Donald Trump missbraucht das unappetitliche Müllthema, mit dem Joe Biden versucht hatte, dem lauen und laschen Wahlkampf seiner Erbin Leben einzuhauchen. |
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Die Aufregung war riesig. Hat Joe Biden "Müll" gesagt? Und wen hat er gemeint? Darf ein offenbar immer noch amtierender US-Präsident die Hälfte seiner Wähler als "Abfall" bezeichnen? Und weshalb? Hat er überhaupt? Oder behauptet Fälscher das nur? Vor allem aber war in den letzten Stunden des Wahlkampfes in den USA wichtig, was das für Biden selbsternannte Nachfolgerin Kamala Harris heißt. Wenden sich die Menschen jetzt endgültig von Biden ab? Und werden ihr die Herzen nun noch mehr zufliegen?
Aufregung um Biden
Die Aufregung um Bidens vielleicht schon letzten Wahlkampfeinsatz war groß. "Der einzige Müll, den ich schwimmen sehe, sind Trumps Unterstützer", hatte Biden seinem Gegenüber in einem aufgezeichneten Videogespräch anvertraut. Selbst die mit viel Liebe angefertigte Übersetzung "der einzige Müll ist Trumps Unterstützung" (n-tv) macht es kaum besser. Es klingt immer noch, als würde Joe Biden Trump-Wähler als "Müll" bezeichnen, nur weil es tut.
Doch das Weiße Haus betont, es handle sich um ein Missverständnis. Harris' Unterstützer konzentrieren sich auf andere Aspekte. Müll spiele auf einmal "eine überraschend große Rolle in der Schlussphase des US-Wahlkampfs" , staunt der "Spiegel". Klar sei: "Donald Trump schlachtet das unappetitliche Thema auf seine Weise aus."
Für Deutsche keine ungewohnte Tonart. Hier hatte der damalige SPD-Parteivorsitzende Wähler als "Pack" bezeichnet, der immer noch amtierende Bundespräsident legte die Nähe bestimmter Wählergruppen zu "Ratten" nahe und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehören Tiervergleiche zum Alltagsgeschäft.
Warum auch nicht. Was Joe Bidens von Kritikern in Deutschland als sein "jüngster Fehltritt" angekreidet wird, der die Demokratische Partei in Panik versetze, ist ein ganz gewöhnlicher Fall von Klartext: Transparent wie man ihn kennt macht Joe Biden wie ehemals Sigmar Gabriel keinen Hehl daraus, was er von Leuten hält, die anders glauben, anders reden, anders schreiben und anders wählen als er selbst.
Klassische Wählerbeschimpfung
Das Topos der Wählerbeschimpfung ist ein klassisches, bewährt und viel bemüht, um den Feind zu markieren und die eigenen Reihen zu schließen. Auch Biden, der den laschen, lauen Wahlkampf seiner mit aller nur denkbaren Unterstützung von Milliardären, Prominenten, Medien und Parteiestablishment gestarteten Erbin mit Sorge verfolgt hat, griff auf den letzten Metern zum letzten Mittel: Zuspitzung und Spaltung, sei für uns oder du bis gegen uns.
Wer einen letzten Beweis brauchte, dass die Methode immer noch funktioniert, bekam sie vom US-Präsidenten geliefert. Während die eigene Partei versuchte, Biden klare Aussage ein weiteres Mal auf Demenz zurückzuführen, sie zu einem harmlosen Versprecher zu erklären und zu versichern, der Präsident habe etwas anderes gemeint, griff Harris' Gegner Donald Trump das Angebot sofort auf. "Aus Müllwagen heraus" griff der Ex-Präsident Harris und Biden in einer "seltsamen Aktion" (Merkur) an. Damit versuche Trump, "die Thematik wieder zu seinen Gunsten zu drehen".
Trump auf verlorenem Posten
Bitter nötig hat der 78-Jährige das, sehen deutsche Medien seine Chancen auf das Weiße Haus doch immer weiter schwinden. Biden ruft Harris' Wähler im traditionellen Aufzug der Funktionselite ins Gefecht - schwarzer Anzug, weißes Hemd. Trump sammelt seinen Anhang im Zeichen der Müllmannweste: Der "Immobilien-Mogul mit der gestörten Impulskontrolle, ein Rassist und Sexist" (SZ) macht damit kein Hehl mehr daraus, dass es ihm egal ist, wie es aussieht, wie es auf Unbeteiligte wirkt und sogar, das nur dümmere, ungebildetere, ärmere Menschen vom Land ihn wählen.
Der Kandidat der Republikaner ist "zu dumm zum Lügen" (Spiegel). Aber er kennt keine Scham, von der Zerstörung der gemeinsamen Wertebasis zu profitieren. Falsch ist also, dass Joe Biden einen Fehler gemacht hat, als er Trumps Wähler als "Müll" bezeichnete. Der mit allen politischen Wassern gewaschene Demokrat, seit zwei Wochen stolzer Träger der Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, hat mit klarer Kante vielmehr für klare Fronten gesorgt.
Chloé suit oder Müllmannanzug
Jeder Amerikaner, jede Amerikanerin hat jetzt Zeit bis zum Dienstag, für sich selbst zu entscheiden, auf welcher Seite er stehen will. Dort, wo die Zukunft mit den sympathischen Zügen von Kamala Harris lächelt, zivilisiert und in stilsicher Chloé suit and einer Bluse von Anadolu? Oder dort, wo ein alter Mann im Kostüm eines Mitarbeiters der Müllabfuhr versucht, ungebildete, weiße und vom Land stammende Menschen als Wähler zu missbrauchen.