Schädelvermessung war in Verruf geraten. Die Hamburger "Zeit" aber schreibt jetzt wieder Charaktereigenschaften nach Augenschein zu. |
Mittwoch, 4. Dezember 2024
Schädelvermessung und Fleischbeschau: Comeback der Rassetheorien
DAX-Rekord: Rot-grüne Liebe zur Aktie
In ihrer neuen Begeisterung für marktwirtschaftliche Finanzierungsvehikel nehmen die Grünen auch die fürchterlichen Jahre unter Merkels Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf ihre Kappe. |
Selten war die gesellschaftliche Begeisterung für spekulatives Kapital so groß wie in diesen Tagen. Neuer Dax-Rekord! Rot-Grün in seiner reinen, unverfälschten Form hat das deutsche Börsenbarometer hochkatapultiert auf den höchsten Stand aller Zeiten!
Team Scholz und Team Habeck sind begeistert
Habeck, Vater des Spekulationserfolges
Kein gute Wahl
Knalleffekt für Populisten
Dienstag, 3. Dezember 2024
Doku Europa: Die fantastischen Ressortnamen der neuen EU
Schon ihre Vorgänger hatten ihre Fantasie frei spielen lassen, als es darum ging, ihre neuen Ressorts mit prächtigen Namensschildern zu versehen. Frans Timmermans zum Beispiel, ein Schwergewicht auf der europäischen Bühne, taufte sein Fachgebiet "Ein europäischer Grüner Deal", Vizepräsidentenkollegin Margrethe Vestager wählte "Ein Europa für das digitale Zeitalter". Andere Kommissariate hießen "Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen", "Ein stärkeres Europa in der Welt" und "Werte und Transparenz" oder "Demokratie und Demografie". Hochfliegende Bezeichnungen für die wichtigsten Entscheidungsgremien, die Europa hat.
Schall und Rauch
Was fehlt
Weniger Wert auf Grünes
"Gleichstellungsvorsorge und Krisenmanagement"
Für alle Ozeane
Sozialdemokraten an der Heimatfront: Zurück ins Gefecht
Vier Kämpfer, die alles geben. Für Klimaschutz, Gerechtigkeit und Frieden war allerdings erstmal kein Platz auf den neuen, zugkräftigen SPD-Wahlplakaten. |
Es ist das dritte Mal in drei Jahren, dass die Parteiführung zum Gefecht ruft. Nach der Bundestagswahl 2021, die in einem Triumph endete, der zu Desaster wurde, und der Europawahl im Frühjahr, bei der sich die älteste deutsche Partei regional schon in Wohlgefallen aufgelöst hatte, gilt es nun erneut. Auf in den Kampf! Augen zu und durch!
Es wird wieder Bundestagswahlkampf, zum Glück ein kurzer, weil überraschender. Inhaltlich wird es kaum in die Tiefe gehen müssen, ein klarer Vorteil für Parteien wie die SPD, die keinen Bauchladen an Ideen haben und keinen Rucksack an konkreten Vorstellungen herumschleppen müssen. Vor drei Jahren, als ein Lächeln Armin Laschets Olaf Scholz ins Amt spülte, reichte das Versprechen "Scholz packt das an", um die Regierung zu übernehmen. Dabei ist Anpacken weder Hochheben noch Wegtragen oder gar Ausstemmen.
Abschied vom bleichen Anzugmann
Den Leuten reichte es. Sie wählten "sichere Arbeit und Klimaschutz", "Mindestlohn 12 Euro", "faire Mieten", "stabile Renten", "Respekt" für sich und "Kompetenz für Deutschland". Immer war es Scholz, der als bleicher Anzugmann drohend mit einem Wahlschein winkte. Der Parteivorstand mit Lars Klingbeil, Saskia Esken und Kevin Kühnert hatte das Angebot durchgerechnet: "Wir legen einen klaren Fokus auf Olaf Scholz und unsere vier Schwerpunkte: stabile Renten, bezahlbare Mieten, faire Löhne und sichere Arbeit und Klimaschutz".
