Rhythmus, bei dem jeder mit muss. Volkstümelei. Es geht um meine Herkunft, meine Wurzeln, meine Stadt und - im globalisierten Berlin - "mein Kiez". Mehr oder weniger eifrig kopieren alle, was Rechtsaußen vorgeturnt wird. Auch symbolisch. Dort, wo noch vor elf Monaten ein Saal voller mutiger Sozialdemokraten beim Singen der "Internationale" enthemmt "Rot Front" rief, ist es still geworden. Angst liegt über der Stadt, in der die Politik wohnt. Was, wenn wir uns nur etwas vormachen? 
 
Auch die Zeiten, in denen die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr "National" abgelegt hatte, um nur noch als "Mannschaft" von Sieg zu Sieg zu eilen, sind vorbei. Das Nationale erlebt eine Renaissance, ausgerechnet unter der weltoffenen Ampel-Koalition erlebt die Deutschtümelei, an der sich ältere Sozialdemokraten noch vergebens verhoben hatte, eine Renaissance. Wandte sich Martin Schulz, der unvollendete Hoffnungsträger der ältesten deutschen Partei, als gelernter Kerneuropäer in seinen großen Tagen als Weltenlenker noch entschieden gegen das "Europa der Ultranationalisten", die ihre Länder nur für sich haben wollen, eifert Olaf Scholz, sein Nachfolger als bekanntestes Gesicht der deutschen Sozialdemokratie, eher denen nach, die dem Rechtsruck mit einem Rechtsruck begegnen wollen. Und dazu auch bereit sind, den toten Gaul des Nationalismus zu satteln. 

Angst vor dem Machtverlust


Das Warten auf die Revolution dauert manchem zu lange. Die Aussicht, nach elf Jahren an der Macht wieder auf den harten, ungemütlichen Oppositionsbänken zu landen, noch dazu nicht mehr in Kompanie-, sondern nur noch in Zugstärke, lässt die Prinzipien nicht nur bei den Sozialdemokraten weich werden und die Rückgrate wendig. Seit Kanzler Olaf Scholz selbst die Devise des "konsequent Abschieben" ausgegeben hat, wird zwar nicht konsequent abgeschoben. Doch der Rechtsruck ist akzeptierter Bestandteil des normalen Parteilebens geworden. 

Es sei nun die Zeit, "die Erneuerung Deutschlands entschlossen fortzusetzen", hat Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz gedroht und auf erste Erfolge verwiesen. Seit die SPD das Rot der Arbeiterfahne um die nationalistischen Farben Schwarz und Gold ergänzt hat, schwingt das Umfragependel deutlich zu der Partei aus, die seit immerhin elf Jahren ohne Unterbrechung regiert.

Neu kostümiert als ehrliche Kraft für die hart arbeitende Mitte und mit "verlässlichen Renten, bezahlbaren Mieten, bezahlbarer Gesundheit und Pflege, höherem Mindestlohn, gesundem Menschenverstand" und einem kräftigen Schuss nationalem Egoismus im Gepäck, könnte es der ältesten deutschen Partei tatsächlich gelingen, Arglose, Verunsicherte und Unwissende zuhauf noch einmal von sich zu überzeugen. Als völkische Revolutionäre gegen eine Regierung, die sehr gut war, aber nie geliefert hat, tritt die SPD an, es noch einmal zu versuchen - mit denselben Rezepten, denselben Werkzeugen und den gleichen  Versprechen. Nur diesmal ist alles national angemalt.

Überall deutsche Farben


Das regressive Nationalgetue ist Teil der neuen Maskerade. Geriete Nadine Mierdorf heute in eine SPD-Parteiversammlung, wartete dort schon der erste Schwung frischer Wahlplakate mit denselben Deutschlandfahnen, die in den zurückliegenden Jahren nur noch rechte Parteien für sich instrumentalisiert hatten. Die schmalen nationalen Bändchen, mit denen die SPD in den letzten Stunden vor der EU-Wahl schüchtern um Zustimmung ins rechtspopulistischen Kreisen geworben hatte, sie sind flächig aufgeblasen. Der Sowjetstern, mit dessen Silhouette die seit dem Wahltag vom Erdboden verschwundene Spitzenkandidatin Katarina Barley aus "stärkste Stimme für Europa" geworben hatte, ist weg.

