Sonntag, 27. Oktober 2024

Isar Jesus: Der Großmeister des Hohns

Sein Humor ist auf den ersten Blick kaum erkennbar, doch für die Fans des Isar Jesus macht kein anderer bessere Witze auf Kosten der Grünen.

Er nennt sich Isar Jesus, verbreitet bierernste Robert-Habeck-Propaganda und sticht mit seinem untrüglichen Gespür für Ironie selbst unter all den zahlreichen Satireaccounts hervor, die das Portal X (ehemals Twitter) zu einer Inspiration für jeden machen, der vom staatlichen Fernsehkabarett enttäuscht ist. Dort wird mehr und mehr nach unten getreten, statt nach oben zu sticheln. Beim Isar Jesus ist das anders. Der Unbekannte, der fleißiger als die meisten anderen vorgibt, für den aktuellen Wirtschafts- und Klimaminister zu trommeln, schafft es, seine Reklameposts für Robert Habeck so klischeetriefend zu verfassen, dass selbst ernsthafte Sympathisanten des grünen Superstars lachen müssen.

Mit glühendem Herzen

So verhöhnt der Isar Jesus Robert Habeck.
Der Unterschied zum Staatskabarett bei ARD, ZDF, den Dritten und den privaten Medienheuschrecken ist auf den ersten Blick zu sehen. Dort glühen die Herzen vieler Akteure für Regierungspolitiker, man ist hingerissen in den Redaktionen, man kann nicht anders, als das eigene Talent als Spaßmacher in den Dienst der guten Sache zu stellen. Erstmals in 75 Jahren bundesdeutscher Lachgeschichte ist es die Opposition, die Hauptzielscheibe von flachen Witzen wird. Die Zuschauerzahlen schwinden zwar. Doch das Beispiel des vielfach ausgezeichneten Bundessatirebeauftragten Jan Böhmermann zeigt, dass selbst eine Vorliebe für kindliche Gossensprache und Klosprüche einen Grenzgänger des Sagbaren nicht aufhalten können, wenn er sein Visier richtig ausgerichtet hat. Böhmermann nimmt die Kleinen aufs Korn. Er schüttet Kübel an Hohn über Privatleuten aus, prangert Vergehen kleiner Funktionäre an und spießt mit Hilfe einer professionell agierenden Rechercheabteilung Verfehlungen von Rechtspopulisten auf, deren Treiben eine Gefahr für die Demokratie werden könnte.

Peter Colymore dagegen, so nennt sich der Isar Jesus öffentlich, ist anders. Seine Art Humor kommt nicht gossig oder schenkelklatschend daher. Sie ist still, für den Uneingeweihten beinahe nicht zu erkennen. Colymore - zu Deutsch so viel wie "mehr erfahren" - ist ein Gesamtkunstwerk, das seine Wirkung aus einer Kombination von bizarren Übertreibungen zieht, die nach drei Jahren Ampelkoalition eben nicht übertrieben scheinen, sondern in einer strukturell kleinen, aber dafür festen Blase aus ideologischen Überzeugungstätern tatsächlich Glaubensinhalt sind. Kein Hyperbolismus ist ihm zu groß. Keine Tat gilt nicht als Gottesbeweis. Wo es an Fakten fehlt, die krude Thesen von der Erlöserkraft des früheren Grünen-Chefs belegen könnten, denkt sich Colymore einfach alles aus.

Übertreibung als Methode

"In Zeiten von Klimakrise und Ukraine-Krieg gibt es eine sehr gute Antwort für Deutschland und Europa" schreibt Colymore als sein Motto über den stilecht mit Ukrainefahne, Deutschlandflagge, Weltkugel und EU-Sternen verzierten X-Account. Natürlich: Die Antwort auf die Frage, die der Satz nicht stellt, lautet #Habeck4Kanzler. Ein Hinweis, den Peter Colymore in nahezu allen seinen Posts unterbringt, weil er weiß, dass ihm die Lacher damit sicher sind. #Habeck4Kanzler ist gewissen Kreisen der Code für Komik schlechthin. Ein garantierter Brüller, spielt er doch geschickt darauf an, was ein Mann alles erreichen könnte, dem nicht nur ein Superministerium zum Ruinieren der Wirtschaft zur Verfügung stände, sondern der gesamte mächtige Regierungsapparat.