In der Grundschule käme mancher auf fünf, aber in der SPD weiß man, was zählt. Die Idee. die eigene Spitzenkandidatin zur EU-Wahl mit einem kaum verhohlenen Sowjetstern zu plakatieren, war keine besonders gute, diese Botschaft aus dem Wahlvolk hat selbst die verbliebene Parteiführung der SPD verstanden. Am unverbindlichen Charakter der eigenen Versprechen aber wird die deutsche Sozialdemokratie festhalten, wie die Motive der ersten Wahlplakate zeigen.
Abschied von den stärksten Stimmen
Aus dem "Miteinander" von Deutschlands "stärksten Stimmen für Europa" in der EU-Wahlkampagne, das die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley zurück nach Straßburg trug, wo sie seitdem in eisernem Schweigen verharrt, wird ein "Wir kämpfen für...". Die deutsche Sozialdemokratie nutzt hier eine Kampagne nach, mit der die österreichische Schwesterpartei 2013 noch einmal stärkste Partei geworden war. Der Satzstamm selbst ist ein Echo aus noch weiter zurückliegender Geschichte, einst wurde die Kampfansage sogar gesungen: "Bis niemand mehr stört Deutschlands Glück und wenn sich die Reihen auch lichten, für uns gibt es nie ein Zurück".
"Auf, auf zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren", so heißt es auch in einem alten Arbeiterlied, das der Angst vor dem "Donner der Kanonen" und vor dem "Tod für Freiheit und Recht" eine unmissverständliche Absage erteilt. "Dort steht ein Mann, ein Mann fest wie eine Eiche", heißt es da, "der hat gewiss, gewiss schon manchen Sturm erlebt". Vor dem inneren Auge erscheint automatisch Olaf Scholz, der auf den SPD-Plakaten "für Dich und Deutschland" kämpft, denn das ist Chefsache.
Volk, Geld, Familie und Zukunft
Sein Wahlkampfleiter Lars Klingbeil hat den Kampf für "Deinen Wohlstand" abbekommen, die beliebte Parteivorsitzende Esken kämpft für "Deine Familie" und der für den abgetretenen Kevin Kühnert nachgerutschte Matthias Miersch für "Deine Zukunft". Alles drin, alles dran, alles vertreten vom Volk über das Geld, die Familie und die Zukunft. Komplett verabschiedet hat sich die einstige Arbeiterpartei von früheren Wahlkampfhits wie Klimaschutz, Kampf gegen rechts und der Errichtung der Vereinigten Staaten von Europa, die der frühere Parteichef und sozialistische Hoffnungsträger Martin Schulz im kommenden Jahr hatte ausrufen lassen wollen.
Auch die "Gerechtigkeit", jahrzehntelang ein SPD-Klassiker, mit dem Sozialneid und Missgunst umschrieben wurden, ist aus dem Angebot verschwunden, die kurzzeitig vom Kanzler selbst als Wahlkampfschlager entdeckte Re-Migration Tausender hat es nicht in die aktuellen Flugblätter geschafft. Die sehen die SPD "in der Verantwortung für Innere, Äußere und Soziale Sicherheit, für ein Deutschland mit einer wachsenden Wirtschaft und stabilen Renten, mit bezahlbarer Energie und gerechtem Klimaschutz, einer verlässlichen Verteidigung und eine moderne Infrastruktur".
Abschied von der Gerechtigkeit
Doch dank der deutschen Sozialdemokratie muss sich trotz leeren Kassen niemand für das eine oder das andere entscheiden. "Entweder oder" sei Gift, ist die Chefetage der SPD sicher. "Innere, äußere und soziale Sicherheit gehören für uns untrennbar zusammen und wir sind nicht bereit, auf eines davon zu verzichten." Die Lösung für das Problem, alles zu wollen und noch viel mehr, nicht bezahlen zu können und trotzdem allen alles kaufen zu wollen, ist aus sozialdemokratischer Sicht denkbar einfach: "Denn wir kämpfen für Dich. Jeden Tag aufs Neue."
