Sonntag, 24. November 2024

Amtsträger und Hassjäger: Kein dringlicher Fall

Kein dringlicher Fall: Prominente Politiker und Amtsträger unterstützen ein privates Unternehmen mit ihrem Namen, Ruf und Einfluss. 

Es ist kein "dringlicher Fall" wie damals bei Jürgen Möllemann, sondern gar keiner. Die verrückte Geschichte vom bösen Rentner, der mit einer Hausdurchsuchung morgens um sechs diszipliniert werden musste, um von künftigen Versuchen der Delegitimierung der Staatsorgane abzulassen, erzählte das ehemalige Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" noch als Posse nach. "Die Erregung" sei zwar groß, aber unangebracht. Denn im Grunde sei nichts weiter passiert, als dass der Staat die Instrumente gezeigt habe.

Prozessordnung aus Erziehungsmittel


"Hass im Netz", in diesem Fall ausgedrückt durch den Begriff "Schwachkopf" (Reinhard Bütikhofer), muss ausgemerzt, Nachahmer müssen abgeschreckt und Zweifel beseitigt werden: "Wenn die Polizei vor der Tür steht, wird jedem Täter klar, dass Hasskriminalität Konsequenzen hat", hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser deutlich zusammengefasst, wie das strafprozessuale Mittel der Hausdurchsuchung weit über den ursprünglichen Zweck der Beweissicherung genutzt werden kann.

Als ein besonders wirksames Werkzeug im Kampf zur Aufdeckung der um sich greifenden Beleidigungswelle hat sich der Internet-Dienstleister So Done erwiesen, ein deutsches Start-up, das weltweit automatisiert nach Hetzbotschaften, mutmaßlichen Beleidigungen und im Zorn geschriebenen Joschka-Fischer-Zitaten sucht. 

Netzhygiene als Geschäftsmodell


Gegründet von einer Nachwuchsliberalen, die eine bessere Netzhygiene als Geschäftsmodell entdeckte, hilft So Done nicht nur Pöbler, Besserwisser und Beleidiger in die Schranken zu verweisen. Sondern durch das Profitsharing mit Opfern womöglich bis zur Entdeckung durch die So-Done-KI unentdeckt gebliebener Beleidigungen auch finanziell: Einnahmen aus Strafzahlungen überführter Hetzer, Hasser und Zweifler werden zwischen Dienstleister und Auftraggeber geteilt.

Es ist nicht das erste deutsche Internet-Start-up, das sich darauf spezialisiert hat, die globale Durchsetzung der deutschen Interpretation von Meinungsfreiheit voranzutreiben. Schon die von der Amadeu-Antonio-Stiftung vor Jahren begründete Seite re:set hielt  "Ausschau zu halten nach rechtsextremen Influencern, Hass-Kommandos & der nächsten Terrorzelle in Planung", allerdings damals noch mit Hilfe mitmachbereiter junger Menschen.

So Done hat diese mühsame Arbeit revolutioniert. Das Unternehmen aus Münster verspricht nicht, "dass jeder Täter ausfindig gemacht und zur Verantwortung gezogen werden wird". Doch man ermögliche es Kunden, Hassposter "mit nur einer Unterschrift anzuzeigen".  Sobald der Fall übernommen sei, garantiere "unsere Prozesskostenfinanzierung, dass du keinen Cent des Verfahrens bezahlen musst und trotzdem an einer möglichen Geldentschädigung beteiligt wirst".

Ein Win-Win-System, mit dem die Firma aus Münster sich auch Freunde im politischen Berlin gemacht hat. Nicht nur NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, sondern auch Bundesklimawirtschaftsminister Robert Habeck tauchten als prominente Testimonials auf der Internetseite der Hassjäger auf. Habeck etwa erklärte, er habe sich entschlossen, "gemeinsam mit So Done" gegen Hass und Hetze vorzugehen.

Möllemann musste gehen


Das Bild des Ministers und dessen persönliche Empfehlung der Dienstleistungen von So Done sind kein Einkaufswagenchip, für den auf Ministeriumsbriefpapier geworben wird. Jürgen Möllemann, ein vergleichsweise schüchterner FDP-Politiker, hatte für die Pfandmünze seines Schwagers nur unter der Hand geworben, nicht vor den Augen der ganzen Welt. Möllemann mag ein Anflug von Anstand abgehalten haben, sich transparent für den Geschäftserfolg seiner Familie einzuspannen. 

Als der "Spiegel" den "dringlichen Fall" auffliegen ließ, wurde die "Petitesse" (Spiegel) dem liberalen Wirtschaftsminister und Vizekanzler zum Verhängnis. Möllemann hatte die Prominenz, die er seinem Amt verdankte, außerdienstlich genutzt. Er hatte seinen politischen Einfluss verwendet, um für ein "pfiffiges Produkt" zu werben. Möllemann musste gehen.

Werbung ist kein Thema


Robert Habeck wird das allerdings nicht passieren. Im Gegensatz zu Möllemann ist der Minister überaus beliebt, er gehört einer progressiven Partei an und gilt als möglicher nächster Bundeskanzler. Robert Habeck ist ein nachdenklicher Politikertyp, mehr Philosoph als Haudrauf. Wenn er einem Privatunternehmen sein Bild und ein Zitat zur Verfügung stellt, um damit zu werben, dann dient das der gesamten Gesellschaft. Die ist heute insoweit diszipliniert, dass ein "Arschloch" nicht mehr wie seinerzeit bei Joschka Fischer straffrei bleibt. Sondern 600 Euro kostet

Dass der Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel das Unterhaken von Robert Habeck, Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit dem Start-up aus dem Münsterland abgemahnt hat und der Anwalt Markus Haintz beim Bundestag nachfragte, wer die Verwendung der vom Steuerzahler finanzierten offiziellen Fotos auf der Webseite eines "privaten Abmahnunternehmens" genehmigt habe, führte bisher nur zu deren Verschwinden bei So Done. Schlagzeilen macht die einmalige Public-Private-Partnership zwischen Amtsträgern und Hassjägern jedenfalls nirgendwo.

3 Kommentare:

  1. >> So Done erwiesen, ein deutsches Start-up

    Erwiesen auch: ein frei diktatorisches Pressionswerkzeug aka FDP.

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  2. Irgendwann vor >20 Jahren gab es die erste Meldung, dass chinesische Behörden einen Journalisten in Hongkong verhaftet hatten, weil er geschrieben hatte, es gäbe da keine Pressefreiheit.
    Damals haben sie geschmunzelt, ihre weisen Häupter geschüttelt und mit den Fingern drauf gezeigt.

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  3. Zum Glück ist Habeck kein Fallschirmspringer, so kann er nicht ungespitzt im Boden landen.
    Ist eigentlich noch keiner darauf gekommen, eine KI auf Politikerkommentare zu trainieren? Dann könnten
    sich die KI-s gegenseitig anzeigen und prozessieren. Das wäre doch schön von außen zu betrachten.

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