Peter Colymore lässt nicht locker. Er will warnen. Und er tut es. Im Stundenrhythmus geht das so. Mehr als 45.000 Posts hat Colymore seinem Helden Robert Habeck bereits verehrt, kaum einer davon ist auf den ersten Blick strafbar oder auch nur als Hohn zu erkennen. Natürlich fällt auf, dass der Autor alles ins Absurde übertreibt. Doch bisher ist das selbst in Deutschland weder strafbar noch eine illegale Methode des Meinungskampfes unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, die sofortige Konsequenzen hat. Hier wäre der Nachweis ohnehin schwer, ob es Unbeholfenheit oder gezielter Hohn ist, der verwendet wird, um Robert Habecks Tätigkeit ins Lächerliche zu ziehen. Es ist die hohe Kunst des Satirikers, dass erst im Gesamtzusammenhang deutlich wird, wie geschickt das Mittel der satirischen Überhöhung bis zur Verhohnepipelung hier verwendet wird, um den Firnis vom Heiligenstatus des Vizekanzlers zu schaben. 

Aufsicht wie in China

Colymore applaudiert Habecks Forderung, soziale Netzwerke in Deutschland zumindest ebenso hart wie in China zu beaufsichtigen. Nur so könne der demokratische Diskurs wieder geerdet werden. Er lobt Habecks feines Lächeln, obwohl er auf einem Werbefoto für die Ampel neben Verkehrsminister Volker Wissing stehen müsse. Er unterstützt die von den Wählern zuletzt so heftig abgestraften Grünen, indem er ihren Hinweis verbreitet, dass es dermaßen teuer werde, Deutschland wieder auf Vordermann zu bringen, dass niemand all "die Milliarden, die es dafür braucht", einsparen könne. Immer dauert es einen Moment, bis der Leser spürt, wo der humoristische Haken ist. Kluger Humor geht genau so.

Und der von Colymore ist trockener als ein Martini-Glas im Küchenschrank. Viele Dinge, die er anprangert, sind so schrecklich wahr, dass dem Leser das Lachen im Halse steckenbleibt. Hat Habeck wirklich Heizungen verbieten wollen? War ihm das Klima früher wirklich wichtiger als heute, obwohl doch die Kipppunkte immer unaufhaltsamer näher rücken? 

Erstes Ändeurngsgesetz der Satirerichtline

Es muss im Ungefähren bleiben, denn seit dem ersten Änderungsgesetz zur Bundessatirerichtlinie (ÄGBRL), das der Bundestag vor vier Jahren unmittelbar nach dem Skandal um eine vermeintliche "Kopftuchmerkel" in einer beinahe endlosen Nachtsitzung beschlossen hatte, sind Unklarheiten, Missverständnisse und Doppeldeutigkeiten beim Nutzen des grundgesetzlichen Angebotes "Satire darf alles" stets als Belastungsmaterial gegen die Humoranbieter zu werten. Damit sollte ein Wildwuchs beim Lustigmachen vor allem in den sozialen Netzwerken eingehegt werden - doch wie so oft fanden kluge Spaßmacher wie Peter Colymore genau in den Fugen der Vorschriften ihr Betätigungsfeld. Geschickt schlängelt er sich am Verbotenen entlang. Die Ruhmestaten des Ministers so laut lobend, dass selbst der Bewohner eines mit Echtparkett ausgelegten Gründerzeithauses in einem typisch deutschen Bionadeviertel stutzig werden muss.

Was aber treibt den Virtuosen des leisen Witzes? Ist Peter Colymore, der "Isar Jesus", ein bezahlter Troll des grünenfeindlichen Flügels der Union? Ein russischer Einflussagent? Oder ein privater Spaßvogel, der den in der Bevölkerung derzeit so weit verbreiteten Hass auf die Grünen auf seine eigene schräge Weise auslebt? Habeck als potenziellen Kanzlerkandidaten zu feiern, während die stolze grüne Partei in mehreren Bundesländern um ihre Parlamentspräsenz zittert, ist als Methode der Verleumdung deutlich zielführender als die Behauptung, der ehemals so beliebte Politiker aus Schleswig-Holstein habe doch keine Chance.