Welche Vorstellungen genau die SPD mit den vier Begriffen verbindet, wird sich wie immer nach dem Wahltag herausstellen, wenn sich die unverbindlichen Offerten zuerst in Verhandlungsmasse und anschließend in
Montag, 2. Dezember 2024
Blut und Tinte: Das Gesetz bin ich
Alle Berichte dienten stets dazu, nicht berichten zu müssen. |
Es war gar nichts. Und das, was war, war nicht echt. Kein Grund zur Aufregung, schon gar nicht in Deutschland, denn was sich da in den USA abspielte, war ganz und gar Sache der Amerikaner. Genauer gesagt sogar eine reine Familienangelegenheit! Hatte Joe Bidens Sohn ein Laptop gehabt? Mit Bildern? Und wenn schon!
Was die deutschen Medien betraf, war die berufliche Neuorientierung von Hunter Biden nicht einmal einen Kommentar wert. Hat er nun also einen Job in der Ukraine, hieß es. Wen geht das schon etwas an? Im Laufe der Zeit würde Hunter Biden nicht der einzige bleiben, der beim Wiederaufaubau helfen wollte, allerdings war er derjenige, dessen Engagement beim Erdgasförderer Burisma von Anfang an beargwöhnt wurde.
Weitergehen, es gibt nichts zu sehen
Er hätte es wissen können. |
Biden junior, Anwalt und Sohn des damaligen Vizepräsidenten, aber glücklos als Geschäftsmann, hatte nie etwas zu tun gehabt mit der Ukraine oder mit Gasgeschäften. Dass er erste Wahl für das vom Oligarchen und Ex-Minister Nikolai Slotschewskij gegründete Unternehmen war, hatte allen Beteuerungen zufolge aber auch keineswegs mit Hunter Bidens Vater zu tun: US-Vizepräsident Joe Biden fungierte seinerzeit als Barack Obamas Ukraine-Beauftragter. Beteuerte aber, niemals mit seinem Sohn über dessen Geschäfte in Übersee gesprochen zu haben.
Als Hunter Biden dann sein Laptop verlor, eine unglückliche Verkettung unglücklicher Zustände, drohte kurzzeitig Ärger. Auf dem Rechner befanden sich nicht nur Videos von Drogenpartys, von sexuellem Missbrauch und Chatverläufe, die die Bestellung von Opfern bei Missbrauchsvermittlern belegten. Sondern auch Hinweise darauf, dass Hunter Biden seine familiären Beziehungen genutzt haben könnte, seinen ukrainischen Geldgebern den Weg zum Ohr seines Vaters freizuräumen.
Verbotene Verbreitung
In höchster Not gelang es, den aufschießenden Skandal einzudämmen. Nachdem die "New York Post" aus dem Email-Verkehr des künftigen US-Präsidentensohnes Hunter Biden zitiert hatte, änderten soziale Netzwerke ihre grundlegenden Regeln für den Umgang mit Informationen: Binnen weniger Minuten wurde die weitere Verbreitung der Daten verhindert. Innerhalb von zwei Wochen gelang es dann, aus den Indizien für eine Biden-Biden-Oligarchen-Connection die Geschichte einer verfolgten Unschuld zu machen, betrieben von dunklen Mächten, die der Demokratie schaden wollten.
Die "Jagd auf Hunter" (Spiegel) werde aus dem "Lager von Donald Trump" betrieben, sorge zwar "für Wirbel", doch "die tatsächlichen Hintergründe bleiben im Nebel", lobte der "Spiegel", der seine Stellung bezogen hatte: Nach der Blockade "eines umstrittenen Zeitungsartikels" stand das frühe Nachrichtenmagazin aufrecht auf der Seite derer, für die Pressefreiheit vor allem Nutzwert haben muss.
Verspäteter Skandal
Keine Plattform für schädliche Nachrichten. Alle Berichte über das Berichten dienen dem Zweck, nicht über die unappetitlichen Details berichten zu müssen. Zum gern beleuchteten Skandal wurde Hunter Bidens Überseeabenteuer erst, als Donald Trump sich mit der Affäre in Bedrängnis bringen ließ.
