Seit der ersten in der Finanzkrise geschnürten Rettungspakete erlebt das Schnüren an sich einen Boom. |
Ja, es gibt die großen Worthülsen, mächtige und meist zusammengesetzte Substantive, mit denen die Politik an den verschiedenen Bedeutungsfronten kämpft. Politischer Signalvokabeln wie "Rettungsschirm", "Energiewende", "Schulden-" und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt" sind Krisenmunition aus der Bundesverbalwerkstatt BWHF, die jeder kennt und wertschätzt. Was könnte eine Nation am Rande des Nervenzusammenbruchs auch besser zusammenhalten als sprachliche Klammern wie "Heißzeit", "Klimanotstand" und "CO2-Steuer", die außerhalb des deutschen Sprachraumes niemand versteht?
Teil der Wortschaftswende
Doch es sind nicht diese fundamentalen Großsprachsprengköpfe wie "Ökoflation", "Obergrenze mit atmendem Deckel" oder in Pandemiezeiten "Basisschutz" und "Kontaktsperre", die die Deutschen zu einer wahren "Schicksalsgemeinschaft" (Wolfgang Böhmer) zusammengeschmiedet haben. Nein, dafür stehen andere Begriffe, kleine, unauffällige Worte, die ihre Zeiten auf eine ganz eigene subtile Weise prägen. "Streng" und "bekräftigt", "rasch" und "Paket" etwa gelten eigentlich als unauffällige Bestandteile der deutschen Alltagssprache - im Gegensatz beispielsweise zu "nachschärfen", einem Verb, das außerhalb des politischen Berlin noch niemals jemand in den und genommen hat.
Und doch sind sie wichtig für die innergesellschaftliche Kommunikation über Qualitätsmedien, sogar wichtiger als abgegriffene Bestätigungsbegriffe wie "tatsächlich" und Bedeutungsbatterien wie "sozial", "gerecht", "nachhaltig" oder "einig". "Schnüren" etwa ist ein Wort, das in den alten Tagen vor allem von Waidmännern und Textilarbeiterinnen verwendet wurde, wie BWHF-Chef Rainald Schawidow jetzt bei einer Fachtagung zum Thema "Der erweiterte Bedeutungsanspruch in der Volksansprache" erläutert hat.
Der Fuchs schnürte damals durch den Wald, die fleißigen Frauen spannen emsig Garn, um es anschließend zu großen Knäueln zu schnüren. Reiche Frauen schnürten zudem ihre Korsetts, zumeist ein Aufstand gegen die Schwerkraft, der schmerzhaft war, ihnen aber aufgrund der männlich dominierten Gesellschaftsordnungen unumgänglich schien.
Geschnürte Pakete
Wie das "Paket", das in der Vermittlung von Sicherheitsversprechen politische Akteure in den zurückliegenden Krisenjahren einen weitgehend unbeachteten Aufschwung erlebte, ist auch das sogenannte "Schüren" heute aber längst aus diesem Babykorb seiner früheren Bedeutung herausgewachsen. Geschnürt wird heute überall: Bei Gesetzespaketen und Rettungspaketen, bei Hilfspaketen, Sparpaketen und Entlastungspaketen. Ungeachtet der anhaltenden Diskussion um die explodierenden Mengen von Verpackungsmüll, denen selbst die EU mit ihren Verordnungen kaum mehr beikommt, erlebt das Schnüren eine Konjunktur wie seit mehr als 100 Jahren nicht.
Der Charme des simplen Wortes liege darin, dass es einprägsam sei und sich im Zweiklang mit dem zumeist zugleich verwendeten Paket und in Kombination einer beliebig hohen Zahl von selbst mit Bedeutung auflade, erklärt Rainald Schawidow. "Ein geschnürtes Paket kennt jeder, auch wenn politisch gesehen nie und nirgendwo ein entsprechender Gegenstand existiert hat oder irgendein Politiker tatsächlich mit Schnüren beschäftigt war, entfaltet die Mitteilung über ein geschnürtes Paket eine beruhigende Wirkung bei Bürgerinnen und Bürgern."
Warten auf die Zustellung
Jedermann wisse, dass nach dem Schnüren die Zustellung erfolge, die Dinge also vom Tag der Schnürung an auf einem sehr guten Weg seien. "Das macht aus der Nachricht über ein gelungenes Schnüren eine sinnlich ganz andere Sache als aus einer Pressemitteilung, dass sich Staatenlenker oder Minister auf eine bestimmte Abmachung geeinigt haben."
Schnüren sei, ohne dass der Nachrichtenempfänger selbst Zeuge der Schnürung sein müsse, nacherlebbar und begreifbar. "Man hat vorher das auf dem Tisch liegen, was in den politischen Regelkreisen als ,Maßnahmen' oder auch 'Schritte' bezeichnet wird", schildert der Worthülsenexperte. Mit der Formulierung, daraus sei "ein Paket geschnürt" worden, oft ein Millionen-, neuerdings sogar meist ein Milliardenpaket, entfalte die faktisch physisch nie durchgeführte Schnürung eine "fast schon magische Kraft".
Schawidow, der ein großer Freund der kleinen Vokabeln ist, die die Arbeit der Bundesworthülsenfabrik erst "würzig machen", wie er sagt, bekommt leuchtende Augen, wenn über diesen Wirkmechanismus hinter dem uralten Wort spricht. "Ja", gesteht er, "ich liebe das Organische daran vielleicht mehr als unsere großen, durchmechanisierten Erfolgsformeln."
Und am meisten freue ich mich über hübsch geschnürte Überraschungspakete.
AntwortenLöschenIch lebe in wonnigen Zeiten.
OT
AntwortenLöschenBei Klonovsky aufgeschnappt:
>> „Das Vierte Reich ist die Wichsvorlage der Linken”, sagte Henryk Broder <<
Ich will dem galizischen Pornografen nicht eben wohl, aber das hat Witz und Pfiff ...
... Das Dritte Reich naturalmente. Peinlich. Fehl'sche Freudleistung.
AntwortenLöschenScheibe, ofenkundig DOCH das Viertel ...
AntwortenLöschenautomatische Sprachkorrektur am Aasch
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