Mittwoch, 4. September 2024

Sägen am absteigenden Ast: Zu links, um wahr zu sein

Das alles, und noch viel mehr: Allen alles versprechen, das niemand bezahlen muss, damit hatte die Linke lange Erfolg.

Verzweifelt, verloren, auf den letzten Metern hin zum großen Traum vom Sozialismus an Verrat und Brudermord gescheitert. Die Linkspartei, nach der SPD älteste aller noch aktiven politischen Formationen aus vergangenen Jahrhundert, erwartete am Sonntag das Urteil der Geschichte. Wie es ausfallen würde, war schon klar, nur die Strafe stand noch nicht fest.

Beobachter hielten es für möglich, dass der Organismus würde weiterleben dürfen, dann aber auch weiter ohne strategisches Hirn und ohne Kenntnis der Lebensumstände draußen. Es galt aber auch nicht als ausgeschlossen, dass es zum Letzten kommt. Noch ein Streit um Lenins Bart. Schuldzuweisungen. Kritik an den Vorsitzenden, die ohnehin keine Lust mehr auf Weltrevolution und nur noch wenig Zeit haben. Am Ende stände ein Streit um die versteckten Millionen, weitere Spaltungen in immer kleine kommunistische Atome.

Abgang im Osten

Der Untergang der Linkspartei, rechtlich betrachtet immer noch die SED, nur mit anderem Namen, hat eine Vorgeschichte, die bis in die Jahre der Finanzkrise reicht. Die Resttruppe der Mauerbauer, Menscheneinsperrer und Weltbeglücker hatte sich im neuen Deutschland etabliert als Seelenstreicheleinheit für alle, die sich zu kurz gekommen fühlten. Nach etlichen Namenswechseln stand die Linke für Betreuung, Sorgearbeit am Einzelnen und umfassende obrigkeitliche Bevormundung. 

Ein Erfolgsrezept, das Angela Merkel in ihrer zweiten Kanzlerschaft gnadenlos adaptierte: Die Christdemokratin aus Hamburg versprach nicht mehr Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten für jeden, sondern Engführung individueller Lebensentscheidungen, eingepackt in einen Mantel als Kampf gegen das Klima, gegen rechts und für umfassende Gerechtigkeit. Wo es hakte, half der Staat nun umgehend. Wo etwas fehlte, gab er Geld. Er stopfte Löcher wie Hausfrauen früher Socken. Er plante Ein- und Ausstiege, Transformationen, den "guten Übergang" (EU) und die Integration von Millionen.

Die verkleidete Betriebsgewerkschaft

Die Linke, ursprünglich ein marxistisch-leninistisches Projekt, verkleidet als gesellschaftliche Betriebsgewerkschaft, sah sich ihrer besten Angebote beraubt. Sie rückte langsam ins Abseits, in Milieus, denen das, was Merkel an fürsorglicher Betreuung offerierte, nicht genug war. Über mehrere Verpuppungen verwandelte sich die Linkspartei mangels originärer Inhalte auch öffentlich in das, was sie schon 1990 gewesen war: Eine Organisation zur Bewahrung des Organisationsvermögens, das benötigt wird, um die mit der Bewahrung des Organisationsvermögens betrauten Funktionäre zu unterhalten. 

In die Chefetage, anfangs besetzt mit alten gewitzten Juristen wie Gregor Gysi, alten Klassenkämpfern wie Bernd Riexinger und Mittelstandkindern wie Katja Kipping, zog eine neue Zeit ein. Früh indoktrinierte Frauen wie Susanne Hennig-Wellsow und familiär vorbelastete Männer wie Martin Schirdewan suchten nach den verlorenen revolutionären Massen, wo sich Klimakämpfer, Antifa, Degrowth-Prediger und Ostalgieschwärmer trafen. Sie bekamen von Wahl zu Wahl mehr zu verstehen, wie klein die Gruppe ist, auf die sie hoffen. Und doch ist es wie immer mit kommunistischen Parteien: Sie vertreten lieber Wunsch und Wille einer winzigen, ideologisch sauberen Gruppe, als sich für die Kümmernisse gewöhnlicher Menschen einzusetzen.

Die Säge am Ast

Am absteigenden Ast, auf dem die Linke saß, sägte die Konkurrenz von rechts und nach Wagenknechts Ausstieg auch noch die Konkurrenz von links, wo sich mit Linkspartei, SPD und Grünen ohnehin schon drei weltanschaulich nahezu identische Formationen um dieselbe Klientel balgen. Alle bieten wechselweise den höchsten Mindestlohn und die höchsten Steuern für die hart arbeitende Mitte, die schärfsten Vorschriften und die strengsten Regeln, die hygienischste Meinungsfreiheit und den größten Staatsapparat mit der weitreichendsten Planwirtschaft. Jeder versucht, die angeschlagene Ware in der Auslage so anzuordnen, dass jedermann mit gesteigertem Betreuungsbedürfnis sein Kreuz beim eigenen Pflegeheim macht.

