Freitag, 1. November 2024

Udo und die Audianer: Das A-Wort

Vor drei Jahren war Audi mit der Genderbezeichnung "Audianer_innen" noch ganz vorn, jetzt liegt das Unternehmen im Bedeutungskampf ganz hinten.


Kinder, wie die Zeit vergeht. Noch vor drei Jahren war die Volkswagentochter Audi ganz vorn, als sie ihre Mitarbeiter wissen ließ, dass der in der Belegschaft beliebte Begriff des "Audianers" als liebevolle Umschreibung aller bei Audi Festangestellten künftig gerecht gegendert werden müsse. "Statt "Audianer" heiße es ab sofort "Audianer_innen", hieß es in der entsprechenden internen Richtlinie. Angesichts der damals noch grassierenden Corona-Pandemie ein entschiedener Schritt, um den besonderen Herausforderungen der Zeit mit klaren Signalen zu begegnen.

Audi weit vorn

Nie wieder war Audi so weit vorn, so nahe am Zeitgeist und so beispielgebend für eine ganze Generation von Unternehmenslenkern, die das Hauptaugenmerk ihrer Tätigkeit auf die entscheidenden Nebenaspekte der Wirtschaftstätigkeit legten. 

Doch wie so oft: Je schneller einer läuft, desto früher stürzt er hin. Volkswagen, der Staatskonzern Niedersachsens, stolperte über die eigenen Füße, aber auch über die Entscheidung, gefragte Fahrzeuge nicht mehr herzustellen und stattdessen lieber Autos zu entwickeln, die niemand haben will. Porsche wird die Rechnung für die EU-Entscheidung zahlen, China mit Strafzöllen zu überziehen. Und Audi steht infolge der Verschärfung der Sprachregeln mit seiner "Audianer_innen"-Richtlinie am Pranger: Wie kann eine Begriff, der unverhohlen auf das diskriminierende "I-Wort" anspielt, im offiziellen Sprachgebrauch eines großen deutschen Konzerns weiterhin vorgeschrieben sein?

Der Marsch der Kulturkompanien

Die Kulturkompanien machen vor, wie sich ordentlich im Takt der Zeit marschieren lässt. Udo Lindenbergs "Sonderzug nach Pankow", im Kalten Krieg ein schelmischer Hit, mit dem der Sänger aus dem VW-Land den DDR-Oberindianer Erich Honecker um ein Date anging, fällt 40 Jahre später unter Rassismusverdacht: Der "Oberindianer" könne "diskriminierend wahrgenommen werden". Deshalb soll der offiziell als "I-Wort" umschriebene Begriff beim Liedertreffen im Berliner „Humboldt Forum“ nicht ausgesungen, sondern durch ein lange gehaltenes "i" nach "Ober" ersetzt werden.

Eine Andeutung nur, die vollumfänglich für eine neue Epoche steht. Nach N-Wort und Z-Wort nun I-Wort, nach der Entfernung sexistischer Gedichte nun die Reinigung rassistischer Lieder. Lindenberg, als schnoddriger "Panikpräsident" selbst Erfinder der "Bunten Republik Deutschland", steht unter Diskriminierungsverdacht. Lindenberg, 78 Jahre alt, steht damit vor einem deutsche, Europa- und Weltrekord: Er ist der einzige lebende Künstler, der sowohl in der kommunistischen DDR-Diktatur als auch in der freiheitlichen Meinungslenkungsgesellschaft der offenen Vielfaltsrepublik zensiert wurde.

Nach Karl May und ostdeutschen Küchenchefs, Astrid Lindgren und  J.K. Rowling ist der Mann dran, der sich selbst als "kleinen Bruder von Hermann Hesse" sieht, einen Dicherkollegen, über den Alfons Pillach reimte: "Mein größter Star war Winnetou, das hat mich umgetrieben; sah alle Filme stets dazu, bin lang sein Fan geblieben. Das Leben hat mich abgeklärt, da gab's was auf die Fresse, der Winnetou ist jetzt verjährt, ich lese Hermann Hesse."

Der fesselnde Weltgeist

Einer schlimmer als der andere. "Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen / Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten", hatte Hesse vermutet, Lindi war "Gegen die Strömung " unterwegs, er mischte Blut mit Indianerversprechen und erfreute sich am Anblick der "Spießer" ringsherum.

Jetzt ist er selbst einer, überholt vom Lauf der Zeit wie die eifrigen Genderer bei Audi, deren betriebsamtliche Anspielung auf das "I-Wort" einer dringenden Revision bedarf. Mitten in der größten Krise des VW-Konzerns assoziiert das "A-Wort" Erinnerungen an die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen - eine offene Diskussion der Audi-Sprachbeauftragten mit Mitarbeitern, Betriebsrat und Management ist dringend nötig. 