Großes Starkino mit toller Besetzung: Der Vizepräsident, der seinen Sohn geschützt haben soll, indem er die Führung eines verbündeten Landes veranlasst, den Mann zu feuern, der gegen den Junior ermittelt. Der Ex-Präsident schließlich, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin auffordert, belastende Informationen über den Sohn seines Nachfolgers preiszugeben.
Sex, Bestechung und Drogen
Die Geschichte der "New York Post" war eigentlich eine, von der eine ganze Branche monatelang lebt. Leider nur ging es hier nicht um die norwegische Königsfamilie und "Mette-Marits Sohn Marius Borg Høiby", sondern um Sex und Bestechung, um Drogen, um Macht, um Fremdbestimmung und Lobbyarbeit im Umfeld des mächtigsten Mannes der Welt, aufgeflogen durch eine Slapstick-Einlage: Eine Frau bringt einen Laptop in einen kleinen Laden in Delaware zur Reparatur, der einen Aufkleber der "Beau Biden"-Foundation trägt. Und holt ihn nie ab.
Als der Eigentümer des Repair-Shops seine Kundin nicht erreicht, schaut er sich mal auf der Festplatte des reparierten Gerätes um und entdeckt erstaunliche Dinge: Ein Mann, der Joe Bidens Sohn Hunter sein kann, beim Sex, beim Crack-Rauchen, auf Nacktfotos.
Der "verlorene Sohn"
Ermittelt wurde immer gegen den, der gerade nicht im Weißen Haus saß. Berichtet wurde in Deutschland stets entrüstet, wenn der "verlorene Sohn" im Visier war, und mit höchstem Engagement, wenn es Anzeichen dafür gab, dass alles gut ausgehen werde, weil sich am Ende alles als Verschwörung von Donald Trump mit dem russischen Geheimdienst herausstellen könne.
Über Inhalte aus den Hunter-Biden-Mails zu zitieren, die vom Computerservicemann zuerst ans FBI und später in Kopie an den Anwalt des früheren New Yorker Bürgermeisters Rudy Guiliani weitergegeben worden waren, verbot sich.Niemand steht über dem Gesetz, eigentlich
Niemand steht über dem Gesetz, eigentlich. Aber wer gerade das Gesetz ist, bestimmt darüber, gegen wen die Behörden vorgehen. Als er nicht mehr Präsident war, hatte Donald Trump eine ganze Latte von Verfahren am Hals, von sexueller Übegriff bis Wahlmanipulation und Verschwörung nebst der Unterschlagung geheimer Dokumente zogen sich immerzu allerlei "Schlingen zu" (SZ). Bis Trump die Wahl gewann und die unbestechlichen Organe des US-Rechtsstaates entschieden, dass eine weitere Strafverfolgung weder nötig ist noch üblich wäre.
Wenigstens blieb Joe Biden stark. Er werde seinen Sohn, der sich wegen einer Reihe von kleineren Vergehen inzwischen schuldig bekannt hatte, nicht begnadigen, versicherte der scheidende US-Präsident noch Anfang November. Auch eine präsidiale Strafminderung werde es nicht geben.
Gaukler und Jokulatoren
Und genau das ist es, was Politiker wie Joe Biden von Gauklern und Jokulatoren wie seine Vorgänger und Nachfolger unterscheidet: Sie stehen zu ihrem Wort, für sie ist die Tinte, mit der die Verfassung geschrieben ist, dicker als Blut, ihnen sind die Achtung und Unantastbarkeit der Institutionen, denen sich im Namen des Volkes dienen, so heilig, dass sie ihre Privilegien nur sehr, sehr selten und sehr zurückhalten nutzen, um Familienmitglieder aus der juristischen Bredouille zu hauen.
Joe Biden hat es jetzt getan und seinen Sohn begnadigt, "menschlich nachvollziehbar", ein letzter Einsatz für das Justizsystem und eine völlig andere Nummer als die "Du kommst aus dem Gefängnis frei"-Orgie, mit der Donald Trump kurz vor seinem Abschied aus dem Weißen Haus versucht hatte, sich "spätere Gegenleistungen" (Spiegel) zu erkaufen. Eine nachvollziehbare, zu respektierende Abschiedsgeste, denn die Bidens sind eine Familie, die zusammenhält. Schade nur, dass Trumps Verfehlungen durch Bidens Entscheidung in der "problematischen Familiensache" (ZeiT) nun in einem milderen Licht erscheinen.