Muss so, denn die SPD ist in einem harten Wettlauf mit den anderen Anwärtern auf das Kanzleramt. Robert Habeck wird von seinem #teamhabeck selbstbewusst vor Schwarz, Rot und Gold gezeigt. Die Kandidaten Merz und Weidel haben bei diesen Farben zudem Heimvorteil. Merkels Geste, mit der sie den Nationalstaat für immer in den Mülleimer der Geschichte beförderte, ist vergessen. Jetzt muss national auftreten, wer gewinnen will. Jetzt heißt es Flagge zeigen für "Germany First", lange verleugnet, neuerdings ganz offiziell Staatspolitik.

Die SPD hat alles umgeworfen. Dort, wo 2021 noch ein an die Reichskriegsflagge gemahnendes Schwarz-Weiß-Rot reichte, um den vierten sozialdemokratischen Kanzler ins Amt zu bringen, wehen jetzt wieder die Farben von Weimar, jene so lange verabscheute Kombination aus Schwarz, Rot und Gelb, in der aufgeklärte und fortschrittliche Menschen einen regressiven Ausweis von Nationalismus sehen. In schwierigen Zeiten kann es sich keine Partei leisten, die hässliche nationale Karte nicht auszuspielen.  Nur wer skrupellos die niedersten Gefühle bedient, kann hoffen, davon zu profitieren.

Das Ende der Vereinigten Staaten von Europa


Die Ideologie, die eine Identifizierung und Solidarisierung aller Mitglieder einer Nation anstrebt, die als souveräner Staat gegenüber anderen auftreten soll, wird nun wieder verteidigt als etwas, das "auch in einem vereinten Europa auf unabsehbare Zeit  primärer Bezugspunkte politischer Ordnung bleiben" werde. Von den Vereinigten Staaten Europas, die eine frühere SPD-Führung 2025 frühere SPD-Führung 2025 hatte gründen wollen, wagt niemand mehr zu sprechen.

Die Normalisierung des Nationalen ist weit fortgeschritten. Sie hat nicht nur Ostdeutschland erfasst, sondern auch die Wohnviertel des Bionade-Adels im Westen. Wenige Stimmen nur stemmen sich noch gegen den völkischen Nationalismus. Alle anderen schwenken Deutschland-Fahnen, als wäre es vollkommen normal. Protest regt sich nirgendwo mehr. Im Flaggenrausch steigt der Zuspruch zur SPD, es steigt aber auch wieder der, über den sich die Grünen freuen können. CDU und CSU, aber auch AfD profitieren sowieso, die "Nationalbolschewisten" (Tagesspiegel) des BSW tragen die regressive Verlockung schon Namen.


3 Kommentare:

  1. https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2024/plakatklebe-boykott-spd-basis-macht-front-gegen-deutschtuemelei

    Plakatklebe-Boykott: SPD-Basis macht Front gegen „Deutschtümelei“
    Als regelmäßiger AfD-Wähler kann ich der SPD-Basis nur raten, den Plakatklebe-Boykott umzusetzen.

    Wieviel Hirn ist da im Spiel?
    Nina Gaedike, fühlt sich an eine „paramilitärische Vereinigung“ erinnert. Es sei „einfach nur zum Schämen“, wettert sie auf Instagram.

    Die Bundeswehr eine „paramilitärische Vereinigung“? Ich bin genau so geschockt wie die Nina. Die Bundeswehr doch ist seit Leyen ein Müttertreff.

    Der Berliner Landtags-Abgeordnete Orkan Özdemir ... schrieb: „Machen wir jetzt auf national mit ‚kämpfen‘ und so? Kommt mal bitte wieder runter.“

    Wenn jemand die Wendung 'komm runter' benutzt, die ein Übersetzungsartefakt synchronisierter TV- und Kinoproduktionen ist, kann man das Hirnvolumen schon grob abschätzen.

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  2. OT https://www.achgut.com/artikel/gentechnisch_impfen_mit_mueckenstichen

    J. Ziegler (guter Mann):
    ...möglichen Durchbruch gegen die Krankheit, die jährlich bis zu einer Millionen Menschen tötet...

    Pro Woche wächst die Bevölkerung in Afrika um ebenso eine Million. Was also ist das Ziel?

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  3. „Insofern lässt sich die libertäre Ausprägung des autoritären Charakters auch als eine Beziehung der demonstrativen Beziehungslosigkeit verstehen.“

    Wer kann einen solchen Bullshit schreiben, ohne dass alle seine Neuronen einen Klagegesang anstimmen?

    Köstlich. Die "Neue Frankfurter Schule" ist ein "Fliegenschiss" dagegen.

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