Auch der Zeithorizont - das A-Wort lässt sich über Jahrzehnte zurückverfolgen - kann keine Entschuldigung sein. Der Wortstamm "dians" verdankt sich einen Irrtum Christoph Kolumbus’, der sich in Indien wähnte und die amerikanischen Indigenen mit dieser herabsetzenden Bezeichnung versah. 

Politisch korrekte Ersatzbegriffe stehen auch für Audi ausreichend zur Verfügung: Denkbar wären Audigene, Audinwohner, Native Audicans oder - nach Gründer August Horch - First Augusts.

Beeinflussungsbann: Die gestohlene Wahl

Donald Trump wiederholt bis heute die Lüge von der "gestohlenen Wahl". Jetzt könnte er selbst zum Dieb werden und Kamala Harris den verdienten Wahlsieg rauben. Abb: Kümram, Fingerfarben auf Spanplatte

Sie wettern in den sozialen Netzwerken, pflastern das Land mit Wahlplakaten zu und geben Milliarden für Fernsehwerbung aus. Mit seinem Hintermann Elon Musk, dem reichsten Milliardär der Welt, hat der frühere US-amerikanische Präsident einen Gehilfen gefunden, der alles daran setzt, ihm noch einmal ins Amt zu verhelfen.  

Deutschland steht zwar treu zu Kamala Harris, der von Joe Biden persönlich ausgewählten demokratischen Nachfolgerin. Europas Demokraten setzen auf einen Sieg der beliebten Vizepräsidentin. Die Hoffnung ist, dass sich viele Amerikaner ein Beispiel nehmen, weil sie auch künftig nicht auf die enge Zusammenarbeit mit der EU, Deutschland, der SPD und den Grünen verzichten wollen.

Fürchterliche Tendenz

Doch die Tendenz, die sich in Umfragen abbildet, ist mittlerweile so deutlich, dass sie selbst deutsche Schlagzeilen bestimmt: Was, wenn der erwartete Erdrutschsieg der schwarzen, farbigen, asiatischen, modernen Frau gegen den alten weißen Mann mit den schrecklichen Umgangsformen ausbleibt? Was, wenn das Schlimmste eintritt und Trump erneut ins Weiße Haus einzieht? 

Es geht weniger um Folgeabschätzung als um Ursachenforschung. Wie bei der Ampelkoalition, deren gute Politik sich vor der der Biden-Administration nicht verstecken muss, halten die Beliebtheitswerte der Verantwortlichen nicht mit den sichtbaren Erfolgen schritt. Die Gründe aber liegen keineswegs nur allein darin, dass es weder in Berlin noch in Washington schon ausreichend gelingt, die erreichten Fortschritte und Planziele transparent genug darzustellen. 

Digitale Angriffe

Nein, die wichtigste Einflussgröße bilden digitale Angriffe aus dem Hinterhalt der sozialen Netzwerke, Versuche der Beeinflussung durch Elon Musk, den Kreml und republikanische pressure groups, die Milliarden für Trump spenden. Diese Kreise sitzen diesmal nicht in Mazedonien und sie trommeln nicht für ein paar hundert Dollar für Trump. Nein, sie versprechen sich Vorteile von einer zweiten Skandalpräsidentschaft des ausschließlich um sein privates Vermögen bedachten Immobilientycoons.

Deshalb lancieren sie Videos, die Muslimen und Juden widersprüchliche Inhalte zu der Demokratin zeigen, deshalb mäkeln sie an Auftritten der First Lady herum, deshalb schreitet niemand ein, obwohl Elon Musk seinen privaten Account bei X verwendet, um zur Wahl von Trump aufzurufen. Nach dem Honeymoon im August, als Kamala Harris bereits als sichere Siegerin feststand, sieht nun alles nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem "angeschlagenen, fragilen, tattrigen" (Elmar Theveßen) Mann und der jungen, modernen Frau aus. 

Unwägbarkeiten im Wahlkampf

Ende ungewiss, Konsequenzen aber sicher: Eine große, fest im Volk verankerte Demokratie darf ihre Zukunft niemals den Unwägbarkeiten von Wahlkämpfen überlassen, bei denen umstrittene Kandidaten wie Donald Trump zwar mit deutlich weniger Geld auskommen müssen wie die in Deutschland favorisierte Kandidatin. Bei denen es ihnen aber gelingt, diesen Nachteil mit Tricks und Kniffen  auszugleichen, etwa, indem sie Kamala Harris zu ihrer Interviewoffensive in der letzten Wahlkampfphase verleiteten.

