Sonntag, 8. September 2024

Brasilianische Lösung: X und Hopp

Der Maler Kümram hat Anton Hofreiter in einer typischen Pose gezeichnet: In sich gerade schräg zum Ziel, eines Tages Minister werden zu dürfen.

Er ist einer der Zukurzgekommenen, der Abgehängten, der Leute in der Grünen Partei, die sich viel mehr erhofft hatten vom gemeinsamen Projekt mit SPD und FDP. Doch als es an die Vergabe der Posten ging, fiel Anton Hofreiter einmal mehr der Ruf auf die Füße, den er sich über Jahre erarbeitet hatte. Hofreiter, auch "der Toni" genannt, gilt seit seinem wegweisenden Manifest "Warum die Grünen die Partei der Freiheit sind", das er im Oktober 2013 im Wochenblatt "Die Zeit" veröffentlicht hatte, als Hippie, Liberaler und einer, der sich anbiedern will bei denen, die die Zeichen der Zeit noch immer nicht erkannt haben.

Ungedient, aber rauflustig

Anton Hofreiter wurde übergangen. Er bekam keinen Ministerposten, nicht einmal Staatssekretär durfte er werden. Offiziell eine Zurücksetzung, die der frühere Parteichef klaglos hinnahm. Immer mal wieder löckte er gegen die offizielle Parteilinie. Hofreiter, ungedient, aber rauflustig, trieb die frühere Pazifistenpartei zu Waffenlieferungen und Kriegseinsätzen, er klagte, bohrte und barmte: Unverkennbar war, dass er sich als Verteidigungsminister der Neuauflage der Ampel nach 2025 ins Spiel zu bringen versuchte. 

Es könnte aber auch das Innen- oder Justizressort werden, oder gar ein ganz auf "den Toni" zugeschnittenes neues Verbotsministerium. Seit das öffentliche Interesse am Großkonflikt in der Ukraine nachgelassen hat, leidet Anton Hofreiter unter Aufmerksamkeitsentzug. Die Diskussion um Schwerwaffen ist ausgelaufen, die um den Einsatz deutscher Männer an der Front beklagenswerterweise nie richtig in Gang gekommen. Statt darüber zu debattieren, geht es allenthalben nur noch den Abfall einzelner Bundesländer, die sogenannte innere Sicherheit und einen Rechtsrutsch der Gesamtgesellschaft, von dem Forschende bereits mehrfach festgestellt haben, dass er durch Kremlagenten und eine perfide Fälschungskampagne bewirkt worden ist.

Zu viel Widerspruch

Der wahre Grund ist X, die Milliardärsplattform, auf der den wenigen noch verbliebenen Grünen-Politikern und grünen Propagandisten mehr Widerspruch entgegenschlägt als selbst im ländlichen  Thüringen. Wie sein Parteivorsitzender Omid Nouripour unterhält auch Hofreiter dort noch eine Beobachtermission. Er schreibt nicht wie sein Kollege Cem Özdemir, er liest nur und das offenbar intensiv. 

Denn im Zuge seines Umstyling vom Militärexperten zum Sicherheitspolitiker hat Hofreiter jetzt vorgeschlagen, nach dem Vorbild Brasiliens auch hierzulande die Nutzung zur Onlineplattform X einzuschränken oder ganz zu verbieten. X, ein Internet-Treffpunkt von Nachrichtennerds, Online-Nörglern und Hobby-Besserwissern, sei verantwortlich für die Online-Radikalisierung von Jugendlichen. Wer die Verbreitung menschen- und verfassungsfeindlicher Inhalte im Internet stoppen wolle, der müsse die Kanäle verstopfen, über die sich Gefährder im Internet radikalisieren.

Ohne X kein Terror

Die Schließung von X als Beitrag im Kampf gegen den Terror? Der Vorschlag zeigt, dass Anton Hofreiter immer noch einer der originellsten Denker in der "Partei der Freiheit" ist. Ebenso gründlich, wie er vor elf Jahren mit dem Vorurteil von den Grünen als angeblicher "Bevormundungs- und Verbotspartei" aufgeräumt hatte, zeigt er jetzt, wie ein "Linksliberaler" (Hofreiter über Hofreiter) Freiheit und Grundrechte versteht.

Das Manifest zum Freiheitsabbau von 2013.

Der verkürzte, einseitige Freiheitsbegriff aus Artikel 5 Grundgesetz, er greift nach dieser Definition zu kurz. Dass jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, bedeutet keine Bestandsgarantie für eine Plattform  wie X: "äußern" und "verbreiten" sind den Buchstaben des Grundgesetzes nach auch ohne die Hass-Plattform aus den USA möglich. Und die Möglichkeit der "ungehinderten Unterrichtung" bezieht sich ausdrücklich nur auf "allgemein zugängliche Quellen". Zu denen X nach einem Verbot nicht mehr gehören würde. So dass die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film weiterhin gewährleistet wären, weil eine Zensur nicht stattfindet.

Freiheit mit dem Staat

Schon als junger Mann hatte Anton Hofreiter leidenschaftlich dafür plädiert, wegzukommen von einem egoistischen "Freiheitsbegriff, der sich vor allem gegen den Staat richtet, gegen öffentliche Institutionen". In seinem Grundsatzbeitrag erklärte er umfassend, warum die Grünen die Partei der Freiheit sind. Diese Freiheit aber eine nicht zu tun hat mit dem verkürzten Freiheitsbegriff, den Ewiggestrige nutzen, um Verbotsvorschläge "wie ein Tempolimit oder eine moderate Steuererhöhung" (Hofreiter) als Argumente gegen eine angebliche Übergriffigkeit des Staates nutzen. 