Schlimm, dass es die Ostdeutschen sind, die jetzt den Schlusspunkt gesetzt haben. Zwischen Mecklenburg und Thüringen, wo die SED 40 Jahren lang für alles und alle sorgte, war auch nach dem Ende des Einparteienstaates die Homebase der Kommunisten, die sich nach einem verbalen Neustyling jetzt "demokratische Sozialisten" nannten. Wie KPD und SED früher jede Moskauer Volte nachturnten, turnte die Gysi-Truppe einem Zeitgeist hinterher, der Ostalgie und die Sehnsucht nach einer gerechten Welt, die Gleichheit aller, erzwungen von einem fürsorglichen Staat, und die Aussicht auf gleiche Renten wie in Regenburg zu einer süffigen Soße vermengte.

Sie mochten ihn

Die Menschen mochten das. Und den Gysi erst. Wie heute die Wagenknecht-Partei an ihrer Führerin hängt, hing die SED/PDS am kleinen Mann mit der großen Berliner Schnauze. Als er ging, ein Rückzug auf Raten mit allerlei gescheiterten Comebacks, blieb personell nur der Mangel übrig. Und Wagenknecht. Überall wurde das bemerkt, nur nicht im Karl-Liebknecht-Haus, wo sie lieber weiter an der Weltrevolution und der Klimarettung planten.

Klima für alle und Gerechtigkeit dazu! Je weniger das Volk folgte, desto freigiebiger wurden die Versprechen. Reichtum für alle. Alles für alle. Kostenloser Nahverkehr und Mieten wie in der DDR, aber in modernen Pent-Haus-Wohnungen mit Klima und Terrasse für die Cannabis-Kübel. Als es dann zu spät war, den Schaden zu reparieren, steckten sie die selbsternannte Seenotretterin Carola Rackete auch noch ins Kostüm ihrer Spitzenkandidatin zur EU-Wahl: Trotz ihrer kulturell aneignenden Dread locks sah die Frau aus Niedersachsen für die begriffsstutzige Traditionswählerschaft aus wie ein ausgestreckter Mittelfinger.

Die Linke hat ihre Leute hinter sich gelassen, ein bisschen angewidert. Sie alle waren zu rückständig, zu wenig progressiv, zu rechts und zu sehr auf Wohlstand, Bequemlichkeit und ein schönes Leben bedacht. Wer nicht alles, was er hat, in den Kampf gegen rechts, gegen die Klimakatastrophe und für offene Grenzen einsetzt, den will die identitäre Linke gar nicht haben. Sollen sie doch den "rechten Rattenfängern" (Walter Steinmeier) nachlaufen! Sollen sie doch ihr Recht reklamieren, auch als Mehrheit in der Gesellschaft Respekt zu verdienen und ihre kulturelle Identität bewahren zu dürfen. 

Humorvolle Mehrheitsverhältnisse

Die Linke, durch die vom Wähler humorvoll geschaffenen Mehrheitsverhältnisse in Thüringen noch als Steigbügelhalter einer schillernden Chamäleon-Koalition aus Konservativen, Rechtslinken und Sozialisten benötigt, hat sich aus dem großen Spiel verabschiedet. Ihren letzten Dienst an der gelenkten Demokratie könnte sie leisten, indem sie sich mit der Wagenknecht-Partei unter deren Dach wiedervereinigt. Statt trickreich Unvereinbarkeitsbeschlüsse zum umgehen, könnte die CDU dann erstmals einfach offiziell mit den Kommunisten koalieren.

7 Kommentare:

  1. Der Unterschied zu den Roten Khmer ist nur gering und nur quantitativ: Nachdem die auf den Deckel bekommen hatten, viel zu wenig, kam: Genossen, wir haben es an revolutionärer Wachsamkeit fehlen lassen!
    So sinnse.

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  2. "Die Resttruppe der Mauerbauer, Menscheneinsperrer und Weltbeglücker hatte sich im neuen Deutschland etabliert als Seelenstreicheleinheit für alle, die sich zu kurz gekommen fühlten."

    Also zu kurz gekommen war keiner, nur manche fühlten sich unberechtigterweise so?

    Und da es diese natürlich heute auch noch gibt, haben sie nun zwei Möglichkeiten politisch irgendwo hinterher zu laufen.
    Wen würdet ihr denn vorziehen? AfD oder BSW? Und warum?

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  3. um sich zu kurz gekommen zu fühlen, muss man es nicht sein, wenn man es aber ist, dann fühlt man zumeist auch so. sich zu kurz gekommen zu fühlen ist also die grundgesamtheit, um die es hier geht

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  4. Die Kenntnis, einen Satz dem Sinn nach zu verstehen, ist nun eben nicht jedem gegeben.

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    1. Mit 10 Pfennig mehr Bildung könntet ihr Pflaumen schreiben, was ihr eigentlich sagen wollt...

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  5. "Bildung" nennen sie's, es ist, was sie auszeichnet vor den Ziegenhirten.

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  6. Also, Butter bei die Fische. Wie hätte der Herr (bzw.Genosse) es denn nun genau? Beim Trotzki vor 1925, oder doch bei Ludwig Erhard? Quatsch dich rein aus.

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