Der Hang zur Hetze ist dem Deutschen eingeschrieben. |
Jeder soll alles sein dürfen, alles machen und alles glauben, was er will und dafür im höchsten Maße geachtet werden. Respekt verlangt der Dealer, Respekt verlangt der Schläger, Respekt bekommt der Lügner, der Fälscher beharrt darauf und der Trickser möchte gut dafür bezahlt werden. Widerworte, Zurückweisungen, das Beharren darauf, dass man irgendetwas womöglich auch anders sehen könne, gelten in Zeiten als Kulturbruch, in denen es endlich ein richtiges Leben im falschen geben soll. Arbeit muss nur klimagerecht sein, Konsum zweckdienlich und die kulturindustrielle Betäubung der eigenen Ausbildung zu Höherem dienen, dann entfaltet das Kollektiv eine Kraft, für die das Individuum nur noch dankbar sein kann.
Grenzenlose Empathie
Voraussetzung ist eben jene grenzenlose Empathie, die das Christentum stetes gepredigt hat, aber nie verwirklichen konnte. Die neue Religion heißt Toleranz, Toleranz bis über die Schwelle des Hinhaltens der anderen Wange hinaus. Niemand muss mehr warten, bis er geschlagen wird. Er darf und soll sich selbst ohrfeigen dafür, dass er nicht derselbe ist wie seine Nebenperson, nicht ganz gleich dem Nachbarn und nicht mit geschlossenen Augen verwechselbar mit allen anderen. Unabhängig von dem, was jeder mitbringt an Geschenken aus der Lebenslotterie soll nicht mehr nur jeder eine Chance bekommen, sondern er soll sie mit demselben Erfolg in jeder Hinsicht verwirklichen müssen wie jeder andere.
Zugleich (sic!) sollen alle nicht nur gleich sein, sondern ganz dieselben, mit identischen Wertvorstellungen, Träumen, Wünschen und Sehnsüchten. Und alle sollen das wollen, das ist geradezu eine Selbstverständlichkeit in einer Welt, die keine Charakterzüge mehr kennt, keinen angeborenen Drang zum Heucheln, keine Gier auf Karriere und keinen nicht selbstgewählten Hang, alle Fünfe gerade sein zu lassen, wenn ringsum allen der Schweiß tropft.
Auffallende Ausnahmen
Ausnahmen aber gibt es, einige nur und wenige, aber gerade diese Ausnahmen fallen im symmetrischen Gesamtbild einer formatierten Gesellschaft ganz besonders auf. Den außerhalb der Vorstellungswelt, in der der Mensch immer gut und die Absichten immer die besten sind, liegt die Idee, dass auch Männer mit der amerikanische Demiurg Donald Trump, der deutsche Nazi Björn Höcke, die AfD-Vorsitzende Alice Weidel, Erdogan, Putin, Milei oder der Ungar Orban ebenso eine werte- und interessengeleitete Politik betreiben könnten wie die, die von sich selbst sagen, sie täten genau das. Nicht einmal im theoretischen Gedankenspiel schimmert je die Möglichkeit durch, dass es vielleicht nur vollkommen andere Werte und vollkommen andere Interessen sind, die diese als Bösewichter besetzten Männer und Frauen als handlungsleitend empfinden.
Hier, hinter einer Brandmauer aus Urteilen, die meist ohne Verfahren gefällt werden, greift das Urprinzip der Polarität allen Seins: Gibt es das Gute, zu dem man selbst sich zählt, muss das andere das Böse sein, von dem man schon als Kind so viel gehört hat. Frauen und Männer, die anders glauben, denken und handeln als man selbst es tun würde, dürfen deshalb nicht mit Respekt rechnen und auch nicht mit der friedfertigen Toleranz, die sich in 2000 Jahren blutiger abendländischer Kriegsgeschichte als Alternative zum Auskämpfen aller Zwistigkeiten entwickelt hat.