Parteien im Flaggenrausch: Völkische Revolution
Nationalkomitee Deutschland: Die lange verhasste und misstrauisch beäugte deutsche Fahne ist zum unerlässlichen Accessoire im Wahlkampf geworden. |
Hässliches Farbspiel
Schwarz-Rot-Gold statt Rot Front
Überall deutsche Farben
Das Ende der Vereinigten Staaten von Europa
Sonntag, 1. Dezember 2024
Willkommenskultur in der Tagesschau: Ohne D-Wort und H-Wort
Weniger ist mehr und gar nichts manchmal alles: Statt D-Wort und H-Wort durch ,Okay, Boomer' zu ersetzen, wahrt die "Tagesschau" weiter einen äußeren Anschein von Seriosität. |
Es war eine schwere Geburt bis zu diesem enormen Sprachschritt in eine gerechtere Zukunft. Monatelang hatte sich ein Sonderteam der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin die Köpfe heißdiskutiert, man hatte gebrütet, geplant und verworfen, schließlich ging es diesmal nicht um irgendetwas.
Sondern um eine echte Zeitenwende: Nach Jahrzehnten hatte die ARD die BWHF damit beauftragt, eine neue Begrüßungsanrede für die nach wie vor beliebteste deutsche Nachrichtensendung zu designen. Gerechter und nachhaltiger sollte sie sein, dazu mehr Menschen mitnehmen und leichter im Abgang schmecken.
D-Wort und H-Wort
Hintergrund der Entscheidung, sich vom sogenannten D-Wort ebenso zu trennen wie vom H-Wort war die in der Zivilgesellschaft immer lauter werdende Kritik an der Ausschließeritis, die mit beiden Begriffen einherging. Wer sich weder als "Dame" noch als "Herr" definierte, werde vom Empfang der Tageswahrheiten ausgeschlossen, hieß es.
Die traditionelle Ansprache "meine Damen und Herren" in der Begrüßung zum Start der Nachrichtensendung um 20 Uhr, die erst im Oktober mit der "Großen Suppenkelle" ausgezeichnet worden war, nehme nicht alle Zusehenden mit. Immer mehr Menschen definierten sich weder als "Dame" noch als "Herr". Immer mehr Politiker verzichten nicht nur auf Inhalte, sondern auch auf die früher für angemessen gehaltene Form.
Bürgerlichkeit, Sitte, Verbildlichkeit, Höflichkeit. Sämtlich Konzepte von vorgestern. Coole Gemeinsinnsenderkinds von heute sprechen einander mit "Bro" an und ihre Empfänger mit Du. "Die Systemgastronomen des Infotainments verheißen zwar keine Verbindlichkeit mehr", hat der Netz-Philosoph Michael Nongrata beschrieben, "aber immerhin Inklusion. Und wer das beklagt, sollte schon gute Türen haben!"
73 Jahre mit D- und H-Wort
Für die BWHF, die mit frischen Worthülsen schon große politische Krisen gelöst und europäische Brandherde gelöscht hat, eigentlich ein Routineauftrag. Allerdings waren sich die Mitarbeitenden von BWHF-Chef Rainald Schawidow von Anfang an der Brisanz des Auftrages bewusst.Vorschlag aus der Jugendbrigade
Rücksicht auf den ländlichen Raum
Rederegulierung: Scharfe Gangart am Stammtisch
Wirte sollen ihre Gäste künftig besser kontrollieren, um die überhandnehmende Verbreitung von Hetze, Hass und Zweifel wirksam zu unterbinden. |
Niemand kann bestreiten, dass Gaststätten, Bars und Eckkneipen seit jeher Möglichkeiten der politischen Kommunikation bieten. Bürger können Regierungen, Parteien und Verbände hier ganz informell kritisierten, sie informieren sich gegenseitig, es findet Meinungsbildung statt, man macht Witze und schimpft, wie das schon immer war, selbst im Dritten Reich und seinem Nachfolgestaat, der diktatorischen DDR mit ihren Denkverboten, staatlichen Sprachregelungen und der Einengung der Meinungsfreiheit durch eine Partei und ihrer Helfer.