Umgehung der neuen Hassregln

Habecks Anspruch auf die Kanzlerkandidatur wird so lächerlich gemacht, ohne dass der Verleumder fürchten muss, nach den neuen Hassregeln als staatsfeindlicher Delegitimierer verfolgt, erwischt und abgestraft zu werden. Die tiefe Bewunderung, die der Isar Jesus für Robert Habecks sogenannte  politische Visionen und seine herausragenden Leistungen als Wirtschaftsminister äußert, sie ist eine Tarnung für den Versuch, die Energiewende zu kritisieren und die von oben geplante und angeleitete große Transformation der gesamten Gesellschaft als Elitenprojekt einiger weniger Funktionäre darzustellen.

Dazu nutzt Peter Colymore alle Mittel. Er liebt nicht nur den Hashtag #habeck4kanzler, sondern auch den #SoederRücktritt und stellt damit die aktuellen Umfragewerte der CSU in Zweifel. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hingegen wird positiv hervorgehoben, unabhängig davon was sie tut und was erreicht hat. Der Stil, in dem Colymore seine Späße verbreitet, ist übertrieben emotional und appellativ: Die Posts sind vordergründig emotional aufgeladen, als würde der Autor davon ausgehen, dass Leidenschaft selbst die Realität besiegen kann. 

Kindliche Emoticons

Kindliche Emoticons tun ein übriges, das Engagement für eine bessere Zukunft zu verhohnepiepeln: Der Satiriker stellt sich als glaubensstarker, engagierter Akteur dar, der Habeck und seine Grünen für die Hoffnungsträger aller Mühsamen und Beladenen hält und mit Kritik an Populisten nicht hinter dem Berg: Immer wieder gelingt ihm das Kunststück, davor zu warnen, dass man das Land und die Zukunft nicht den Populisten überlassen dürfe, sondern Entscheidungen allein aufgrund einer tiefen Verehrung für Robert Habeck zu treffen habe. 

Die politische Agenda des Peter Colymore wird in solchen Momenten deutlich sichtbar hinter den blickdichten Schichten aus Ironie, Zynismus und Satire. Diese Verehrung, dieser blinde Glaube, der bis ins Absurde überdreht daherkommt, sie sind das ganze Gegenteil dessen als was sie zu erscheinen versuchen. Die vermeintliche Liebe, das Vergöttern vor allem der Heiligenfigur des Robert Habeck, sie speisen sich in Wirklichkeit aus einer klaren Ablehnung grüner, zukunftszugewandter Politik. 

Tarnung als Gegner der CSU

Peter Colymore, der bei X inzwischen als einer der erfolgreichsten Propagandisten gilt, die aus dem Umfeld der Grünen bezahlt werden, ist unter der Tarnung als Gegner der CSU und eingeschworener Feind vor allem von Markus Söder ein Gegner jeder grünen, sozialen und umweltbewussten Politik, die doch Deutschland so bitter braucht. Auch wenn es nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, und womöglich gerade deshalb, erscheint das besonders perfide. 

Colymore betreibt die Anbetung des mächtigsten Grünen-Politikers einer Messe, die rund um die Uhr läuft. Ein  Umstand, der jeden verständigen Beobachter an Sektenrituale erinnern wird. Und genau darauf spekuliert der Betreiber: Der Account benutzt typisch rechtsextreme Strategien, um politische Standpunkte verächtlich zu machen. Er übertreibt und überhöht, er emotionalisiert und suggeriert nach außen eine engagierte politische Beteiligung, die jeden Normalbürger nur abschrecken kann.

2 Kommentare:

  1. Carl GustafOktober 27, 2024

    Mir drängt sich ein Vergleich zum Kult des höchsten Wesens zu Zeiten der französischen Revolution auf.

    AntwortenLöschen
  2. Wolfgang Hübner ("Wieder auf der falschen Seite der Geschichte") hat sich einmal mehr als Astloch geoutet.
    Hierin hatte Sefton Delmer unrecht: Die Reädjukähschn ist abgeschlossen, zum Selbstläufer geworden und bedarf keines weiteren Anschubes mehr.
    >Bis sie sich lüstern stöhnend in ihrer Schuld suhlen ...<

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.