Animalische Prinzipien
Es regiert stattdessen das animalische Prinzip der Zuschreibung: Wer nicht ist, wie man selbst (gern sein möchte), wer nicht tut, was man selbst zu tun vorgibt, der entpuppt sich damit als das abgrundtief Böse, als ein Mensch, der nur aus Charakterschwächen besteht, keine Moral besitzt, kein Gewissen, und dem an nichts anderem gelegen ist als die Menschheit in einen Abgrund zu stoßen.
Es ist die einfachste Lösung für ein recht kompliziertes Problem. Anzuerkennen, dass es Aspekte der Wirklichkeitswahrnehmung und der Verarbeitung der dabei empfangenen Signale gibt, die zu anderen Schlüssen als den eigenen führen können, bedeutet, einen Hofknicks vor dem Bösen zu machen, das Knie zu beugen vor einer Glaubenswelt, die von der eigenen so weit weg ist wie die deutschen Medien von der Möglichkeit, den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen. Undenkbar.
Die Furcht vor dem Fremden
Das Bemühen, verstehen zu wollen, was einem selbst so fremd ist, birgt die Gefahr, zu erkennen, dass auch dieses Fremde auf der Basis rationaler Glaubensgrundsätze handelt. Es begeht seine Verbrechen nicht aus Bosheit, sondern zu einem Zweck. Es führt seine Kriege nicht, weil es so gern Pulverdampf riecht und Soldatensärge dekoriert, sondern weil seine Annahmen oder seine Schlussfolgerungen aus diesen Annahmen oder beides sich aufgrund einer vollkommen anderen
Gewichtung von Tatsachen, Fakten, Gefahren und Chancen grundlegend unterscheidet von dem, was von der anderen Position her gesehen als logisch, wertebasiert und naheliegend erscheint.
Gilt also im Geschäft der Ursachenforschung normalerweise das Prinzip des qui bono, weil der Nutzen stets am einfachsten zum Nutznießer führt, dann fehlt dieses Moment hier aus gutem Grund: Während das eigene Weltbild als so tragfähig einschätzt wird, dass es keiner faktischen Begründung mehr bedarf, weil auch so vor jedem jüngsten Gericht bestehen wird, muss das der Gegenpartei nicht einmal mehr angeschaut werden, weil es das einfach nicht verdient.
Es regiert die Unterstellung
Stattdessen regiert die Unterstellung: Wie dem Teufel, dessen Motivation die christliche Lehre niemals auf den Grund zu gehen versucht hat, sind auch die modernen Bösewichte auf der Weltbühne in der Regel nicht einmal an ihrem eigenen Vorteil interessiert. Etwas Rätselhaftes, Unergründliches drängt sie dazu, die Welt in einen Abgrund aus Krieg, Krisen und Verelendung zu stürzen, Millionen verarmen und verhungern zu lassen, die Überlebenden zu spalten und nach ihrem Sieg über ein Reich aus rauchenden Trümmern zu regieren.
Es ist wie Hollywood-Kino, ein wüstes Panorama voller Palpatines, die herrschen wollen, ohne daraus einen Vorteil zu ziehen, die kein Ziel haben außer dem, ihre Charakterdefekte möglichst plakativ auszustellen, und denen an nichts mehr gelegen ist als an einem möglichst schlechten Eindruck, den sie in späteren Geschichtsbüchern zu hinterlassen trachten. Vor diesen Menschen endet die Empathie, diese Figuren dürfen auf keine Toleranz hoffen. Ihnen ist mit Ablehnung zu begegnen, für sie ist der in den zurückliegenden Jahren als gefährliches Gefühl in Verruf geratene Hass gerade schlecht genug. Den liebt der Empath, wenn er die Richtigen trifft. Dem huldigt der Tolerante, weil er ihn als Waffe erkennt.
Der ist gut, wo er den Schlechten gilt.
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