In der Kneipe kann jeder Einzelne politische Diskussionen anstoßen, andere für seine Sache gewinnen oder Kritik äußern, ohne den Umweg über die klassischen Medien zu gehen.
Die sogenannten Stammtischgespräche haben aber auch düstere Schattenseiten. Es ist zu begrüßen, dass in letzter Zeit nun auch darüber verstärkt debattiert wird. Unbestritten sind Bars, dunkle Schenken und alternative Bierstuben leider immer mehr zu Plattformen geworden, auf denen Unwahrheiten verbreitet, andere Menschen herabgewürdigt, ja, Hass u und Beleidigungen verbreitet werden.
Russischer Wodka ist Turbo für Hetze
Meist sind es Einzelne, die dahinterstecken. Bekanntlich wird aber auch aus Russland versucht, politische Debatten bei uns zu beeinflussen: Oft ist Wodka im Spiel, wenn es gegen unsere Regierung, gegen Europa und die Nato geht. Die Verzerrung politischer Diskussionen wird auch dadurch verstärkt, dass mitunter gar keine realen Personen mehr auftreten, sondern Hörensagen aus politischen Talkshows halb erinnert wird, Angelesenes, auch aus zweifelhaften Quellen, wird zitiert, als wäre es wahr.
Das alles hinterlässt Spuren in unserer Demokratie. Damit kein Missverständnis entsteht: Kritik gehört zur Demokratie, auch heftige und ätzende. Aber die Auseinandersetzungen verrohen. In der Kneipe nach dem siebten Bier, in Wohnzimmer vermeintlich ganz in Familie, wenn die Tagesschau läuft, wird Kritik in einer Sprache vorgetragen, die mit "vulgär" noch verharmlosend umschrieben ist. Die Reden, die auf manchen Demonstrationen gehalten werden, sind die Fortsetzung dessen, was sich in Kneipen, in manchen Familien und in den Köpfen vieler unserer Bürger abspielt.
Lange haben wir uns auf den Hass im Netz, auf Online-Gewalt und digitale Beleidigungen konzentriert. Doch wenn gehetzt, verleumdet und beleidigt wird, tragen diejenigen die Hauptschuld, die sich derartig herablassend einlassen - ganz egal, wo das geschieht, wo sie eine Plattform finden, ob bei Facebook, X, in der Dorfkneipe oder im Frühstücksraum in der Firma.
Wirte sind an Hass schuld
Und hier komme ich zu meinem Punkt: Die Verantwortung dafür tragen neben den Urhebern des Hasses und der Verachtung zu einem beträchtlichen Teil auch die Betreiber der Gaststätten, die vom Verkauf von Alkoholika profitieren. Sie haben über Jahre ihre gesetzlichen Pflichten eklatant vernachlässigt, denn nie, nicht ein einziges Mal!, hat auch nur ein einziger Wirt höhnende, gröhlende, die Regierung herabwürdigende Gäste angezeigt, um ein Zeichen zu setzen.
Zugegeben: Die Politik hat ebenfalls nicht entschieden genug reagiert. Auch im politischen Berlin herrschte lange die fast naive Annahme, der Hass an den Stammtischen sei durch die Meinungsfreiheit geschützt. Zudem werde er dadurch neutralisiert, dass immer genügend Männer und Frauen da waren, die Nutzer zur Gegenrede antraten.
Doch das ist ein Irrglaube. Wenn der Holocaust geleugnet wird, dann ist das in allen europäischen Partnerländern erlaubt. Aber nicht in deutschen Gaststätten! Und es wird naturgemäß auch nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass eine Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern widerspricht.