Diese Leute behaupteten, der Staat mische sich immer mehr in ihre Privatangelegenheiten ein. Das aber, so Hofreiter, sei nur gut gemeint und Teil einer neuen Freiheit, die mit dem Staat statt ohne oder gegen ihn gelebt wird. Was vielen fehle, sei das Vertrauen, sich ihm ganz hinzugeben. Dabei sorge doch der "emanzipatorischen Impuls der Grünen", der sich "immer gegen gesellschaftliche Zwänge gewandt" habe, sicher dafür, dass jeder notwendige Eingriff in Grundrechte allen nütze und diene. 

Ausdrücklich erinnerte Hofreiter in seinem Grundsatzpapier an das Erbe der Bürgerrechtsbewegung im Osten, "die gegen die weitergehenden Repressionen der Diktatur angegangen" sei. "Unsere Programmatik zielt auf die Ermöglichung der Freiheit des Einzelnen, genauer der Einzelnen, also im Idealfall der gleichen Freiheit aller Einzelnen."

Verabsolutierte Freiheit

Als logische Fortsetzung gilt dem 54-Jährigen heute eine Freiheit ohne "Verabsolutierung der Freiheit eines Einzelnen", weil diese Freiheit insgesamt mehr Freiheit schaffe. "Denn selbstbestimmte Lebensführung der einzelnen Menschen kommt nicht von selbst", ist sich Hofreiter sicher: Freiheit müsse "positiv ausgeübt" werden können, indem Bürgerinnen und Bürger vor falschen Optionen, die falsche Entscheidungen erst ermöglichen, geschützt werden. Mehr Freiheit wagen, mit weniger Kanälen, über die Hass in die Adern der Gesellschaft gepumpt wird.

Die brasilianische Lösung, X notfalls auch zu sperren, komme nur "notfalls" infrage, aber die von Musk beschworene absolute Meinungsfreiheit sei auch in der EU keine Entschuldigung dafür, "menschen- und verfassungsfeindlicher Inhalte" zu verbreiten. Katarina Barley, die bei der EU-Wahl im Frühjahr auch wegen der Nachstellungen bei X das schlechteste Ergebnis geholt hatte, das ihre Partei jemals einfahren musste, hat sich bereits hinter Hofreiters Vorschläge gestellt und auf die umfangreichen Sanktionsmöglichkeiten durch das Digitale-Dienste-Gesetz verwiesen. "Wir müssen die Wurzel des Problems angehen und Radikalisierungen im digitalen Raum wie in der Gesellschaft zurückzudrängen."

Die X-freie Gesellschaft

Nur einer X-freie Gesellschaft ist wirklich frei, frei von Versuchungen, frei von der Verführung,  Widerspruch zu führen und den Staat zu kritisieren. "Ziel unserer Politik, wenn sie auf Stärkung öffentlicher Institutionen zielt, bleibt also auch dabei die Freiheit der Einzelnen", hatte Hofreiter schon 2013 einen Weg vorgezeichnet, der dem Wildwuchs zahlloser Ansichten und endlos vieler alternativer Kanäle, sie zu verbreiten, eine überschaubare Anzahl sicherer und überwachter Plattformen bereitstellt. "Sonst degeneriert der Freiheitsraum der Einzelnen zur Zwangskammer beschränkter Möglichkeiten." 

7 Kommentare:

  1. Die Großväter der Grünen deklarierten Sender, die nicht von Dr. G. dirigiert wurden, als Feindsender, deren Hören rabiat bestraft wurde. Der Apfel fällt halt nicht weit vom Stamm.

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  2. ... Sender, die nicht von Dr. G. ...
    Und diese haben natürlich immer nur die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit ...

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  3. Was jemand früher mal war, hat nicht unbedingt viel mit dem zu tun, was er heute macht. Ob er mal ein Hippie war, kann ich nicht sagen, dass er heute weder Hippie noch Grüner ist, aber mit Sicherheit ein typischer Berliner Politik Idiot, das mit Sicherheit.
    Ein "Grüner" hätte in der Partei gleichen Namens heutzutage nichts verloren. Und wenn man den Medien zumindest so weit trauen darf, ist er ja tatsächlich ein Kriegstreiber, was die Aussage, es handele sich bei bei dem Deppen heutzutage um einen Hippie, ein absurder Witz

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  4. Einfach gestrickte Geister, die nicht eben selten sind, meinen ja, die "Grünen" wären die Übelsten, die anderen wären zwar auch Aaschlöcher, jedoch kleinere Übel. Mitnichten: Alle spielen schlicht und ergreifend nur ihre Rolle in einer / dieser Affenkomödie.

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  5. "Pech für WHO, Gates & Co.: Republikanische US-Gouverneure erteilen Pandemievertrag generelle Absage"
    Bättre än ingenting. Das sind so die Sachen, die einen erlaben in diesen Sch ...zeiten. Kleinvieh macht auch Mist. Nävver ävver giff app.

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  6. Klono:
    „Frau Müller, Ihr Sohn ist an der Ostfront gefallen, und Ihr Haus wurde zerbombt – hat das Ihre Treue zum Führer erschüttert?”
    „Soweit bin ich noch nicht.”


    Analogien sind schön, besonders solche mit Hitler drin. Aber Der Führer hatte durchaus andere Ziele als Olaf. Bloß das Resultat, die Zerstörung, ist analog. Sei's drum, man weiß ja, wie es gemeint ist.

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  7. Klono:
    „Frau Müller, Ihr Sohn ist an ... "
    Mein Reden, ich wollte gerade selber ... Das geht schon fast beinahe in die Richtung, die Natzis hätten die Frauenkirche zerbomt.

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