Immer ist irgendwo Zeitenwende, seit die Bundesworthülsenfabrik BWHF den Begriff als modisches Accessoire für den politischen Bedeutungskampf empfohlen hat. |
Keine 72 Stunden vor Tag X wagte das frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sich noch mal mit einer extremen Zukunftsvorhersage vor. Die SPD sei "nicht zu beneiden", hieß es angesichts der desaströsen Umfragewerte der früheren Volkspartei in den beiden demokratisch prekären Ost-Ländern. "In beiden Ländern steht sie in den Umfragen bei sechs Prozent – für die Partei geht es um die Existenz", diagnostizierte eine Maria Fiedler hellsichtig. Und prognostizierte: "Ein schlechtes Ergebnis könnte auch Auswirkungen auf die Ampel im Bund haben."
Ganz weit vorn
Könnte. Wenn es nichts anderes dazwischenkommt. Kaum wussten sie im Willy-Brandt-Haus in den schicksalhaften Stunden vor dem Tag der Abrechnung noch, was sie mehr hoffen sollen. Dass ein Wahldebakel der elendiglichen Diskussion um Remigration, Flüchtlingsvergällung und den Umfang der notwendigen Drangsalierung gesellschaftlicher Randgruppen endlich beendet? Oder dass eine neuer, schwerer Schlag für das friedliche Zusammenleben das anstehende Scherbengericht über die Fortschrittskoalition, die neuerdings nur noch eine Übergangskoalition sein will, beendet? Und sich alle Blick nach Kiew, Kiel oder Kuala Lumpur richten.
VW, der halbe Staatskonzern, konnte bewegt werden, seine Rückbaupläne erst nach dem Wahltag zu verkünden. Trotzdem war schon überall Zeitenwende, sogar beim "Spiegel", der seit Monaten von einem Machtkampf erschüttert wird, aber nach außen unerschütterlich an der Seite der im politischen Berlin schon als "Untergangskoalition" verspotteten Ampel-Regierung steht.
Als zentraler Teil des politisch-medialen Komplexes sieht sich das Hamburger Magazin seit der Ausrufung der Alternativlosigkeit aller Politik durch Angela Merkel nicht mehr Berichterstatter über "das, was ist" (Augstein). Sondern ganz im Sinne der Leninschen Vorgabe als kollektiver Propagandist, kollektiver Agitator und kollektiver Organisator. Was immer aus Berlin kam, es war fraglos richtig. Wer immer dagegen sprach, lag fraglos falsch.
Tagebuch der Zeitenwende
Der "Spiegel" führte das Tagebuch der "Zeitenwende" (®© BWHF) nicht wie ein Buchhalter sein Kassenbuch, sondern als engagierter Teilnehmer. Er applaudierte hier und jubelte dort, er konnte die Ablehnung einer Obergrenze für Zuwanderer genauso gut finden wie die Remigration mit zwei Jahresgehältern als Handgeld. Er löschte Bücher aus Bestenlisten und war strikt gegen Cancel Culture. Er entmenschte Menschen und nutzte passende Puzzleteile aus der Geschichte, um den Naziterror zu verharmlosen. Er machte Wahlkampf im Notstandsgebiet, ein Raumschiff, aus dem Woche für Woche quietschbunte Werbezettel für die AfD regneten.
Das Spieglein an der Wand zeigte nicht mehr die Welt, sondern nur noch sich selbst. Die Innenansicht einer Filterblase, die sorgenschwer zwischen Bionadeviertel und Brandmauer hängt. Die Wirklichkeit hat sich von denen entfremdet, deren Beruf es einst gewesen war, diese Wirklichkeit zu beschreiben. Wo der Gemeinsinnfunk die Überlassung von mehr als acht Milliarden Euro im Jahr als Auftrag deutet, die Überlasser zu rühmen, zu lobpreisen und ihre Weisheit zu beklatschen, spürte die "Spiegel"-Mannschaft "das, was ist" immer zuallerletzt. Es ist schließlich einfacher, Dinge nicht zu wissen, die dem widersprechen, was man gern glauben möchte, als sie mühsam ins Weltbild einzubauen.
Keine Geräusche aus der Außenwelt
Selbst auf der Kommandobrücke, wo seit vielen Jahren schon kein Geräusch aus der Außenwelt mehr hindringt, fragte man sich schließlich besorgt, "warum es immer schwerer wird, die AfD abzuwehren". Mit Claas Relotius ist der letzte Reporter schon lange gegangen, der unangenehme Wahrheiten von draußen mitbrachte, sie aber botschaftsdienlich zu verpacken wusste. Jetzt, wo sich alle vom Kanzler absetzen, klingelt auch in Hamburg der Wecker. Dass "ein schlechtes Ergebnis auch Auswirkungen auf die Ampel im Bund haben könnte", war auch nach innen prophezeit.
Natürlich waren es die "sozialen Medien", die die Rechten groß gemacht haben, trotz der "größten Demonstrationen in unserem gemeinsamen Land", die "eben nicht 1989", sondern "im Januar, Februar und März vielleicht auch noch mitgezählt" (Annalena Baerbock) waren. Aber wo man doch so dagegen gehalten hat, fast wie damals bei Trump, warum hat es nicht genützt? Warum lesen die jungen Männer nicht, was für sie gedacht und geschrieben wird?
Festmeter Warnungen
Eine Studie zeigt: Der "Spiegel" ist immer noch das mit Abstand erfolgreichste Nachrichtenmagazin Deutschlands! Wie können sie die Festmeter Warnungen, die Schwarzmalereien vorm Untergang der Demokratie, das Zetern und Teufeln, die Titelbilder gegen den Osten, wie kann sich all das nicht einmal ein bisschen an der Urne auszahlen?
Es kommen harte Zeiten, bis der Bürger wieder bereit, dass es nicht an ihm ist, die Richtung vorzugeben, in die sich ein Land zu bewegen hat. Das ist Sache der Politik, die viel besser beurteilen kann, was zu tun ist. Beim "Spiegel"wissen sie das, aber inzwischen ahnen sie auch, dass noch viele dicke Bretter zu bohren sein werden, bis Oppositionsparteien begreifen, dass sie durch Kritik an der Regierung Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.
OT
AntwortenLöschenBei/von Hadmut:
" In der Frühzeit meiner Social-Media-Aktivititäten, im Usenet der 1990er Jahre, entstand schon Godwin’s law: Je länger eine Diskussion andauert, gleich welchen Themas, desto höher steigt die Wahrscheinlichkeit, das irgendwer Hitler oder die Nazis als Argument heranzieht. "
Jein. Nicht unbedingt als Argument,eher als schmückendes Beiwerk, wie eine Prise Salz zum Essen, ein wohlfeiler posthumer Eselstritt.
"Die Resttruppe der Mauerbauer, Menscheneinsperrer und Weltbeglücker hatte sich im neuen Deutschland etabliert als Seelenstreicheleinheit für alle, die sich zu kurz gekommen fühlten."
AntwortenLöschenAlos zu kurz gekommen war leiner, nur manche fühlten sich unberechtigterweise so?
Und da es diese natürlich heute auch noch gibt, haben sie nun zwei Möglichkeiten politisch irgendwo hinterher zu laufen.
Wen würdet ihr denn vorziehen? AfD oder BSW? Und warum?
Wen würdet ihr denn vorziehen? AfD oder BSW? Und warum?
AntwortenLöschenNärrchen, die "AfD". Und bestimmt NICHT darum, weil von denen alles Heil (Sälde) kommen würde. Eine sehr geringe Chance, allfällige Sauereien wenigstens hinauszuzögern, bis vielleicht ein Wunder geschieht.