Der Beleidigte muss nicht anwesend sein
Auch die Beleidigung einer Person wird nicht dadurch null und nichtig, weil eine Handvoll von anderen Stammtisch- oder Kneipengästen den Angegriffenen verteidigt. Nein, Selbstregulierung ist ein guter Gedanke. Er ersetzt aber nicht die Verteidigung des Rechts mit den Mitteln der Rechtsordnung.
Die geltenden Regeln meinen es dabei mit Gaststättenbetreibenden bislang zu gut. Sie müssen für die Inhalte der Gespräche, die auf ihren Räumlichkeiten geführt werden, rechtlich nicht geradestehen, so als hätten sie sich selbst geäußert. Von ihnen wird lediglich verlangt, dass sie kriminelle Handlungen anzeigen, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Sie sind aber nicht gezwungen, proaktiv nach mutmaßlichen kriminellen Äußerungen zu forschen, sie aufzuzeichnen und Beweise zu sichern.
Unsere Nachsicht muss enden
Damit kam der Gesetzgeber den Betreibern bisher weit entgegen. Die Folge ist aber offenbar, dass Wirte und Wirtinnen kein großes Interesse entwickelt haben, ihre Gasträume zu kontrollieren und mit einem klaren Wort Hetzer, Hasser und Zweifler vor die Tür zu setzen, wenn die wie oder im Rausch staatsfeindliche Äußerungen tätigen. Selbst diesen einschränkten Pflichten kommen die Betreiber nicht vernünftig nach.
Dies ist der einhellige Befund der Praktiker, die sich mit der Problematik beschäftigen. Natürlich werden beanstandete Inhalte zum Teil beim Bedienen kritisiert. Doch die Praxis scheint völlig undurchsichtig zu sein. Von Hass-Aussagen Betroffene beklagen, dass schon die Meldung von Verstößen bei den Gaststätteninhabern schwierig sei: Selbst diskriminierende Klosprüche werden häufig nicht sofort entfernt. Reagierten die Betreiber auf Hinweise auf krasse Äußerungen, seien Antworten oft unbefriedigend. Was soll ich denn da machen, heiße es. Oft wird sich sogar mit den Beleidigern solidarisiert: Die da oben, heißt es dann, müssten halt bessere Politik machen.
Einhaltung des Rechts
Seit langer Zeit ist die Bundesregierung im Dialog mit den Verbänden des Gastgewerbes. Worum geht es dabei, fragt man sich. Und man wagt es kaum auszusprechen: um nichts anderes als die Einhaltung des Rechts! Es ist der fatale Eindruck entstanden, als diskutiere die Politik von Berlin bis Brüssel nur mit X, Facebook, YouTube und Co. darüber, ob sie die Güte hätten, Hetze, Hass und Zweifel zu löschen. Während dieselben Inhalte in hunderttausenden Schenken, Bars und Fußballkneipen auf unerträgliche, oft laute Art ungestört verbreitet werden können.
Einen solchen Eindruck darf jedoch kein Rechtsstaat aufkommen lassen, auch keiner, der offen dazu steht, dass er seine Grenzen nicht schützen kann. Sollen die Behörden künftig auch mit großen Restaurantketten darüber verhandeln, ob diese bitte schön bereit wären, für Ruhe und Ordnung in ihren Gasträumen zu sorgen? Sollen Wirte geschult werden, Hass zu erkennen? Wie sieht es mit der Gastraumüberwachung aus? Ja, der Worte sind genug gewechselt. Es muss gehandelt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass das Recht auch in den öffentlichen Räumen von "Schwarzem Bär", der "Linde", dem "Braustubrl" und der "Hansa-Bar" gilt.
An Rechtsverschärfungen führt kein Weg vorbei
An Rechtsverschärfungen wird kein Weg vorbeigehen. Dabei kann man abgestuft vorgehen: Zunächst sollte die Frist näher konkretisiert werden, wie schnell ein Betreiber einen Gast, der sich rechtswidrig äußert, anzeigen muss. Zudem wäre den Betreibern ab einer bestimmten Größe zur Auflage zu machen, eine Standleitung zur Bundesbeschwerdestelle beim Bundesblogampelamt einzurichten.