Die 60-Jährige ging in die Falle, die ihre Gegner mit der ständig wiederholten Behauptung aufgestellt hatten, niemand wisse, was sie eigentlich wolle, sie sei als Präsidentschaftskandidatin nicht greifbarer als in den drei Jahren ihrer Vizepräsidentschaft, in denen sie sich den Ruf einer Unsichtbaren eroberte. Harris fiel auf den Trick herein. Statt ein ungewisses Versprechen zu bleiben, in das jeder Trump-Gegner seine Träume und Wünsche hätte projizieren können, ging sie vor die Kameras, in den Nahkampf und auf Details ihrer Pläne ein.

Das eigene Grab

Ein Desaster. Mit jedem weiteren Interview gingen die Umfragezahlen weiter zurück. Aus dem Vorsprung wurde ein Gleichstand. Inzwischen raten Wahlkampfstrategen dringend, "Kamala Harris sollte aufhören, Interviews zu geben". Und als Konsequenz aus der Tatsache, dass die Gegner der Vizepräsidentin jeden einzelnen Auftritt in den sozialen Netzwerken auswalzen und höhnisch kommentieren, hat der nicht nur für Klima und Wirtschaft, sondern auch für die Bundesnetzagentur als Online-Überwachungsbehörde zuständige Robert Habeck bereits angekündigt, dass Deutschland Maßnahmen treffen werde, um die "verlorene Diskurshoheit des grünen Milieus" (Die Welt) zurückzuerobern.

Längst schon geht es in Wahlkämpfen nicht mehr um Inhalte, sondern um Gefühle, um Vertrauen und die Botschaft der Politik an den Wähler, dass man sich um alles kümmern werde, wenn erst richtig gewählt worden sei. Niemand muss mehr wissen, als zur Erfüllung seiner Aufgabe - hier: Die Stimmabgabe - unbedingt nötig ist. 

Bloß keine Inhalte

Der EU-Wahlkampf im Frühjahr, der letztlich auf einen Mittwochvormittag fiel, zeigte das beispielhaft: Alle Parteien vermieden es, auf Wahlplakaten oder in Wahlveranstaltungen Hinweise darauf zu geben, welchen Kurs sie bei Themen wie Migration, Wirtschaft oder Ukrainekrieg einzuschlagen gedenken. Stattdessen gab es Schlagworte wie "Wirtschaft liebt Freiheit", "Einigkeit gegen rechts für Freiheit" und "In Freiheit. In Sicherheit. In Europa" zu lesen.

Für die AfD reichte das, seitdem ist klar, dass es mit einer Themenvermeidung im Wahlkampf nicht getan ist, sondern mit Blick auf die Bundestagswahl wohl ein umfassendes Beeinflussungsverbot gesetzlich verankert werden muss. Das Beispiel des US-Milliardärs Jeff Bezos mahnt: Der Eigentümer der Washington Post  verhinderte mitten in der heißen Phase des US-Wahlkampfes, dass seine Zeitung ihren Lesern Kamala Harris als neue US-Präsidentin empfiehlt. 

Ein "Tabubruch" (Der Spiegel) und ein tiefer Eingriff in die Freiheit der Wahl, der in Deutschland ebenso drohen könnte, mit nicht weniger schrecklichen Folgen. Es ist unerträglich und ein Anschlag auf die Demokratie, wenn sich Milliardäre in Wahlkämpfe einmischen wie Elon Musk. Und tun sie es nicht dann ist das unerträglich und ein Anschlag auf die Demokratie.

Auf den letzten Metern

Auf den letzten Metern bieten alle alles auf. Kamala Harris hat sich von der Starfotografin Annie Leibovitz für die "Vogue" fotografieren lassen, um unentschlossene Arbeiter und kleine Angestellte im umkämpften rust belt anzusprechen. Die Vizepräsidentin der USA trägt demonstrativ auch diesmal wieder Braun, um Trump-Wähler zu überzeugen, dazu eine brombeerfarbene Seidenbluse und einen Sticker mit US-Fahne. Ob dieser elegante Hochglanz-Angriff auf die hart arbeitende Mitte Erfolg haben wird, steht noch aus, denn Donald Trump ließ sich gleichzeitig von den Gästen einer McDonald’s-Filiale in Feasterville (Pennsylvania) fotografieren, angetan mit Firmenschürze und McDonald's-Kappe. 

Unredlich, weil inszeniert, ein Fall für den Beeinflussungsbann, der die Bundestagswahl im kommenden Jahr vor genau solchen Attacken schützen muss. Die Hoffnung bleibt, dass die ansonsten ja kaum her zu einer Einigung fähige Ampelkoalition wenigstens in diesem Bereich noch einmal über ihren Schatten zu springen vermag. Und straffe, strenge Regeln erlässt, die