Deren Ausstattung müsste so bemessen werden, dass Zuwiderhandler zügig verfolgt werden können. Gaststättenbetreiber und Inhaber von Bars und Kneipen sollten einen jährlichen Bericht darüber vorlegen, der aussagt, wie viele Vorfälle mit überkritischen, hetzenden und auf den Staat schimpfenden Gästen es gab und wie gegen sie vorgegangen wurde. Kann der Betreiber keinen solchen Transparenzbericht vorweisen, sollte dies - wie im Hygienerecht - mit einem empfindlichen Bußgeld geahndet werden.
Verbesserungen erzwingen
Tritt dann immer noch keine Verbesserung ein, wäre auch an einen weiteren neuen Bußgeldtatbestand zu denken. Dieser könnte daran anknüpfen, dass einzelne Wirte durch ihr Dulden zugespitzter Hassrede der Beihilfe schuldig werden. Zudem müsste die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden geregelt werden.
Die Bundesregierung hat lange an der Auffassung festgehalten, dass zunächst ein Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung der sozialen Medien abgewartet werden solle, ehe Deutschland einen Alleingang gegen Stammtischrunden, Hetzgespräche bei Familienfeiern und tolldreiste, von keiner Sachkenntnis getrübte staatsfeindliche Witze unternimmt, wie sie sich auch in so manchen Straßencafé zugeraunt werden.
Der blinde Fleck
Als fachbehörde aber wissen wir: In Brüssel ist der Kampf gegen Stammtischhass, gegen Kneipenbeleidigungen und Hohn beim fünften Bier ein bliner Fleck. Die Kommission arbeitet weder an einem umfassenden Vorschlag gegen Täter*innen, noch hat die neue Kommission das Thema überhaupt auf dem Schirm. Nein, Brüssel denkt nich daran, gegen Hetzer im Kneipenmilieu vorzugehen! Abgesehen von einer weiteren strengen Regulierung der audiovisuellen Medien samt eventueller Sperrungen besonders auffälliger Plattformen ist von dort keine Hilfe gegen den Offline-.Hass zu erwarten.
Es wird also kein Weg daran vorbeigehen, dass Deutschland auch bei diesem Thema wird vorangehen müssen, wie zuvor beim Energieausstieg, auch um die Diskussion in der EU zu bestimmen. Die nächste Bundesregierung muss das Thema umgehend auf die Tagesordnung setzen, damit sich die Lage in den Gaststätten nicht weiter verschlechtert.
Im eigenen Interesse
In ihrem eigenen Interesse sollten sich die Wirte und Wirtinnen einer stärkeren Regulierung nicht entziehen. In Deutschland zählen Gaststätten angeblich über 2,5 Milliarden Gäste im Jahr. Doch das Image der Kneipen ist angekratzt, eben weil sie zu Hass-Plattformen geworden sind und weil politische Debatten dort immer mehr manipuliert werden.
Der Wirt vom "Bären" sollte ebenso wie der Franchisenehmer des McDonalds an der Ausfallstraße daran interessiert sein, seinen Ruf wieder etwas aufzupolieren. Im Sinne der Betroffenen muss noch eine völlig unverständliche Gesetzeslücke geschlossen werden. Derzeit kann eine Person, die etwa in einer Hassrede an einem Stammtsich beleidigt wird, oft nicht einmal die Rücknahme der Äußerung verlangen, weil sie nicht anwesend war und nicht davon erfahren hat.
Umstrittene Aufzeichnungspflicht
Ich gebe zu: Auch bei einer Aufzeichnungspflicht, wie wir sie womöglich planen müssen, wäre die Verfolgung immer noch schwierig. Diese Chance einem Betroffenen, der in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt wird, aber von vornherein zu nehmen, wäre nur ein weiteres Unding in diesem Themenkomplex.
Ein Letztes: Wir müssen weiter diskutieren, ob Gaststättenbetreiber nicht mehr tun müssen, um ihre Gasträume nicht nur von rechtswidrigen Inhalten frei zu halten, sondern von Lügen generell gerade in der politischen Debatte.